Seh' doch einer! Wie er das hier vollgeschmutzt hat!" Zigeunerchen antwortete ihm schlagfertig:
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" Ihr gefräßiges Spizbubenpad habt die ganze Erde vollgeschmutzt und ich laß' Euch ungeschoren. Was willst Du hier überhaupt?"
In derselben mürrischen Tonart machte der Aufseher ihm den Vorschlag, er solle das Henteramt übernehmen. Zigeunerchen fletschte die Zähne und lachte laut auf:
" Seht doch! Könnt Ihr keinen finden? Das ist spaßig! Komm und häng' drauf los, ha ha! Der Hals ist da, und der Strid ist da nur der Henker fehlt. Bei Gott, die Sache ist Spaßig!"
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Aeußeren, erschien Zigeunerchen in folchen Momenten vollends| Kunst, nicht jeder Tag einen großen Künstler. Stetige Entwidelung schwarz und nahm ganz die Färbung bläulichen Gußeisens an. ist auch etwas. Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts Und noch eine seltsame Gewohnheit hatte er: als wenn er etwas ist man gewohnt, in den alljährlichen Tonkünstlerfesten des von übermäßig und unerträglich Süßes in allzu großen Mengen ge- Liszt gegründeten Allgemeinen deutschen Musikvereins einen Weiser nossen hätte, leckte er sich beständig die Lippen, schmaßte und zischte dafür zu sehen, wohin der Weg geht. Hie und da kommt es dabei und spie den im Munde zusammenlaufenden Speichel unter selbstverständlich zu Ueberraschungen, und wer Zeuge einer lebenBischen durch die Zähne auf den Fußboden. Wenn er redet, sprach digen Entwickelung sein will, muß darauf gefaßt sein, auch tolle er die Worte nie zu Ende: so ungestüm jagten seine Gedanken Kreuz- und Quersprünge mitzumachen. Handelte es sich auch auf dahin, daß die Zunge sie nicht einzuholen vermochte. den Tonkünstlerfesten um Experimente, man könnte damit zufrieden Eines Tages erschien, in Begleitung des diensttuenden Sol- jein. Kein Versuch, und wär's der fühnste und genialste, könnte daten, der Oberaufseher in seiner Zelle. Er warf einen Seiten- freilich mehr geben als Freude über die Kraft, die sich hier regt, blick nach dem vollgespienen Fußboden und sagte mürrisch: und nach Ausregen und gebundener Gestaltung sucht. Befriedigung, tünstlerische Sättigung bliebe aus.... Doch bei dem letten Tonfünstlerfest, das in der ersten Juniwoche in München stattfand, waren selbst die Experimente zu vermissen. Eine Unzahl Kammermujitwerke, manch Hübsches darunter, doch nichts, was irgendwie Neues, Ungewohntes, oder auch nur Besonderes brächte. Einzig das Oktett von Henri Marteau , dem künftigen Direktor der Berliner Akademie für Tonkunst , bedeutete ein Experiment, vor allem in flanglicher Beziehung. Leider kein interessantes, noch weniger ein in den Hauptpunkten geglücktes. Noch schlimmer steht es um die Orchesterwerke. Schülerarbeiten, wie man sie hier zu hören bekam, sind keine Experimente, sondern eine Recheit. Gewiß find Tonkünstlerfeste dazu berufen, jungen Talenten Wege zu ebnen und auch Werke in die Oeffentlichkeit zu bringen, die voll jugendlicher Unbesonnenheit und Willkürlichkeit sind, wofern nur aus ihnen ein eigenes Wollen spräche. In München aber waren symphonische Dichtungen zu hören, die gerade wegen ihrer boll fommenen Unselbständigkeit und platten Nachahmungssucht jedes Recht auf Beachtung verwirkten. Für sich allein also fönnten fie uns über den gegenwärtigen Stand der Musik oder auch nur der Mufitpflege in Deutschland nichts sagen; um so mehr aber, wenn man von ihnen als bedingter Erscheinung auf die Ursachen zurüdgeht. Früher einmal komponierten brave Schüler im Stile bon Mendelssohn oder Reinede, später versuchten sie es mit der Nachahmung von Berlioz , Liszt , Wagner und jetzt stehen wir eben bei Richard Strauß und den Neufranzosen, wie Debussy . Auch Brud ner, dessen Werke in Deutschland noch immer um die Anerkennung zu fämpfen haben, die feinem Genius gebührt, findet zwar diesmal feinen Epigonen, wohl aber Kompositionsschüler, die feinen Stil topieren. Doch diese Erscheinung der Brucknerkopie blieb vereinzelt und so täme der österreichische Meister diesmal weiter nicht in Betracht, wenn nicht gerade an ihm die modernste Musik in einer ganz folgerichtigen Theorie angewandt würde. Um es mit einem Wort zu sagen, wir stehen jetzt vor der physiolo gischen Musik. Der Ausdruck stammt von den Theoretikern selber.
"
Du bleibst dafür am Leben."
Na, das wär' auch: wenn ich tot bin, fann ich Dich doch nicht aufhängen. Das hast Du mal gut gesagt, Dummfopf!"
Wie steht's also? Dir ist's doch ganz gleich: so oder so!" Wie wird denn bei Euch gehentt? Wohl so ganz im stillen, einfach abgemurkst, nicht?"
" Nein, mit Musik!" versezte der Aufseher biffig. " Dummkopf! Natürlich mit Musik, das ist doch selbstverständlich. So ungefähr..." und er begann irgendeine fede Melodie zu trillern.
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3- ach!" schnalzte Zigeunerchen, leckte sich die Lippen und warf den zusammengelaufenen Speichel aus. Und plötzlich war's ihm, als hätte man ihm eine Belzmüße bis ganz auf den Mund heruntergedrückt: es ward ihm dunkel vor den Augen, und sein Atem stockte, und wiederum war's ihm, als ob an der Stelle des Herzens der Eisklumpen säße, der seinen Körper mit Schauern durchsetzte.
Zweimal noch tam der Aufseher, Zigeunerchen aber sagte jedes mal mit Zähnefletschen:
Wie eilig Du es hast! Komm noch einmal." Und schließlich rief ihm eines Tages der Aufseher im Vorübergehen durch das Türfensterchen zu:
An Dir ist wirklich Hopfen und Malz verloren," meinte der Aufseher.„ Na, wie ist's also sprich vernünftig!" Zigeunerchen antwortete grinsend: Wie eilig Du's haft! Komm ein andermal wieder, dann will ich Dir's sagen." Und in das Choas greller, wenn auch unfertiger Bilder, die Bigeuerchen mit ihrem Ungestüm bedrängten, zwängte fich eine neue Vorstellung: wie schön es doch wäre, so den Henfer im roten Hemd zu spielen. Er stellte sich mit aller Lebhaftigkeit den Plab mit der wimmelnden Volksmenge darauf vor, und das hohe Gerüst, auf dem er, Zigeunerchen, im roten Hemd mit dem kleinen Beil an der Seite umhergehen würde. Die Sonne strahlt auf die Köpfe nieder, spiegelt sich in dem blanken Beil, und alles ist so heiter, so prächtig, daß selbst der, dem sogleich der Kopf abgeschlagen werden soll, ganz vergnügt lächelt. Und hinter der Volksmenge sieht man Ein junger Münchner Musiker und Musikschriftsteller, Eugen Karren und Pferdeschnauzen die Bauern sind aus den Dörferne starp het die Erkenntnis, daß jede Kunst, auch die musi herbeigekommen und weiter hinaus dehnen sich die Felder. talische, ein Gutteil ihrer Wurzeln im Leiblichen, im Organischen, im Seguellen hat, eine Erkenntnis, die so alt ist wie die Kunft selber und keinem wirklichen Künstler jemals verborgen war, zu einer Anwendung auf Brudner benutt. Er will beweisen, daß die ersten Entwürfe Bruckners ihren physiologischen Ursprüngen viel näher stehen, als die endgültige Fassung. Dies mag schon seine Richtigkeit haben. Aber etwas anderes ist es um die Absichten des Komponisten, und die Absicht jeder Kunst und jedes Künstlers ist es immer gewefen, die Quellen zu verdecken. Bei den gang großen Dichtern ist es ungeheuer schwer, einen Zusammenhang zwischen ihren Werken und ihrem Leben das Leben im uma fassenden Sinne genommen herzustellen, und bei den großen Musikern war es bisher so gut wie unmöglich. Das soll nun anders werden, wahrlich nicht durch die eindringliche Kraft der Kunstbetrachtung, sondern durch die Schaffensart der Künstler selber. In der Literatur merkt man ganz deutlich das Bestreben, die verborgenen Quellen aufzureißen, und die Musik, die physiologische Musik, arbeitet damit parallel. Herr Westarp begeht nur den Irrtum, daß er die Wesensprinzipien der modernsten Musik auch bei älteren Meistern sucht, die damit nichts zu tun haben und wohl niemals gewünscht hätten, damit in Verbindung gebracht zu werden. Was uns große Meister jemals über ihre Kunst, über die Theorie ihrer Kunst in Worten gesagt haben, war nicht der Verrat ihrer Geheimnisse, ging auch niemals auf den materiellen Inhalt des Kunstwerks, sondern nur auf die Form. Man hat wohl früher gemeint, die Geschichte der Kunst an einer Geschichte der Form darlegen zu können. Berücksichtigt man die jüngste Entwickelung, so muß man schier die Geschichte der Form aufgeben und sich mit einer Geschichte der Technik begnügen. Die moderne Sunst fann alles und sie ist ein sehr großes Können, nur beinahe keine Kunst mehr. Denn Kunst heißt Form gewinnen, aus den vielen Möglichkeiten des quellenden Lebens, der Natur, nur ganz bestimmte auslösen und zum Werk kristallisieren lassen. Alle Tage wird uns jetzt von Musikern und Musikhistorikern bewiesen, daß die Musik der Wilden harmonisch biel Leichhaltiger sei als unsere abendländische Musit. Nur daß diese junge abendländische Musik gerade durch ihre Beschränkung etwas hervorgebracht hat, was den anderen fehlt, nämlich Kunstwerke! Die Musikgeschichte lehrt uns aber auch, daß mancher Weg, den jetzt unsere Modernen zu gehen sich anschicken, schon einmal eröffnet war, von der Entwickelung aber verlassen wurde. Sicher ist, daß wir immer an Wendepunkten der Kunstentwickelung ein paar Schritte zurückmachen
" Run hast Du Dein Glück verpaßt, Schlafmüße. Wir haben einen andern gefunden."
Ach hol' Dich der Teufel, häng' fie Dir selber auf!" verseite 8igeunerchen bissig. Und er schwärmte nicht weiter von seiner Henkerwürde.
( Fortsetzung folgt.)
Die Wege der modernen Mufik.
( Einige Betrachtungen zum Münchener Tonfünstlerfest.) Nicht an einem Tag und nicht mit einem Schlag dringen die großen Kunstwerke ins ins Boltsbewußtsein. Da ift langes Arbeiten von beiden Seiten erforderlich. Nicht nur das Volk muß Schritt für Schritt zur Kunst erzogen werden, auch das Kunstwert selber muß in sich die Möglichkeiten einer Rückverwandlung befizzen, einer Rückkehr zu seinem volfstümlichen Ursprung, aus dem es der Künstler ja gewonnen und herausgeholt hat. Im Künstler ballen sich die Kräfte des Volksbewußtseins zusammen. Er ist ihr Sammelpunkt, zum Teil auch ihr Lenker und Gestalter, aber er ist nicht ihr Inhalt und an eben diesem Inhalt liegt es, an dem Material, zu dem alle beigesteuert haben, ob ein Werk jemals allen wird gehören können. Oft genug appelliert der Künstler an dieses Bewußtsein, oft genug hofft er auf das Unverdorbene, durch keine Theorien beeinflußte Publikum, das nach Kunst dürftet und des besten Willens voll ist. Manch großem Künstler hat dieser Appell zu seinem Recht verholfen, z. B. Richard Wagner . Aber nicht jeder Tag bringt eine Revolution in der