Ja, selbst der ärmste Hirte auf seiner einsamen Höhe, Meilenweit entfernt von den Behausungen der Menschen, er- freut sein Herz, indem er kindliche Schivanoia spielt, die wie ein Schluchzen klingen. Dies sind die Kinder der alten Geschlechter, die Kinder per melancholisch weichen Natur die Kinder der Gärten und des Meeres. Allein die Kinder des Unrechts verstanden es, jede edle Eigenschaft auf ihre Spitze zu treiben und sich zunutze zu Machen. Sie kannten die unverbrüchliche Verschwiegenheit der dnderen? die Ehre gebietet einem Manne, zu schweigen und die Augen vor allem zu verschließen, was ihn nicht angeht. Im Schutze dieser Verschwiegenheit konnte der Blutmann un- igestraft jedes Verbrechen verüben. Sie kannten ihr stolzes Selbstgefühl, das fremde Ein» Mischung nicht duldet: die Ehre fordert von jedem Manne, innerhalb seines eigenen Kreises Gerechtigkeit zu üben. So wurden die Kinder der Gärten mit Hilfe einer listigen Ausnützung ihrer besten Eigenschaften versprengt von jener Macht, die sie allein beschützen konnte dem Staate: und sie mußten dem Schalten und Walten der Blut- Männer anheimfallen. Jahrtausende lang hatte die Staats- macht, wie häufig sie sich auch häutete, sich stets auf die Seite des Unrechts gestellt und mit diesem Bündnisse ge- schlössen, sofern es ihr nur die Mittel gab, den Blutsauger, den Henker herauszukehren. Nun dachten jene nicht mehr an die Möglichkeit, daß dies je anders werden könnte. Aber kie sahen auch nicht, daß ihr schroffes Mißtrauen, ihre un- ourchdringliche Schweigsamkeit, ihr krankhaft erhitztes Selbst- gefühl jede Macht selbst wenn sie mit den besten Absichten käme zuschanden machen, sie zwingen mußte, um doch einen Schein von Autorität aufrechtzuerhalten, einen Bund mit jenem andern Part zu schließen, der stets zu kaufen war: mit den Raubtieren. So wurden die uneingeschränkten Beherrscher der Insel wiewohl sie in der Minderzahl waren die Kinder des Feuers und des Blutes, die Muskete und das spitze Messer. Man nennt sie die Mafia. Wie Hyänen verbünden sie sich manchmal zur Ausübung lhrer nächtlichen Werke zu kleineren Haufen«Coscas" und schließen unverbrüchliche Vereinbarungen. Die große Mafia aber hat keine Vereinbarungen, bildet keinen Verein, keine Gesellschaft. Ihre Mitglieder kennen einander durch Instinkt, wie die eine Hand die andere kennt. Sie einigen sich stillschweigend, wie die Hunde sich einigen, um die Katzen zu jagen. Aber es geschieht auch häufig sogar daß sie sich in Haufen zusammenrotten, die sich gegenseitig zerbeißen und zerfleischen, bis der eine Teil der- blutet. Mitten in dem blauen Meere liegt die strahlende Insel wie ein Schiff ohne Nuderkette. Wenig nützt es, wenn der Kapitän auf der Kommandobrücke steht: wenn jeder Mann auf seinem Posten ist und seine Pflicht tut: das Schiff treibt sn der Gewalt der Wogen. .(Fortsetzung folgt.)s (Nachdruck derdoten.) Die Gefdriebte der Neben Gebängten. Kon L eonid Anbrejefc". Autorisierte Nebersetzung. Und dann wandelte ihn plötzlich ein Lachen an. und er hatte Lust, sein lockiges Haar zu schütteln, und sein Knie vorzustrecken, vnd die Brust irgend jemand zum Schlage hinzuhalten: da, schlag «ich! Niemand, selbst seine vertrautesten Genossen nicht, hatten von thm je etwas vernommen von dieserFreude alle Betrübten", und sogar er selbst wußte gleichsam nichts von ihr so tief war sie in «einer Seele verborgen. Uno nicht oft, und immer nur mit scheuem Lagen, gedachte er ihrer. Und nun, als der Schrecken des unlösbaren großen Geheim- »itsseS, dem er bald Aug' in Auge gegenübertreten sotzte, gleich >er Wasserflut, die zurzeit der lleberschwemmung die Weiden am llfer verschlingt, über seinem Kopfe zusammenschlug nun fühlte er auf einmal das Bedürfnis, zu beten. Er wollte niederknien, aber er schämte sich bor dem Soldaten am Guckfenster, und er nur die Hände über der Brust und flüsterte leise: .Du Freude aller Betrübten!" Und mit schmerzlicher Rührung im Herzen wiederholte cf' Du Freude aller Betrübten, komm zu mir herab, hilf dem armen Wasjka Kaschirinl" Früher, während des ersten Universitätskurses, als er Werner noch nicht kannte, noch nicht in dieGesellschaft" eingetreten war, und gern einmal durchging, hatte er sich selbst, mit einem Anflug von Prahlsucht und Koketterie, gernWasjka Kaschirin" genannt und nun hatte er wiederum das Bedürfnis, sich so zu nennen, Aber seine Worte verklangen ohne Widerhall, wie tot. Du Freude aller Betrübten I" Irgendwo regte sich etwas. Es war, als ob in der Ferne ein stilleS, gramvolles Bild vorüberschwebte und leise verlöschte, ohne in dieses Dunkel vor dem Tode einen Lichtschein zu bringen. Der Soldat im Korridor klirrte' mit dem Säbel, schien's, oder mit dem Gewehr und ließ dann ein Gähnen vernehmen, lang- gezogen, in Absähen. Du Freude aller Betrübten! Du schweigst? Du hast dem armen Wajjka Kaschirin nichts zu sagen?" Er lächelte gerührt und wartete. Aber eS war leer in seiner Seele und leer ringsum. Und das stille, gramvolle Bild kehrte nicht wieder» Quälende, lästige Erinnerungen tauchten auf: brennende Wachskerzen, und der Pope im Meßgewand, und das Heiligenbild an der Wand der Kirche, und der betende Vater, wie er sich tief bis zur Erde neigte vor dem Bilde, und sich wieder auf- richtete, und dabei von der Seite nach Wasjka schielte, ob der auch betete und nicht etwa Unfug trieb. Und noch entsetzlicher ward ihm zumute als vor dem Gebet. Alles entschwand. Langsam und schwer kroch der Wahnsinn heran. Das Bewußt- sein erlosch, wie ein Feuer auf dem Felde, das man auseinander- gestreut hat, damit es rascher erlösche. Das Denken erstarrte, gleich dem Leichnam eines Menschen, der eben gestorben ist, dessen HerK noch warm ist, während Arme und Beine schon erkaltet sind. Noch einmal, wie in blutigem Aufflackern, sagte ihm sein erlöschendes Bewußtsein, daß er, Wassili Kaschirin, hier verrückt werden und unnennbare Qualen, unsägliche Schmerzen und Leiden erdulden könnte, wie sie noch nie ein lebendes Wesen erduldet hätte; daß er mit dem Schädel gegen die Wand rennen, mit dem Finger sich das Auge ausbohren, daß er, zu wem's auch sei, reden und schreien, und unter Tränen versichern könnte, eS sei über seine Kraft, das alles auszuhalten urfl) daß doch'nichts, nicht das Geringste, darauf erfolgen würde. Gar nichts würde erfolgen. Und nichts erfolgte in der Tat. Die Beine, die ihr eigenes Bewußtsein und ihr eigenes Leben haben, fuhren fort, umherzu- gehen und den zitternden, nassen Körper zu tragen. Die Hände, die ihr eigenes Bewußtsein haben, versuchten sorgsam den auf der Brust offenstehenden Kittel zusammenzuhalten und den zitternden, nassen Körper zu erwärmen. Der Körper zitterte und fröstelte. Die Augen schauten. Und das alles zusammengenommen war fast so gut wie Ruhe. Doch es kam noch ein Augenblick wilden Entsetzens. DaS war, als Menschen in seine Zelle eintraten. Er dachte gar nicht daran, daß dies so viel bedeutet« als: nun ist's Zeit, nun geht's zur Hin- richtung, sondern er sah einfach Menschen und fuhr erschrocken zu- sammen, fast wie ein Kind. Ich ru's nicht wieder! Ich tu'S nicht wieder!" flüsterte er unhörbar, mit todesbleichen Lippen, und wich bang zurück in den Hintergrund der Zelle, wie in der Kindheit, wenn der Vater die Hand mit der Rute aufhob. 'S Zeit zum Fahren." Sie sprachen, sie gingen hin und her, sie reichten ihm etwas. er hatte die Augen geschlossen, wankte vor und begann langsam, sich bereit zu machen. Das Bewußtsein schien wiederzukehren: er bat plötzlich den Beamten um eine Zigarette. Und er hielt liebens, würdig sein silbernes, im Sezessionsstil gehaltenes Etui hin. S. Die Mauern stürzen ein. Der Unbekannte, der sich Werner nannte, war ein Mensch, den Leben und Kampf müde gemacht hatten. Es hatte eine Zelt ge- geben, in der er eine starke Liebe für das Leben empfunden, sich für Theater, Literatur und gesellschaftlichen Verkehr begeistert hatte; mit einem guten Gedächtnis und einem festen Willen begabt, beherrschte er mehrere europäische   Sprachen vollkommen und konnte sich leicht für einen Deutschen  , einen Franzosen oder Engländer ausgeben. Das Deutsche sprach er gewöhnlich mit bayerischem Akzent, doch konnte er auf Wunsch auch Berlinisch sprechen wie ein echter eingeborener Berliner  . Er kleidete sich gern gut, hatte gute Manieren und war der einzige unter den Genossen, der es wagen konnte, auf den Bällen der großen Welt zu erscheinen, ohne daß er eine Entlarvung zu befürchten brauchte. Aber schon längst war in seiner Seele, unsichtbar für die Genossen, eine düstere Mcnschenverachtung gereift; sie war der Ausdruck der Verzweiflung und einer dumpfen Lebensmüdigkeit, die schwer auf ihm lastete. Seiner Anlage nach eher Mathematiker als Dichter, hatte er bisher weder Begeisterung noch Ekstase kennen gelernt und kam sich bisweilen wie ein Narr vor, der in ver» gossenem Menschenblut die Quadratur des Kreises sucht. Der Feind, dem er im täglichen Kampfe entgegenzutreten hatte, konnte ihm keine Hochachtung einfloß.'»; es war dies nur ein dichtes Netz �von Dummheit, Verrat und Lüge, von schmutzigem Abschaum und