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Hilden  . Er wanderte in seinem Zimmer rastlos auf und ab, und am Nachmittage war er so weit, es laut vor sich hin­zusprechen: Ich will lieber kein Kind haben- wenn sie nur nicht mehr zu leiden braucht." Ein furchtbares Gewitter brach los; unmittelbar über dem Hause war ein unablässiges Flammen und Krachen, und jeder Schlag traf ihn, weil er daran dachte, wie es sie erschrecken müsse. Er hatte ihr an­geboten, bei ihr zu sein; aber sie wollte mit der Wehmutter allein sein. Und erst um 7 Uhr des Abends vernahm er das Schreien eines Kindes; folde Semper war zur Welt ge­kommen. Als die Wärterin der jungen Mutter das Kind zeigte, rief fie: O, das ist ja Mutter Rebekka!" und sanf in die Kissen zurüd.

Auf den Fußspiken war Asmus hereingefommen; er beugte sich über sie und küßte sie leise, leise auf die Stirn. Sie schlug die Augen auf, große, feuchte Augen, und hauchte: " Du armer Mann, jezt kann ich nicht für Dich sorgen."

" Du närrischer Engel," flüsterte er, willst Du gleich schweigen und schlafen?" und füßte ihr die Augen zu. Aber fie öffnete sie wieder und sah ihn an mit einem Blick voll übermenschlichen Glücks. Dann hob sie behutsam die Decke von dem Kindlein, das in ihren Armen lag.

Sieht sie nicht ganz aus wie Mutter Semper?" flüsterte fie. Er nickte Ja", obwohl er nichts dergleichen sah; er dachte nicht an das Kind: er dachte nur an sie. Die weise Frau ver­sicherte ihm, daß alles gut verlaufen sei; da schlich er hinaus, nahm seinen Hut und ging auf die Straße. Er mußte Himmel über sich sehen.

Als er nach einer halben Stunde heimkehrte, war Rosen­berg dagewesen. Die junge Mutter hatte jemand fommen hören, hatte vernommen, wer es sei, und der Wärterin gesagt: Sorgen Sie bitte dafür, daß der Herr eine Erfrischung be­tommt." Und Rosenberg erfuhr von der Wärterin, daß die junge Frau Semper vor kaum einer Stunde Mutter geworden sei und daß sie selbst den Trunk für ihn befohlen habe. Da dachte er: Das muß eine seltene Frau sein." Nie vergaß er ihr diesen Trunk, und schon bei einem nächsten Besuch, als fie selbst ihn bewirtete, dachte er: Er hat keineswegs zu früh geheiratet."

( Fortsekung folgt.)

Die

Gefchichte der lieben

( Nachdruck verboten.)

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Istanz zu verlieren, ihm einen Teil von sich abzugeben und sich seinem Wesen nach zu ändern. Eine Zigarette anzunehmen, auf die sein Blid einmal gefallen, war ebenso unangenehm und peinlich, als wenn sie schon in einem fremden Munde gewesen wäre. Gine ewige Unrast lebte in ihm, die ihn bald zusammendrehte wie ein Taschentuch beim Plumpsackspiel, bald wie eine Garbe züngelnder unten aufschießen ließ. Und Waffer trant er fast eimerweise, wie ein Pferd.

Auf alle Fragen, die man ihm vor Gericht stellte, antwortete er jäh emporfahrend, kurz und bestimmt und gleichsam mit einer gewissen Genugtuung: Ganz richtig!"

"

Bisweilen unterstrich er seine Antwort: Sehr- r r- richtig!"

Und ganz unerwartet, als eben von etwas ganz anderem die Rede war, sprang er auf und fragte den Vorsitzenden: " Darf ich vielleicht mal pfeifen?"

" Weshalb?" fragte der Vorsitzende verwundert.

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Na, die sagten doch aus, ich hätte den Genossen ein Zeichen gegeben. Ich will eben zeigen, wie's war:' s ist sehr interessant." Noch immer ein wenig erstaunt, ging der Vorsitzende auf sein Anerbieten ein. Zigeunerchen stedte rasch vier Finger in den Mund, von jeder Hand zwei, preßte die Augen weit aus den Höhlen hervor, und durch die Todesstille des Sigungsfaales schrillte einer jener echten, wilden Räuberpfiffe, bor   deren betäu­bender Gewalt selbst die Pferde sich bäumen und das Menschen­antlik unwillkürlich erbleicht. Die Todesangst des Ueberfallenen, die wilde Freude des Mörders, drohende Warnung und lauter Bu ruf, das Dunkel der naßfalten Herbstnacht und die Einsamteit- alles, alles lag in diesem durchdringenden, nicht menschlichen und nicht tierischen Laut.

Der Vorsitzende schrie irgend etwas, dann gab er Zigeunerchen mit der Hand ein Zeichen, und dieser schwieg gehorsam. Und wie ein Künstler, der eine schwierige, doch stets des Beifalls sichere Arie triumphierend heruntergesungen hat, sehte er sich hin, wischte seine naisen Finger an den Arrestantentittel ab und sah selbstzufrieden

um fich.

" Das nenn' ich einen Räuber!" sagte einer der Richter, fich das Ohr reibend. Und ein zweiter, mit breitem russischem Voll­bart und tatarischen Augen, wie auch Zigeunerchen sie hatte, jah träumerisch irgend wohin über den Angeklagten hinweg und meinte lächelnd: Ja, das war wirklich interessant."

Und mit ruhigem Herzen, ohne ein Spur von Mitleid oder von Gewissensbiffen, sprachen die Richter über Zigeunerchen das Todesurteil aus.

" Stimmt!" sagte Zigeunerchen, als das Urteil verlesen war, ,, Dort im freien Felde ragt das Galgenholz. Stimmt!"

Und zu den eskortierenden Soldaten gewandt, sagte er höh nisch: Na, gehn wir nu, alte Tranlampe? Halt dein Gewehr

Gebängten. feit sonst nehm ich dir's weg!"

4. Wir Oreler Jung en. In derselben Sigung des Feldgerichts, in der Jansson ver­urteilt worden war, hatte man auch über einen Bauer aus dem Gouvernement Orel, Kreis Jelez  , namens Michail Golubez, mit dem Beinamen Mischka Zigeunerchen, einen Tartaren, die Todes­strafe verhängt. Sein letztes positiv festgestelltes Verbrechen war die Ermordung dreier Menschen, verbunden mit Raub mit bewaff­neter Hand; weiterhin verlor sich seine dunkle Vergangenheit ins rätselhaft Unbekannte. Es lagen unbestimmte Anhaltspunkte da­für vor, daß er auch an einer ganzen Reihe anderer Mordtaten und Räubereien teilgenommen hatte, es roch gleichsam aus seiner Vergangenheit nach Blut und Brand und düsteren, trunkenen Or­gien. Mit voller Offenheit nannte er sich, durchaus aufrichtig, einen Räuber und hatte für diejenigen, die sich den modernen Titel .Expropriateur" beilegten, nur talte Jronie. Sein letztes Ver­brechen, bei dem ihm fein Leugnen genügt hätte, schilderte er gern und ausführlich, fragte man ihn jedoch nach seiner Vergangenheit, dann fletschte er nur die Zähne und meinte pfeifend:

" Such den Wind im freien Felde!"

Sehte ihm aber jemand gar zu sehr mit Fragen zu, dann nahm Zigeunerchen eine ernste und würdevolle Miene an. " Wir Oreler Jungen sind alle mit' nander ganz verflirte Kerls," sagte er in geseztem, feierlichem Tone.

" In Orel   und in Kromy auch, Da ist von je das Stehlen Brauch. Jn Karatschet und Liwny ist Ein Spizbub jeder gute Christ, Und Jelez   gar schon lange hieß Der Diebe altes Paradies.

Was ist da viel zu reden!"

Zigeunerchen nannte man ihn um seines Aeußeren und seiner Spizbubenränke willen. Er hatte schwarzes Haar, von einem ganz merkwürdig tiefen Schwarz, und war mager, mit gelben Sonnenbrandflecken auf den vorspringenden tatarischen   Backen fnochen; das Weiße seiner Augen trat, wenn er sie rollte, wie bei den Pferden hervor, und ewig haftete er irgend wohin. Sein Blid war jäh und kurz, und dabei von einer lauernden Neugier und Ein­dringlichkeit, die einen erschauern machen konnte; was er auch nur einen Augenblick anigh schien oleichfam etwas von feiner Sub­

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Der Soldat fah ihn streng und mißtrauisch an, wechselte mit seinem Kameraden einen Blid und betastete das Gewehrschloß. Der andere folgte seinem Beispiel. Und den ganzen Weg zum Gefängnis legten die beiden Soldaten nicht im Marschtempo, son­dern gleichsam durch die Luft fliegend zurüc ganz von dem Räuber in Anspruch genommen, fühlten sie weder den Boden unter ihren Füßen, noch die Zeit, noch sich selbst.

Bis zur Hinrichtung hatte Mischka Zigeunerchen, ebenso wie Jansson, im Gefängnis noch siebzehn Tage zu warten. Und diese siebzehn Tage vergingen ihm so schnell wie ein einziger Tag wie ein ununterbrochener Gedanke an Flucht, an Freiheit und Leben. Die Unruhe, die in Zigeunerchens Wesen lag und jetzt durch die Mauern und Gitter und das blinde Fenster, durch das er nichts sah, zurückgedrängt wurde, wandte ihr ganzes Ungestüm nach innen und verbrannte Zigeunerchens Hirn wie ein häufchen Koh len. Wie im Rausche schwirrten, stießen und verwirrten sich die grellen, unfertigen Bilder, jagten in unaufhaltsamem, blenden dem Wirbel vorüber und richteten sich alle auf ein einziges Ziel - und das hieß: Flucht, Freiheit, Leben. Bald riß er die Nüftern weit auf wie ein Pferd und schnupperte stundenlang in der Luft, die ihm nach Hanf, nach äzendem, brandigem Dunst zu riechen schien, bald wirbelte er wie ein Kreisel durch die Belle, betaftete hastig die Wände, flopfte mit dem Finger, verglich und maß mit den Augen, durchbohrte im Geifte die Decke, durchfeilte die Gitter. Seine Unraft ermüdete den Wachtposten, der ihn durch das Tür­fensterchen beobachtete, und schon mehrmals hatte der Soldat in feiner Verzweiflung zu schießen gedroht; Zigeunerchen hatte grob und höhnisch geantwortet, und nur der Umstand, daß der Streit bald in ganz gewöhnliches Bauerngezänt überging, in dem nichts Beleidigendes liegen konnte, das mit Schüssen zu beantworten feinen Sinn hatte, brachte die Sache zu friedlichem Ausgleich.

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Seine Nächte brachte Zigeunerchen in festem Schlafe, faft regungslos zu doch lag in dieser Regungslosigkeit etwas Leben. diges, wie in der Ruhe einer Sprungfeder, die augenblicklich außer Tätigkeit ist. Sprang er dann auf, so begann er alsbald umher­zuwirbeln, zu grübeln und zu tasten. Seine Hände waren stets trocken und heiß, sein Herz jedoch ward bisweilen plöblich ganz talt: als wenn man einen Gisklumpen in seine Brust gelegt hätte, der nicht schmelzen wollte, von dem durch den ganzen Körper ein feiner, falter Schauer ausstrahlte. Ohnedies gana dunkel in seinem