ttnS önLerswo Schutz suchen. Durchweicht und' zerstochen entkam er aus seiner Höhle. Weim er nur zum Gartenhause hinfinden konnte, das niutzte wohl imstande sein, ihm ein wenig Schutz vor dem Unwetter zu geben. Er stolperte über etwas, taumelte in eine Rinne, verwickelte sich in ein Gebüsch— wand sich durch und vorwärts— fühlte nach allen Seiten umher, gegen den Sturm aukänipfend. lForisetzung folgt.Z Magister, Sölclner und Vagant. i. Zwischen dem elften bis dreizehnten Jahrhundert stotzen wir ans eine Kategorie„fahrender Leute", die sich„Goliarden" nannten. ES waren studierte Geistliche, welche, da sie wegen Ueberproduktion in diesem Berufe und mangels vakanter Pfarreien keine Brotstelle erlangen konnten, mit anderen, Vettelvolk die Landstraßen unsicher machten. Eigentlich wirkten sie wie Sauerteig unter den„Land- fahrern"; um aber als etwas Besonderes zu gelten, bedienten sie sich des Lateins als Umgangssprache, das sie natürlich auch erst recht in ihren Liedern und Satiren zur Anwendung brachten. Später treten die landfahrenden Studenten auf. Erst während des dreißig- jährigen Krieges verlor sich nahezu jeder Straßenbettel, weil das Elend zu groß war. ES hat aber doch hie und da akademisch gebildete Leute gegeben, die durch irgend welche ungünstigen Verhältnisse auf Abwege gerieten und ein abenteuerliches Leben führten. Diese Erscheinung machte sich gerade in der deutschen Genieperiode bemerkbar, um die Zeit, da Goethe seinen Werther dichtete. Betrachtet man die Jämmerlichkeit des engen kleinbürgerlichen Lebens, so kann es nicht wunder- nehmen, wenn damals eine Anzahl schriftstellerisch oder dichterisch begabter Leute elend verkam. Natürlich ging die Verlotterung des einzelnen Hand in Hand mit den völlig verrotteten Zuständen, und man soll sich sehr hüten, immer und in allen Fällen deren arm- seligen Opfern ganz allein die Schuld aufzubürden. Einer, dessen Name doch aus uns gekommen ist, ist Friedrich Christian Laukhard . Nur der Umstand, daß dieser Mann nicht bloß die Schicksale seines eigenen Leben?, sondern in ihnen zugleich die Zeitumstände, insoweit diese in sein Dasein eingreifen. beschrieben hat. führte ihn selbst unserer Gegenwart näher. Protessor Paul Holzhause» in Bonn hat nun das fünfbändige Memoirenwerk Laukhards in verkürzter Gestalt unter dem Titel„F. Eh. Laukhards Leben und Schicksale"(Stuttgart , Robert Luy 1908. Zwei Bände; Preis brosch. 11 M.. gebd. 13 M.) herausgegeben. Man muß ihm dankbar dafür sein. denn die Kürzung hat den Schilderungen nicht nur nichts von ihrer Stoffülle genommen, sondern auch zur ununterbrochenen Lebendigkeit des Ganzen beigetragen. Bon künstlerischer Oekonomie war bei Lauk- Harb keine Spur; er litt eben an der weitschweifigen Geschwätzigkeit der meisten seiner schriftstellerischen Zeitgenossen. Allem war auch immer ein pädagogischer Zweck zugrunde gelegt; das Philosophieren und Moralpredigen gehörte zum Rüstzeug jener Zeit. ES schadet gar nichts, daß aller Floskelkram, der ja nur den raschen Gang der Lektüre stören würde, ausgemerzt ist. Dagegen gewinnt das Charakterbild deS Magisters Laukhard viel an Sympathie. Zweifellos war die lockere Erziehung mit Schuld an seinem berfehlten Leben. Mehr noch trugen die verkommenen Zustände auf den Universitäten dazu bei. Es wäre nämlich vollständig verfehlt, wenn man annehmen wollte, daß die heraufsteigende klassische Literaturepoche einen wohltätigen Einfluß auf die Milderung der rauhen Sitten, zum wenigsten innerhalb des akademischen Lebens an den Hochschulen ausgeübt hätte. WaS ging die Jenenier Studentenschaft auch ein Schiller, Herder und Goethe an I Für seine Gießener Studentenzeit führt Laukhard folgende Verse aus einer Beschreibung an, die„zwar elend" sind, aber doch ersehen lassen,„was für Eigenschaften man an einem honorigen Gießener Burschen gefordert hat. Man höre nur: Wer ist ein rechter Bursch? Der, so am Tage schmauset, Des Nachts herumschwärmt, wetzt*)-- Der die Philister schwänzt,**), die Profefforen prellt, Der stets im Karzer sitzt, einhertritt wie ein Schwein. Der überall besaut, nur von Blamagen rein, Und den man mit der Zeit, wenn er g'nug renommieret, Zu seiner höchsten Ehr' aus Gießen relegieret— Das ist ein firmer Bursch: und iver's nicht also macht. Nicht in den Tag'neinlebt, nur seinen Zweck bewacht, Ins Saufhaus niemals komint, nur ins Kollegium, Was ist das fiir ein Kerl?— Das ist ein Drastikum!***) *) Das heißt: Mit dem Degen auf das Pflaster haut, daß die Funken daraus sprühen. -) Nicht bezahlt, anführt. ***) Ein damals bekannter Schimpfname, womit man Bursche belegte, die anderwärts»Teekessel" genannt werden. L. Saufgelage— Bis 14 Tage lang hintereinander!— Schläge» reien, gemeinste Zotenmacherei, Verführung der Bürgerstöchter, Liebelei mit Professorenweibern. Cochounerie, ansteckende Geschlechts- krankheiten waren an der Tagesordnung. Wer konnte da standhaft bleiben? Was so ein Gießener Bursch zu leisten hatte, ergibt sich bei Laukhard . Nach einem einzigen,„fidel und burschikos" zugebrachten Sommer hatte er sich im nahen Wetzlar eine„gefährliche Galanterie" zugezogen. sich zweimal geschlagen, war drei- oder viermal im Karzer gesessen usw. usw. So klein damals die Universität war — ungefähr 250 Studenten— fielen doch innerhalb acht Tagen mehr als 30 Schlägereien vor!... Aehnlich ging es in Jena zu. Wir wissen ja, daß sich Schiller genug über die Zügellosigkeit der „Musensöhne" dort beklagt hat. Laukhard machte einmal einen Ausflug nach Jena . Er nahm seinen Weg zunächst durch Hessen » Kassel , dann durch verschiedene Thüringer Duodezstaaten. „Auf dieser Fahrt— schreibt er— hatte ich nun so recht Ge- legenheit, die niedere Klasse der Einwohner dieser Länder kennen zu lernen. Im Hessen - Kasselschen hatte ich hierzu vor- züglich Gelegenheit. Ich merkte eS gar zu genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich überspannte Grundsätze herrschen. Die Bauern waren durchaus arme Leute, und eben damals— 1776— hatte der Landgraf seine Untertanen nach Anierika ver» handelt. Da liefen einem die halbnackten Kinder nach und klagten, daß ihre Väter nach Amerika geschickt wären, und daß ihre armen verlassenen Mütter und ihre alten abgelebten Großväter das Land bauen müßten. Das war ein trauriger Anblick. Dergleichen empört tausendmal mehr, als alle sogenannten aufrührerischen Schriften; jener ergreist und erschüttert das Herz, diese be« schästigen meist bloß den Kopf. Aber von diesen will man nichts wissen, um sein Treiben desto ungestörter fortsetzen zu können— wie wenn eS nicht weil aufrührerischer wäre, aufrührerisch zu regieren, als aufrührerisch zu schreiben, zumal da dieses größtenteils eine Folge von jenem ist.... Ich gab soviel von meiner Bar- schaft her. als ich entbehren konnte. Ich sprach in allen hessischen Schenken ein und hörte da nichts als Klagen und Verwünschungen. Ich stehe dafür, wenn ein Fürst zu Fuße und unbekannt ein» Reise durcki seine Länder machte, es würde manches geändert werden. Aber so sitzen die guten Herren in Schlössern und in- Zirkeln, wo Not und Armut stemde Namen sind, und da lernen sie die Beulen und Wunden nicht kennen, an denen ihre armen Untertanen krank liegen..." Nach dem Abzug von Gießen mußte Laukhard nach Hause. In Frankfurt , wo er sich dem Suff und großen Ausschweifungen überließ, wäre er auf ein Haar— österreichischer Soldat geworden. In einer Kneipe, wo Werbeoffiziere und Unteroffiziere ihr Quartier aufgeschlagen hatten, war er im Rausch aus Handgeld geworben worden. Andern Morgens machte er freilich große Augen, als ihm die Tatsache bekannt wurde. Der Major indes nahm Laukhard die Dukaten wieder ab und ließ ihn laufen. Zu Hause einige Zeit. Dann ging's auf ein Jahr nach Göttingen zwecks Vervollständigung des geistlichen Studiums. Wieder ins Elternhaus nach Mendels- heim in der Nheinpfalz— hier wirkte der Bater Lauk- hardS als Pfarrer und hier wurde der Sohn am 7. Juni 1767 geboren— zurück I Irgendwo macht er sich mit Voltaires Schriften, Rouffeaus„Nouvelle Höloise",„Emile", ferner mit dem„Esprit de loia"(Geist des Rechts) von Montesquieu usw. bekannt. Sie bestärkten ihn ungeheuer in seiner Freigeisterei. Lessings„Wolfenbütteler Fragmente" taten das ihrige dazu und ein höchst lockeres Leben ringsum war auch wenig geeignet, den jungen Theologen Bahrdt-Semlerscher Richtung der Kanzel näher zu bringen. Gleichwohl muß Laukhard Umschau nach einer Pfarre halten; doch schlagen alle Versuche fehl. Dieses Kapitel wirft übrigens grelle Schlaglichter auf die Korruption innerhalb der protestantischen Kirche. Nicht bloß, daß die Erlangung einer noch so jämmerlichen Dorf- pfarrei von Kauf, Zwangsheirat der Witwe des Amtsvorgängers, Bestechung der Hofschranzcn, Konsistorialbeamten und anderen Zu- fälliakeiten abhing— selbst die Moralitär der.Amtsbrüder in Christo" war unter aller Kanone. Durch Sauferei. Weiber- exzesse, Prügeleien uslv. zeichneten sich jene.Seelsorger" fast ohne Unterschied aus. Es beginnt nun ein unstetes Wanderleben. In der ganzen Pfalz , im Hessischen. Endlich kriegt Laukhard eine Vikarstelle in Franken. Die Herrlichkeit dauert aber nicht lange. Laukhard macht sich mächtige Feinde und wird kurz und bündig feines Postens ent- hoben. Der Vater sagt sich von ihm los. Abermals geht's auf die Wanderschaft. Nach Straßburg im Elsaß . Nach fünf Wochen aber nach Hause. Der Vater hatte wieder versöhnlich geschrieben und Geld zur Heimreise mitgeschickt. Zwar versucht Laukhard sich wiederum als Vikar; allein auf die Dauer war' es doch nicht ge- gangen— der Lüderlichkeit wegen. Also nahm Laukhard eine ihm durch Profeffor Semler besorgte Stelle als Lateinlehrer am Halleschen Waisenhaus an. Wir erfahren jetzt auch manches zur Naturgeschichte der Hallenser und Leipziger Studentenschaft. Anmutend ist's grade nicht. Sttolchtum und Lotterleben auch hier, obwohl in anderen Formen. Im abgeschiedenen Waisenhaus war es Laukhard bald zu einsam geworden. Er zog in die Stadt und machte das Magisterexamen. So hatte er nun seinen „akademischen GraduS und konnte ein großes M. vor seinen Namen pflanzen." Er durfte aber auch Vorlesungen halten. Allerdings kam dabei nichts für ihn heraus— als daß er in das alte Sauf-
Ausgabe
25 (25.3.1908) 60
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten