Nnterhaltungsblatt des HorwSrts Nr. 120. Donnerstag, den 25. Junr. 1908 (Nachdruck UctOolen.) 11Gräff!" (Trauermahlzeit.)' Von Timm Kröger. s,Wat magst du am lewsten?" Wenn man so fragt, dann handelt es sich nicht um Spiel und Sport, nicht ein- mal um Trinken, sondern, das weiß jeder im Dorf, nur um Essen, genau ausgedrückt: um das, was man mit Löffel, der Löffel gehört mit dazu, mit Löffel, Messer und Gabel dem Magen zuführt. Wat magst du am lewsten?" Das ist die direkte Frage nach dem Leibgericht. Es war ein zeitiges, mildes Frühjahr, junges Grün schoß auf wie Salat, gelbe Hundsblumen wuchsen auf Krischan SuhrsKopteinslage", Brunnenkresse im Wallschatten, und die Vögel waren lustig.< Im Sonnenschein räkelten sich Jörn Suhr, Peter Heesch und Hans Thun. Dreizehn bis vierzehn Jahre waren sie alt und barfuß; Jörn und Hans hatten kurze. Peter etwas längere Beine. Drei lange Peitschen lagen im Gras, denn alle drei hatten Kühe nach den Weiden   getrieben. Wat magst du am lewsten?" fragten sie sich. Ueber ihnen im Knick wuchs ein Eichbaum. Der West- wind hatte ihn gezaust, nun streckte er die Arme nach Osten jiber Nachbar ThunsHans Kamp". Als die Knechte den Knick abgeholzt hatten, war er ein junger Sproß gewesen, dem sie das Leben geschenkt. Nun wuchs er schon eine Reihe von Jahren und schlug sich tapfer mit dem Westwind. Jörn Suhr, Peter Heesch und Hans Thun kümmerten sich nicht um die Eiche und nicht um den Westwind. » * Viele Leute können nicht gleich Antwort geben, wenn man sie nach ihrem Namen fragt. Den drei Knaben ging es ebenso bei der Frage:wat magst du am lewsten?" Es ging ihnen wie den Kardinälen bei der Papstwahl. Eine Reihe Papabiles, es gab viele Gerichte, die in Frage kamen. Aber bei jedem fühlte man, daß ihnen zum Aller- besten etwas fehle. Erbsensuppe, Bohnensuppe. Pfannkuchen, sogenannte fette Mahlzeit, Schinken und Schinkengerichte, allerlei Fische, Schwarzsauer. Es sind gute Gerichte, namentlich Schwarzsauer, wenn tüchtig Speck darin ist und Buchweizen- klöße, groß wie eine Baucrnfaust und hart, Löcher in den Kopf zu schmeißen. Und dannFörtchen": wer nennt all die Herrlichkeiten? Grütze mit Sirup, Grütze mit Sirup vor allen Dingen. Ihr habt Aalsuppe vergessen," sagte Hans Thun. Er stand auf dem linken Bein und scheuerte sich die Wade mit der rechten großen Zeh.Die Suppe ganz fett, Aalstiicke dick wie mein Handgelenk. Mutter hat da Erbsen mit ein- gekocht. Ich darf langher auf den Tisch kriechen. Augen über den Topfrand, den Grund mit dem Löffel aufwühlen. Was alles in die Höhe kommt: grüne Erbsen, Wurzeln, Klöße, Petersilie. Die Suppe ist ganzlummerig". Vater sagt: Jung friß, heut is Aalsupptag! Und ich fresse." Der Vater von Peter Heesch hatte die Fischerei. Peter kriegte dreimal in der Woche Aal oder Fisch: er war nicht für Aal, er war fiir bunten Mehlbeutel, Reis voran,das gibt's zu Weihnachtsabend, und das ist das Best." Moer streut braunen Kancel und Zucker und gräbt ein Loch in der Mitte und steckt Butter hinein, und wenn der Reis all ist, dann kommt der Mehlbeutel, weißgelb von Mehl und Eiern und rund Wien   Backofen und voller Koriisihen und Rosinen." Ich glaube." sagte Jörn Suhr,so eine Suppe, wie man sie auf Gräffs ißt, schmeckt besser als Aalsupp und auch besser als Mehlbeutel." Hans Thun und Peter Heesch waren noch nicht auf Gräffs gewesen, aber Jörn Suhr(sein Mars Ohm von Balkenhof war Dienstag begraben) konnte davon erzählen. Auf drei Löffel zwei Pfund Fleisch. Reis in der Suppe ge- kocht, eine Kumme voll für jeden. Wenn er aufgefüllt wird, läuft das gelbe Fett heraus. Klöße aus Eiern. Fett und ein bißchen Weizenmehl, so viel, daß der Löffel in der Terrine steif steht. Man drückt sie mit der Zunge an den Gaumen, und sie zergehen. Am Grund der Terrine liegt es ganz schwarz voll von Klößen aus Fleisch. Der alte Jörn Decker ini Moor wird von allen drei KnabenOhm" genannt, denn er ist mit allen verwandt. Er ist alt und krank und bettlägerig, lange kann es nicht mehr währen bis zu Jörn Decker Ohms Gräff. Dann wollen sie alle drei hin und sehen, ob so eine Gräff besser schmeckt als Aalsupp und bunter Mehlbeutel. s»* « Im Himmel dreht man eine Kurbel, woran die Zeit auf- gerollt ist. Es fielen viele Jahre aus der Ewigkeit hinab in die Zeit. Sechzig Jahre sind dahin. Nun wollen wir sehen, wie es auf der Kopteinslage steht lind was Jörn Suhr, Peter Heesch und Hans Thun machen. Wie wurde es mit Jörn Decker Ohm? Bei Jörn Deckers Grabmahlzeit haben sie alle drei ge- schwelgt, da war es außer Frage: über Gräff ging nicht?. Aber es ist lange her. Sechzig Jahre. *«* Lebt Jörn Suhr noch? Ja, er lebt noch und ißt sein Leibgericht, so oft er kann. Er ist Junggeselle geblieben, seines Vaters Stelle hat er verkauft, er sitzt bei fremden Leuten in der Käthe auf dem Altenteil, zusammen mit einer alten Haushälterin, die eine erträgliche Suppe kocht.* Die Vorliebe für Trauermahlzeiten hat sich bei ihm ver- tieft, die Freuden einer Gräff genießt er mit großer Kunst. Wenn irgendwo Gräff ist, dann läßt er seine Wirtschafterin Maleen und Maleens Suppe im Stich. Daun   rasiert er sich das Kinn(es hängt inzwischen schwer an faltigen Backen, er ist überhaupt ein altes, graues Männchen geworden), er rasiert sich also das Kinn, kriegt seinen schwarzen Anzug her und seinen alten Topfhut, macht sich fertig, entnimmt einem auf demGericht" im Wandbett liegenden Futteral Messer, Gabel und Löffel, alles in echtem Silber, mit roten Funkel- steinen am Griff, wickelt sie in dasJtzehoer Wochenblatt", holt seinen braunen Handstock mit Krücke aus dem llhr- gehäuse, ruft der Alten, die irgendwo in Küche, Kammer oder Keller steckt, zu:Ick ga no weg", worauf prompt aus dem Hintergrund die Antwort kommt:Dat is good," und gleich darauf hört man dieBlangdör" und hört jemand mit dem Stock über die Steine tappen. Hochzeiten sind ihm zu geräuschvoll, die hat er auf- gegeben, Totenmahlzeiten sind seine einzige Freude. Dabei fehlt er aber auch im Dorf und eine halbe Stunde rund herum nie. Man weiß das, man ladet ihn gleich ein. Wes- halb soll man dem Alten nicht den Gefallen tun? Gräffs und Jörn Suhr gehören zusammen. Sobald er in dem schwarzen Beiderwand mit altem. glattrasiertem Gesicht(das Handwerkszeug in der Brusttasche) erscheint, heißt es:Jörn komm her, sett di dal." Wenn er sich niedergelassen hat, geht ein verhaltenes Zucken vom Kinn aufwärts nach dem Mund und weiter nach den Augen. DaS blitzende Handwerkszeug entrollt er und legt es neben seinen Teller, er faltet die Hände, betet und erwartet die Suppe. Wir sagen, eine Gräff macht ihm Freude, wir dürfen es sagen, ohne seinem Herzen zu nahe zu treten. Es kommen Todesfälle vor, die ihn betrüben, aber ist das ein Grund, sich die Suppe nicht schmecken zu lassen? Weihevoll ist seine Seele bis zum letzten Fleischkloß: Reis und Mehlklöße und Fleisch, alles verzehrt er, erfüllt von dem Bewußtsein, daß wir alle in Gottes Hand beschlossen sind. Die Sachen mit den Rubinen sind für ihn feierliche Opfergeräte. Er wacht sorgfältig über ihre Verwahrung, ei legt sie selbst auf das Gericht seines Bettes. So wurde ihm der Tod vertraut.Der Tod ist kein schlechter Mann," pflegte er zu sagen,dem Seligen schenkt er Ruhe und den anderen gibt er Suppe. Den Tod fürchte