In engstem Zusammenhange stehen. Es besteht ferner die Mög- lichkeit, dah die Existenz von Mikroben, die klein genug sind, um sich der gewöhnlichen mikroskopischen Wahrnehmung zu entziehen, auf diese Weise ans Licht gebracht werden, wenn sie auch ihrer- Gestalt nach nicht von einander unterschieden werden können. Er- folge dieser Art sind schon zu verzeichnen mit der Mikrobe der „Lungcnkrankheit des Rindes". Man hat ferner in colloidalen Lösungen merkwürdige Erscheinungen wahrgenommen; so eine eigentümliche„Bewegung der schwebenden Teilchen", deren Er- klärung bisher noch sehr große Schwierigkeiten bereitet. (Schluß folgt.) (Nachdruck verboten.) Er starb und wurde begraben. Von H o l g e r Drachmann . Als Jvar eines Tages am Strande unten stand und den großen neuen Anker und die vierzig Klafter lange eiserne Kette aus dem Boote ziehen wollte, lieh er plötzlich los und fuhr mit der Hand nach rückwärts oberhalb der Lenden. „Was hast Du?" fragte Andreas, sein Gehülfe bei dieser Arbeit. „Ich Hab' ein wenig zu stark angezogen," sagte Jvar und schnappte dabei nach Luft. Hierauf machten sie sich neuerdings an die vierzig Klafter. Dies, meinten einige, sei die ursprüngliche Ursache der langen und schmerzlichen Krankheit Jvar Asmussens gewesen, denn„alles, was bös ist, beginnt mit einem Stich." Andere sagten, dies sei Unsinn: einem Fischer passiere es oft. daß er sich verhebe, und noch viel Schlimmeres; dann müßten sie alle als Krüppel herumgehen. Nein, es hat ihn vielmehr jemand mit einem bösen Blick angeschen. Man ist abergläubisch unter den Fischern. Endlich gab es noch diese letzte Erklärung- Es stamme, sagte man, von dem Februartage her, als beide, Jvar und Andreas, eine halbe Meile vom Lande entfernt, im Boote übersegelt wurden. Es verging eine volle Stunde, bis man zu ihnen hinauskam und sie barg, und das Wasser war natürlich kalt. Jvar war ein abgehärteter Geselle und wollte die Kleider nicht sogleich Ivechseln, als sie heimgekommen waren— und da wollte Andreas auch nicht. Als dann das Frühjahr kam, nahm das Stechen im Rücken Jvars zu, während Andreas nichts fehlte. Sic hatten beide gleich lange im Wasser gelegen, und waren beide gleich naß gewesen— aber was sollte man sich von so einem vermaledeiten Zeug denken, das sich bei dem einen in den Rücken setzte, während es sich bei dem andern gar nirgends ansetzte? Nein, entweder wäre es Unsinn — oder es müßte Zauberei sein... Jemand mußte ihn mit einm bösen Blick angesehen haben. Aber krank war er.— Lene, Jvars Weib, überredete ihn endlich, daß er sich zu Bette legte. Es hielt schwer genug, ihn dahin zu bringen. Denn er war in zäher, dabei wortkarger, trockener Arbeiter, der sich beinahe aufrieb. Ihm gehörte das Boot, Lene besaß die Gerätschaften, als sie heirateten. Andreas hatte keinen Anteil an dem Gewinne; er arbeitete für Lohn— Pcrzente könnte man es nennen; er war ein zäher, dabei wortkarger, trockener Arbeiter, der sich beinahe ein Strich, der sich nie ganz öffnete; er sprach noch weniger als Jvar; deshalb kamen die beiden vielleicht so gut miteinander aus. Er hatte nur eine Leidenschaft: er tanzte gern— aber auch nur des Tanzens wegen. Keine Liebelei, keine Hcrumschwärmen zur Abendzeit. Gab es im Wirtshausc eine Tanzunterhaltung, so begann er mit dem ersten Mädchen bei der Tür, ob sie nun alt oder jung, groß oder klein war, und hörte mit dem letzten auf. Dann war seine Jacke triefend naß, er ging ohne Aufenthalt heim, legte sich in seinem Schweiß nieder, schlief ohne Träume und stand auf ohne Kopfschmerzen. Er hatte einmal mit Lene getanzt— drei Touren hintereinander. Als er sie losließ und sie sich setzte, blickte sie ihn an, lächelte und sagte:„Dir ist heiß!" Er schaute zu Boden und antwortete:„Das nenne ich einen Tanz!" Diese Nacht konnte er gegen seine Gewohnheit nicht einschlafen. Er stand endlich auf und wechselte— einer plötzlichen Eingebung Folg« leistend— sein wollenes Hemd. Es geschah dies zum ersten Male, und es half. Sie tanzten nicht öfter zusammen, denn nun begann das lange Krankenlager. Jvars Rücken war„bös"; es mußte im Boot für zwei gearbeitet, es mußte für den Doktor, für die Fahrt um den Doktor, für die Medizin verdient werden; es mußte in der Nacht gewacht werden, und es sollte doch alles im Hause seinen Gang gehen. Lene und Andreas teilten sich gleichmäßig in die Arbeit— immer ohne ein Wort darüber zu sprechen. Das schwere Krankenlager machte das Haus noch ruhiger; nur Jvars Stöhnen und bisweilen sein Aufschreien in qualvollen Nächten unterbrach die Stille; und nach diesen Aeutzcrungcn, die den schwindendem Kräften abgezwungen wurden, lastete dieselbe noch schwerer über dem kleinen Hausstand. Der lange, niedrige Flügel beherbergte ein halbes Dutzend Familien. Jvar Asmussen hatte die linke Giebclwohnung innc — zwei kleine Bodenräume, die durch eine Bretterwand mit ge- würfeltem Tapetenpapier abgeteilt waren. Di« Küche befand sich unten. Von dieser führte eine Leiter hinauf zu der schweren Bodenfalltür mit dem abgenützten eisernen Ring. Diese Tür blieb nun beständig geschlossen, seit Jvars und Lenes einziges Kind, die kleine Mätte-Marie, rücklings gehend, durch die Luke hinabgestürzt war. Das Kind war mit dem weichsten, wenn auch nicht den edelsten Teil des kleinen, wohlgenährten Körpers in einen Korb mit Heringen gefallen. Die Heringe, wenigstens diejenigen, die zu oberst lagen, waren allerdings gedrückt worden; aber dieses Jahr hatte man Ueberfluß an Heringen. Mätte-Marie war mit dem bloßen Schrecken davongekommen. Ihr Rücken war un» tadelig. Volle neun Jahre hatte diese Leiter mit demselben einförmigen Laute unter Jvar geknackt, wenn er vom Fischfang heimkam oder zu demselben fortging. Er hatte seinen gesunden Rücken gegen diese Falltür gestemmt, die er mit einem kleinen, elastischen Satz auf- stieß und wieder sorgfältig mit einem kurzen, pünktlichen Bums schloß. Nun konnte der Rücken weder den Fang heimtragen noch vie Luke aufstoßen; er konnte kaum ausgestreckt in dem kurzen, breiten Bette liegen, wo von unten das Stroh stach und von oben die Decke heiß machte. Dieser Rücken wurde mit jedem Monat „böser", ja endlich ganz mürbe; es bildeten sich kleine Löcher, die sich zu einem großen Loch vereinigten, welches bald sich schloß, bald wieder aufbrach; es spottete der Kunst des Landarztes den Winter hindurch und der Kunst des Badearztes im Sommer; und so lag Jvar schon das zweite Jahr und siechte dahin, und verbreitete einen üblen Geruch, und wand sich wie ein erbärmlicher Wurm, der vergebens auf die große Ferse wartet, die ihn ganz zertreten und der Qual für immer ein Ende bereiten soll. Für immer?... Das war es, worüber der hartgeprüfte Mann an den langen Tagen und in den noch längeren Nächten grübelte. Der eine und der andere von seinen Verwandten hatte ihn, gleich den Freunden Hiobs, mit Trostsprüchlein, Ratschlägen und Erbauungen versehen in Form kleiner Flugschriften, die in zahllosen Exemplaren zu billigem Preise von einer wohltätigen Gesellschaft hcrausgcgebn werden. Das eingebundene Gebetbuch, mit dem er begonnen hatte, konnte er nicht mehr in den kraft- losen Händen halten; und Lene las so langsam und so schlecht vor und weinte außerdem beständig bei den Versuchen, zu singen, was sie nicht lesen konnte. Mit den kleinen gehefteten Bogen konnte er allein liegen und sie zwischen den zitternden Fingern halten. Er las, bis die Schmerzen ihn übermannten, dann schrie er eine Weile, hierauf las er wieder, während sein Hirn um die Wette glühte mit seiner großen Wunde. Eines Morgens rief er Lene. Er hatte mit dem Nagel— einem langen, schwarzen, krummen Nagel— den Satz angemerkt:„Ihr Wurm stirbt nicht, ihr Feuer verlischt nicht." „Im Grund«— Du— Lene," sagte er,„was Hab' ich im Grunde getan, waS so schlimm sein kann?" Sie antwortete nicht, sondern führte die Hand mit dem Messer, womit sie eine kleine magere Goldbutte gereinigt hatte, zu den Augen hinauf. „Hab' ich Dich jemals geschlagen?" fragte er. „Nein, das weiß Gott !" schluchzte sie und vertauschte daS Messer mit der Schürze. „Oder Mätte-Marie— öfter als das eine Mal» als sie das Ferkel hinausgclassen hatte?" „Nein— nein!" war die Antwort. „Hab' ich vielleicht getrunken— oder war ich ein Spieler— oder...." hier verließen ihn die Kräfte; die Hand fiel schlaff über die Bcttkante nieder, und das kleine Heft lag auf dem Boden zwischen einigen schlimmen Fetzen— dem Verbände, den er in der Nacht abgerissen hatte. Sie bückte sich, hob das Papier samt den Fetzen auf und stieg in die Küche hinab, wo sie beides in die Hcrdglutcn warf. Aber wie über ihre Kühnheit erschreckt, griff sie augenblicklich nach den gedruckten Seiten, fuhr mit der Hand über die verkohlten Stellen und legte das Papier auf das Gesimsbrett über der Tcllerrcihe. Die Fetzen blieben liegen und verbreiteten bald einen stinkenden Qualm. Aber Leu war sowohl gegen den Qualm wie gegen den Gestank abgchärict. Es wurde nie wieder über diese Sache zwischen ihnen ge- sprachen. Jvar las nicht mehr. Er gab Lene mit einem besonderen Blick die Blätter, die er im Bette liegen gehabt hatte. Seine Leiden nahmen zu. Er verdrehte die Äugen so, daß das Weiße — nein, das Zitronengelbe— nach oben kam, so oft die Eisen- platte zwischen seinen Schulterblättern rotglühend wurde— denn so empfand er die Schmerzen. So wie ein Anfall vorüber war, fielen die Augenlider zu, und er lag wie betäubt da; und wieder kamen die Schmerzen, und wieder glühte die Eisenplatte, und wieder wand er sich, und wieder lag er wie betäubt. Es war cm Kampf ums Leben— ein Kampf mit dem Glauben— es war ein Todeskampf— und er wollte nicht enden. „Armer Teufel!" sagte der Landarzt. Und er entschloß sich. Lene mitzuteilen, daß es keine Hoffnung gebe— er könne nichts mehr ausrichten— und er wolle kein Honorar mehr annehmen — und sie sollten ihn nicht mehr holen lassen. Das sei edel, meinte er; er verstand nur nicht, daß Lene diese Mitteilung so ruhig hinnehmen konnte.»Diese Leute haben doch gar kein Ge-
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25 (12.2.1908) 30
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