Wnterhaltlmgsblatt des Horivärts Nr. 132. Sonnabend, den 11. Juli. 1908 vi (Nachdruck verboten.) Roman aus dem modernen Sizilien von Emil RaSmussen. Auwrifierte Uebersetzung von E. Stine. Lo Forte hatte sich bei einem kleinen Manufakturwaren- Händler eingemietet, der auf dem Korso seinen Handel betrieb, und das letzte Haus eines engen Gäßchens bewohnte, das auf den kleinen Platz hinter dem Palazzo des Grafen mündete. Auf diesem Platze wohnte Rusiddas Vater, der ursprünglich Bauer war, später aber eine Zeitlang als Picconer(Hauer) in den Minen des Grafen gearbeitet hatte. Von dem Platze führte eine schmale Steintreppe zum Korso hinab, und auf der untersten Stufe pflegte Rusidda zu sitzen und abwechselnd mit der Mutter Eier und ein wenig Gemüse zu verkaufen. Lo Forte hatte sie gleich am ersten Tage bemerkt. Ihre perlenweißen Zähne leuchteten in dem havannabraunen Ge- sichte, und die Augen mit ihrer himmelblauen Iris auf dem schneeweißen Grunde wirkten wie die eingelegten Edelstein- äugen in einer Statue aus dem alten Hellas. Es war ein Farbenzauber in diesem Antlitz, als hätte ein alter Intarsia- meister daran gearbeitet und mit zärtlicher Sorgfalt alle Töne gegeneinandergestimmt. Ein armseliges grünes Zwillichkleid tat alles, um die jungen Formen der Sechszehnjährigen zu verbergen. Er hatte Angela bei ihr stehen und mit ihr sprechen sehen: aber sie blickte niemals auf. Er selbst ging täglich mehrmals an ihr vorbei, ohne daß sie je die Augen erhob. Aber Sonntag nachmittags war er die Treppe hinauf- gegangen: da saß sie da in einem schwarzen Rock und einem geblümten Leibchen aus Musselin, das reiche kastanienbraune Haar sorgfältig mit Wasser gekämmt und da sah sie ihm zum ersten Male kindlich freimütig ins Gesicht. Dieser Blick hatte ihm Tränen in die Augen getrieben: er erzählte von der halbunbewußten Scham der Armut. Am nächsten Nachmittag, als er von den Minen heim- gekehrt war, hörte er den Türhammer klopfen. Draußen stand Rusidda in ihrem grünen Kleidchen, ohne ein Wort hervorzubringen. Favoriscal(Bitte einzutreten!)" sagte der Ingenieur: allein sie rührte sich nicht. Trasissinni!"(Komm herein!) Diese Einladung, in ihrem sizilianischcn Dialekt ausge- sprochen, nahm ihr den Willen, und ihrer Absicht und aller Schicklichkeit entgegen folgte sie ihm in fein Zimmer. Verwirrt stammelte sie ihren Auftrag. Sie pflegten zum San Calogerofeste die Lampe   für die Madonna der Piazetta anzuzünden und den ganzen kleinen Platz zu illuminieren. Ob er sein Schcrflein zum Oele spenden wolle? Er gab ihr zwei Lire. Sie machte große Augen ob dieser reichen Gabe. Und sie schielte zu seinem Klavier hinüber, dem sie, auf seiner Türschwelle sitzend, lauschte, wenn er des Abends spielte. Dann dankte sie viele Male und ging. Während er die Tür ausschloß, fragte er: Bist Du das, die draußen auf dem Platze sitzt und abends Psalmen singt?" Sie errötete. Du singst wie ein Vöglein." Nun wußte sie, daß sie ihm nie mehr ins Gesicht blicken konnte. Diese kleine Szene trat dem Ingenieur lebhaft vor Augen, während sie da oben stand und sang, leicht»zitternd vor Spannung und die Augen starr auf den Lichterglanz des Kirchenraums gerichtet. Er vergaß die Hitze und die schlechte Luft des Raumes. In dieser fremden Stadt, unter den vielen gleichgültigen Menschen, an die er sich nur schwer anschloß, war doch eine Stimme, die ihm warm entgegenkam mit einem Klange heimlichen Erkenncns. Don Gerlando stand schon wieder vor dem AUar, und es entstand ein lebhaftes Schwatzen, als der Gesang aufhörte. Die Gräfin hatte eine Nummer gezogen und ihr Gebet ver- richtet: sie schnappte hinter ihrem Fächer nach Luft. Endlich hielt sie es nicht mehr aus: sie wollte gehen. Ein Stück weiter unten auf dem Korso fesselte eine reso- lut aussehende elegante Frauensperson mit einem großen schwarzen Federhut ihre Aufmerksamkeit. Sie lehnte bequem in einer Kutsche und kassierte gemütlich lächelnd die um befangenen Grüße der Herren ein. Die Gräfin wandte sich um. !Man sollte sie prügeln!" ..Warum gerade diese?" Sie ist von der Sorte, die schuld daran ist. Lab die Männer nicht heiraten." Der Ingenieur, der noch nicht wußte, daß es eine Spezialität der Gräfin war. Heiraten zu stiften, verstand diesen Zorn nicht ganz. Sie kennen sie vielleicht nicht noch nicht? Es war LaMilanesa,die eine von den Puthennen unserer Jung» gesellen. Wir haben nämlich deren zwei. Diese hier ist aristokratisch, reinlich, aber alt und empfindlich. Die ander« ist Carmela. Sie ist kaum so reinlich, aber zehn Jahre jünger, robust und demokratisch zu halbem Preise." Und fast im selben Atemzuge fügte sie hinzu imi Widerspruch zu ihrem eigenen moralischen Ausgangspunkt: j Ach ja, Sie können es ja, Sie sind jung!"* Ich würde doch wohl mit der Frau Gräfin   tauschen/1 erwiderte er galant. Ach was, Unsinn! Man stirbt erotisch ab man wird alt, Ingenieur." Sie haben Ihre Kinder, Gräfin." Auch die Kinder werden alt und vergessen mich. Es ist nichts mehr zu hoffen. Solange man liebt, ist man�gut. An dem Tage, wo man erotisch stirbt, wird man lebensüber» drüssig. Es bleibt einem nichts man wird böse." Sie haben doch Ihre Unternehmungen, Ihren Ein- fluß. Ihre Macht!" Meine Macht ja wohl!" Sie machte eine kurze Pause und fuhr fort: Es ist dennoch nichts wert. All das, was Sie nicht nannten, ist unwiderruflich verloren. Glauben Sie viel- leicht, ich sei so dumm oder so genügsam, mich mit den ge» zwungcnen Banalitäten des Kapitäns zufriedenzugeben?, Nein, ist man in meinem Alter nicht ausgebrannt, so gibt es andere künstliche Stimulanzen, an denen man zehren kann. Ich muß gepfefferte Gerichte haben, um mir einen Augen» blick die Empfindung zu verschaffen, daß ich lebe. Wissen Sie, worin meine ganze Erotik besteht? Zu meinen guten Priestern zu gehen und ihnen Geschichten zu erzählen, daß die Alten vor Liederlichkeit strahlen und die Jungen in die Erde versinken möchten. Ist das nicht widerlich?" ..Ja!" Haha! wir sind offenherzig, wir beiden! Aber das mag ich gern!" Sie waren daheim. Durch die offene Balkontür im ersten Stockwerk klangen frohe Stimmen und die Töne einer Flöte. Die zahlreiche Gesellschaft war in dem großen Salon neben dem Kabinett versammelt, einem Saale, der ein vor- nehmes Grpräge trug und in reinem Louis-Seize  -Stil gehalten war. Stühle und Sofas standen längs der Wände. Tische gab es nicht, dagegen einen sehr schönen alten Flügel und eine moderne Erardharfe. Sonst war der Raum leer. Als die beiden Kirchengänger eintraten, saß der Gras wohlgemut beim Flügel mitten in einer Schar plaudernder und lachender junger Damen. Man hatte auf die Gräfin ge» wartet, um das Konzert zu beginnen. Es war nämlich ein Ereignis, daß der Graf nach vielen Jahren sein Flötenspiel wieder aufgenommen und mit großem Fleiß ein Trio mit zwei jungen Mädchen eingeübt hatte. Sobald die Gräfin in ihrem Kabinett Platz genommen hatte, mitten auf dem Sofa, das ganz zu dem Tische hin» geschoben war begann man. Der Graf spielte mit ebensoviel Empfindung wie An» strcngung. Aber die Flöte hatte vermutlich zu lange auf dem Dachboden gelegen. Es kam mehr Wind durch die Fugen als durch die Löcher. Sie zischte und pfiff, und heiser war sie auch. Auch der Flügel entsprach in seinem Inneren nicht der prunkenden äußeren Ausstattung. Die geschickte Mandolinenspielerin konnte es daher nicht hindern, daß der Wohlklang des Trios einigermaßen hinter dem offenbar hohen und exnsten Streben der Spielenden zurückblieb.