Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 15.
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Mittwoch den 22 Januar.
( Nachdrud verboten.)
Schilf und Schlamm.
Noman von Vicente Blasco Ibanez . War aber diese furze Zeit des Vergnügens vorüber, dann begann Tonet mit demselben Widerwillen sein Leben voll harter Arbeit, das vom Horizont des Sees gleichfam begrenzt wurde. Manchmal trotte er dem Zorn seines Vaters, rüdte aus, stieg im Hafen von Catarroja an Land und durchstreifte die Dörfer, wo er zur Zeit der Ernte einige Freunde hatte. Ein anderes Mal wieder schlug er den Weg nach Saler ein und wanderte nach Valencia , bis der Hunger ihn zwang, wieder in die Hütte seines Vaters zurückzukehren.
So hatte er die Existenz derer fennen gelernt, die ohne Arbeit leben und verdammte sein unglückseliges Geschick, das ihn zwang, wie ein Amphibium in einer Gegend von Schlamm und Schilf zu vegetieren, wo der Mensch von seiner Geburt an in einer fleinen Barke hausen muß, ohne die er feine Bevegung machen kann und in der er wie eine Kröte in ihrem Roche zu bleiben verdammt ist.
1908
wilden Algier , an der Grenze der Wüste, wo sie sich ziemlich lange berstedt halten mußten, eines häßlichen Messerstiches halber, den sie einem in ihrer Heimat beigebracht, oder wegen eines Diebstahls, den man ihnen fälschlich auf Rechmung schrieb.
Er trieb diese Freundschaft für die Landstreicher so weit, daß er sie nach der Ernte begleitete. War ihr Tagetperk beendet, so folgte ihnen Tonet bei einer wüsten Orgie durch alle Dörfer, die sich am See hinzogen. Eine wilde Wande rung von Schenke zu Schenke, die in eine allgemeine Prügelei ausartete, wenn es an Geld fehlte.
Eine solche Expedition wurde in der ganzen Albuferagegend berühmt. Sie dauerte über eine Woche, und während dieser ganzen Zeit sah der Onkel Toni seinen Sohn nicht ein einziges Mal in Balmar. Man erfuhr, daß die Landstreicher wie losgelassene Tiere nach Ribera gelaufen, in Sollana einen Feldhüter durchgeprügelt hatten, und daß zwei von ihnen in Sueca bei einer Kneipenschlägerei schrecklich zugerichtet worden waren. Die ganze Gendarmerie lief dieser Bande Berrüdter nach.
Eines Nachts benachrichtigte man den Onkel Toni, sein Die Vergnügungssucht erwachte in ihm mit wütender Sohn wäre, die Kleider mit Schmuz bedeckt, als wäre er in Gewalt. Er spielte in der Schänke bis zu dem Augenblick, irgendeinen Graben gefallen, und einen siebentägigen Rausch wo Canamel ihn um Mitternacht vor die Tür setzte; er hatte in den Augen, in Canamels Schenke erschienen. Finster bealle Getränke zu sich genommen, die in der Albufera ge- gab sich der fleißige Mann dorthin, schweigjam wie stets und noffen werden, einschließlich des reinen Abfinths, den die mit zitternden Händen, die heftig zuckten, als wenn sie sich Jäger aus der Stadt mitbrachten, um ihn mit dem schlam- ineinanderpressen wollten. Sein Sohn war gerade im Be migen Wasser des Sees zu vermischen, und mehr als einmal griff, mitten in der Schenfe mit dem Durste eines Behatte er bei seiner Rückkehr in die Hütte die zornigen Augen trunkenen ein Glas zu leeren, die allgemeine Aufmerksamkeit feines Vaters gesehen, dem weder sein unsicherer Gang, noch war auf ihn gerichtet, während er die bei diesem Streifzuge sein alkoholduftender Atem entgangen waren. Auch der begangenen Dumniheiten erzählte. Großvater protestierte mit entrüsteten Worten.
Er ließe es fich wohl gefallen, daß er den Wein liebte, der immerhin etwas Geweihtes und Gutes war; schließlich müßten fie alle ewig auf dem Wasser leben und der gute Schiffer müßte fich den Leib warm halten... aber gemischte Getränke zu fich zu nehmen- so hatte der alte Sangonera angefangen.
Mit dem Handrücken zerschlug der Vater den Becher, den der andere an die Lippen führte, und drückte ihm den Kopf auf die Schulter herunter. Von dem Schlage ganz verdußt, war Tonet einen Augenblick bestürzt, als er seinen Vater vor sich stehen sah; bald aber fam er wieder zu sich, ein trübes, bösartiges Licht entzündete sich in seinen Augen, bei deren Glanz die anderen zitterten, dann stürzte er auf den Onkel Toni zu, und brüllte, niemand dürfe ihn ungestraft schlagen, nicht einmal sein Vater. Doch es war nicht leicht, sich gegen diesen ernsten, schweigsamen Wann zu empören, der, fest und streng wie die Pflicht, in seinen Armen die Energie eines mehr als zwanzigjährigen Kampfes mit dem Elend trug. Ohne vor dieser jungen, wilden Bestie, die ihn zu beißen beabsichtigte, auch nur den Mund aufzumachen, gab er ihm eine heftige Chrfeige, bei der er wankte, und versetzte ihm in demselben Augenblid einen Fußtritt, der ihn gegen die Wand schleuderte, von der er gegen einen mit Spielern befesten
Zonet vergaß jede Rücksicht. Er prügelte die Borda, beHandelte sie wie ein widerstandsloses Tier und fah Neleta taum noch an. Wenn er seinem Vater noch gehorchte, so gefchah es in fo gezwungener Weise, daß der tapfere Arbeiter erblaßte und feine dicken, starken Hände bewegte, als wenn er Luft hätte, ihn zu erdroffeln. Der junge Mann verachtete alle Bewohner der Dorfes und fah in ihnen nur eine erbärmliche, für Hunger und Anstrengung geborene Herde, aus der er suchen mußte herauszukommen. Wenn sie stolz, die großen Körbe voller Aale und Schleie, nach Hause kamen, dann lächelte er nur. Ging er an dem Hause des Vikars vor- ish taumelte. über, so fab er Sangonera, der sich jetzt dem Studium ge- Man stürzte fich auf den Vater, denn man fürchtete, dieser weiht hatte, stundenlang vor der Tür des Pfarrhauses saß und würde in seinem faltblütigen Atletenzorn alle Gäste niederreligiöse Bücher las, wobei der Taugenichts zerfnirschte schlagen. Als die Ruhe wieder hergestellt war, und man den Grimaffen schnitt. Alten losgelaffen hatte, war sein Sohn nicht mehr da. Mit einer Geste der Berzweiflung, die Arme gen Himmel hebend, war er entflohen.
„ Der Dummfopf, was hatten denn all diese Bücher für Zweck, die ihm die Pfarrer lieben?"
Tonet wollte leben und mit einem Schlage alle Annehmlichkeiten des Dafeins genießen. Er bildete sich ein, die Leute, die auf der anderen Seite des Sees oder in der Stadt wohnten, stablen ihm einen Teil der Vergnügungen und der Freuden, die ihm von Rechts wegen zufamen. Zur Zeit der Reisernte, wenn die Arbeiter zu Tausenden in die Albuferagegend famen, um sich die hohen Löhne zu verdienen, die die Gutsbefizer bezahlten, söhnte sich Tonet für den Augenblick mit dem Leben in diesem Erdenwinkel aus. Er fab neue Gefichter, fah Freunde wieder, und es herrschte eine überströmende Fröhlichkeit unter diesen Landstreichern, die, mit der Sense in der Hand und dem Rucksack auf dem Rücken, von Land zu Land zogen, um zu mähen, so lange die Sonne über dem Horizont stand, und sich finnlos zu betrinken, sobald die Nacht hereinbrach.
Ihm gefielen diese Leute, die ein so bewegtes Leben führten, und er fand ihre Erzählung tausendmal intereffanter als die Geschichten, die man sich abends in den Spinnstuben und in den Hütten erzählte. Der eine war in Amerika geivesen; er vergaß sein Elend in diesen fernen Ländern und sprach davon wie von einem Baradiese, wo alle Welt in Gold schwamm. Andere erzählten ihren langen Aufenthalt in dem
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Man hatte ihn geschlagen... und im Beisein von ganz Balmar."
Mehrere Tage vergingen, ohne daß Tonet sich wieder bliden ließ. Endlich erfuhr man, er wäre auf dem Markte von Valencia erschienen. Er wohnte im Bezirk des Mont Clivieto, hatte fich amverben lassen und sollte sich nächstens einschiffen.
Der Onkel Toni hatte zuerst die Absicht, zu protestieren; fein Sohn zählte noch keine zwanzig Jahre, und man hatte also eine Ungefeßlichkeit begangen. Es war doch immer sein Kind, sein einziges Kind. Doch der Großvater mit seiner gewöhnlichen Härte veranlaßte ihn, der Sache ihren Lauf zu laffen. Das war für seinen Enkel noch das Beste. Er war auf schlimmem Wege, er mußte ein bißchen die Welt kennen lernen und sich die Hörner ablaufen; auf Reisen würde er sich schon austoben... na, und wenn er wirklich umkam, dann war eben ein Bagabund weniger auf der Welt.... Schließlich muß ja jeder früher oder später sterben.
Der junge Mann 30g also ab, ohne daß Widerspruch er. hoben wurde. Die Borda war die Einzige, die sich heimlich aus der Hütte entfernte und nach Mont Olivieto fam, um ihm weinend Lebewohl zu sagen, nachdem sie ihm seine arm