HlnterhaltungsSlatt des Horwiirts Nr. 86. DienStag� den 5 Mai. 1908 (Nachdruck verboten.) az] Semper der Jüngling. Ein Bildungsroman von Otto E r n st. Er mochte wohl hoffen, dab einer von den dreien vor Unterleibsschwäche abfallen und reumütiges Bekenntnis ab- legen werde, und das war nicht fein von ihm. Nach vielen Jahren erst erfuhr Asmus aus wahrem Munde, daß dieser Pastor Zump, ein guter, hülfsbereiter und opferfreudiger Mann gewesen sei. Seine Verfolgung der vier Jünglinge war vermutlich auch so ein Stcinchen gewesen, das ihm die bucklige Schwester des Schicksals unter die Füße gerollt hatte. Einstweilen war er für Asmussen der rachsüchtige Pfaffe, der Hoogstraten und Peter Arbues, den er nie in seinem Leben um Verzeihung bitten würde. Tann aber kam die Re- lcgation. Dann war alle Mühe und Sorge von viertehalb Jahren dahin, dann konnte er alle seine Frühlingshoffnungen begraben und Zigarrenmacher werden. Das Geld, ihn auf einem auswärtigen Seminar zu erhalten, konnten weder er noch seine Eltern aufbringen. Ihm war übel ums Herz, und er verbrachte eine schlaflose Nacht. Das Schlimmste war, daß das Herz nicht ganz frei war. Er selbst hatte zwar den Mann nicht verlacht: aber er hatte die andern unbedingt in Schuh genommen, und das war doch gewiß: zum mindesten Klöhn hatte eine starke Ungezogenheit begangen. Wenn nian wahr sein wollte, mußte man das ein- gestehen. Aber darum Buße tun in Sack und Asche, wie Uriel Acosla, vor diesemhochmütigen, intriganten Priester"?! Asmus fuhr mit einem kurzen Lachen von seinem Bett empor und warf sich wuchtig wieder zurück auf das zerwühlte Lager. Aber übel war ihm zu Sinn: es ist schlimm, wenn eine Wunde nicht ganz rein ist. Erst nahe vor Morgen verfiel er in einen leisen Halb- schlaf. Der Direktor stand vor ihm und sagte:Sie wollep Lehrer werden? Sie sind wohl verrückt!" Und dabei hatte er vollkommen das Gesicht von Adolfine Moses. 24. Kapitel. (Die Bucklige lacht: aber die Schlanke macht cS wieder gut. Der Schiffbrüchige von Salas h Gomcz als Mittler zwischen den Parteien.) Zwei Stunden später traten die vier im Gänsemarsch bei dem Direktor ein, Semper wieder voran. Wir haben dem Herrn Pastor erklärt, daß unser Lachen nicht ihm gegolten habe; er will diese Erklärung nicht an- nehmen," berichtete Asmus und erwartete das Vcrnichtungs- urteil. Der Direktor ging einmal das Zimmer auf und ab und durchstach dann alle vier, jeden einzeln, mit einem Blick. Dann ging er noch einmal auf und ab durchstach hierauf Asmussen mit einem besonders langen Blick, Und dann sagte er: Sie können jeb'n." Die Angelegenheit war erledigt. Sie war erledigt für den Direktor und den Pastor: keiner kam wieder darauf zurück. Aber nicht erledigt war sie für die Seybolde und Wiede- Männer. Das war ja köstlich! Das war ja erbaulich! Also so waren dieSchäflein", wenn sie unter sich waren! Dann betrugen sie sich wie die Gassenbuben und bewarfen Geistliche (im Ornat! versicherte einer) mit Steinen! mit Schmutz! Das waren also die Leutchen, die eine Eins bekamen, wenn andere nur eine Zwei kriegten! Das waren die Herren, die mit hoch- wütiger Verachtung erwiderten, wenn man ihnen vorhielt, daß sie ihre Kollegen beim Direktor verraten hätten! Für die Schäflein, und sonderlich für Asmussen, kamen schlimme Tage, und die kleine schieläugige Schwester des Schicksals lachte, daß ihr der Buckel tanzte und rief: Du glaubst, wer recht hat, müsse obendrein auch noch Recht bekommen? Du bist wohl verrückt?!" In dieser Zeit, da ihm die Welt ein ausgesucht wider- wärtiges Gesicht machte, sollte er etwas erleben, was nach Duplizität der Ereignisse" aussah. Wie sich ihm nämlich einst, da er noch ein Knabe war, aus dunklem Bangen ein Weg ins Licht gezeigt hatte, als er zwischen den Bahndämmen in der Rainstraße, vor der Tür eine Schenke, einem lieben braunen Mädchen begegnet war, so sollte er auch jetzt wieder bei einem braunen Mädchen Erhebung und Erheiterung des Herzens finden. Herr Mansfeld , ein befreundeter Lehrer, hatte ihn zum Abendbrot eingeladen, und als Asmus nun die Treppen zur Wohnung des Gastfrcundes emporstieg, stand da auf einem Absatz eine rankgcwachsene Brünette und blickte nachdenklich auf einen Koffer ihr zu Füßen, der nicht allzu leicht sein mochte. Es war Fräulein Hilde Chavonne, seine ehemalige Kollegin. Sie stand im Begriff, zu eben den Lehrcrslcuten, die Asmus geladen hatten, in Pension zu gehen, und Asmus bat beschcidentlich um die Erlaubnis, ihr den Koffer hinauftragen zu dürfen. Das gewährte sie mit einem gnädigen Lächeln, und als man droben war, halfen Asmus und Herr Mansfeld beim Auspacken der Bücher, die der Koffer enthielt. Dabei schlug sich von selbst ein starkes, längliches Heft auf, das mit der Hand gezeichnete und kolorierte Landkarten enthielt. O, wie famos!" rief Asmus.Haben Sie die ge> zeichnet?" Hilde klappte schnell das Heft zu.Machen Sie sich nicht lustig darüber!" rief sie ängstlich.Sie können es gewiß tausendmal besser." Ich? Ich kann gar nichts, ich kann überhaupt nicht zeichnen," sagte AsmuS. Sie sah ihn zweifelnd an: aber als sie in seine Augen sah, glaubte sie ihm und nun schlug sie langsam selbst das Heft wieder auf, und von Blatt zu Blatt, wie er staunte und lobte, wurde sie heiterer und stolzer. Sie stand dicht neben ihm, und dabei geschah es. als er sich über das Heft bückte, daß der Aermcl ihres Kleides seine Wange streifte. Von diesem Augenblick an war Asmus wieder glücklich. Sie erschien nicht beim Abendbrot, weil sie müde war, und überhaupt blieb es auf lange Zeit hinaus bei dieser flüchtigen Begegnung. Merkwürdig, dachte er im Nachhausegehen: ein ganz ähn- liches Gefühl Hab ich schon einmal gehabt ganz so wie jetzt war die Welt schon einmal nicht die gewöhnliche Welt, aber die andere, die immer über ihr schwebt wie Morgenduft über den Hügeln, die war schon einmal so, damals, als ich zwischen den Bahndämmenam Rain" mit dem kleinen braunen Mädchen geplaudert hatte, mit derKönigin der Mainotten". Und was noch merkwürdiger ist, die beiden haben in gewisser Hinsicht etwas Uebereinstimmendes nicht nur, daß sie beide braunes Haar und braune Augen haben, das will nichts sagen auch der Teint und das ganze Aussehen auch das Fräulein Chavonne hat etwas Fremdländisches so so etwas Französisches übrigens ist ja auch ihr Name franzö- sisch. Aber ihr Wesen ist gewiß: es ist deutsch und doch wieder so ganz anders als das des fürchterlichendeutschen Weibes" mit der Häkelnadel. Wenn man sie zu Pferde sähe, dachte er. mit wehendem Schleier, den Falken auf der Faust, auf dieser feinen, schmalen Faust es würde keinen Augen- blick überraschen. Wie sitzest Du zu Pferde So königlich und schlank!" sang er vor sich hin, daß ein vorübergehender Bürger stutzte und ihn anstarrte.... Seit diesem Abend fühlte sich»Asmus auf eine wunder- bare Weise frei und leicht,, und er trug das Leben wieder mit aufgerichteten Schultern. Er hätte nicht sagen können, woher das kam: es kam aber einfach daher, daß ihn in dieser armen bürgerlichen Lehrerin ein adliger Mensch berührt hatte, und das hatte um so wundersamer gewirkt, als es menschlicher Pöbel war. der sein Leben verfinstert hatte. Seybold und Wiedemann waren ganz unzweifechaft Pöbel: daß aber unter den anderen Feinden auch anderes Material war. das sollte er bald erfahren. Zunächst freilich schienen die Gegensätze noch unversöhnlich. Herr Quasebarth brachte eines Tages du Rede auf den die Klasse zerspaltenden Streit und sprach sein Bedauern aus. Ja," rief eines der Antischäslein,die andere Parter macht ja auch nicht den geringsten Versuch, zu einer Annähe» rung."