Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 42.

Freitag, den 28 Februar.

( Nachdrud verboten.)

42) Schilf und Schlamm.

Roman von Vicente Blasco Ibanez . Zonet faum und hörte wie in einem Traum all das Geschrei und Gelärm dieser Leute und die vergnügten Bro­teste an, mit denen sie die Reden dieser aufschneiderischen Jäger über sich ergehen ließen. Er dachte traurig an Neleta, stellte sie sich vor, wie sie, von Schmerzen gequält, im oberen Stockwerf der Schenke sich auf dem Erdboden wälzte und ihr Geschrei erstickte, das ihr doch wenigstens eine Erleichterung verschafft hätte.

Von der Hütte ertönte die Glocke der Domänenkammer, doch ihr Ton war so schwach, wie der einer armen Ein Fiedlerhütte.

Es hat zweimal geläutet", sagte der Onkel Paloma und zählte mit großer Aufmerksamkeit die Schläge; er hatte größere Angst, zu spät in das Haus zu kommen, als eine

Messe zu versäumen.

Als der dritte Schlag sich hören ließ, verließen Jäger und Schiffer die Tafel, um ihre Schritte nach dem Orte zu lenken, wo die Postenverteilung stattfinden sollte.

Troß der Menschenansammlung wurde das tiefe Schweigen, das alle, die die Schwelle passiert hatten, beob­achteten, feinen Augenblick unterbrochen. Man sah dieselbe Stumme Angst, die im Gerichtssaal oder bei den Ziehungen Herrscht. Wenn jemand den Mund zu öffnen wagte, fo ge­schab es mit leiser Stimme, mit schwachem Summen, wie im Bimmer eines Kranken.

Der Präsident erhob sich. Meine Herren!"

Es trat ein noch tieferes Schweigen ein. Die Namen der Teilnehmer sollten aufgerufen werden. Auf beiden Seiten des Tisches standen steif, wie Herolde, die beiden ältesten Aufseher des Albuferasees, zwei dünne, dunkle Männer, mit schlangenartigen Bewegungen und spizzem Maule; zwei Aale, denen man Blusen angezogen, und die gleichsam nur zu den großen Jagdfesten aus dem Grunde des Wassers auftauchten.

Ein Aufseher ließ eine Liste herumgehen, um zu fragen, ob auch alle Boften bei der am nächsten Tage stattfindenden Jagd besett sein würden.

Nr. 1, Nr. 2."

Man ging nach der Reihe vor, nach dem Preise des Abonnements und nach der Anciennität. Die Schiffer ant­worteten, wenn sie die Nummer ihrer Herren hörten, für diese: Hier! Hier!"

War die Liste abgelesen, dann kam der feierliche Moment. Die Bezeichnung des Postens geschah dann nach Wahl des Jägers oder nach dem Nate des erfahrensten Schiffers. Nr. 3", sagte einer der Aufseher.

Sofort rief der, der die Nummer hatte, den Namen, an den er gedacht. Das Haar des Herrn...." Die ver­faulte Barfe"" Der Winkel der Antina". So hörte man die verschiedensten Namen aus der phantastischen Geographie der Albuferagegend. Die Schiffer hatten diesen Orten ihre Namen gegeben; viele ließen sich im Beisein von Damen überhaupt nicht wiederholen, oder der Magen empörte fich darüber, wenn man sie bei Tische aussprach; an diesem feier­lichen Lage aber achtete niemand darauf, und sie erregten nicht einmal ein Lächeln.

Die Anweisung der Posten dauerte eine Stunde, und während die Aufseher sie wiederholten, schrieb ein junger Mann sie in ein großes, auf dem Tische liegendes Buch.

Als die Verteilung beendet war, erhielten die kleinen Leute die Jagderlaubnis,- Jagdscheine, die zwei Duros fosteten, mit denen die Arbeiter den ganzen Albuferasee in ihrer kleinen Barke durchstreifen und in angemessener Ent­fernung von den eigentlichen Jagdposten alles erlegen konnten, was dem Gewehr der Reichen entging.

Die großen Jäger eilten, sich die Hände reibend, Schleunigst hinaus. Die einen wollten in Saler schlafen, um bei Tagesanbruch auf ihre Posten zu eilen, die anderen, eifrigeren, zogen sofort nach dem See ab, denn sie wollten

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selbst die Aufstellung ihrer ungeheuren Barke überwachen, in der sie den Tag verbringen sollten. Vorwärts und viel Glück; viel Vergnügen für jeden". Dann rief jeder Jäger seinen Schiffer, um gemeinsam mit ihm festzustellen, ob auch bei den Vorbereitungen nichts versäumt war.

Tonet war nicht mehr in Saler. In dem tiefen Schweigen, das der Ziehung voranging, hatte ihn eine furcht bare Angst ergriffen. Das traurige Bild Neletas, die allein in Balmar war, sich in Schmerzen wand und sich an der Erde herumwälzte, ohne daß jemand sie tröstete, stand ihm beständig vor Augen; stets sah er sie, von dem Spürfinn ihrer Feinde bedroht.

Er konnte seine Angst nicht mehr beherrschen und verließ, fest entschlossen, sofort nach Palmar zurückzukehren, das Haus, selbst wenn es zwischen ihm und seinem Großvater zu einem vollständigen Bruche kommen sollte. Neben dem Hause der Infantinnen, wo sich die Schänke befand, hörte er, wie und Durst, er war um die Tafel der reichen Jäger herum­ihn jemand rief. Es war Sangonera. Er hatte Hunger geschlichen, ohne daß es ihm auch nur gelungen wäre, einen einzigen Knochen zu erwischen

alles.

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die Fischer verschlangen

Tonet dachte daran, sich von dem Vagabunden vertreten zu lassen, doch der Sohn des Sees" fuhr zornig auf, daß man es wagte, ihm auch nur den Vorschlag zu machen, er folle den Kahnführer spielen; ebenso gut könnte der Bikar Er war nicht der Mann zu einer solchen Arbeit. Auf jeden von Palmar ihn auffordern, die Sonntagspredigt zu halten. Fall paste es ihm nicht, für irgend jemand die Ruderstange zu handhaben. Tonet mußte doch wohl seine Ansichten kennen, die Arbeit war eine Erfindung des Bösen.

Doch Tonet war in seiner ungeduldigen Angst keines wegs geneigt, auf Sangoneras Theorien zu hören. Er duldete keine Weigerung, sonst würde er ihm für immer den Geschmack am Brot verleiden und ihn mit einem tüchtigen Puff in den Kanal werfen. Freunde müssen einander aus der Verlegenheit helfen. Er wußte doch recht gut mit einer Barke umzugehen, wenn er seine Finger in die von anderen aufgespannten Nege stedte und die Aale stahl. Wenn er übrigens Hunger hatte, so konnte er ja wie nie zuvor sich an dem Vorrat schadlos halten, den sein Jäger aus Valenzia mitgebracht. Als er fab, daß Sangonera von der Aussicht auf ein leckeres Mahl erschüttert wurde, versuchte er, seinen Entschluß durch einige Faustschläge zu stärken, trieb ihn bis zur Barke des Jägers und erklärte ihm, wie er mit allem umzugehen hätte. Wenn sein Herr erscheinen würde, sollte er ihm sagen, Tonet wäre krank geworden, und er hätte seine Vertretung übernommen.

Bevor sich Sangonera noch von seiner Verwunderung erholt und seinen Entschluß gefaßt hatte, war Tonet bereits in seine leichte Barke gesprungen und hatte sich, wie ein Ver­zweifelter mit der Ruderstange arbeitend, auf den Weg ge macht.

Die Reise war lang. Er mußte den ganzen Albuferasee durchqueren, um nach Palmar zu kommen, und es wehte nicht der leiseste Wind. Doch Tonet fühlte sich von der Furcht und Ungewißheit aufgestachelt, und seine Barke schoß wie eine Möve über das schwarze Waffer.

Mitternacht war vorüber, als er nach Balmar kam. Er mar äußerst müde, die Arme schmerzten ihm von der hastigen Fahrt, und er wünschte nichts sehnlicher, als alles in der Schenke ruhig zu finden, um sich wie ein Stück Holz auf sein Bett werfen zu können. Nachdem er seine kleine Barke vor dem Hause angerammt, sah er es still und verschlossen wie alle anderen Häuser des Dorfes da liegen; doch unter der Tür flimmerte ein Streifen roten Lichtes durch.

Die Tante Neletas öffnete ihm und blinzelte ihm, als fie ihn erkannte, mit den Augen zu, um ihn auf einen Mann aufmerksam zu machen, der mit einigen Kameraden, die zur Jagd hergekommen waren, vor dem Herdfeuer saß. Es waren Dörfler von Sueca, die in der Nähe von Saler Aecker besaßen- alte Stunden, die man unmöglich fort. schicken konnte, ohne Argwohn zu erregen. Sie hatten in der Schenke gespeist und schliefen neben dem Feuer, um bei Tagesanbruch ihre Barke besteigen und sich über den See zu