Hatten die Dorfbewohner doch recht, tvenn sie sich fürchteten, zu nächtlicher Stunde in die Nähe des alten Schlosses zu kommen, da dort Gespenster ihr Unwesen treiben sollten?— Verdächtige, düstere Gestalten schlichen in dem Dunkel der Nacht um das Schloß herum und oerschwanden, als ob der Erdboden sie verschlungen, durch die geheimnisvolle Pforte, die zur Totengruft führte. Zwölf dumpfe Schläge erklangen jetzt, und kaum waren sie verhallt, als wie durch Zauberspuk drei bläuliche Flammen den unheimlichen Raum erhellten. Auf einem Katafalk brannten die Lichter, und um'oenselben versammelt sah man dreizehn Männer, in schwarze Mäntel gehüllt. Die Gesichter konnte man nicht erkennen, denn ein jeder trug eine schwarze Halbmaske. In der Mitte der unheimlichen Gruppe saß ein schlanker, hoch- gewachsener Mann, unter dessen großem Schlapphut schwarze Locken hervorquollen. Von seinem Gesicht war nichts weiter zu sehen als der rote, feingeschnittene Mund und das energische Kinn. Er erhob sich jetzt und seine Stimme klang düster als er sagte: »Männer, ich habe Euch hierher berufen, um von Euch zu erfahren, ob Ihr meinen Befehlen gefolgt scio— ob Ihr neue Schandtaten treuloser Weiber und Dirnen ausspioniert habt?t" Einer der Männer erhob sich und wies auf den Katafalk. »Wir haben Eure Befehle ausgeführt, Meister— dort, jene zwölf Briefe werden Euch Kunde geben von unserer Arbeit!"--" Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß»Der Unbekannte" sehr hohen Absatz finden wird. Die Gelegenheit, Wirkungen der schlimmsten Art auszuüben, wird er also haben, und dieser Schaden wird nicht ausbleiben. Zu manchem Sitienverbrechen, zu manchem scheußlichen Morde werden durch ihn die ersten Keime gelegt. Die Leidenschast des Volkes für aufregende Handlungen wird von den kapitalkräftigen Verlegern der Schundromane so schändlich aus- genutzt, daß sie selbst dabei innerhalb loeniger Jahre die größten Reichtümer sammeln, während der Seele Tausender unserer Mit- menschen der schwerste Schaden getan wird. Und was von den Kolportageromanen gilt, ist in kaum geringerem Maße auch von den Nick Carter-, Buffalo Bill -, Weltdetektiv-Heften usw. zu sagen. Von diesen Einzelheften, von denen in jeder Woche von jeder Sammlung ein Heft erscheint, geht eine magische Wirkung auf den Geist unserer Jugend und unserer jungen Leute, ja, auch eines großen Teils der Erwachsenen aus. Die letztgenannten neuen, bis vor wenigen Jahren unbekannten Formen der schlechten Literatur haben es verstanden, sich mit einer Schnelligkeit und Gründlichkeit durchzusetzen, daß heute in jeder kleinen Stadt Dutzende von Zigarren- und Papierhandlungen zu finden sind, die diese literarische Schundware führen und die größten Geschäfte in ihr machen, und daß die Zahl dieser Geschäfte in jeder Großstadt nicht mehr nach Dutzenden, sondern nach Hunderten zu bemessen ist. Ja, in offenen Zeitungsvcrkaufsständen, die noch vor kurzem einen Kolportagervman entrüstet zurückgewiesen hätten, in der Berliner Untergrundbahn ebensowohl wie auf dem Theater- Platz in Hannover , überhaupt in jeder deutschen Großstadt ohne Unterschied, finden wir heute ganze Reihen dieser verderblichen Literatur ausgelegt. Wie kann diesen pestartigen Erscheinungen abgeholfen werden? Durch gesetzgeberische Maßnahmen schwer. Das beste Mistel zur Zurückdrängung der schlechten Literatur ist aber, wie die Erfahrung zeigt, die Verbreitung guter Bücher. Wo eine gut geleitete und mit einigen Mitteln versehene Volksbibliothck feste Wurzeln gefaßt hat, haben in ihrer Nachbarschaft Läden mit Kolportageheften keine Möglichkeit guter Geschäfte mehr. Wer erst einmal einige Wochen in einer Volksbibliothck gelesen hat, denkt nicht mehr daran, die äußerlich und innerlich widerlvärtigen Hefte eines Hintertreppen- lromans zur Hand zu nehmen. Was der guten Literatur, die stoff- lich dafür natürlich geschickt ausgewählt werden, also vor allem ebenfalls eine starke und kräftig fortschreitende Handlung aufweisen muß, ihren Kampf gegen die Schundliteratur aber so besonders schwer macht, ist ihr Kapitalmangel. Unsere Volksbibliothcken müßten noch reicher gespeist werden und der Druck guter und billiger Bücher müßte mit ganz anderen Mitteln rechnen können. Was bedeutet es denn, wenn eine gemeinnützige Einrichtung wie die Deutsche Dichtergedächtnisstiftung in einem Jahre für die Her- stellung von Büchern einschließlich neuer Auflagen etwa 50 000 M. ausgibt, während der Umsatz eines einzigen Kolportageromans, wie wir wissen, im Durchschnitt LSOOOV M. beträgt? Hamburg -Großborstel. Dr, Ernst Schultz e. kleines feuilleton. Paläontologifches. Die untergegangene Pflanzenwelt der Süd- Polarländer. Im Gegensatz zu einem verhältnismäßig reichen Tierleben treften Ivir in der Umgebung der Pole keine oder nur eine überaus dürftige Flora. Kümmerliche Moose und Flechten überziehen die aus Schnee und Eis hervorragenden Felsen, aber nur leiten vermag ein anderes Pslänzchen so viel Raum und wärmende Sonne zu gewinnen, daß es einige Tage sein Dasein stiften kann. Und doch wissen wir auS verschiedenen Funden, die von den zahlreichen Nordpolexpeditionen zurückgebracht wurden, daß noch in der Miocänperiode, also verhältnismäßig kurz vor der Eiszeit, auf Grönland große Wälder von Sumpfzypressen, Mammutbäumen lwie die kalifornische Wellingtonia), Platanen, Pappeln, Weiden und ahn« lichen Bäumen den Boden bedeckten, auf dem heute Hunderte von Metern hoch Schnee und Eis sich auftürmen. Bei der bekannten Vernachlässigung der Südpolarländer waren ähnliche Tatsachen von der Antarktis bisher nicht bekannt geworden. schwedischen Südpolarexpedition, die unter O. Nordenskjöld ISVI bis 1903 von Südamerika aus einen Vorstoß nach Süden unternahm, war es vorbehalten, durch eine Menge geologischer Funde Licht in die bis dahin dunklen Fragen nach dem stüheren Zu» stände dieses Teils der Erde zu tragen. Nordenskjöld selbst schreibt über die Bedeutung dieser Funde in seinem Reisetagebuch: „Es wird mir schwer, die Freude zu schildern, die ich in diesem Augenblick(bei der Auffindung der versteinerten Reste) empfand. So sind denn auch diese Gegenden deS äußersten Südens, die jetzt in Eis begraben liegen, von ewigen Stürmen umbraust und m ewige Kälte gehüllt, einstmals mit üppigen Wäldern bedeckt gewesen, in denen wahrscheinlich große Säugetiere umhergestreift sind." Soweit die Funde die Tertiärzeit betreffen, liegen sie jetzt von einem Teilnehmer der Expedition bearbeitet im Druck vor: „P. Dusün, Ueber die Tertiärflora der Sehmour» i n s e l". Aus der Seymourinsel fanden sich eine Menge versteinerter Reste und Abdrücke hauptsächlich von Pflanzen in einem braunen, groben, ziemlich harten, tuffartigen Gestein. Die Reste, deren Be» stimmung infolge ihrer schlechten Erhaltung nicht ganz leicht war, erwiesen sich als von Laub- und Nadelbäumen und Farnen her« rührend. Und zwar stimmten diese in ihrem Charakter durchaus mit den Floren Südamerikas überein. Die Schwierigkeit lag aber darin, daß die Reste aus zwei Florenreichen gemischt schienen, einem ge« mäßigten, wie es der Süden Chiles etwa zeigt, und einem sub« tropischen, wie es in Südbrasilien das herrschende ist. Abdrücke von Araukarien und ähnlichen Nadelhölzern finden sich mit solchen immer« grünen Laubgewächsen vereint, wie sie wohl zu gleicher Zeit und am selben Ort nicht existiert haben können. Auf einen Ausweg leitet uns hier die Entstehungsweise des Ge- steins, in dem die Reste gefunden ivurden. Dieses Ge- stein stellt eine Ablagerung der verschiedensten Stoffe dar, die von den Gewässern hoch oben aus den Bergen mitgcführt, bei nihigem Laufe in der Ebene später sich absetzten. In Hochwasser« zeiten mögen wohl viele Pflanzen und Bäume oben auf den Bergen losgerissen und mit solchen unten aus der Ebene zugleich unter dem S statt begraben worden sein. Auf den Bergen war aber gewiß— denken wir nur einmal an die Alpen und die Ebenen an ihrem Fuße— ein anderer Klima- und Pflanzengnrtel herrschend als in der Ebene, während die Höhen von düsteren Nadelholzwäldern umsäumt waren, bedeckten unter der heißen Sonne eines fast tropischen Klimas sumpfige Urwälder mit Lianen und riefigen Farnen die Ebene. Daß diese Wärmeperiode mit der am Nordpol nachgewiesenen zeitlich übereinstimme, ist nicht wohl anzunehmen. Wahrscheinlich wurden innerhalb der Tertiärzeit, vielleicht der revolutionärsten in der ganzen Erdgeschichte, infolge mannigfacher, sehr bedeutender Polschwankungen, die bisherigen Polargcgenden abwechselnd gegen den Acquator hin verschoben, so daß sie bald unter Schnee mid Eis begraben, bald von üppigem Pflanzenwuchs überwuchert wurden. es- Medizinisches. Künstliche Sehnen aus Seide. Der künstliche Ersatz für die durch Verletzung zerstörten Sehnen erfolgt entweder durch die Sehnenüberpflanzung oder durch die von Lange angegebene Seidensehneichlastik. Es scheint, daß jene? Verfahren häufiger an« gebracht ist, doch gibt es Fälle, wo der Seidenersatz den Vorzug finden wird. Die„Münchener Medizinische Wochenschrift" beschreibt einen besonders durch den Umfang des Ersatzes merkwürdigen Fall, bei dem anfänglich die Ueberpflanzung beabsichtigt war, der jedoch schließ« lich nur durch Verwendung der Seidensehne zum Erfolg geführt werden konnte. Die Kranke war ein vierzehnjähriges Mädchen, das sich im Alter von vier Jahren bei einem Fall in eine Scheibe die beiden linksseitigen Peroneussehnen(in der Wade) durchschnitten hatte. Ver« schiedene Behandlung durch Apparate vermochte einer dauernden Schiefstellung des Fußes nicht abzuhelfen, und auch eine acht Jahre nach der Verletzung versuchte Vereinigung der getrennten Sehnen- enden führte zu keinem Resultat. Nachdem operativ eine Korrettur der Fußstellung erzielt worden war, wurde zur Wiederherstellung der Peroneussehnen geschritten. Bei der Freilegung zeigten sie sich ihrer ganzen Länge nach fast vollständig zerstört. Unter diesen Umständen griff der Chirurg zur Seidenplastik, wobei der Abstand der beiden Nahtstellen 25 Zentimeter betrug, so daß die eingeheilte Sehne eine der längsten sein dürfte, die bisher je zur Verwendung gekommen find. Nach längerer Appararo'ehaudlung, die zur Schonung vorgezeichnet war, besserte sich die Gestalt des Fuße? und der Gang so iveit, daß man von vollständiger Heilung spöcchen kann. Es ist somit die völlige Wiederherstellung einer zehn Jahre lang zerstört gewesenen Funktion zu verzeichnen. lverantw, Redakteur: Georg Davidsohn . Berlin.— Druck u. Verla«: Vorwärts Buchdr. u, Vcrlagsanstalt Paul Singer L- Co., Berlin SW,
Ausgabe
25 (9.7.1908) 130
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