geblieben; aber die Rohen, Hinterhältigen, Unwahrhaftioen waren sich nicht minder treu geblieben. Es schien ihm auch, daß die Klugen zwar klug blieben, die Dummen aber auch dumm. Und gerade die Dummen waren das ewige Ziel seiner Mühen; zu iljnen kehrte er, wie magnetisch gezogen, immer wieder zurück; denn daß die Klugen etwas begriffen hatten, bedeutete ihm nichts, solange die Dummen im Dunkel saßen. Das schien ihm die furchtbarste Ungleichheit und Un- gerechtigkeit der Welt, daß die einen spielend und lachend erhaschten, was die andern mit Aengsten und Mühen nicht erringen konnten. Und die Welt kommt nicht vorwärts, wenn die Dummen nicht mitkommen, dachte er. Und er machte es sich zur tollkühnen Aufgabe, aus den Dummen Kluge zu machen; alle sollten alles lernen; in seiner Schar sollte keiner zurückbleiben. Herr Drögemüller hielt ihm vor, daß er im Pensum zurück sei, und das war deshalb, weil es ihn immer wieder zu den Schwächsten hinzog, weil ihn immer wieder dies wunderbare Geheimnis der Dummheit lockte. Er konnte sich Viertelstunden, halbe Stunden lang mit solch einem der- scklossenen Geiste einkapseln uid das verworrene, zerrissene Gespinst seiner Vorstellungen mit langsam tastenden Fragen zu ordnen und zu entwirren suchen; er gab in einer Ober- klasse den geographischen Unterricht, und er sehte sich vor, nicht zu ruhen, bis alle die Entstehung der Jahreszeiten aus der Stellung der Erdachse zur Ekliptik begrifen hätten, und zuweilen sprang plötzlich aus solch einem leeren Auge ein Funke wie auseinem toten Stein, und dann kam aus As- mussens Augen ein Strahl, und Licht floß zusammen mit Licht und machte die Erde selig und schön— aber wenn das Hirn sich dem einen erschlossen hatte, verschloß es sich dem andern um so fester, und ob Asmus auch mit zusammen- gebissenen Zähnen rang und bohrte— er mußte daran zwei- sein, allen seinen Schülern den auf. und abschwebenden Jahresreigen von Licht und Schatten verständlich zu machen. Dabei quälte ihn mit Recht der Gedanke, daß er über den Schwachen die Starken vernachlässige und sie durch den lang- samen Gang des Unterrichts langweilen und unlustig machen müsse. Aber konnte er sich denn überhaupt allen so hingeben, wie es geschehen müßte, wenn man ihm fünfzig, ja sechzig Menschenkinder auf den Hals lud? Es konnte ja alles nur oberflächliche Husch- und Pfuscharbeit, nur äußerlicher Bil- dungsaufputz werden. Es bemächtigte sich seiner das Gefühl, daß überhaupt alles töricht und falsch sei, was er da treibe, und zwar von der Wurzel aus falsch; von einem tieferen Grunde her müsse alles anders angefaßt, müsse auch ganz anderes erstrebt werden. Er erinnerte sich, daß sein bestes Lernen immer ein Erleben gewesen sei. Aber dies Lernen in der Schule, wie er es nach dem herrschenden For- malismus betreiben mußte, war kein Erleben. Es drang nicht zum Innersten und Tiefsten des Menschen hinab. Und er dachte sich einen Menschen, mitten in den Kampf des Lebens gestellt. Was er da brauchte— gab ihm das die Schule? dfan scholae sed vitae!(Nicht für die Schule, sondern fürs Leben!) hatte es im Seminar geheißen. Leerer Schall. Das Meiste, was er den Kindern geben mußte, war nicht Lebensbrot, waren nicht Lebensworte, nicht Lebenswerte. So hoch ihn sein Optimismus getragen hatte, so tief versank er jetzt in Mißmut und Verzagen, und Melancholie bog seinen Mut„wie eine junge Weide bis an den Rand des Lebens". Jene unversiegliche Federkraft aus tiefstem Lebens- gründe— nun schien sie dennoch versiegt. Oester als sonst bezog er in Gemeinschaft mit Heide. Goers und Stockelsdorf die Akademie des Herrn Kuhlmann und war dann nicht selten der Ausgelassenste von allen; aber seine Scherze hatten eine Bitterkeit und Schärfe, die die Freunde oft erstaunt und befremdet aufblicken ließ. Manchmal ver- stummte er mitten in der tollsten Lustigkeit, mitten im eifrig. sten Diskurs und sprach dann den ganzen Abend kein Wort mehr. Dann hatte ihn das Gefühl überfallen: Was soll der ganze Unsinn? Darum ging er auch noch öfter allein ins Wirtshaus. Er hatte ein abgelegenes Hotel entdeckt, in dessen Speisesaal er ganz allein den Abend verbringen konnte. Das liebte er jetzt: ganz allein mit einer Flasche in einein möglichst großen Saale sitzen und sinnen und träumen. Nur wenn der Kellner kam, unterhielt er sich gern eine Weile mit ihm. Es hatte ihn immer schwer geärgert, wenn er einen Kellner schlecht und geringschätzig behandelt sah, wie es ihm überhaupt so schien, als wenn die Menschen diejenigen, die ihnen die härtesten und lästigsten Arbeiten abnahmen, am verächtlichsten behandelten. Er suchte, es an seinem Teile gutzumachen, be- handelte die Kellner nun extra als Gentlemen und gab ihnen so reichliche Trinkgelder, daß einige, allerdings wenige Von ihnen zuweilen eine abwehrende Gebärde machten und sagten: „Ooh— lassen Sie doch ich habe ja erst vorher bekommend Sie nahmen es aber immer. (Fortsetzung folgt.) Der Garten des LaubenkolonlCtem Juni. Als jüngst am späten Abend das furchtbare Hagelwetter hernieder- ging und der Himmel durch das unaufhörliche Wetterleuchten magisch beleuchtet war, hatte Herr Prietzke eine schlaflose Nacht, nicht nur, weil ihm die Schlössen die Fenster der Schlafstube zertrümmerten, was seine Frau zur schleunigen Flucht veranlagte, sondern auch, weil erHagelschaden im Garten fürchtete. Am nächsten Morgen ist er dann nicht zur Arbeit, sondern hinaus nach Neu-Vogelsdorf gefahren, um seinen neuen ParadieSgarlen einer peinlichen Beaugenfcheinigung zu unterziehen. Dabei hat sich denn herausgestellt, daß Prietzke wie immer, so auch diesmal einem gütigen Geschicke danken konnte, denn das Hagel-» weiter hatte zufällig gerade da aufgehört, wo sein Garten anfängt. nur einige zerschlagene Kohlblätter bezeichneten die Grenze. Nicht so günstig wie in Prietzkes Garten ist aber das Unwetter an anderen Orten verlaufen. An vielen Stellen hat der Hagel in Verbindung mit dem wolkenbruchartigen Regen namentlich in den Lauben-- kolonien fast alle Hoffnungen auf eine befriedigende Ernte ver- nichtet. Die größeren Pflanzen find zerschlagen, geknickt, die kleineren mit dem Gartenboden hinweggeschwemmt worden. Glimpflicher find die Obstkulturen hinweggekommen; die meisten Bäume hatten abgeblüht, aber erst winzigen Fruchtansatz, bei welchem Beschädigung durch Hagel fast ausgeschlossen ist'; aber bei den wenigen späten Sorten, die noch in der Blüte standen, hatte diese Not gelitten. Nach solchem Frühjahrshagel bleibt nichts anderes übrig, als die zerschlagenen und weggeschwemmten Kulturen schleunigst zu erneuern, das heißt, die Beete frisch zu graben und danach frisch zu besäen und zu bepflanzen. Wie allerdings, um mit dem Dichter zu reden, einen verlorenen Augenblick kein Jahrhundert mebr zurückbringt, so ist auch der Zeitverlust, der mit derartiger Nachsaat verbunden, selbst bei dauernd günstigem Wetter nicht wieder einzuholen. Die Ernte wird wesentlich verzögert, Ausnahmen machen die vielfach zerschlagenen Gurken, Kürbisse, Tomaten und die den Mistbeeten entnommenen und. deshalb weich- lichen Selleriepflanzen, zu deren Nachpflanzung es noch gerade Zeit ist. Man pflanzt dann aber von Gurken und Speise- kürbisse» nicht die späten, größten Sorten, sondern kleinfrüchtigcre frühere; ganz besonders aber von Tomaten nur allerfrüheste Sorten. wie die schöne, früher empfohlene Sorte»Johannisfeuer" und die gleichfrühe»Alice Roosevelt . Wenn der Himmel seine Schleusen so reichlich öffnet, wie es in diesem Frühling bisher der Fall gewesen ist, dann hat man, ab- gesehen von dem Angießen, das jeder jungen Anpflanzung folgen soll, die Gießkanne nur selten zu handhaben. Trotz allem würde aber vielen Kolonisten etwas mehr Sonne und etwas weniger Regen entschieden gelegener gewesen sein. Abgesehen davon, daß vorwiegend trübe Witterung die EntWickelung der Kulturen über- Haupt verlangsamt, schaden allzu reichliche Niederschläge nur in tiefen Lagen und n«me»tlich in Moorboden, der bei reichlicher Nässe sauer wird; im Sandboden der höheren trockenen Lagen dagegen nehmen die Kulturen keinen direkten Schaden, da unser Sand ähn- lich wie ein Sieb wirkt, das heißt die Niederschläge rasch durchläßt, wodurch freilich ber fottgesetztem Regen- Wetter viel Dungstoffe unwiderbringlich in die Tiefe geführt werden und dann für die meisten Gewächse verloren sind. Man sollte bei vorherrschendem trübem Wetter aus diesem Grunde, namentlich bei gesunden und wüchsigen Kulturen, durch gelegentliche Dunggüffe nachhelfen. Sie dürfen in trockenem Boden immer nur nach vorausgegangenem Gießen mit reinem Wasser gegeben werden. Es ist immer besser, öfter und in schwächeren Lösungen zu düngen. als seltener und in stärkeren, da durch letzteres manche Pflanzen Schaden leiden. Jauche muß so stark mit Waffer verdünnt werden, daß sie hell- und dünnflüssig ist. Wenn man in der Nachbarschaft stroh - freien Kuhmist zu deren Herstellung beschaffen kann, so ist diesem der Vorzug zu geben. Wo Hühner und Tauben gehalten werden, nehme man den sehr stickstoffreichen, aber auch scharfen und hitzigen und deshalb mit Vorsicht anzuwendenden Dung dieses Gesiügels, und wo man auf konzentrietten Kunstdünger angewiesen ist, da be« achte man, daß 2 Gramm auf je einen Liter Wasser in der Regel die Grenze nach oben bilden. In einer so feuchten Zeit wie der gegenwärtigen ist ferner zu beachten, daß durck fortgesetzte Niederschläge, namentlich durch wolkenbruchartigen Regen, der Boden festgcschlagen wird und in dieser festen Beschaffenheit zarten Pflanzenwurzeln Widerstand entgegensetzt, außerdem daS Eindringen von Luft und Wärme erschwert. Dem beugt man vor durch recht sorgfältiges Behacken der Beete, das immer und immer wieder bei Eintritt sonniger Witterung vorgenommen wird. Dabei findet dann auch eine regel-
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25 (3.6.1908) 105
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