Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 62.

19]

Proletarier.

Freitag, den 27. März.

( Nachbrud verboten.)

Bon Christen Bundgaard.

Nicht ohne Zärtlichkeit blickte er auf Stine, die indessen steif und unbeweglich stand, und die es sich nicht gerade merken ließ, daß sie sich aus einem zärtlichen Herzen heraus für den Geliebten aufgeopfert hatte.

Sie war offenbar schlechter Laune; aber der Sonntags­Staat, in den sie sich geworfen hatte, war auch schlimm vom Regen mitgenommen worden.

Ihr Hut war dermaßen aufgeweicht, daß ihr die Gänse­federn um die Ohren wehten, und von dem hochroten Bande träufelte das Wasser wie Blut über ihre runden sommer­sproffigen Wangen . Das Kleid hatte sie hoch aufgeſtedt, und Den furzen rotgestreiften Unterrod hielt sie mit steifen Armen von sich ab, daß man ein großes Stück der dicken pfahlartigen Beine sehen konnte, die in ein Paar schlammigen Schuhen Steckten. " Ihr könnt ja dann die Stelle drüben kriegen, wenn Ihr alle Beide melfen wollt", sagte der Vermieter. Dann könnt Ihr heute mit dem Abendzuge losfahren. Aber wo find Eure Sachen? Könnt Ihr die herauskriegen?" Ja, er hat doch alles miteinander rausgeschmissen, meine Standkiste und Stines Kommode, und nu regnet es doch ein." Aber jetzt fam Leben in Stine.

-

"

" Ja, und all mein bestes Zeng, wird alles verdorben", erflärte fie mit flinker Bunge. Und von der Kommode iſt der Rücken losgegangen, und Hemden un Hosen un alles liegt un versaut mir im Dred und die Kindersachen, die ich geschenkt gekriegt habe, weil ich bald was kleines friege Der Verwalter, der Satan! und die Frau, das Schweineluder, die Sau! Sie gibt ihren Leuten das reine Schweinefutter, un die Knechtsbetten kann man gar nich machen, so voller Läuse un Krätze un Hundemist sind sie! und Die Köchin ist venerisch Pfui Deiwel, so' ne Hure!

Da soll der Kudud bleiben!"

Jens meinte, das sei des Verwalters Schuld; denn der wäre nun mal ein Satan. Stine war am wütendsten auf die Frau. Und der Vermieter, der artig und zuvorkommend war, fluchte voll Ueberzeugung: Ja, das ist, hol' mich der Deuvel , eine faule Stelle!"

Es wurde also abgemacht, daß sie noch heute abend reisen müßten, und dann gingen sie.

Stine hob ihre Röde unanständig in die Höhe, als sie die Türschwelle überschritt, und sie knickte mit ihrem Pfann­tuchen von Hut, daß ihr die geknidten Gänsefedern ins Ge­ficht patschten.

Der Kerl hätte beinahe über seine Holzschuhe einen Purzelbaum geschossen, und setzte sich erst den Hut auf, als er wieder auf der Straße war.

Martin stand noch auf demselben led. Ja, nu kann ich Ihnen da eine Stelle schaffen, wo die beiden hergekommen sind. Die Stelle ist gar nicht so schlecht!" Martin fuhr erschreckt zusammen.

-

Nein... nein ich glaube, ich möchte was anderes versuchen" und er machte, daß er hinausfam.

-

Dann hatte er sich hinter die Gärten und auf das Feld hinausgeschlichen, wie ein hungriger Hund, der nach Abfall mherschnüffelt. Aber da war kein Abfall, den ein Mensch in den Mund steden konnte es war faum ein wenig trintbares Wasser aufzutreiben.

--

In derselben Nacht ging er nordwärts. Er ging, solange er die Hand vor Augen sehen und solange er die Füße rühren fonnte. Tag und Nacht ging er, und seine Natur nahm all­mählich etwas Wildes an, daß die scharfen Rüben ihm gut zu bekommen begannen.

1908

die Grube wuchs großer breitblättriger Ampfer. Eine alte dicke Kröte saß auf dem Grabenrande und gähnte, und auf einem taufeuchten Blatte schaufelte sich eine Lerche und sang aus voller Kehle.

Martin ging näher und sah der Sängerin nach, als sie plößlich aufgescheucht in die Höhe flatterte. Im Ampfer hatte sich etwas bewegt.

Und unversehens kam ein Menschenkopf zum Vorschein, dessen Augen ihn voll Erstaunen anstarrten. Martin stutte. Es war das erste Mal, daß er auf dieser Ebene seinesgleichen begegnete.

"

Guten Morgen", sagte er. ,, Mor'n!"

Die ganze Gestalt kam allmählich auf die Beine, und nachdem der Mann ein wenig gestanden und an einem großen Sad gehoben hatte, warf er diesen auf den Rücken und kam zu Martin hinunter.

" Mor'n, Kamerad. So früh auf den Beinen? Wo hast Du die Nacht geschlafen?" Martin stand und stotterte.

Ich habe hier im Ampfer geschlafen", fuhr der andere fort. Das war, hol' mich der un jener, eine Luft! Oh, wie schön ich geträumt habe von Paradies un Engeln un dem Mädel und der Flasche! Hallelujah, wie gut ist der liebe Gott! Aber was ich sagen wollte hast Du einen Schnaps?" ,, Nicht? Dann spendiere ich einen. Bitte,' n kleiner Morgenbitter..

-

Das durchlief ihm wärmend den Körper wie ein Strom völlig neuen Lebens. Der andere, der stand und mit den Zähnen Flapperte, ergriff dann die Flasche, sperrte einen großen Schlund in seinem blaugefrorenen Gesicht auf und goß einen großen Schluck in den Rachen.sa , man fann, weiß Gott , nich ohne Branntwein leben, besonders auf der Reise." " So, Sie find auch auf der Reise?", fragte Martin. " Ja, das heißt also... Ich reise für die Apotheke. Ich samumle Slettenwurzeln. Mein alter Vater macht mit, aber er ist in einer Stadt weiter drüben nach der Richtung. Ich hab' keine Ahnung, wie er sich heute nacht eingerichtet hat. Wir waren im Frühjahr auch hier draußen. Da lagen wir drüben in der Kiesgrube in einer Nacht. Es gab noch keinen Ampfer... und es fror... und als wir des Morgens aufwachten, waren wir kreideweiß vor Reif. Wohin geht übrigens die Reise?"

Ich habe gedacht... nach Kolding nach Kolding ... Ich habe

feine Arbeit Das ist weiter nicht schlimm", lachte der gemütliche Reisende. Arbeit ist doch das legte, womit man sich abgibt!" Martin bemerkte so etwas wie, man müsse doch wegen des Essens...

,, Nee... sieh mal... weißt Du was. Der Deuwvel mag laufen un sich bucklig schleppen! Nu zum Beispiel ich. Ich bin wahrhaftigen Gott Maler gewesen. Ich habe auf Schloß Frederiksberg gemalt. So' ne feine Arbeit wie ich hat feirer geliefert. Hol's der Kuckuck! Ich hab' ein Weibstüd un drei Rangen, für die ich Fressen schaffen muß, verstehst Du! Sieh mal. Ich sammle Klettenwurzeln, un finde ich' n Knochen oder' n Stück Zinntopf oder' n Stüd altes Eisen oder' n alten Sad auf'm Mist,... na, wer sieht da so genau hin!" Er blinzelte pfiffig. Das heißt, sie sind auch schmierig genug, die Bauern. Aber mir ist's gleich!"

Ist wahr", unterbrach er sich, wir müssen' n Tropfen haben, sonst merken wir nich, daß wir leben! Willst Du nich Ja, ja!"

Er warf den Sad über den Nacken und begann zu gehen. Wollen wir zusammen gehen?- Arbeiten. Ja das fagte der auch, der dide verbissene Bauer, dem ich neulich drinnen Bürsten verkaufen wollte. Arbeiten solltet Ihr". Ein Stück trockenes Brot, das er übrig, hatte und mit fagte er. aber Ihr wollt Euch lieber herumtreiben. Ja, dem er Haus gehalten, indem er einen Bissen morgens und das glaub' der Teufel, qutwillig läßt sich doch keiner zum einen Biffen nachmittags nahm, erschien ihm jest fast un- Badejel machen! Und siehst Du! Ob man arbeitet oder nich berdaulich und als Futter für eine ihm unbekannte Tier- arbeitet, es fommt ja doch schließlich auf eines heraus. gattung. Seine menschliche Stimme verlor er immer mehr, und sein Gang verwandelte sich manchmal in eine Art Hüpfen.

7.

Eines Morgens vor Tag fam Martin auf seiner ein­samen Wanderung an einer Riesgrube vorüber. Rings um

habe, ich bin Malergeselle gewesen. Und damals war ich ver­Nun will ich Dir was erzählen, wie ich Dir vorhin gesagt heiratet, und es war in einer Dachfammer in Kopenhagen in dem Winter, als es feine Arbeit gab, und wir mußten alle unsere Möbel zu Geld machen, un fonnten den Ofen nich