tveltl Seltsam: die ersten Lieder, die der Zauber der Natur ihm entrungen hatte, waren Winterlieder gewesen. Aber er sang sie nicht in Wehmut und Trauer: der Winter war ihm Andacht und Stille, niemals Tod; denn in seinem Herzen glomm wie eine ewige Lampe die Gewißheit des Frühlings. So kam es denn ganz von selbst, daß Asmus, als sie auf frostklingenden Wegen dahinfchritten und sein schüchternes Schnurrbärtchen von lauter Eisnadeln starrte, also zu singen anhob: Die linden Lüfte sind erwacht, Sie säuseln und weben Tag und Nacht; Sie schaffen an allen Enden. und daß er erschrak, als Hilde in ein lautes Lachen ausbrach. Herr Professor, Herr Professor, es ist Winter!" rief sie: da verstand er sie und lachte nun auch aus vollem Halse: weil fie aber so ganz besonders schön lachte, küßte er sie siebenmal auf den Winterfrischen Mund, und dabei lachten sie, weil das Lied so gar nicht paßte, und ihre Augen wurden feucht, weil es doch so gut paßte. lFortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Die Gcfchlcbte der Heben Gehängten. Von Leonid A n d r e j e w. Autorisierte Uebersetzung von Aug. Scholz. t. Um ein Uhr mittags, Ew. Exzellenz. Da der Herr Minister ein sehr korpulenter Herr war, der zu Schlagflüssen neigte, so wurde er unter Beobachtung aller Vorsichts- mastregeln, damit nur ja jede gefährliche Erregung vermieden würde, davon in Kenntnis geseht, daß ein sehr ernsthafter Anschlag auf sein Leben im Werke sei. Als man sah, daß der Minister die Mitteilung völlig ruhig und sogar mit einem Lächeln aufnahm, mackite man ihn auch mit den näheren Einzelheiten bekannt: Der Anschlag sollte am nächsten Tage zur Ausführung kommen, des Morgens, wenn er zum Vortrag fahren würde; ein paar Terroristen, die bereits durch einen ÄKsiit provocateur verraten waren und gegenwärtig durch die Geheimpolizei aufs sorgfältigste überwacht wurden, sollten sich um 1 Uhr mittags mit Bomben und Revolvern an der Hauseinfahrt versammeln und seine Abfahrt erwarten. Und hier sollten sie dann abgefaßt werden. Halt mal," sagte der Minister verwundert,woher wissen Sie denn, daß ich ausfahren werde, um ein Uhr mittags, zum Vortrag, da ich doch selbst erst vorgestern davon erfahren habe?" Der Kommandant der Schutzwache meinte mit einer unbestimmten Handbewegung: «Gerade um ein Uhr mittags, Ew. Exzellenz." Halb verwundert und halb einverstanden mit den Maßregeln der Polizei, die alles so geschickt angeordnet hatte, schüttelte der Minister den Kopf, und ein müdcS Lächeln spielte um seine feisten, dunklen Lippen: und mit demselben Lächeln, voll Ergebung, in dem Wunsche, die Polizei auch weiterhin selbständig handeln zu lassen, machte er sich alsbald auf den Weg, nach dem gastlichen Schlosse einer ihm befreundeten Familie, um daselbst zu übernachten. Auch seine Frau und seine beiden Kinder wurden aus dem gefährlichen Hause fortgebracht, vor dem sich morgen die Boinbenwerfer ver- sammeln sollten. So lange in dem fremden Schlosse die Lichter brannten, zuvor- kommende, bekannte Gesichter sich lächelnd vor ihm verneigten und die Entrüstung über den geplanten Anschlag zum Ausdruck brachten, empfand unser Würdenträger ein Gefühl angenehmer Erregung wie wenn er soeben eine große, unerwartete Belohnung erhalten hätte oder sogleich erhalten würde. Aber die Gäste des Hauses fuhren heim, die Lichter erloschen, und durch die Spiegelscheiben fiel aus den Plafond und die Wände das zittrige, gespenstische Licht der elektrischen Laternen; es schien ein Eindringling in diesem Hause mit seinen Gemälden, seinen Statuen und seiner Stille, wie eS so, selbst still und unbestimmt, von der Straße einfiel und den be- unruhigenden Gedanken an die Nutzlosigkeit aller Riegel, Schutz- wachen und Mauern erweckte. Und da, mitten in der Nacht, in der Stille und Einsamkeit des fremden Schlafzimmers, packte den Würden- träger ein unerträgliches Angstgefühl. Er hatte etwas an der Leber, und bei jeder heftigen Erregung sammelte sich in seinem Gesicht, seinen Armen und Beinen Wasier an, daß fie anschwollen und er noch voller, noch dicker und massiver erschien. Auch jetzt, als er so wie ein Berg gedunsenen Fleisches sich über den niedergepreßten Sprungfedern des Bettes erhob, fühlte er in der bangen Furcht eines tranken Menschen sein geschwollenes, gleichsam fremdes Gesicht und konnte feine Gedanken nicht ablenken von dem grausamen Geschick, das ihm die Menschen zugedacht hatten. Er gedachte nach einander all der firrchtbaren Fälle aus der jüngsten ?ieit. in denen gegen Peffonen von ähnlich hoher oder selbst noch öhcrer Stellung, wie seine eigene war, Bomben geschleudert und durch die Bomben Leiber zerfetzt, Gehirne gegen schmutzige Zicaelmaucrn gespritzt und Zähne aus den Kiefern gerissen worden waren. Und unter dem Eindruck dieser Erinnerungen erschien ihm sein eigener, feister, kranker Körper, der da auf dem Bette hingestreckt lag, selbst schon fremd und von der flammenden Gewalt der Explosion gepackt; und es lvar ihm, als ob seine Arme sich im Schultergelenk vom Rumpfe lösten, die Zähne ihm ausfielen, das Hirn fich in kleine Partikeln zer- teilte, die Beine abstarben und widerstandslos dalägen, mit den Zehen nach oben wie bei einem Toten. Er bewegte sich abfichtlich, atmete laut, hustete, um nur ja in nichts einem Toten zu gleichen, umgab sich mit dem lebendigen Geräusch der klingenden Sprung- federn, der raschelnden Bettdecke; und um zu zeigen, daß er noch vollkommen lebendig, daß er noch nicht ein bißchen tot und vom Tode noch ebensoweit entfernt sei wie jeder andere Mensch, rief er mit lauter, dröhnender Baßstimme jäh in die Stille und Einsamkeit des Schlafzimmers hinein: Brave Jungen I Brave Jungen! Brave Jungen ff ES sollte ein Lob sein für die Geheimagenten, für die Polizei und die Soldaten, kurz für alle, die fich um den Schutz seines Lebens bemüht und so zur rechten Zeit, so geschickt den Mordanschlag ver- eitelt hatten. Aber trotz des Hinundherrückens auf dem Bett, trotz des laut erteilten Lobes, trotz des gezwungenen Lächelns, das seinen Spott über die dummen, ungeschickten Terroristen zum Ausdruck bringen sollte, glaubte er doch noch immer nicht an leine Rettung, an die Möglichkeit, sein Leben vor einem jähen, plötzlichen Ende zu bewahren. Es schien, als ob der Tod. den ihm die Menschen zu- gedacht hatten, der erst noch in ihren Gedanken, in ihren Absichten existierte, schon da stände und nicht eher von der Stelle weichen wolle, bevor man jene nicht abgefaßt, ihnen nicht die Bomben ab- genommen und fie selbst hinter festen Kerkermauern in Sicherheit gebracht hätte. Dort in jener Ecke stand er und wich nicht von der Stelle und konnte nicht weichen, wie ein gehorsamer Soldat, der durch irgend jemandes Willen und Befehl auf seinen Posten ge- stellt ward. «Um 1 Uhr mittags, Ew. Exzellenz!" so klang die Phrase. die man ihm zur Antwort gegeben, in allen möglichen Tonarten: bald heiter-ironisch, bald ärgerlich, bald trotzig und stumpf. Als wenn man in dem Schlafzimmer ein ganzes Hundert von auf» gezogenen Grammophonen aufgestellt hätte und sie alle, eins nach dem anderen, mit der idiotischen Genauigkeit der Maschine die ihnen anbefohlenen Worte hinaussckrien: «Um ein Uhr mittags. Elv. Exzellenz ff Und dieses morgigeein Uhr mittags", das sich noch vor kurzem in nichts von anderen Tagesstunden unterschieden hatte und nichts weiter gewesen war als eine ruhige, regelmäßige Bewegung deS Zeigers auf dem Zifferblatt seiner goldenen Uhr, hatte plötzlich eine so unheimliche Bedeutung erlangt, war gleichsam aus dem Zifferblatt herausgesprungen, hatte ein Sonderleben begonnen, fich hoch empor- gerichtet wie eine mächtige schivarze Säule, die sein ganzes Leben in zwei Abschnitte schied. Als wenn weder vorher noch nachher irgendwelche andere Stunden existiert hätten, sondern nur dieser einen kecken, dünkelhasten Stunde das Recht zu einer Sonderexistenz zukäme. Run? Was willst du von mir?" fragte der Minister ärgerlich, die Worte durch die Zähne pressend. Die Grammophone brüllten: «Um ein Uhr mittags, Ew. Exzellenz!" und die schwarze Säule grinste und verneigte sich. Zähneknirschend erhob sich der Minister aus dem Bett und saß da, das Gesicht auf die Hände ge- stützt er konnte wirklich nicht einschlafen in dieser abscheulichen Rächt. Und während er die geschwollenen, parfümierten Hände vor sein Gesicht hielt, stellte er sich mit erschreckender Deutlichkeit vor, wie er morgen früh nichtsahnend aufgestanden wäre, nichtsahnend seinen Kaffee gewunken und sich dann im Vorzimmer angekleidet hätte. Und weder er noch der Schweizer, der ihm den Pelz reichte, noch der Lakai, der ihm den Kaffee brachte, hätten gewußt, daß eS gar keinen Sinn hatte, Kaffee zu trinken und den Pelz anzuziehen, wenn schon wenige Augenblicke später alles dies, der Pelz und der Körper und der Kaffee in dem Körper, durch de» Bomben- wurf vernichtet, vom Tode hingerafft sein würde. Da öffnet er eben die Tür er, der liebenswürdige, gutmütige, freundliche Schweizer mit den treuen blauen Soldatenaugen und der ganzen Brust voll Orden, öffnet selbst mit eigener Hand diese schreckliche Tür, öffnet sie, weil er von nichts weiß. Alle lächeln, weil sie von nichts wissen. Oho I" sagte er plötzlich laut und nahm langsam seine Hände vom Gesicht fort. Und während er ins Dunkel hineinspähte, weithin vor sich, mit gespanntem, starrendem Blick, streckte er ebenso langsam den Arm aus, tastete nach dem Hahn und mackite Licht. Dann stand er auf, umschritt ohne Pantoffel, mit bloßen Füßen, auf dem Teppich das fremde, unbekannte Schlafzimmer, fand auch noch den Hahn der Wandlampe und zündete auch diese an. Es wurde hell und freundlich im Zimmer, und nur das in Unordnung geratene Bett mit der auf den Boden geglittenen Bettdecke sprach von' irgend etwas Schreck- lichem, das noch nicht ganz vorüber war. Im Nachtgewand, mit dem von den unruhigen Bewegungen zerzausten Barte und den bösen Augen sah unser Würdenträger aus wie jeder andere verärgerte Greis, der au Schlaflosigkeit und Atem- beschiverden leidet. Es war. als ob der Tod, den die Menschen ihm zugedacht hatten, ihn entblößt, ihn von der Pracht, dem effektvollen Pomp, der ihn umgab, losgerissen hätte und es schien kaum