Anterhaltungsblatt des Dorivärts Nr. 124. Mittwoch den 1. Juli. 1903 (Nachdruck derboten.) « JVIafia/) Roinan cug dem modernen Sizilien von Emil RaSmussen. Autorisierte Uebersctzung von E. Stine. E r st e s Buch. Akragas  , Akragas   wie das singt! Und es war Gesang in dem jungen Akragas. Es war Gesang in ihm einige Jahrhunderte, ehe die große Hysterie von Galiläa ausging. Damals war Akragas   der Strom aller Freuden und der Rausch aller Schrecken ein Wirbel schäumender Seligkeit. Die junge Stadt war Siziliens   Babel, seine große Hure. Kam von jenseits der lybischen Wogen ein breitschultriger Adam daher, ein Mann mit geschmeidigen Lenden und frischen Ner- den aus Stahl in Akragas   mußten sie glühen. Und lockte sie einen hellenischen Wüstling an sich, einen Mann von Welt, dessen Nerven wie tote Fäden die schlaffen Gewebe durchzogen in Akragas   müßte der Lebensfunke zu sprühendem Feuer aufflackern. Wie eine bezwingende Hetäre lehnte sie in anmutigem Schmachten den sonnenweißen Körper an die gelben Steine der unruhig wogenden Hügel, und ließ den Blick der brennen- den Augen hinüberstreichen über die bunten Gärten, die sich zu ihren Füßen würfelten, über die kornreichen Felder, deren grüner Teppich der weiße Schaumstreifen des Mittelmeeres verbrämte, und sich verlieren auf der perlenblauen Fläche des Meeres, das sich leise schaukelte im Takt mit der zurück- gedrängten Wollust ihres eigenen Pulses und ihr die laue Frische des Südwestwindes ins Gesicht blie�, die Sinne um­wogend mit dem süßen Wohlgeruch tausend duftschwangerer Kräuter und blühender Bäume. Und ihr Stolz ward den Göttern gleich, als sie einen Sohn gebar, der der Herr war, einen Sohn, der Gott selbst war. Einen Mann, der schlechtweg Empedokles   hieß und der auf Erden zu wandern begann wie andere Menschenkinder, aber der mächtig vorwärtsschritt, erfahren in aller Welt Kunst und Wissenschaft, und ein hochmütiger Staatsmann wurde, in flatterndem goldverbrämten Purpur, ein Dichter in der Götter Sprache, ein Arzt, der nichts Geringeres als den Nordsturm verordnete, um die Fieberdünste zu ersticken, dta der feuchte Südwind ausbrütete: Berge spaltete, wenn sie ihm im Wege standen: den Flüssen ein ganz neues Bett gab. Als es dem Ende zuging, unternahm er es, mit den Propheten zu wetteifern: er erweckte Tote zum Leben. Aber für das Gastmahl, das man bei dieser Gelegenheit ver- anstaltete, hatte er seinen größten Triumph aufgespart. Er fuhr zum Himmel wie Elias und der Galiläer. Und doch was half es der schönen Mutter! Die Götter haben die vornehme Gewohnheit, in gleichgültiger Allmacht auf ihren Wolken zu sitzen und Volk und Vater- fand verbluten zu lassen. Es kamen Tage, wo die Flammen über ihrem Haupt zusammenschlugen und die gelben Felsen in eine erstickende Rauchwolke hüllten. Da flössen die Ströme voll Blut, und das Perlmuttermeer leuchtete rot von Akragas   bis Karthago  . Bei rohen Henkern aus Süd und Nord mußte Akragas Sklavinnendienste versehen, als Buße für vergangene üppige Tage. Die großen Zeiten kehrten niemals wieder. Girgenti, eine graugelbe, neumodische Provinzstadt, ist alles, was auf der berühmten Brandstätte übriggeblieben ist. Nur die Tempel stehen noch als beredte Zeugen verschwunde- ner Herrlichkeit. Noch spiegelt das Meer dieselbe samtblaue Himmels- tiefe, und dieselben Wogen schaukeln in schläfriger Wollust an die nie erlöschende Feuerinsel. Aber Horden von Männern ) In diesem hier zum ersten Male in deutscher   Uebersetzung erscheinenden Romane gibt der dänische Verfasser, der jahrelang in Sizilien   lebte, ein Milieu- und Sittenbild au« dem heutigen Girgenti. Manches wird dem mit den Verhältnissen Sizilien  ? nicht Vertrauten fremdartig erscheinen. Aber Italiener   selbst haben anerkannt, daß »in den erdichteten Ereignissen dieses Romans leider nichts Un» wahrscheinliches sei" mit krummen Nasen und scharfen Augen haben Gärten und Felder niedergetreten, die steinernen Reste der Pracht in Schutt gelegt, die Männer des Friedens in Ketten geworfen, ihre Weiber mit Gewalt genommen und Kinder gezeugt, denen neue Horden mit neuen Gesichtern die Letten schmieden sollten. Gewalt und Bluttat paarten sich, Sklavinnen gebaren; das gab eine eigene Rasse, deren Blut ein Extrakt aus Völker» stämmen dreier Weltteile war. Wohl waren sie wie zufällig von den vier Winden zu- sammengefegt, aber doch wurzelten in ihrem Wesensgrunde feste Eigenschaften, die sie zusammenknüpften und von der übrigen Welt schieden, den Haufen zu einem Volke machten. Den Blutdurst der Räuberhorden bewahrten sie: Raub wurde ein bürgerliches Gewerbe, ein verletzendes Wort wurde bezahlt wie ein Dolchstich. Seine Hände in seines Feindes Blut zu waschen, war die höchste Wollust, die ein Herz fühlen konnte. Es gibt wohl in der Welt keinen blutdürstigeren Himmelsstrich, innerhalb des Kreises, den das Auge von dem Punkte aus umspannt, wo in alten Zeiten der Bronzestier seinen Bauch mit lebenden Menschenkindern labte, wird noch an jedem Tage des Jahres gewaltsam ein Mensch hingeopfert. Just so mußte die Brut werden aus der Buhlschaft geile« Räuberhorden mit bebenden Sklavinnen. Sie wurden, wenn auch vielleicht die Minderzahl, so doch die Herrschenden. Sie drückten der Insel ihr Gepräge auf wie das Feuer, das dicht unter der Erdrinde brennt: wie der Aetna  : wie die heißen, stinkenden Schwefelminen: wie die heiße Marsala- traube und die unendlichen Hecken von Blutgeranien. Die Kinder des Feuers und des Blutes! Aber die saftschwellende Insel war ja auch der Garten der Götter. Sind denn alle Flöten gesprungen? Die schmelzen- den Töne verstummt vor dem Blutgeschrei? Ach nein! Lauschet nur dem Meere, wie getreulich eS seine Melodien summt! Lauschet dem Gesang der Nachtigall zwischen duftenden Orangen. Lauschet dem säuselnden Laub, wenn die Mandeln blühen! Um den Fuß der Berge breiten sie einen duftenden Teppich, durchsichtig wie das feinste Gespinnst, und flüstern: Tretet achtsam auf! Singt uns von der Jugend des Lebens und den keuschen Freuden. Blumen sind gestreut für Persephone  ! Da muß jedes Herz in Andacht beben. Unter Vogelge- zwitscher hält der Lenz Einzug im Garten der Götter. Und die Flur gebiert und beschirmt ihre Kinderschar, nährt sie mit ihrer bebenden Poesie. Weit draußen auf den einsamen Kornfeldern, fern von den leichenbestreuten Heerstraßen, wuchs ein Geschlecht auS alten Familien heran, deren Blut sich rein erhielt. Es waren Sprossen jenes Stammes, der in den herrlichen alten Kolo- nien blühte, geistige Verwandte jener Männer, die sorg- fältig Pfirsich und Mandel bewässerten und die ersten Gärten mit ihren goldenen Früchten pflanzten. In ihren Augen spiegelt sich die melancholische Schön- heit der Insel: die keuschen Melodien des Meeres klingen in ihren Ohren. Sie sind rasch in der Anhänglichkeit, und einen lächelnden Blick vergesten sie niemals. In ihrem Hause ist der fremde sicher wie im Beduinenzelte. Wenn es dazu kommt/ laßt der Herr des Hauses sich für seinen Gast täten. Sie machten die Frau zu einem Juwel, zum Schmuck des Hauses und duldeten niemals, daß sie sich unter dem Sonnenbrand und der harten Tagesarbeit abmühte. Als Dank für eine so schöne Ritterlichkeit bot die Frau eine Treue, die zur Verehrung wurde. Der Flattersinn ihrer Schwestern auf der Halbinsel blieb ihr fremd. Selbst wenn ihre Welt bei der Türe des Hauses endete, nannte sie nie ihr Heim ein Gefängnis. Treue in der Liebe wurde Religion, die niedergeschlagenen Augen deren Kultus. Dieses Geschlecht ist eins mit der reichen Landschaft: eS liebt die Poesie und die schmelzenden Melodien, in denen sich die sanfte Melancholie der Natur zur Ruhe weint: und eS