»Sieh da," sagte er.«genau solch einen Marmel Hab' ich auch einmal besessen. Eigentlich ein hübsches Symbol, wenn ich es jetzt betrachte. Die Glücksgöttin nicht über der Welt, sondern in der Welt, sie selbst nur ein Stück der rollenden Notwendigkeit... .»Ich weiß eigentlich selbst nicht," sagte sie lächelnd, ».warum ich ihn immer aufgehoben habe. Wenn man solch ein Ding lange bei sich verwahrt hat, ist es gerade, als Hütt' es ein Recht an uns erworben, und wenn man es wegwerfen will, ist es, als sah es einen vorwurfsvoll an, und man kann es nicht aus den Fingern loswerden. Ich Hab' ihn vor vielen Jahren von einem kleinen Jungen bekommen." Sie sagte das, indem sie sich auf ihre Näharbeit bückte: aber es war ihr, als zöge eine geheime Kraft ihren Kopf empor, und als sie aufblickte wirklich, da starrte Asmus sie an mit einem Blick, der aus der Ferne einer längst der- gangenen Zeit zu kommen schien. Von einem kleinen Jungen hast Du ihn bekommen?" sprach er langsam.Wann? Wo?" Ja, wenn ich das noch wüßte! Was hast Du? Warum bist Du" Bitte, frag' mich jetzt nicht sag', wann es war Und wo?" Ja zwölf Jahre ist es zum mindesten her ich weiß nur noch: ich saß auf der steinernen Treppe vor einer Gast- Wirtschaft und wartete auf meinen Vater, der erledigte drinnen ein Geschäft, da kam der kleine Junge und schenkte mir den Marmel." Hilde," rief Asmus mit seltsam leuchtenden Blicken, -»sah der Junge aus wie ein kleiner, dicker Asmus Semper?" Hilde starrte ihn sprachlos an. Hilde," rief er,Du hast einen Onkel in Griechen- !and" Ich hatte ihn er ist tot" Den nannte man den«König der Mainotten"!" ..Ja?!" Hilde! Wir haben uns also vor zwölf Jahren schon gesehen! Der kleine Junge war ich! Vor zwölf Jahren schon sind wir uns begegnet." Er war so bewegt, daß er auf- springen und auf und ab gehen mußte. Und erzählte ihr, wie wundersam ihn damals die Begegnung mit dem lieb- lichen, traurigen Kinde ergriffen habe, wie er wochenlang fast täglich nach der Wirtschaft zwischen den Bahndämmen in Oldensund gelaufen sei, um dieKönigin der Mainotten" wiederzufinden denn sie hatte erzählt, der Onkel wolle sie zu seinerKönigin" machen, wie er sie niemals wieder- gesehen, aber wie ihre Erscheinung und ihr Wesen ihn mit einem jahrelang nachleuchtenden, tröstenden Licht erfüllt habe. Hilde! Hilde!"-- Und ihr Gespräch ward ein leises, trauliches Fragen und Erzählen: sie erzählte ihm die Geschichte ihres Lebens. Was sie nicht erzählte, das ergänzte er sich leicht aus dem Zwange der Tatsachen und aus dem, was er früher von ihr und von anderen gehört. Und immer wieder fühlte Asmus mit Beschämung, wie sehr ihn von je das Glück begünstigt habe, schon dadurch, daß er bis heute zwei liebende und ge- liebte Eltern besessen, und wieviel mehr der Kraft, des Mutes, her Liebe das Leben von ihr gefordert hatte als von ihm! lFortsetzung folgt.) (Nachdruck dcrboten.) Die Gefdriebte der Heben Gebängten. Von Leonid Andrejew.   Autorisierte Uebersetzung. Eben dahin, nach demselben Himmel, blickte daS bleiche junge Mädchen neben ihm, die Unbekannte, die den Beinamen Mutzja trug. Sie war jünger als Golowin, erschien jedoch in ihrer Strenge, in der Schwärze ihrer aufrichtigen, stolzen Augen älter als er. Nur der sehr schlanke, zarte Hals und die ebenso schlanken Mädchenhände verrieten ihre Jugend und dann noch jenes un- nennbare Etwas, welches das Wesen der Jugend selbst ist und so hell auS ihrer Stimme hervorklang, die in jedem Worte, jedem Ausruf ihren musikalischen Reichtum verriet. Sie war sehr blast, doch war es keine Todcsblässe, sondern jenes ganz besondere Weist, das gleichsam zu glühen scheint wie von einem im Innern des Menschen flammenden, machtvollen Feuer und das den Wrper durchsichtig «scheinen lästt wie feines Sevreporzellan. Sie fast fast regungs- los da und tastete nur bisweilen mit einer unmerklichen Bewe- gung der Finger uach einer kreisrunden Vertiefung an vem Mittelfinger der rechten Hand dem Abdruck eines Ringes, den man ihr vor kurzem abgenommen. Ohne Zärtlichkeit, ohne freudi» ges Erinnern blickte sie nach dem Himmel, den sie nur darum an- sah, weil in dem ganzen schmutzigen Gerichtssaal dieses blaue Stückchen Himmel das einzig Schöne, Reine und Echte war, das ihr Auge nicht beleidigte. Sergej Golowin wurde von den Richtern bedauert, sie aber Wurde von ihnen gehatzt. Ebenso unbeweglich, in etwas gezwungener Haltung, die Hände zwischen den Knieen, fast ihr Nachbar, ein Unbekannter mit dem Beinamen Werner. Wenn man das Gesicht verschließen kann wie eine Tür, so hatte der Unbekannte sein Gesicht wie eine eisarne Tür verschlossen und obendrein mit einem eisernen Riegel ver- wahrt. Er blickte regungslos auf die Dielen des schmutzigen Fuß- bodens, und man wußte nicht: war er völlig ruhig oder aufs tiesite erregt? dachte er über irgend etwas nach, oder hörte er auf das, was die Polizeiagenten vor den Richtern aussagten? Er war von kleinem Wüchse, und seine Gesichtszüge hatten etwas Feines und Edles. Sanft und schön wie eine südliche Mondnacht irgendwo am zhpressenbestandenen Meeresufer, erweckte er zugleich den Eindruck einer ungewöhnlichen, ruhigen Kraft, die sich mit un- beugsamer Standhaftigkeit und kalter, kecker Tapferkeit paarte. Selbst die Höflichkeit, mit der er seine kurzen, präzisen Antworten gab, schien in seinem Munde, in seinen halben Verbeugungen ver- fänglich; und wenn der Arrestantenkittel, den sie alle trugen, bei den anderen als eine geschmacklose Verhöhnung erschien, so sah man ihn an ihm überhaupt nicht so fremd schienen Mensch und Gewandung sich zu sein. Und obschon bei den anderen Terra- ristcn Bomben und Höllenmaschinen gefunden worden waren, bei Werner dagegen nur ein schwarzer Revolver, so hielten die Richter ihn doch für das Haupt der Gruppe und behandelten ihn mit einem gewissen Respekt kurz und geschäftsmäßig. Sein Nebenmann, Wassili Kaschirin, war gleichsam die ver- körperte Todesfurcht in ihrer krassesten Form, gepaart mit dem leidenschaftlichen Wunsche, nicht erkannt, nicht von den Richtern durchschaut zu werden. Vom frühen Morgen an, so wie man sie nur in den Saal geführt hatte, litt er an Atembeklcmmungen und starkem Herzklopfen; auf seiner Stirn stand während der ganzen Zeit der Schweiß in großen Tropfen, ebenso schloeißig und kalt waren seine Hände, und seine Bewegungen hemmte das kalte, durchschwitzte Hemd, das an seinem Körper klebte. Mit über- natürlicher Willensanstrengung zwang er seine Finger, nicht zu zittern, seine Stimme, fest und klar zu sein, und seine Augen, ruhig zu blicken. Rings um sich herum sah er nichts, die Stimmen klangen an sein Ohr wie aus einem Nebel und gegen denselben Nebel hin richtete er seine verzweifelten Bemühungen, laut und bestimmt zu antworten. Kaum aber hatte er geantwortet, so ver- gast er gleich wieder die Frage samt der Antwort, die er gegeben, und fiel in das schweigsame, furchtbare Ringen mit sich selbst zurück. Und so deutlich sprach aus ihm der Tod, daß die Richter es vermieden, ihn anzuschauen; und auch sein Alter zu bestimmen war schwer, wie bei einem Leichimm, der schon in Verwesung übergegangen. Nach seinem Paß zählte er erst drciundzwanzig Jahre. Än- oder zweimal berührte Werner leise mit der Hand sein Knie, und jedesmal beantwortete er die Berührung garu» kurz mit den Worten: Tut nichts". Am schrecklichsten war ihm zumute, wenn er plötzlich den un» widerstehlichen Drang fühlte, zu schreien ohne Worte, laut, ver- zweifelt aufzuschreien, wie ein Tier. Dann schmiegte er sich leicht an Werner an, und dieser antwortete ihm leise, ohne aufzu- blicken: Tut nichts, Waßja. Es ist bald zu Ende." Die Fünfte in der Gruppe der Angeklagten, die Terroristin Tanja Kowaltschuk, umfing die übrigen mit mütterlich forgendem Blick und verging dabei selbst vor Gram und Kummer. Sie hatte nie Kinder gehabt, war noch sehr jung und hatte rot�e Wangen, gleich Sergej Golowin, doch erschien sie wie die Mutter aller dieser Leute: so besorgt, so unendlich liebevoll waren ihre Blicke, ihr Lächeln, ihre Furcht. Dem Gerichtshofe schenkte sie gar keine Auf» merksamkeit, er war für sie etwas vollkommen Gleichgültiges; nur darauf horchte sie, wie die anderen antworteten: ob die Stimme nicht zitterte, ob sie nicht Angst hatten, ob man ihnen nstht Wasser reichen sollte. Ten armen Waßja konnte sie gar nicht ansehen vor lauter Kummer, sie rang nur im Stillen die weichen kleinen Hände; auf Mutzja und Werner blickte sie mit Stolz und Hochachtung und nahm selbst, wenn sie nach ihnen hinschaute, einen ernsten, entschiedenen Gesichtsausdruck an; Sergej Golowin aber suchte sie ihr eigenes Lächeln mitzuteilen. Der gute Junge er schaut den Himmel an!" dachte sie, wenn sie zu Golowin hinsah.Immer schau Du, schaue, mein Lieber!" Und Waßja? Was ist denn das, mein Gott, mein Gott... Was soll ich mit ihm anfangen? Sag ich ihm etwas dun., wirds noch schlimmer: er fängt am Ende plötzlich an zu weinen?!" Und wie ein stiller Teich in der Dämmerung, der jede dahin- eilende Wolke widerspiegelt, so spiegelte sie auf ihrem runden, lieben, guten Gesichte jedes aufflackernde Gefühl, jeden Gedanken der anderen, der vier, wieder. Daran, daß man auch sie verurteilen, auch sie aufhängen würde, dachte sie überhaupt nicht es war ihr