Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 25.
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Mittwoch den 5 Februar.
1908
( Nachdruck verboten.) auch einen Abscheu vor der Arbeit, die anderen dächten mehr oder weniger ebenso, aber trotzdem beuge jeder schließlich den Rücken, wenn auch zähnefnirschend.
Schilf und Schlamm.
,, Tonet war ein Dummkopf, wie alle Leute aus Palmar." Er erklärte das mit dem Mute, den der Rausch verleiht, und schien dabei gar nicht zu befürchten, daß sein Freund, der ein recht lebhaftes Temperament hatte, ihn mit einem Rud seiner Schulter in den Kanal puffen konnte.
Roman von Vicente Blasco Ibanez . Sangonera warf einen Blick auf den Kanal, der in den Sangonera hatte Tonet gerade in dem Augenblick gesehen, Sonnenstrahlen eine purpurne Färbung angenommen hatte; wo er an Land gegangen war, und ihn angerufen, ohne seine er sprach langsam, mit gewissermaßen mystischer Miene, prächtige Lage deshalb aufzugeben. Sein Störper hatte sich die zu seinem stinkenden Schnapsatem einen grellen Gegen. vorzüglich dem Stroh angepaßt, und er würde sich schwer fat bildete. hüten, den Schober zu verlassen..., Dann erflärte er, warum er hier wäre. Er hatte in der Schenke mit Fuhrleuten gespeist, vortrefflichen Leuten, die ihm zu essen gegeben hatten, ihm nach jedem Bissen den Becher reichten und über seine Späße lachten. Doch der Schenfwirt hatte, schlecht erzogen wie alle feinesgleichen, ihn sofort nach dem Fortgange seiner Gäste vor die Tür gesetzt; denn er wußte, daß er für eigene Rechnung nichts verzehren konnte. Da war er denn hierher gefommen, um die Zeit totzuschlagen, die Zeit, die die größte Feindin des Menschen ist Waren sie Freunde, ja oder nein? Na also, fonnte er ihm da nicht ein Gläschen spendieren?
Das bejahende Kopfniden Tonets trug über seine Faulheit den Sieg davon, und er richtete sich, wenn auch mit ciniger Mühe, auf. Sie tranfen einen Schluck in der Schenfe und setzten sich dann an eine mit schwarzen Brettern belegte Stelle des Hafens.
Tonet hatte den Vagabunden seit einer langen Reihe von Tagen nicht gefehen, und Sangonera erzählte ihm sein Leid. In Palmar war nichts zu machen. Neleta, Canamels Weib, diese stolze Person, die ihren Ursprung ganz vergessen, hatte ihn unter dem Vorwande, er befudele die Schemel und die Porzellanfliesen mit dem Schmutz, den er überall mit sich herumschleppe, aus der Schenfe gejagt. In den anderen Schenken war es ganz erbärmlich, da kam auch nicht ein Gast herein, der ein Glas hätte spendieren können, und er fab sich gezwungen, Palmar zu verlassen und den See abzuflappern; wie in früheren Zeiten sein Vater, mußte auch er von Dorf zu Dorf wandern, um sich großmütige Freunde zu suchen. Tonet, der mit seiner Faulheit feiner Familie so viele Sorgen gemacht, fing an, ihm Ratschläge zu erteilen. Warum arbeitete er denn wirklich nicht?
Sangonera machte eine verzweifelte Bewegung.„ Du Guch! Sogar der Subaner wiederholte dieselben Dummheiten, wie die anderen in Palmar. Mache er sich vielleicht viel aus der Arbeit? Warum half er denn nicht seinem Vater, Erde heranschleppen, anstatt den Tag in Canamels Hause an Neletas Seite herumzulümmeln und vom Besten und Feinsten zu trinken?" Der Kubaner lächelte. Er wußte wirklich nicht. was er darauf antworten sollte, doch bewunderte er die Logif, mit der dieser Trunkenbold seine Ratschläge ablehnte. Dem Vagabunden schien das Gläschen, das Tonet bezahlt, in gerührte Stimmung bersekt zu haben. Die Ruhe des Hafens, die zeitweise von dem Hammer der Kalfaterer und dem Glucksen der Hennen unterbrochen wurde, reizte feine Geschwäßigkeit und trieb ihn zu Geständnissen.
Nein, Tonet, er fonnte nicht arbeiten; er würde nicht arbeiten, und wenn man ihn dazu zwang. Die Arbeit war ein Werk des Teufels, ein Ungehorsam gegen Gott und die schlimmste von allen Sünden. Nur die verrohten Seelen, die sich in ihre Armut nicht zu fügen vermögen, die der Wunsch, zu sparen, quält, und die jede Stunde an den nächsten Tag denfen, fönnen sich mit der Arbeit befassen und fich so von Menschen in Tiere verwandeln. Er hatte eifrig darüber nachgedacht, er wußte weit mehr darüber, als der Stubaner glaubte, und hatte keine Lust, seine Seele zugrunde zu richten, indem er sich an eine regelmäßige und eintönige Arbeit machte, um ein Haus und eine Familie zu haben und das Brot für den nächsten Tag stets sicher zu besitzen. Ebensogut konnte man am Mitleid Gottes zweifeln; der seine Geschöpfe nie verläßt; er war vor allen Dingen ein Christ."
Zonet lachte, als er diese Neden hörte, betrachtete sie als die Faseleien eines Menschen, der zu viel getrunken hatte, und stieß seinen zerlumpten Gefährten mit dem Ellbogen an. Wenn er hoffte, sich mit diesen Dummheiten etwa noch ein weiteres Gläschen zu verdienen, so sette er sich einer gröblichen Enttäuschung aus. Was ihn anbetraf, so hatte er
Behauptete er nicht, daß alle zähnefnirschend den Rücken beugten? Was bewies das? Doch nur, daß die Arbeit der Natur und der Würde des Menschen zuwiderläuft. Gr wußte weit mehr darüber als man in Balmar glaubte, weit mehr als viele der Pfarrer, denen er wie ein Sklave gedient. Darum hatte er auch für immer mit ihnen gebrochen. Er besaß die Wahrheit und konnte nicht mit den Armen im Geiste leben. Während Tonet nach dem Lande auf der anderen Seite des Meeres reiste und an großen Schlachten teilnahm, las er die Bücher der Pfarrer und verbrachte seine Nachmittage im Pfarrhause; das Buch lag aufgeschlagen in seinem Schoß, und er überlegte, während die Bevölkerung nach dem See zog. Er hatte fast das ganze Neue Testament auswendig gelernt, und noch jest zitterte er, wenn er an die Aufregung dachte, die ihm die Leftüre der Bergpredigt, als er sie das erstemal gelesen, verursacht hatte. Er glaubte, eine Wolfe zerrisse vor seinen Augen. Er hatte schnell be griffen, warum sein fester Wille sich jedem Gedanken einer verblödenden und mühsamen Arbeit widersette. Nur das Fleisch, die Sünde war Schuld daran, daß die vor Ermüdung zusammenbrechenden Menschen wie die Tiere lebten, um ihre Die Seele aber irdischen Bedürfnisse zu befriedigen. protestierte laut gegen diese Sklaverei und sagte zu dem Menschen: arbeite nicht; durch alle Muskeln verbreitete sich der süße Rausch der Faulheit und des Müßigganges , wie ein Vorgeschmack der Glückseligkeit, der ihnen beschieden ist, wenn sie im Himmel sind.
,, Höre, Tonet, Tonet," sagte Sangonera zu seinem Freunde in feierlichem Tone.
Dann sprach er ganz zusammenhanglos von seiner Lektüre des Evangeliums und den Vorschriften, die in seinem Gedächtnis haften geblieben waren. Er brauchte sich nicht ängstlich um seine Kleidung oder um seine Nahrung zu sorgen, denn schon Jesus sagt, die Vögel des Himmels säen nicht und ernten nicht und essen doch; die Lilien auf dem Felde brauchen nicht zu spinnen, um sich zu kleiden, denn der himmlische Vater sorgt für ihr Gewand. Er war ein Geschöpf Gottes und verließ sich auf ihn. Er wollte den Herrn nicht beleidigen, indem er arbeitete und dadurch an der himmlischen Güte zweifelte. Nur die Leute aus Palmar be halten das Geld in der Tasche, ohne jemand einzuladen, nue sie waren fähig, sich um Geld abzuradern, weil sie eben immer um den nächsten Tag sich sorgten.
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Er zog es vor, wie die Vögel des Sees und wie die Blumen zu leben, als Landstreicher, untätig, ohne auf andere Zuflucht, als auf die himmlische Vorsehung zu vertrauen. Nie zweifelte er in seinem Elend an dem nächsten Tage. Jedem Tage genügt seine eigene Last und Mühe." Der nächste Tag würde schon, wenn er wollte, feine Unan. nehmlichkeit bringen; für den Augenblick genügte ihm die Bitterfeit des heutigen Tages und das Elend, das ihm sein fester Entschluß, rein zu bleiben, verursachte; ja, er wollte sich nicht mit der Arbeit oder mit irdischem Ehrgeiz in einer Welt besudeln, in der alle heftig um das Leben kämpften, wo jeder seinen Nachbar belästigte, um ihm ein wenig von seinem Wohlstand zu stehlen.
Tonet lächelte noch immer über die Worte des Trunkenbolds, die dieser mit wachsender Aufregung herausschleuderte. In spöttischem Tone sprach er seine Bewunderung für seine Ideen aus und forderte ihn auf, in ein Kloster zu gehen, wo cr sich nicht mehr mit dem Elend herumzuschlagen brauchte. Doch Sangonera protestierte entrüstet.
Er hatte sich mit dem Bifar gezantt, er hatte das Pfarre