Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 17.
17)
Freitag den 24 Januar.
( Nachdruck verboten.)
Schilf und Schlamm.
Roman von Vicente Blasco Ibanez . Die erbärmlichsten Verleumdungen wurden jedesmal über Neleta folportiert, wenn man sich einbildete, sie würde ihrem Gatten ein Kind schenken. Die Boshaftesten nannten ironisch einige Großgrundbesizer, die aus den Dörfern der Ribera kamen und in dem Gasthause abstiegen, dann nannte man wieder irgend einen Jäger aus Balencia, ja sogar der Karabinierleutnant mußte herhalten, der sich in seiner Einsamkeit in Torre Nueva langweilte und zuweilen sein Pferd vor Canamels Haus an einen Baum band, bevor er seine Inspektionen durch die Kanäle unternahm. So schob man alle Welt vor, mit Ausnahme des unglücklichen Gastwirts, der aus jeder Berechnung vollständig ausgeschaltet schien.
Releta lächelte über all das Gerede. Sie liebte ihren Mann nicht, aber sie war seiner sicher. Obwohl sie für einige Gäste größere Zuneigung hegte, besaß sie doch die Klugheit der egoistischen und vernünftigen Frau, die sich aus Interesse berheiratet hat und entschlossen ist, die Ruhe ihres Lebens nicht durch Leichtsinn aufs Spiel zu sezen.
Eines Tages verbreitete sich das Gerücht, der Sohn des
Onkel Toni wäre nach Valencia gekommen. Der Krieg war beendet, und die entwaffneten Bataillone, die den traurigen Eindruck kranker Herden machten, wurden in den Häfen aus geschifft. Es waren wahre Gespenster mit ausgehungerten, vom Fieber ausgehöhlten Gesichtern, gelb wie die Kerzen, die man nur bei den Leichenfeiern verwendet, in deren Augen aber trotzdem, wie ein Stern in einem Brunnen, der Wille weiter zu leben glänzte. Alle fehrten, zur Arbeit unfähig, in ihr Heim zurüd, und fast alle waren bestimmt, in diesem Jahre im Schoß ihrer Familie zu sterben, die dem Lande einen Mann geschenkt hatte und dafür nur seinen Schatten zurückbekam.
Tonet wurde mit Neugier und Begeisterung in Palmar aufgenommen. Er war der Einzige aus dem Dorfe, der von da drüben zurückkam. Und in welchem Zustand kam er zurück! Von dem Elend der lezten Striegstage abgemagert, gehörte er auch noch zu denen, die unter der Belagerung von Santiago gelitten hatten. Doch abgesehen davon war er fräftig geblieben und die alten Weiber bewunderten seinen trockenen und schlanken Körper und die martialische Haltung, während er den Schnurrbart in die Höhe drehte. Diesen männlichen Schmuck trug in ganz Palmar nur noch der Karabinierleutnant. Dann stellte Tonet seine große Sammlung von Panamahüten zur Schau, das Einzige, was er aus dem Kriege mitgebracht hatte. Abends füllte sich die Schenfe mit Leuten, die die Berichte anhören wollten, die er von den Dingen und Sitten da drüben entwarf.
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Die Prahlhansereien des Guerillero, als er noch friedliche Leute prügelte und mit dem Revolver in der Hand in die Häuser eindrang, hatte er vollständig vergessen. Jetzt bezog fich alles, was er sagte, auf die Amerikaner, auf die Yankees ; er hatte sie in Cantiago gesehen, sehr große und sehr starke Burschen, die viel Fleisch aßen und ganz kleine Hüte trugen. Die ungeheure Statur dieser Burschen war der einzige Eindrud, der sich seinem Gedächtnis eingeprägt hatte. Und in dem tiefen Schweigen der Schenke brach plötzlich ein allgemeines Lachen los, wenn Tonet erzählte, daß einer seiner Onkel, der ihn mit Zumpen bekleidet sah, ihm, als er sich einschiffen wollte, eine Hose geschenkt hatte; diese Hose war aber so groß, daß er sich wie in ein Segel darin einwickeln fonnte.
Neleta, die hinter dem Schenktisch saß, hörte ihm zu und sah ihn dabei starr an. Ihre Augen waren ausdruckslos, den beiden grünen Sternen fehlte es an Licht, doch sie verließen Tonet feinen Augenblid, als wollte sie sich das männliche Geficht einprägen, das von allen denen, die sie umgaben, so verschieden war und in nichts an den jungen Burschen erinnerte, dessen Braut sie vor zehn Jahren gewesen.
1908
jungen Soldaten jeden Augenblick die Hand, bot ihm Gläs chen mit Schnaps an und erkundigte sich fortwährend nach den Verhältnissen in Cuba . Eifrig forschte er nach den Ver änderungen, die sich seit der Zeit, wo er selbst dort gewesen, bollzogen hatten.
Tonet war stets bon Sangonera begleitet, der für den Gefährten seiner Kindheit die größte Bewunderung hegte. Er war nicht mehr Sakristan und hatte auf die Lektüre der Bücher, die die Pfarrer ihm geliehen, verzichtet. Die Liebe seines Vaters für das Vagabundenleben und für den Wein war in ihm erwacht, und der Pfarrer hatte ihn, feiner Streiche müde, da er sinnlos berauscht die Messe bediente, aus der Kirche fortgejagt. Jest behauptete Sangonera, er verwerfe die Ansichten der Pfarrer, und das erklärte er unter dem lauten Lachen aller Gäste der Kneipe. In seiner Jugend schon durch Trunkenheit gealtert, zerlumpt und schmutzig, schlief er in einer Baracke, die schlimmer als ein Schweinestall war, und zeigte an allen Orten, wo getrunken wurde, sein mageres Asketengesicht, das kaum noch einen Schatten von der Dicke einer Linie auf den Erdboden warf.
Durch die Freundschaft mit Tonet erfreute er sich ge wisser Rücksichten. Er war es, der ihn in der Taverne aus fragte und ihn animierte, die Verhältnisse da drüben zu schildern, denn er wußte, daß die Schnapsgläser dann nie leer wurden.
Der Zurückgekehrte war mit dieser Existenz voll Ruhe und Ansehen sehr zufrieden. Balmar erschien ihm wahrhaftig wie ein Ort der Wonne, wenn er an die Nächte dachte, die er mit hungrigem Magen in den Schanzgräben zubrachte, oder wenn ihm die peinliche Rückkehr auf dem mit Kranfen und Verwundeten beladenen Schiff einfiel, bei der das Meer mit Leichnamen förmlich besät war.
Aus diesem lustigen Leben riß ihn sein Vater heraus, indem er eines Nachts im tiefen Schweigen der Hütte das Bort an ihn richtete. Was beabsichtigte er denn eigentlich zu tun. Er war jest ein ausgewachsener Mann, mußte die Abenteuer als beendet ansehen und ernsthaft an seine Zukunft denken. Er selbst hatte einen Plan, den er feinem Sohn, seinem einzigen Erben, mitteilen wollte. Wenn man, ohne nachzulaffen, mit der Bähigkeit rechtschaffener Menschen weiterarbeitete, so fonnte man sich wohl ein kleines Vermögen schaffen. Eine große Dame aus der Stadt, dieselbe, die ihm die Necker in Saler verpachtet, wollte ihm, von seinee Ausdauer und seinem Arbeitseifer gerührt, ein großes Terrain am Rande des Sees zum Geschenk machen, einen Grund und Boden, auf dem man große Saaten anlegen
fonnte.
Dieses schöne Geschenk hatte nur eine Unannehmlichkeit; der Boden stand nämlich vollständig unter Wasser, und man mußte viel Erde, aber wirklich sehr viel Erde herbeischaffen, um ihn bebauen zu können.
Man mußte also selbst tüchtig arbeiten, aber zum Teufel, deshalb brauchte man nicht zu erschrecken, denn schließlich waren doch alle Aecker des Albufera derartig angelegt. Lagen die reichsten und üppigsten nicht noch vor fünfzig Jahren unter Wasser? Zwei gesunde, kräftige Männer, die sich nicht vor der Arbeit scheuten, konnten da Wunderwerke vollbringen. Das war wirklich besser, als en schlechten Plägen zu fischen oder sich auf gepachteten Aeckern abzuradern.
Die Neuheit des Unternehmens reizte Tonet. Wenn man ihm vorgeschlagen hätte, die beften und ältesten Aecker Pal mars zu bebauen, so hätte er sicherlich eine Grimasse geschnitten. Aber der Gedanke gefiel ihm, mit dem See zu fämpfen, was augenblicklich nur Waffer war, in Ackerland zu verwandeln und da Ernten herauszuholen, wo jetzt die Aale unter dem Seegras herumschwammen. Mit seiner gewöhn lichen Leichtfertigkeit dachte er nur an das Resultat, ohne sich bei der Aussicht auf die ungeheure Arbeit aufzuhalten. Er konnte reich werden, er konnte die dem Wasser abgerungenen Ländereien verpachten und bummeln, was tatsächlich sein einziger Traum war.
Vater und Sohn stürzten sich in das Abenteuer, mit Canamel, der infolge des großen Zuflusses von Gästen, Unterstützung der Borda, die stets eifrig bei jedem Unterdie Tonet in die Taverne zog, einen plöglichen Anfall von nehmen war, das dem Hause von Nutzen fein fonnte. Auf Patriotismus und Begeisterung bekommen hatte, drückte dem i den Großvater durfte man nicht zählen. Er hatte das Unter