Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 100.

Sonnabend, den 23. Mai.

( Nachdruck verboten.)

86] Semper der Jüngling.

1908

erfüllt. Frau Rebekka schwankte zwischen Stolz und Bangen. Sie war stolz, daß man ihren Sohn für tauglich befunden hatte, und sie bangte, daß man ihn mißhandeln und über­anstrengen könne.

Und gleich der ganze erste Tag war eine Mißhandlung, aber feine böswillige. Die Herren Schulamtskandidater

Ein Bildungsroman von Otto Ernst . Ein herzlicher Unterricht konnte das freilich nur in ftanden nämlich mit kleinen Unterbrechungen von morgens folchen Augenblicken werden, wo die Naivität der biblischen acht bis abends sieben Uhr auf dem Kasernenhof und Geschichten mit der Naivität der Kindesseele zusammenfiel; warteten. Einmal erschien ein Feldwebel und rief ihre und in solchen Augenblicken atmete das Herz des jungen Namen auf, und dann warteten sie wieder sechs Stunden. Schulmeisters erleichtert und beglückt. Und eine Fülle der Einmal beobachtete Asmus einen Haufen Offiziere, und ein Freuden quoll fast aus allen anderen Stunden. Nur stampfte sehr temperamentvoller Herr unter ihnen schrie: Denken ihm Herr Drögemüller eines Tages auch in den Leseunter- Sie, der Seckendorff läßt sich wegen Krankheit beurlauben richt hinein. Herr Drögemüller dachte es sich wunderschön und verzehrt ein großen Beefsteak mit Spiegeleiern." Asmus wenn alle drei neuangestellten Lehrer den Reseunterricht auf fand dies merkwürdig, aber für einen Tag war es nicht Unter­völlig gleiche Weise erteilen würden, und zwar auf eben- haltung genug. Er gehörte sonst zu den Menschen, die man dieselbe Weise, die er vor 25 Jahren auf dem Seminar er wohl langweilen kann, die sich aber niemals selbst langweilen, lernt habe. In seiner Schule sollte alles ordentlich hergehen: weil die Gedankenmühle von selber geht wie ein perpetuum alle sollten auf Schuhen kommen, alle sollten Schulgeld zahlen, alle denselben Glauben haben und auf dieselbe Weise ge- wartend, konnte man weder Gedichte machen, noch Gedanken­Aber so auf einem Fled stehend und immer bildet" werden. spiele treiben; erlitt Höllenqualen der Langenweile. Endlich, ihnen, sie könnten nach Hause gehen. Denn die Schulamts um sieben Uhr abends erschien ein Sergeant und erklärte kandidaten durften zu Hause schlafen und essen.

Einer der neuen Herren fat ihm auch den Gefallen; Asmus aber und der andere gingen ihre eigenen Wege. Herr Drögemüller bemerkte das mit Mißfallen.

Machen Sie es nicht so, wie ich es Ihnen neulich ge­zeigt habe, Herr Semper?" fragte er.

Nein," lautete die ebenso kurze wie unzweideutige

Antwort.

,, Warum denn nicht?"

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Weil ich meine Weise für richtiger halte."

„ Aber Herr Semper- Sie werden wohl zugeben, daß ich mehr Erfahrung habe als Sie-."

"

„ Das mag sein; aber ich muß meine Methode selber finden, und nur nach der Methode, die meiner Ueberzeugung entspringt, fann ich unterrichten. Wenn es die Jungen immer machen müßten wie die Alten, dann könnten Sie und ich überhaupt noch nicht lesen."

"

mobile.

Am anderen Morgen ging es endlich los. Der Sergeant und hielt eine Rede.

Greifenberg trat vor die Front von Asmussens Abteilung

Meine Herren," sagte er ,,, id hoffe, dat Sie als jebildeke Herren mir meine Arbeit so leicht wie möglich machen wer'n. werde Se nun mal ausbild'n. Wenn Se ooch noch so jelehrt sind, hier müssen Se doch noch wat zulernen. Sie find Lehrers; aber ich bin der Lehrer von die Lehrers. Schtill jeschtanden!"

indem er auf einen der Kandidaten losging, ielacht wird ,, Un denn merken Se sich ileich," sagte Herr Greifenberg , nich im Fliede. Wat id sage, is nich zum Lachen; de Sache

Das ist ja wohl sehr geistreich, Herr Semper; aber is sehr ernst." gleichwohl muß ich Sie bitten, meine Wünsche zu respektieren." Und nun begannen die Uebungen; aber Herr Greifen­Mit Recht sagen Sie Wünsche", Herr Drögemüller, berg stellte feine unmenschlichen Anforderungen, und Herr und nicht„ Befehle". Denn„ Befehle" gibt es hier nicht. Ich von Birkenfeld , der ausbildende Leutnant, noch weniger. bin nur verpflichtet, meine Schüler zu fördern. Welche Furchtsame Gemüter konnte freilich Herr von Birkenfeld zus Methoden ich dabei anwende, ist ganz allein meine Sache." nächst abschrecken; denn er markierte den rauhen Kriegsmann, Drögemüller war bleigrau im Gesicht geworden und der weder Teufel noch Kognat fürchtet und„ Sauerei" und schnappte, als wenn er Luft für einen längeren Sag einnehme:" Schweinekram" für verblümte Redensarten hält. Wenn er entschied sich dann aber nur für ein:„ Na, wenn Sie ihm die Richtung eines Gliedes nicht gefiel, so sagte er, in meinen und ging mit rachjüchtig geschwungenen Beinen einem milden, väterlichen Zone beginnend: hinaus. Als er draußen war, stenographierte er etwas sehr Langes in sein Notizbuch. Die Methode ist frei, dachte Drögemüller, darin hat er recht; aber ich werde schon andere Pfeifen schnigen, nach denen er tanzen soll.

Zunächst indeffen sollte Asmus ein wenig nach den Pfeifen des Ererzierplates tanzen. Bei der General­musterung im Sommer war er endgültig gezogen" worden, und nun war die Order gekommen, daß er sich am 1. Oktober auf dem Altenberger Kasernenhofe einzufinden habe.

39. Rapitel.

( Jst teilweise im Kasernenstil geschrieben und belehrt uns durch die Güte des Herrn Schieß- Unteroffiziers, was für ein Mensch dieser Asmus Semper eigentlich ist.) Was ihm an diesen Musterungs- und Gestellungsbefehlen aufgefallen war, das war die Aengstlichkeit, mit der auch der leiseste Verdacht einer höflichen Gesinnung vermieden war. Er fand, daß dieselben Befehle mit derselben Entschiedenheit in einer Form gegeben werden könnten, die mehr nach menschlicher Gesellschaft flang. Sie berührten ihn, als wären sie mit Absicht so schroff wie möglich formuliert, um das persönliche Selbstbewußtsein von vornherein auf den Nullpunkt zurückzutreiben. Ueberhaupt begann er diese sechs Wochen, die er als Schulamtskandidat" unter Waffen zubringen sollte, nicht mit gehobenen Gefühlen. Ludwig Semper freilich sprach noch immer von seinen Soldaten- und Kriegsjahren als von einer frischen, fröhlichen Zeit; aber belm Preußen" war's anders, und die vielen und abscheu­lichen Soldatenmißhandlungen, von denen die Zeitungen berichteten, hatten Asmussen immer mit Zorn und Entsezen

,, Ei, ei, ei, das Glied steht ja schweinemäßig! Der rechte Flügelmann, nehmen Sie den Bauch herein, ins drei gel zum Schnupftuch!" Er sagte aber nicht„ Schnupftuch", Deubels Namen! Der Kerl taugt zum Flügelmann wie der sondern ganz etwas anderes, und wenn er von den unteren menschlichen Extremitäten sprach, so gebrauchte er eine Bea zeichnung, die man nur unter Männern wiederholen kann, wenn feine Theologen zugegen sind. Im übrigen hatte er mit dem Flügelmann nicht unrecht. Der Schulamtskandidat Plambeck war der längste und dickste von allen; aber als er ein Gewehr mit einer Plakpatrone darin abdrücken sollte, da versagte er.

feld.

"

Warum drücken Sie nicht ab?" rief Herr von Birkens Blambeck hob den Kolben wieder an die bleiche Wange und setzte wieder ab.

Na, wollen Sie jetzt vielleicht die Liebenswürdigkeit haben, abzudrücken?" schrie der Leutnant.

Blambed hob schlotternd das Gewehr und ließ es abera mals sinken.

Jest trat Birkenfeld nahe an Blambeck heran und sagte ruhig:

Sagen Sie, fürchten Sie sich?

" Ja," versetzte Blambeck ehrlich.

" Na, Sie sehen doch, die anderen haben auch geschossen und sind auch ganz geblieben. Ich werde jezt kommandieren und Ste werden schießen. Legt an!- Feuer!" 3, keine Spur von Feuer.

denn

Heiliges Astloch!" schrie Birkenfeld . So was ist mit doch noch nicht vorgekommen! Sagen Sie mal, wie