Anterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 112.Sonnabend� den 13� Juni�1903(Nachdruck verboten�)481Semper cler Jüngling.Ein Bildungsroman von Otto E r n st.Ludwig Semper konnte dieser Geschichtsauffassung nichtbeipflichten: er wußte noch, wie junge Herzen schlagen, undsagte, Asmus möge seine Braut am Sonntag nur mit-bringen.Und an diesem Sonntag feuchtete er keinen Tabak anund grübelte er nicht: er hatte seinen guten schwarzen Rockangezogen und ein feines Weißes Tuch umgelegt— denn eingesteifter Kragen durfte ihm nicht an den Hals kommen—und ging munter und aufgeräumt im Haufe umher, undWenn er sich allein wußte, sah er mit strahlenden Augen indie Ferne und summte vor sich hin:„Tränen, vom Freundegetrocknet." Und als es hieß:„Sie kommen I" und die Türaufging und Asmus rief:„Da ist meine Braut!" da standLudwig Semper da wie ein herrlicher, gütiger Nordlands-könig, dem sein Erbe die junge Königin zuführt: er streckteseine warme kräftige Hand aus und sagte nichts als:„Seien Sie uns herzlich willkommen I"Aber als sie sein Lächeln sah, mußte sie ihm entgegen-lächeln wie sein eigenes Kind, war alle Befangenheit von ihrgefallen wie ein Schleier, wußte sie ganz, daß sie aufgenommensei in den Frieden des Hauses. Rebekkas Willkommen warganz anders. Sie rannte geschäftig hin und her und bemühtesich um den Gast, als sei er von einer mehrjährigen Nordpol-fahrt heimgekehrt und müsse mit allen erfindbaren Mittelnaufgetaut, gewärmt, getränkt und gespeist werden. Einbißchen Eifersucht saß ihr wohl trotzdem im Herzen: aber schonbeim dritten Besuche Hildens sagte sie ganz von selbst:„Du bist ein süßes Geschöpf!"Hilde aber sagte schon nach ihrem ersten Besuche aufdem Heimwege zu Asmus:„Du, ich will Dich nicht mehr; ich will Deinen Vaterheiraten."„Nun ja," sagte Asmus trocken,„sprechen Sie mit meinerMutter. Sie ist nun wohl gute vierzig Jahre mit ihm der-heiratet und ist mit ihm nie auf einen grünen Zweig ge-kommen: aber ich glaube nicht, daß sie ihn losläßt."„Da hat sie recht," sprach Hilde,„den gäbe ich auchnicht her."Nach einiger Zeit bat sie um die Erlaubnis,„Vater" und„Mutter" sagen zu dürfen, und Ludwig und Rebekka warenfroh und stolz, zu ihren acht Kindern noch ein so feines undliebes hinzu zu bekommen. Sie hatten inzwischen noch eineTochter bekommen, ohne sie zu kennen. Johannes Semperhatte aus Amerika geschrieben, daß er dort ein Weib ge-nommen. Das hatte die Alten gefreut: aber Rebekka hattedazu geweint und gesagt:„Nun werden wir ihn wohl nichtwiedersehen." Asmussen schnitt es durchs Herz, als er dashörte.Bald, darauf erfuhr er, warum Hilde sich nach einerMutter und fast noch mehr nach einem Vater sehnte.Sie sahen sich zwei- oder dreimal die Woche: und wennsie nicht spazieren gingen, saßen sie in Hildens Zimmerstundenlang beieinander und waren plaudernd und schweigendmiteinander glücklich. Sie bereitete vor seinen Augen denTee und das Abendbrot, und jedesmal war es ihm, als obihre schlanken, weißen und geschickten Hände das einfacheBrot und Fleisch in die erlesensten Leckerbissen verwandle.Zu Hause aß er wie ein Schulmeister von energischemAppetit: hier soupierte er bei denselben Speisen wie einGourmet.In manchen Stunden ergötzte er sich daran, ihr dielangen, schweren Zöpfe aufzulösen, daß das Haar sie bis zuden Hüften wie ein goldbrauner Mantel umfloß, und imduftig-warmen Schatten ihres Haares küßte er sie, oder erschmiegte sich eine breite Strähne ihres Haares um Hals undWange und las ihr so ein Gedicht vor, das er ihr mitgebracht.Selten kam-er ohne neue Verse zu ihr, und sie war seinempfäiiglichstes und unbestechlichstes Publikum. Wenn ergeendet hatte und sie ihm freundlich zunickte, dann wußte er.daß das eine vernichtende Kritik war. Wenn ihm etwasRechtes gelungen war, sah sie ihn mit großen, ernsten Augenund mit zuckendem Munde an, nahm ihm leise das Blatt ausder Hand und las es noch einmal. Und dann bedeckte sie dasBlatt mit Küssen, und dann seinen Mund, seine Wangen„seine Augen mit Küssen, und dann barg sie das Blatt aufihrer Brust, und er wußte, daß sie es wochenlang auf ihremHerzen trug wie ein Amulett, bis es von einem anderenabgelöst ward.Manchmal auch sangen sie, einzeln oder zu zweien, unddann sang er die Oberstimme, und sie sang mit einem vollenweichen Alt die Begleitstimme: so klang es besser als um-gekehrt. Und einmal, als sie allein sang, sang sie:Er, der Herrlichste von allen,Wie so milde, wie so gut...Als sie geendet hatte, fragte er:„Liebst Du das Lied?"„Ja. Ich liebe den ganzen Zyklus unbeschreiblich."„Die Verse oder die Musik?"„Beides. Aber die Verse noch weit mehr als die Musik.Sie sind nach meiner Meinung das Schönste, was von derFrau gesungen werden kann."„Ja. Mir scheint auch, er hat die Frau nicht besungen,er hat sie gesungen. Das Weib, das in diesen Versen dasteht,überragt Gretchen und Klärchen an Schönheit, Lieblichkeitund Größe: es ist von klassischer Hoheit, aber es ist nichtantike, es ist deutsche Klassik. Wir haben überhaupt nurwenig so deutsche Dichter wie diesen Franzosen. Da fällt mixein: ich wollte Dich immer schon fragen, woher Dein fran-zösischer Name stammt."„Meine Urgroßeltern väterlicherseits wohnten im Elsaß."„Ah— daher Dein französisches Aussehen."„Hast Du's nicht gern?"„Ich glaube, den Beweis erbracht zu haben. Du bringstdas Kunststück fertig, pikant und deutsch zu sein." Und dannrezitierte er leise:Wandle, wandle deine Bahnen;Nur betrachten deinen Schein,Nur in Demut ihn betrachten,Selig nur und traurig sein!Höre nicht mein stilles Beten,Deinem Glücke nur geweiht;Darfst mich niedre Magd nicht kennen,Hoher Stern der Herrlichkeit.Nur die Würdigste von allenSoll beglücken deine Wahl,Und ich will die Hohe segnen,Segnen viele tausendmal.„Heute gibt es nicht wenig Frauen, die darüber lachenund höhnen," sprach er.„Kann man anders empfinden, wenn man liebt?" fragtesie.„Ich wenigstens kann mir keine andere Liebe denken."„Und eine Frau, die so empfindet," fuhr er fort,„wirdim Hause des Mannes die stolzeste der Frauen sein, sie wirdder„Stern der Herrlichkeit" sein, zu dem Mann nnd Kinderin der Stille ihres Herzens beten, zu dem sie aufblicken, wennsie den Glauben an die Welt verloren haben und wiederfindenmöchten."„Muß sie dann nicht eine Heilige sein?"„Nein, so werntf wie je ein Mann die Verehrung Der-dienen kann, die aus den Frauenliedern Chamissos klingt.Nicht das entscheidet ja, was wir sind,— du lieber Gott, wobliebe ich!—, sondern wie sehr wir geliebt werden, das ent-scheidet. Das ist die Wahrheit des Christentums, daß unSLiebe erlöste."„Asmus," rief sie ängstlich,„ich zittere und bange, wennDu mich über Dich erhebst. Wenn Du wüßtest, tvie wenigich das verdiene—"„Zittere und bange nur," rief er,„ich habe Mut, wennich Dich ansehe, einen Mut, einen Mut—"Er riß sie jauchzend an sich und küßte sie, daß sie auf-schrie.Und einmal, als er so bei ihr saß. in ihrem Nähkästchenkramte und mit allerlei zierlichen Büchschen und Kästchenspielte, die er darin fand, holte er einen Glasmarmel daraushervor, eine durchsichtige Glaskugel, in der man eine ge-fliigelte Gestalt, eine Fortuna, wie es schien, erblickte.