widerlichem Betrug. DaS letzte, was für immer die Lust am Leben in ihm vernichtet zu haben schien, war die Beseitigung eines Spitzels, den er im Auftrage der Organisation getötet hatte. In aller Ruhe hatte er ihn getötet, doch als er dann dieses tote, lügne- rische, jetzt aber ruhige und trotz alledem mitleiderregende mensch- liche Antlitz iah, hatte er plötzlich aufgehört, sich selbst und sein Werk zu achten. Nicht, daß er Reue empfunden hätte, aber er hörte einfach plötzlich aus, sich zu achten, ward gleichsam sich selbst uninteressant, unwichtig und bis zur Langeweile gleichgültig. Aus der Organisation trat er indes als Mensch von fester, unzersplit- terter Willensrichtung nicht aus und blieb äußerlich derselbe nur in seinen Augen nistete sich etwas Kaltes, Grausiges ein. Und keinem Menschen sagte er ein Wort. Noch eine seltsame Eigenschaft besaß er: wie es Menschen gibt, die nie im Leben Kopfschmerzen gehabt haben, so wußte er nicht, was Furcht ist. Schwebten die anderen in Angst, so verurteilte er sie zwar deshalb nicht, doch bezeigte er ihnen auch lein besonderes Mitgefühl als ob sie eben nur an einer ziemlich verbreiteten Krankheit litten, von der er selbst nie befallen worden war. Seine Genossen, namentlich Waßja Kaschirin, bedauerte er; doch war dies ein kaltes, fast offizielles Bedauern, wie es vielleicht auch diesem und jenem von den Richtern, die Waßja verurteilten, nicht fremd war, lFortsetzung folgt.) Mie Michelangelo   arbeitete. Wie wundersam, ja mitunter traurig ist es, in welchen Zu- ständen, unter welchen Bedingungen die herrlichsten Produktionen entstehen." Dieses Wort Goethes kommt dem in die Erinnerung, der sich Michelangelo   bei der Arbeit vorstellt. In tiefer Verdüsterung der Seele, unter ungünstigen äußeren Verhältnissen sind die meisten seiner strahlenden Werke entstanden, mühsam dem verzweifelten und verbitterten Genius abgerungen. Diese Leidensgeschichte seines Schaffens tritt klar hervor in dem prächtigen, tief empfundenen Charakterbilde, das HanS Mackowsky   in seinem soeben im Verlag von Marquardt u. Co. erschienenen ausgezeichneten WerkeM i ch e I- a g n i o l o" entwirst. Der geborene Bildhauer, der sich nur wohl- fühlte, wenn er aus dem Stein lebendige Formen mit kühnem Hammerschlag erlösen konnte, hat sein größtes künstlerisches Bc- kenntnis als Maler in der Sixtinischen Kapelle gegeben. DaS Malenwar nicht seine Profession", und doch mußte er nun LO Monate hindurch hoch oben an der Decke in Hitze und Staub auf dem Gerüst arbeiten, den ganzen Tag lang ohne Ruh und Rast am Werke, nur mit ein wenig Brot und Wein für des Lebens Notdurft versehen. In einem seiner Sonette schildert der Meister mit grimmigem Humor sich selbst, wie er, gleich einem Bogen ver- krümmt und zusammengezogen, von Farbe besudelt, mit zurück- gebogenem Kopf, verrenktem Hals und schwerem, gehemmtem Atem, sein Werk freudlos verrichtet. Und dem Lieblingsbruder Buona- rotto klagt er:Ich lebe hier in großer Sorge und unter den größten körperlichen Anstrengungen; ich habe keinen Freund, will auch keinen, nicht einmal zum Essen habe ich Zeit." Während seiner Arbeiten an der Medicäcr Kapelle, diesem reinen und erhabenen Werke, war er so völlig von innerer Anstrengung und von äußerer Sorge aufgerieben, daß seine besorgten Freunde feinen baldigen Tod befürchteten.Er wird wohl nur noch kurze Zeit leben," be- richtet einer der Freunde von dem Meister, der danach noch 33 Jahre leben sollte,es kommt daher, daß er sehr viel arbeitet, wenig und schlecht ißt, und noch weniger schläft. Seit einem Monat ist er sehr von Kopfschinerzen und Schwindel geplagt." Und doch loderte das Feuer seiner Kraft am stärksten auf, wenn er Werke der Plastik schaffen konnte. Nichts hat seine Phantasie so erregt und einen Rausch des Schaffens in ihm entfesselt, als der geliebte Marmor, dessen Geheimnisse er in den Marmorbrüchen zu ent- rätseln suchte. Ein besonders geformter Block konnte ihm einen genialen Gedanken eingeben, aus dem Stein erwuchs ihm die menschliche Gestalt. Kein geübter Steinmetz nahm es mit ihm an Geschicklichkeit auf, und seine Arbeiter lernte er sich selbst an. Mit Staunen sah man, wie der Sechzigjährige, schon ein gebeugter Greis, dessen Körperkräfte nicht groß waren, in einer Viertelstunde mehr Splitter von einem Marmorblock losschlug, als drei jugend- kräftige Steinmetzen in drei- bis viermal soviel Zeit.Und er griff die Arbeit mit solchem Ungestüm und Feuer an, daß man glaubte, das Werk müsse in Stücke gehen." Eine Raserei ergriff dann den Künstler und zwang ihn, mit dämonischer Gewalt, nn- unterbrochen dem Drängen des Genius sich hinzugeben, bis dann der übermäßigen Anspannung eine völlige Erschlaffung, eine tra- gische Melancholie und Verzweiflung folgte. Die fast unglaubliche Schnelligkeit, mit der Michelangelo   in diesen Perioden des schöpfe- rischcn Rausches arbeitete so hat er viele der herrlichen Jüng- ringsgestalten in der Sixtina   jede an einem Tag geschaffen läßt sich nur daraus erklaren, daß Idee und Form seines Werkes in seinem Geiste völlig ausgestaltet vor ihm stand; er deutete nur flüchtig in einer vorbereitenden Zeichnung an, was er nachher i» aller Herrlichkeit vollendete. Auch für seine plastischen Werke be- diente er sich höchstens eines kleinen Modells in Ton oder Wachs und ging häufig sogleich an das Behauen des Blockes, ans dem er mit mächtigen Mcißelschlägen die darin schlummernde Gestalt herauslöste. Früh ist oas Alter über Michelangelo   gekommen, der eigentlich niemals recht jung gewesen war; aber unvermindert lebte in ihm bis zum Ende der sieghafte Drang, zu schaffen und zu ge- stalten. Niemand durfte den Einsamen bei seinem Werke stören; seine Werkstatt hielt er fest verschlossen, undhohe Herren" mutzten wohl, wenn sie sein Werk beschauen wollten, durch das Fenster ins Atelier hineinsteigen. Ein dumpfes Geheimnis um- schwebte den Raum, in dem er schuf. Die Schlaflosigkeit, die den Gealterten heimsuchte, gewährte ihm auch noch die Nacht zur Arbeit. Dann griff der Meister, wie es Vasari   schildert, zu der merkwürdigen Kappe, die er sich aus steifem Papier gemacht hatte. zündete ein Talglicht aus Ziegenfett an, das er oben in die Mitte dieser Kappe steckte, um Licht zu haben, nahm Hammer und Meißel und machte sich ans Werk. Ueberwand ihn die Müdigkeit, so schlief er angekleidet und mit den Stiefeln an den Füßen. Die Stiefel von Hundefellen, die er über den bloßen Füßen trug, zog er über- Haupt nur selten aus, und manchmal unterließ er es, solange sie auszuziehen, daß dann mit den Stiefeln zugleich die Haut mitging wie bei den Schlangen". So hauste er einsiedlerisch in seiner kahlen, weiten römischen Wohnung; nur wenigen vertrauten Freunden öffnete sich die stets verschlossen« Haustür. Und mehr Gefallen, als am Umgang mit Menschen, fand der verbitterte Künstler an seinen Katzen und Pferden und an seinen Hennen, mit denen er sich umgeben hatte. Nur einmal noch wußte ihn das Drängen und die Verehrung des Papstes Paul III.   herauszulocken, wieder auf das Gerüst der Sixtinischen Kapell«, als er das Jüngste Gericht schuf. Der 7Ejjährige klagte über die große Beschwerde, die ihm diese letzten Gemälde verursachten,denn die Malerei, bor- nehmlich aber die Freskomalerei ist keine Arbeit für Alte, wenn sie über gewisse Jahre hinaus sind". Einmal fiel er mitten in der Arbeit von einem Balken und beschädigte sich am Bein. Voll Schmerz und Wut darüber verkroch er sich in das Innerste seines Hauses, so daß der Arzt nur mit List zu ihm eindringen konnte. Michelangelos Arbeitsweise gleicht nicht dem genialen und fast übermütigen Schaffen anderer Renaissancemeister, eines Raffael oder Tizian  , die inmitten einer glänzenden Schülerschar, von Prunk und Schönheit umgeben, leicht und frei ihr« Werke vollendeten, sondern in düsterer Einsamkeit, von dem tragischen Hauch seiner gequälten Seele umwittert, ringt er schwer und schmerzvoll mit dem Stoff,allein wie der Henker", allem Erdenwescn, allem Menschlichen fern. �Nachdruck verbotea.!! Vom"Code. Von Dr. A. L i p s ch ü tz. Die«inzelligen Lebewesen find unsterblich, indem fie sich teilen und in den Teilprodukten weiterleben. Doch müssen die Einzelligen von Zeit zu Zeit einen Verjüngungsprozeß durchmachen, der uns in verschiedener Form entgegentritt: als Einkapselung und Kopu« lation. Die Kopulation besteht in einer Verschmelzung zweier Zellen und hat große Achnlichkeit mit dem Befruchtungsprozeß bei den vielzelligen Organismen, die alle sterblich sind. Unsterblich find nur gewisse Zellen bei den Vielzelligen: die Geschlechtszellen. Diese werden durch die Befruchtung verjüngt, teilen sich und werden zum Embryo und zum erwachsenen Organismus; schließlich werden fie als Produkte fortgesetzter Zellteilungen als Ei- und Samenzelle aufs neue durch die Befruchtung verjüngt und so fort. Die anderen Gewebszellen der Vielzelligen machen einen ähnlichen Verjüngungs- Prozeß nicht durch und gehen schließlich zugrunde, fie sterben. Warum ist aber die Lebensdauer einer jeden Art eine bestimmte wenn wir vom Tod durch Krankheit ganz ab« sehen? Der Zoologe W e i s m a n n beantwortete diese Frage dahin, daß hier die Selektion(Zuchtwahl) durch den Kampf ums Dasein dahin wirkte, daß die Lebensdauer einer Art um so länger werden mußte, je mehr die Fortpflanzungsprodukte in kleinen, auf lange Zeit verteilten Mengen abgelegt wurden und der dauernden Pflege durch die Eltern bedursten. Die Natur erreichte ihren Zweck dadurch, so führte Weismann auS, daß fie die Gewebszellen nicht unbegrenzt teilungsfähig machte, sondern die Zahl der Teilungen bei jeder Art festsetzte. Die letzte Zellgeneration ist dem Untergange getveiht. Doch diese Antwort bestiedigt uns nicht. Der Bonner   Pathologe R i b b e r t. dessen interessanten Ausführungen wir hier folgen werden(vgl. Prof. Nibbert: Der Tod aus Altersschwäche Bonn  , 1908), weist darauf hin, daß eS erstens Gewebszellen gibt, die sich überhaupt nicht teilen, wie die Nervenzellen des Gehirns, die im Laufe der Zeit wachsen, sich verändern, aber an Zahl nach der Ge« burt nicht zunehmen. Und doch sind diese Zellen das ganze Leben hindurch auf ihrem Posten. Dasselbe gilt für andere lebenswichtige Zellen, so für die Zellen unserer Körpermuskeln, für die Herzmuskeln- und Drüsenzellen. Und dann zweitens: die Behauptung, daß die be- stimmte Lebensdauer der Körperzcllen eine durch Selektion bewirkte Anpassungsersckeinung sei, sagt uns noch sehr wenig. Wir wollen wissen, worin der Mechanismus dieser Airpassung besteht; wie die Lebensdauer der Körperzellen normiert wird. Wie wir den Tod nach Krankheit auf anatomische Veränderungen in den Z-l-n zurückführen, so müssen wir wolle,» wir wissen-