— 4'ich nicht. Aber, hjrnn er lange Vorbereitungen macht, dasund die Quälereien, die damit verbunden sind, davor habeich Bange."Einmal,— es war bei der Gräff des alten, reichen Ott,da brachte Jörn Suhr einen mit,— einen neuen Gastund alten Mann, einen Greis mit langen Beinen und guterHaltung. Man aß auf der Hausdiele, der neue stand, solange er noch nicht bekannt gegeben war, so bißchen verlorenherum und lehnte au den aufrecht an die Wand gestülptenBacktrog. Jörn Suhr aber ging stracks zur Frau Ott undsagte:„Guten Tag, Gleichen! Ich Hab einen guten Freundmitgebracht,— du kennst ihn, er ist ein hiesiger,— PeterHeesch heißt er. Er mag auch so gern Gräffs. Darf er einbißchen mitessen?"— Und Gleichen Ott antwortete:„Ja,Jörn, das darf er gern." Sie wendete sich an den Neuen.ihm die Hand gebend:„Wir kennen uns ja, Peter.— Nunkomm hier man her und setz' dich nieder!"Und Peter Heesch erhielt einen Stuhl neben Jörn.Messer, Löffel und Gabel hatte er mitgebracht, sie sahen ein-fach aus und waren von Zinn.Vierzig Jahre vielleicht wohnte Peter Heesch nicht mehrim Dorf. Er hatte auf der ditmarscher Geest eine kleineStelle gehabt. Es war ihm die Frau gestorben, die Stellehatte er verkauft. Nun zog er nach seinem Heimatsdorf zueiner dort verheirateten Tochter.Nach seiner Einführung bei Frau Ott war Peter Heeschbei Trauermahlzeiten ebenso gut ständiger Gast, wie JörnSuhr.Voll Spöttern wurden Jörn Suhr und Peter Heesch„deAaaskreien" genannt.Wenn gutes Wetter war, sah man die Krcien im Ge-folge, in der Regel aber kamen sie erst, wenn die, die vorGott im Staub gelegen hatten, sich anschickten, bei Fleisch-klößen und Reis wieder aufrecht zu sitzen. Erst beschattetenihre hohen, rauhaarigeil Hüte die Diclenfenster, dann öffnetesich die Blangdör und die beiden Kreicn waren da.(Fortsetzung folgt.)!(Nachdruck verboten.)DieGcfcbicbtc der Neben Gehängten»In dieser feierlichen, nur von den traurigen Klagen derfliehenden Stunden unterbrochenen Stille, erwarteten, getrenntvon allem Lebendigen, fünf Menschen, zwei Frauen und dreiMänner, den Eintritt der Nacht, der Dämmerung und der Hin-richtung, und jeder von ihnen bereitete sich in seiner Art aufdiese vor.Wie ihr ganzes Leben lang dachte Tanja Kowaltschuk auchjetzt nur an die andern, niemals an sich und härmte und grämtesich um jener willen. Der Tod hatte für ihre Vorstellung nur in-soweit Bedeutung, als Sercscha Golowin, und Mußja, und dieandern von ihm Qual und Pein zu erwarten hatten— sie selbstging er gleichsam gar nichts an.Um sich für ihre erzwungene Standhaftigkeit vor den Richternschadlos zu halten, weinte sie ganze Stunden lang— wie nuralte Frauen, die viel Schmerzliches kennen gelernt haben, oderjunge, sehr weichmütige, gutherzige Menschen weinen können. DieVorstellung, das; Sejescha vielleicht keinen Tabak hatte, daß Wernermöglicherweise seinen gewohnten starken Tee entbehren mußte, unddaß sie beide obendrein sterben mußten, quälte sie vielleicht nichtweniger als der Gedanke an die Hinrichtung selbst. Die Hin-richtung war für sie etwas Unvermeidliches, ja sogar Nebensäch-liches, an das zu denken nicht lohnte— wenn aber jemand imGefängnis, noch dazu vor seiner Hinrichtung, keinen Tabak hat:das ist ganz unerträglich. Sie rief sich alle die traurigen Einzel-heiten ihres genieinsamcn Lebens ins Gedächtnis zurück und starbfast vor Angst, wenn sie sich das Wiedersehen Sereschas mit feinenEltern vorstellte.Eine ganz besondere Art von Traurigkeit ergriff sie, wenn siean Mußja dachte. Lange schon vermutete sie, daß Mußja Wernerliebte, und wenn dies auch keineswegs der Fall tvar, so beschäf-tigte sich doch ihre Phantasie gern damit, für die beiden etwasrecht Schönes, Herrliches zu ersinnen. Da sie noch frei waren,trug Mußja einen silbernen Ring, auf dem ein Schädel nebst Ge-deinen, umgeben von einem Dornenkranz, abgebildet war; mitschmerzlicher Empfindung sah Tanja Kowaltschuk oft auf diesenRing als auf ein Symbol der Todesweihe, und halb scherzend,halb im Ernst hatte sie Mußja gebeten, ihn vom Finger zu nehmen.„Schenk mir den Ring", bat sie.„Rein, Tanetschka, ich schenk' ihn Dir nicht. Du wirst baldeinen anderen Ring am Finger tragen."Merkwürdigerweise nämlich nahm man an, daß auch Tanja8—sich bestimmt in nächster Zeit verheiraten würde, worüber fie sehraufgebracht war, da sie von einem Manne nichts wissen wollte.Jetzt fielen ihr diese halb scherzhaften Gespräche mit Mußja wiederein, und wenn sie sich vorstellte, daß Mußja nun wirklich verlobtwar, so erstickte sie förmlich in Tränen, vor lauter mütterlichemKummer. Jedesmal wenn die Uhr schlug, hob sie ihr verweintesGesicht empor und horchte— wie wohl die anderen dort in ihrenZellen diesen langgedehnten, zudringlichen Todesruf aufnehmenwürden.Mußja aber war glücklich.Die Hände auf dem Rücken, schritt sie in ihrem Arrestanten-kittel, der für sie zu groß war und ihr das Aussehen eines Jungengab, den man in die Kleider eines Erwachsenen gesteckt, gleich-förmig und unermüdlich in ihrer Zelle auf und ab. Die Aermeldes Kittels waren ihr zu lang, und sie hatte sie aufgestreift, daßdie fast kindlich schlanken, mageren Arme aus den weiten Oeff»nungen hervorragten wie Blumenstengel aus der Oeffnung einesplumpen, schmutzigen Kruges. Der grobe Stoff hatte den schlankenweißen Hals wund gerieben, und von Zeit zu Zeit machte Mußja,mit einer Bewegung beider Arme, ihren Hals frei und befühltevorsichtig mit dem Finger die Stelle, an der ihre Haut gerötet undwund war.Mußja schritt auf und ab, ganz rot vor Erregung, und suchteeine Rechtfertigung vor den Menschen. Sie suchte eine Recht-fcrtigung dafür, daß sie, die so jung und unbedeutend war, die nochso wenig geleistet hatte und überhaupt nichts von einer Heldinbesaß, denselben ehrenvollen und schönen Tod sterben sollte, denvor ihr nur wirkliche Helden und Märtyrer gegangen waren. Mitunerschütterlichem Glauben an menschliche Güte, menschliche Mit-empfindung und Liebe suchte sie sich vorzustellen, wie jetzt dieMenschen sich ihretwegen erregten, sie beklagten und bedauerten,und sie errötete über so viel unverdiente Ehre. Es war ihr, alsob sie durch ihren Tod am Galgen eine große Ungehörigkeitbeginge.Bei der letzten Unterredung mit ihrem Verteidiger hatte fiediesen gebeten, er möchte ihr doch Gift verschaffen, dann aber sagtesie sich wie in plötzlicher Eingebung: wenn er nun samt den andernglaubt, daß fie das aus Prahlerei tut, oder aus Feigheit und. stattstill und unbemerkt zu sterben, nur Aufsehen machen will? Undsogleich hatte sie ihre Bitte widerrufen:..Nein, lassen Sie es lieber, es ist nicht nötig."Auch jetzt hatte sie nur den einen Wunsch: den Menschen klarzu beweisen, daß sie keine Heldin sei, daß der Tod gar nichtsSchreckliches an sich habe, und daß man sich überhaupt nicht umsie zu bekümmern und sie zu bemitleiden brauche. Ihnen klar zubeweisen, daß sie nichts dafür konnte, wenn man sie, ein junges,unbedeutendes Mädchen, durch einen solchen Tod auszeichnete undihretwegen so viel hermachte.Da sie aber einmal mit angeklagt war, so suchte fie dochwenigstens nach irgend einer Rechtfertigung, nach Argumenten,die ihr Opfer wenigstens seinem wahren Wert nach bestimmten.„Gewiß, ich bin jung," sagte fie sich,„und könnte noch langeleben. Aber?..Und wie eine Kerze im Glänze der aufgehenden Sonne ver-blaßt, so erschien ihre Jugend und ihr Leben ihr dunkel undtrüb im Vergleich mit dem herrlichen, strahlenden Lichte, das ihrbescheidenes Haupt umleuchten sollte. Nein, es gab dafür keineRechtfertigung.Aber vielleicht lag eine solche in jenem ganz besonderen Etwa?,das sie in der Seele trug, jener grenzenlosen Liebe, Tatbereitschaftund Selbsthingebung? Traf sie denn eine Schuld, weil man sienicht alles das hatte verrichten lassen, was sie verrichten konnteund wollte, weil sie an der Schwelle des Tempels, am Fuße desAltars erschlagen worden war?Wenn also der Mensch nicht nach dem zu werten ist. was ervollbracht hat, sondern nach dem, was er vollbringen wollte,,,dann war sie doch wohl der Märthrerkrone wert?I„Bin ich es wirklich?" fragte Mußja sich verschämt.„Verdieneich fie wirklich? Verdiene ich es, daß die Menschen um michweinen, sich um mich beunruhigen— um mich, die ich so klein undso unbedeutend bin?"Und eine unsagbare Freude erfüllte fie. Nein, eS gab keinen.Zweifel und kein Schwanken: sie war aufgenommen in den Kreisder Erwählten, sie tritt gleichberechtigt in die Reihen jener Licht-gestalten, die von alters her durch Scheiterhaufen, Folter und Todzum hohen Himmel emporschreiten. O Ruhe und Friede, so hehr.o uferloses, still leuchtendes Glück I Es war ihr, als hätte siedie Erde schon verlassen, als weilte fie in der Nähe der unbekanntenSonne der Wahrheit und des Lebens und schwebte körperlos dahinin ihrem Lichte.„Und das nennen sie den Tod! Was ist das für ein Tod?"dachte Mußja selig.Und wenn die Gelehrten, Philosophen und Henker der ganzenWelt sich in ihrer Zelle versammelten, ihre Bücher, Seziermeffer,Beile und Stricke vor ih- ausbreiteten und ihr bewiesen, daß derTod existiert, daß der Mensch stirbt und getötet werden kann, daßes keine Unsterblichkeit gibt— so würden sie sie alle nur in Er-staunen setzen. Wie kann es keine Unsterblichkeit geben, wenn fieschon jetzt unsterblich ist? Von welcher Unsterblichkeit, von welchemTode kann noch gesprochen werden, wenn sie schon jetzt tot und un»sterblich ist, lebendig im Tode, wie sie lebendig war im Leben?