54

und verbot ihr zu tanzen, während er mit anderen Mädchen vornherein auf den Chor, den ja audy die Griechen, wie fchon ge­tanzte, die sicherlich weniger hübsch aber besser gekleidet waren. fagt, mehr und mehr vernachlässigt und aufgegeben hatten. Zwar In der Weihnachtszeit brachten die jungen Leute Serenaden, läßt er gelegentlich noch einen" Chorus " auftreten; aber das war zogen von Tür zu Tür, um Lieder zu singen; zur Kräftigung geradezu das Gegenteil des alten Chores, nämlich ein einzelner, hatten sie ein Lönnchen mit Wein bei sich, und jedes Lied Rolle spielte wie der eigentliche, alte Thor: indem auch er all­der freilich eine ähnliche, doch vergleichsweise sehr untergeordnete wurde von lautem Gewieher und einer Flintenfalve begleitet. gemeine Betrachtungen anstellte. ( Fortsetzung folgt.)

Chor, Vers und Monolog im Drama.

Von Dr. Rudolf Franz

Der heutige Theaterbesucher, der an einem Abend den Tell", am anderen vielleicht die Hedda Gabler " sieht, wird sich in den feltensten Fällen darüber Rechenschaft geben, was für grundlegende interschiede in der äußeren dramatischen Form zwischen einem Stück von Schiller und einem von Ibsen bestehen. Es sind vor allem zwei solcher Unterschiede, die uns heute ja so geläufig ge­worden sind, daß wir ebendeshalb fie gar nicht mehr als wesentliche Unterschiede erkennen: Selbst gespräche und Verssprache bei dem einen stumme Soloscenen und Prosa bei dem anderen Dichter.

-

" 1

-

-

Hat Shakespeare auf diese Weise einen fümmerlichen Reft des Alten beibehalten, so bietet er zugleich eine Spur von etwas ganz Neuem, von etwas, das sich erst entwideln sollte: Er führt neben der Sprache des Verses, die seit Anbeginn im Drama ge­herrscht hatte, gelegentlich auch die Prosasprache, die Sprache des täglichen Lebens ein. Bon da bis zur alleinigen Verwendung der Proja im ernsten Schauspiel war freilich noch ein weiter Schritt. Der wurde erst im 18. Jahrhundert getan, anderthalb Jahrhunderte nach Shakespeare . Neben ihren unbedeutenderen Vorgängern haben damals besonders Lessing und Diderot , der vielseitige Philo soph, sich dieser neuen Gestaltungsart des Dramas angenommen. Schiller und Goethe wandelten anfangs in ihren Spuren, tehrten sich dann aber so entschieden davon ab, daß noch jahrzehntelang niemand unter den großen Dramatikern diese neue Bahn weiter zu verfolgen sich entschloß. Ja, Schiller hat gerade aus Oppofition gegen diefen Realismus, gegen dieses Fortschreiten der Wirklich feitsformen, jenen erwähnten Versuch gemacht, den Chor wieder ins Drama einzuführen und auch damit, wie mit der Verssprache, nach seinem eigenen Ausdruck, dem Naturalismus in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären".

-

Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts. wenn wir von eina zelnen Vorstößen, wie Hebbels Maria Magdalene " absehen, bea ginnt ein Franzose, der jüngere Dumas, in ernsten Schauspielen sich ausschließlich der Profasprache zu bedienen. Zu jener Zeit haftete Jbsen noch im Boden des romantischen Dramas mit vor­zugsweiser Benutzung der Verssprache. Doch auch er greift schon damals mehrfach zur Sprache der Wirklichkeit, des alltäglichen Lebens.

Geht man weiter zurück, sehr weit zurück bis zu den alten Griechen, so findet man noch ein drittes Ausdrucksmittel, das eben­falls bei Ibsen fehlt, ja gar nicht denkbar wäre, und das selbst bei Schiller schon, außer in einem Stücke, geschwunden ist. Das ist der Chor. Schiller hat in einer merkwürdig reaktionären Anwandlung versucht, diesen Chor wieder in das Drama einzu­führen, der doch schon seit Jahrhunderten, fast seit Jahrtausenden aus ihm verschwunden war. So großartig nun auch die Chöre in Schillers Braut von Messina " dem Leser erscheinen: beim Ibsen und Dumas haben dann, während sie in dieser Hin Hören empfindet man gleichwohl die Unerträglichkeit dieses Aussicht nur fortzusehen brauchten, was Lessing , Diderot und andere drucksmittels. In der Tat verzichter man bei der Darstellung der schon vollbracht hatten, noch ein anderes Ausdrucksmittel des Braut von Mejjina" heute fast ausnahmslos darauf, die betreffen- Dramas allmählich aufgegeben und ersetzt, das zwar ebenso wie den Stellen, wie der Dichter selbst es ursprünglich nach antifem Chor und Verssprache schon im 18. Jahrhundert von einigen unbe­Vorbild sich gedacht hatte, durch einen Chor, durch eine Anzahl deutenden Dramatikern berlassen worden war, ohne daß aber von gleichzeitig Redender, vortragen zu lassen. Vielmehr werden die diesen Leuten eine nachhaltige Wirkung ausgegangen wäre. Sie Worte verteilt unter einzelne Mitglieder dieses Chors. Dazu vermieden nämlich mehr und mehr den Monolog, das Selbst, nötigt ja schon die Forderung der Verständlichkeit. Nur mit größter gespräch oder, richtiger übersetzt und ausgedrückt: das Allein­Sorgfalt ist es möglich, eine Anzahl Menschen genau im Zatt gespräch. Richard Wagner war ihnen da in einigen seiner Opern gleichzeitig sprechen zu lehren. Ein einzelner schon kann durch noch zuvorgekommen und ist für sie vielleicht sogar vorbildlich ge­eine Kleinigkeit das ganze verderben. wefen. Das des näheren auszuführen, fehlt hier der Raum.*) Ibsen war dann erst der eigentliche Vollender dieser neuen Fort schrittsstufe des Dramas, indem er das Alleingespräch teils durch finnreiches stummes Spiel etwa allein auf der Bühne anwesender Personen ersetzte, teils durch seinen Dialog, d. h. durch die Art und Weise, wie er seine Perfonen miteinander reden läßt, das Alleingespräch, das zur Enthüllung geheimster Gedanken und Stimmungen einst notwendig war, ganz überflüssig machte.

Die alten Griechen haben vermutlich ihre Chöre gesungen oder doch in einer recitativen Weise, taktmäßig, gesprochen. Dabei führten fie feierlich- getragene Tangbewegungen aus. Und der Inhalt dieser Chorlieder war dem angepaßt: in allgemein ge­haltenen Bildern und Gedanken wurde eine Art Betrachtung an­gestellt über die vorhergegangenen oder zu erwartenden Geschehnisse des vorgestellten Dramas. Häufig sogar wurde aus dem Chorlied ein Hymnus, ein Gebet zur Gottheit deren Altar ja ursprüng­lich den Mittelpunkt des besonderen Raumes bildete, auf dem sich die Choreuten, die Mitglieder des Chores, bewegten.

-

Indessen haben schon die Griechen, deren Drama sogar aus diesen Hymnen, mus diesen religiösen Tänzen und Gesängen ent­standen war, im Laufe der Entividelung ihres Dramas die Ver­wendung des Chores immer mehr eingeschränkt und verändert. Ja, sie haben zuletzt den Chor so gut wie ganz aufgegeben. Und fie würden ihn völlig abgestoßen haben, wenn die Entwickelung nicht jäh unterbrochen worden wäre. Die Ausstattung des Chores Tag den reichsten Bürgern ob. Als nun aber nach dem verheeren­den peloponnesischen Kriege, der von 431 bis 404 dauerte und der Entwickelung des griechischen Geisteslebens ebenso ein Ende be­reitete, wie im Deutschland des 17. Jahrhunderts der um drei Jahre längere 30jährige Krieg den Anfang der Entwickelung Hemmte als dieser Krieg den allgemeinen Wohlstand zum Sinken brachte, da war es auch nicht mehr möglich, jene Riesenauf­wendungen zu macher, durch die man vorher die Schauspiele zu solchem Glanz entwidelt hatte. Das gab auch dem Chor den Rest. Der Komödiendichter Aristophanes schuf seine letzten Stücke, nach diesem Kriege, ohne den alten Chor zu verwenden. Freilich sant von da an die griechische Kultur rapide, und es erstanden immer seltener und immer unbedeutendere Dichter, bis endlich das ernste Drama ganz verschwand oder mehr und mehr dem Zirkus und allerle Poffen den Platz räumte.

Fast zweitausend Jahre lang hat dann das Drama einen tiefen Schlaf geschlafen, aus dem es nur hier und da zu kurzem, twenig glanzvollem Leben erweckt wurde. Die christliche Religion und die gewaltigen Stürme, die sie nach sich zog, ließen sogar das griechische Drama lange Zeit in völlige Vergessenheit geraten, der es erst im Ausgang des Mittelalters allmählich und bruchstückweise wieder entrissen wurde.

Damit war denn auch das dritte jener Ausdrucksmittel vers schwunden, die ursprünglich zum Wesen des Dramas gehört hatten. Und wenn wir mit Shakespeare , also etwa mit dem Jahre 1600, mit Lessing , etwa 1750, und mit Jbsen, bis 1900, die drei Stufen be­zeichnen wollen, so find diese drei Ausdrucksmittel, Chor, Bers sprache und Alleingespräch, in Abständen von ungefähr je andert halb Jahrhunderten dem Drama verloren gegangen. Sie alle drei sind im modernen Drama, soweit es Gegenwartsprobleme in einem Gegenwartsgewand behandelt, ebensowenig denkbar, wie einft, vor zweitausendvierhundert Jahren, das Drama der Griechen, das heißt das erste Drama überhaupt, ohne sie denkbar war.

Denn in diesem Urdrama war der Chor, d. h. eine Anzahl tanzender und fingender Verehrer einer Gottheit, sogar das eigent liche Element gewesen. Und die fingende Vortragsweise hatte wiederum die gebundene Redeform, die Verssprache bedingt. Nachdem dann schließlich ein einzelner fich losgelöst hatte aus dem Chor und, wie etwa ein Priester auf der Kanzel, allein sprach, war auch eben das Allein gespräch gegeben. Ursprünglich war das kein Monolog in unserem Sinne, sondern ein Vortrag, da eben immer ein Publikum zugegen war. Erst später, als man den Chor zeitweilig und zuletzt böllig entfernte, entstand der Widersinn des eigentlichen Mitsichselbstsprechens. Mit dieser Entfernung des Chores, auch wenn fie nur zeitweilig war, gab man also schon die innere Berechtigung aller drei Ausdrudsmittel preis. Denn nur dem Chor war ursprünglich die Verssprache gemäß, wie etwa einem Kirchenliede. Und ebenso war das Sprechen eines einzelnen ohne einen Bartner nur durch die Anwesenheit des Chores bedingt und ermöglicht worden. Mit der Aufgabe des Chores also, unter Bei­behaltung des Alleingesprächs und der Verssprache, verrannte sich schon das antike Drama in eine Sadgasse, aus der auch Shakespeare und die deutschen Klassiker nicht herausfanden.

Heute nun haben wir zwei Gattungen des ernsten Dramas. Gine, die eben auf alle jene Ausdrudsmittel Berzicht leistet und wenigstens in der äußeren Form möglichste Wirklichkeitstreue an strebt; diese Form wird repräsentiert durch Jbsens Dramen. Und

Unterdessen aber hatten sich die Zeiten gewaltig verändert. Und als schließlich Shakespeare kam, da war der ursprüngliche Sinn und Zweck des Theaters so ganz verivandelt, daß er ein völlig neues Drama erschaffen mußte. Ohne es zu wollen oder zu wissen, fnüpfte er aber doch da an, wo die griechische Entwickelung zwei*) Binnen kurzem erscheint bei Niemeyer in Halle eine Schrift Jahrtaufent vorher aufgehört hatte. Und so verzichtete er von über diese Dinge unter dem Titel Der Monolog und Ibsen ."