Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 85.
21]
Freitag, den 1. Mai.
( Nachdrud verboten.)
Semper der Jüngling.
Ein Bildungsroman von Otto Ernst .
23. Napitel. Asmus als Verteidiger zweifelhafter Unschulden und Adolfine Mofes als Seminardirektor.
Das gigantische Schicksal, das immer vornehm bleibt, hat eine kleine fleine schieläugige, bucklige und boshafte Schwester, die ein Vergnügen daran findet, den Verfolgten und Leidenden im Augenblick ihres größten Unglüds noch einen kleinen Extraprügel zwischen die Beine zu werfen, oder sie durch einen heimlich angefügten Bettel lächerlich zu machen, oder ihnen just in dem Augenblick, da ihr Recht an den Tag kommen soll, eine kleine Schuld vor die Füße zu rollen, daß sie straucheln. Wenn ein Lump und ein Ehrenmann vor dem Richter stehen, dann wird im Gerichtssaal immer ein Steinchen liegen, an dem der Redliche sich den Fuß verstaucht. So gingen denn zu der Zeit, als Semper den eben verlorenen Freund betrauerte und der Klassenkampf" zwischen den Seybolden und den Schäflein" ( ein ewiger Klassenkampf!) den höchsten Hißegrad erreicht Hatte, Morieur, Semper und zwei andere Schäflein, namens Klöhn und Wackerbarth , über den„ Dragonerstall" durch das Holstentor . Morieur hatte gerade einen kolossalen Wig erzählt, und alle vier Jünglinge lachten laut, als ihnen ein langer, grauer Pastor in den Weg fam.
"
Halloh, Pastor Bump!" rief Klöhn nicht eben laut, aber doch laut genug für das Ohr des Geistlichen, und da die vier einmal im Lachen waren, so lachten sie weiter. Es war eine Art Backfischgeficher ins Jungenhafte übersetzt. Asmus fannte feinen Pastor Zump und fragte:„ Wer ist das? und bemerkte den Mann erst, als er vorüber war. Er hatte rein nach dem Gesetz der Beharrung weitergelacht. Aber langgebeint, mit langen Säßen" kam der Mann alsbald zurück.
"
Pr
Wie heißen Sie?" fuhr er Morieur an.
Wieso?" fragte der.
Wollen Sie mir Ihren Namen nennen?"
Nein. Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen."
Wollen Sie mir Ihren Namen nennen?" wandte er fich an Wackerbarth .
Ja, das kann ich ja tun", sagte der, ich heiße Wacker barth."
Das genügte dem Geistlichen. Als er gegangen war, erfuhr Asmus, daß Herr Zump ein hochorthodorer, ja pietistischer Geistlicher sei, der ein ganz frommes Blättchen herausgebe und mit diesem Blättchen oft von der liberalen Presse verspottet werde.
Am andern Morgen wurde Waderbarth zum Direktor zitiert, und dem mußte er die Mitschuldigen" nennen. Semper nannte er nicht mit, weil er ihn für gänzlich unbeteiligt hielt. Eine Stunde später schnob und stob Herr Dr. Korn zur Klasse herein und stellte sich am Statheder auf.
,, Wackerbarth!" rief er.
„ Hier."
Klöhn."
„ Sier."
,, Morieur!" „ Sier."
„ Sie haben jestern einen Jeistlichen auf offener Straße berhöhnt.... Was woll'n Sie?" schnauzte er Sempern an, der aufgestanden war.
Ich war auch mit dabei," sagte Semper. Der Pfaffe" reizte seinen Zorn.
Der Direktor schnappte. Was? Semper? Der MusterInabe? Er war einen Augenblic sprachlos. Aber dann fuhr er los mit gedoppelter Kraft:
Also: man sollt's kaum jlauben! Bier junge Leute; die sich zu den jebildeten rechnen, die Lehrer werden wollen!( hier brüllte der gute Korn förmlich) betragen fich vie der Janhagel und insultieren auf offener Straße einen Jeistlichen unserer Baterstadt! Und als der Mann den einen um seinen Namen fragt, da hat der die Impertinenz, zu sagen: Ja habe die Ehre, Sie nich zu kennen!'"
1908
Semper und Morieur erhoben sich wie zwei abgeschossene
Naketen.
"
Wat woll'n Sie?" schrie der Direktor Morieur an. " Das habe ich nicht gesagt," rief Morieur, der in der Erregung die wunderbarsten Frazen schnitt.
"
Wat woll'n Sie?" heulte der Direktor gegen Asmus. Ich will bezeugen, daß Morieur das nicht gesagt hat. Er hat gesagt:„ Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen." Und dann erzählte Asmus den ganzen Vorgang, wie er sich zugetragen hatte.
" So, machte Korn und schnappte wieder.„ Na, id sage Ihnen soviel: Sie jehen noch heute all mit'nander hin zu dem Mann. Nimmt er Ihre Erklärung an, is's jut. Tut er's nicht, dann sind Se hier fertig. Dann werden Sie eliminiert." Und damit stampfte er aus der Klasse.
Da war er ja in eine hübsche Affäre hineingeraten! Und dabei hatte er wirklich nicht über Seine Hochwürden gelacht, sondern über den Wig. Aber sollte er jetzt, da sie in der Selemme waren, von den Gefährten, die ihm Treue gehalten, trennen und wie ein Bübchen rufen: Ich bin es nicht gewesen?!" Das würde wie Feigheit aussehen, und darum war es ausgeschlossen.
Die drei ernannten Sempern zu ihrem Sprecher, und vien Mann hech zogen sie im Studierzimmer Sr. Hochwürden auf. Es war ein so langer Pastor, daß Asmus, wenn er die Augen geradeaus richtete, genau auf den Magen des Gottesmannes blickte. Und da es ihm unnatürlich war, den Kopfin den Nacken zu legen, so richtete er seine Ansprache schließ lich nur noch an den Bauch des Herrn Pastors.
„ Der Herr Direktor verlangt," sagte Asmus,„ daß wir Ihnen eine Erklärung unseres Verhaltens geben. Mein Freund hat uns ein Wortspiel erzählt, und darüber haben wir gelacht. Mitten im Gelächter hat dann einer gesagt:„ Da kommt Pastor Zump!" Wir haben aber nicht über Sie gelacht."
Das stimmte nun nicht recht; aber Asmus als erwählten. Führer helt es für Ehrenpflicht, seine Kameraden herauszupaufen.
Der Geistliche anwortete im schönsten Stanzelton:
"
,, Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich diese Erklärung annehme. Ich habe den Herrn Direktor gebeten, Sie nicht zu bestrafen( das stimmte) und wenn Sie kommen, um Verzeihung zu bitten, so ist die Sache für mich erledigt; wenn Sie aber erklären, Sie hätten nicht über mich, sondern über quod non!" ein Wortspiel gelacht
„ Wir können nichts anderes sagen," bemerkte Asmus gegen den Bauch des Herrn Zump.
"
,, Und Sie?" wandte Zump sich an Klöhn. Können Sie mir auch nichts anderes sagen? Sie waren es doch, der da rief: Halloh, Pastor Bump" und höhnisch dazu lachte." Das hat er nicht getan!" rief Asmus.
"
„ Schweigen Sie doch!" rief der Pastor zornig ,,, wia können Sie das wissen?"
,, Weil ich meinen Freund kenne; dergleichen tut er nicht," bersetzte Asmus als Eideshelfer.
" Ich rede überhaupt nicht mehr mit Ihnen!" eiferte Bump gegen Sempern und wandte sich an Morieur.
,, Und Sie? Haben Sie etwa nicht gesagt:" Ich habe die Ehre, Sie nicht zu fennen!"( Das schien der Pastor also wirklich gehört zu haben.)
Nein," rief Morieur mit diabolischen Gesichtsverzerrungen, ich habe gesagt, daß ich nicht die Ehre hätte, Sie zu fennen."
" Jawohl, das hat er gesagt," erklärte Asmus mit Nachdruck, und die andern stimmten zu.
Bastor Bump warf einen Blick auf ihn wie der Prophet Elisa auf jene Knaben, die er von zween Bären zerreißen ließ, dieweil sie gerufen hatten:„ Stahlkopf, komm herauf!"
Und dann machte er eine große Armbewegung über alle vier Köpfe hin und sagte:„ Ich bin fertig mit Ihnen, Adieu." Aber als sie nahe der Türe waren, sprach er mit einem besonderen Blick für die drei anderen( Asmussen würdigte er feines Blides mehr):„ Wenn der oder der andere von Ihnen mir etwas anzubertrauen hat, so werde ich ihn gern empApfangen." ( Fortseguna folat."