Der Beifall war indessen so herzlich, wie er es nur sein konnte. Auch Kapitän Vigo, der die Gräfin unterhalten hatte, kam herein, um dem Grafen   Komplimente zu sagen. Als er jedoch Lo Forte sah, machte er den jungen Damen Platz und zog ihn in einen Winkel, um mit ihm zu tuscheln. Und man denke nun, daß ein solcher Mann Ab- geordneter ist und eine ganze Menge Mensch m sich geeinigt haben, ihn zu wählen!" Er ist wohl gerade so, wie die Regierung ihn brauchen kann." Ja, da hast Du es getroffen. Aber zu guterletzt ist doch er es oder richtiger seine Frau, die die Regierung braucht. Und wir bezahlen!" Uebrigens naschest Du ja auch mit," bemerkte der Ingenieur ein wenig boshaft. Und Du!" Wer weiß? Vorläufig beobachte ich." Bei der Madonna, sie glaubt, ich sei verliebt in sie!" Aber Du machst ihr auch die Kur." Du lieber Gott, etwas muß man doch in so einem Kräh- Winkel anfangen. Aber weißt Du, woran sie mich erinnert: an eine alte Negerin! Roh, geil und mit Schmuck überladen! Es fehlt ihr nichts als ein Ring in der Nase!" Ich finde sie in einzelnen Augenblicken unfaßbar schön. Es muß auch mehr in ihr sein, als Du findest. Sonst könnte sie nicht Ettores Mutter sein," sagte der Ingenieur und stand auf, ein wenig angewidert von der Art, in welcher der Kapitän von dem Hause sprach, dessen Gastfreundschaft er genoß. In diesem Augenblick kam der junge Professor Belcaro. Lehrer im Italienischen   am Lyceum, hinzu und bat in seinem fingenden Venetianisch, dem Ingenieur vorgestellt zu werden. Der junge Doktor Renda stand beim Klavier und sang ein Stück aus Sonnambula  : Cari luoghi io vi ravvisol Wer ist das junge Mädchen, das begleitet?" fragte Lo Forte. Das ist ja Bionda, die Nichte des Grafen, die hier im Hause wohnt," erwiderte der Kapitän. Merkwürdig, daß Ettore ihrer nie erwähnt hat. Sie war vergangenen Abend nicht hier." Sie zieht sich sehr zurück oder leistet Crocifissa Gesell- schaft. Aber vielleicht weißt Du auch von dieser nichts?" «Ja, von ihr hat Ettore oft gesprochen. Er liebt seine kleine Halbschwester über alle Maßen." Die Gräfin aber haßt sie. Sie darf sich niemals zeigen. Man erzählt, als ihre Mutter sie geboren und gesehen hatte. daß sie bucklig sei, wollte sie sie erwürgen. Sie betrachtet sie beständig als ein böses Omen. Es heißt ja auch, daß ein buckliges Weib ebenso großes Unglück, wie ein buckliger Mann Glück bringt." Dieser Doktor singt wie ein Hund!" meinte Professor Belcaro. Und ich glaube, er fängt an, an Bionda Gefallen zu finden. In diesem Fall wird er bald abgeschafft sein. Er fällt außerhalb der gräslichen Pläne." sagte Kapitän Vigo geheimnisvoll. (Fortsetzung folgt.)) I�ene erzählungsliteratun Der liebe Gott. Eine Kindheitsgeschichte von Hans von Kahlenberg.  (Vita, Deutsches Berlagshaus, Berlin  -Charlotten- bürg.) Ich habe von Hans v. Kahlenberg(Helene v. Mombart) immer den Eindruck gehabt, daß sie die freie Denkungsart ein bißchen als Sport betreibt. Die heiße Leidenschaft, mit der der Staatsanwalt von Neu-Ruppin   seine verlangenden Arme nach dem armen, wirklich sehr armenNixchen" ausstreckte, teile ich zwar keinesfalls. In- dessen ich vermisse bei der regsamen Autorin jenes Ethos, das jen- seits von aller Sensation steht. Bei vorliegender Leidensgeschichte von der kleinen Martina, die in ihrem feudalen Erziehungsinstitut von sehr frommen, sehr keuschen und sehr beschränkten Stiftsdamen in inneren Zweifel und Zwiespalt geworfen wird, schmeckt der an- spruchsvolle Titel wiederum ein wenig nach Sensation. Andererseits war eS wohl an der Zeit, da es bereits eine erkleckliche Anzahl Ge- schichten von Schülernöten gibt, auch einmal die seelischen Nöte der kleinen Schülerinnen im Roman an die Reihe kommen zu lassen. Im Furor der Tendenz kam es Hans v. Kahlen- berg weniger darauf an, dichterisch zu gestalten, als möglichst schreckbares Material zusammenzutragen und im Stil ihrer Absicht zu verarbeiten. Sie trifft den Kern der Sache, wenn sie mit lob- lichem Mut dem VerheimlichungSshstem zu Leibe geht, mit dem man den, Kinde in Schule und Haus Lügen austischt und eS zu Lügen treibt. Recht lebendig ist die Schilderung all der unzähligen Berschleierungen, mit denen Aebtisfin und Lehrerinnen die suchende Seele der kleinen Martina auf religiösem, geschichtlichem und sexuellem Gebiet irre- führen. Die Seele des Kindes selbst aber hat H. v. Kahlenberg  mehr nach Art der zusammengesetzten Natur einer Erwachsenen ge- staltet. Hier scheint mir manches unnatürlich, überhitzt, ausgetrieben. Ein dreizehnjähriges Mädchen kämpft wohl kaum schon solche religiösen Kämpfe wie Martina. Sie stihlt das alles erst nur undeutlich. Auch drückt sich ein Kind zu einer Lehrerin, für die sie unkontrollierbare erotische Regungen empfindet, kaum so aus:»Ihre Augen sind wie Lichtseen mit goldenen Tiefen, in denen man ertrinkt". Bei vielen Vorzügen hat das Buch den fühlbaren Mangel der inneren Wahr- hastigkeit und Tiefe. Dumala, Roman von E. v. Keyserling.(S. Fischer, Verlag, Berlin  .) Kommt man von der Kahlenberg zu Keyserling  , so muß man erst seine Sinne wieder auf diese vornehme, stille Feingeistigkeit ein- stellen. Der Vergleich drängt sich auf: Dort ziemlich grobfädige Maschinenarbeit, hier alles köstliches Handgewebe. Mag sein, daß nicht jedermanns Auge sogleich die feine Zier erkennt. So soll er eine Lupe nehmen, damit ihn das Filigran der Keyferlingschen Poesie entzückt! Hier spricht ein Mensch von gezüchteter Kultur, hier gibt einer aus dem Edelschrein seines ästhetischen Fühlens. Nicht jene unnatürliche Aesthetik unserer Modernen mit den bizarren Auswüäisen, sondern eben gewachsene Aesthetik, die zugleich Natürlichkeit, Güte und Geist und Adel ist. Und dabei ist Dumala   nicht einmal des Autors stärkstes und bestes Buch. Ab und zu geht ei» Hauch der Schwäche darüber hin. Die Konflikte sind alltäglich. Die ungetreue Frau, die ihrem gelähmten Mann mit einem brutalen Draufgänger davonläuft. Daneben ein sinnenheißer Pastor, der an der Seite eines getreuen, aber nüchternen Hausengels sein Herz zu dieser schönen ungetreuen Schloßherrin ebenfalls entbrennen fühlt. Alle? Dagewesenheiten. Aber wie von silbernen Sommerfäden übersponnen erglänzt diese einfache Geschichte in der Delikatesse des Keyserlingschen Stils. Der Autor, beinahe oder ganz erblindet, besitzt das innere Schauen in erhöhtem Maße. Er setzt Gleichnisse hin von einer erstaunlichen Bildkraft(die Baronin war in eine blanke AtlaSrobe wie in einen Spiegel gekleidet; der Likör schmeckt wie destillierte heiße Junitage), und eine Situation, eine Stimmung weiß er so in ihre eigenste Atmosphäre zu tauchen, daß man sie greifen kann. Dieser Dumala wurde wohl aber nur der Person des gelähmten Grafen wegen ge- schrieben. Eigentlich eine Nebenperson im Gang der Geschichte. Aver wie wächst diese Figur zu Tragik und Größe herauf I Kein Zweifel, hier floß persönliches von des Autors Wesen über, der, selbst ein kranker Mann, sich jene reife Menschlichkeit und weltweise wehmütige Ironie errungen haben mag. die den Grafen schmückt. Und darum gelang ihm auch diese Gestalt so vollkommen, um deretwillen man das ganze Buch liebt. Der Weg inö Freie. Roman von Arthur Schnitzler.  (S. Fischer, Verlag, Berlin  .) Von Keyserling sichren heimliche Fäden zu Schnitzler   hinüber. Der litauische Graf ist verwachsen mit alter Kultur, der öster­reichische Dichterarzt infiziert mit Kultiviertheit. Das gibt bei ihm ähnliche leise und schwermütige Klänge und eine feine Politur der Sprache. Leise Wehmut lagert auch über Schnitzlers Dichtungen, ein feines Lächeln schwebt hindurch. Man merkt wohl, die müde Grazie, die bleiche Lässigkeit ist scharmant beherrschter Stil der Dekadenz, Künstlichkeit, wo Keyserling   auS seinem Blute gibt. Aber die capuanische Kultiviertheit SchniylcrS mit dem vornehmen Schliff macht ihn zu einem liebenswürdigen Autor, auch wo er so schwäch- lich wird wie in diesem neuen Roman. Im Brennpunkt natürlich wieder ein Lebejllngling Georg von Wergenthin, der distinguierte Genießer, dem das Plcbcjertum auf die musikalischen Nerven geht. Neben diesem aristokratischen Komponisten natürlich auch das süße Mädel. Und die obligate Schnitzlersche Liebelei beginnt. Das Mädchen wird Mutter, aber mit dem toten Kinde stirbt auch die Liebe des stark mit Egoismus behasteten Georg von Wergenthin. Daß dieser das traurige Spiel mit Gefühlen abbricht, zu deutsch  , daß er das hingebende süße Mädel sitzen läßt, weil er eine Künstler- seele besitzt, die keine Fesseln tragen kann das ist der Weg ins Freie. Schnitzler   weiß das alles natürlich mit stiller Anmut und reizvoller Dialektik vorzutragen. Aber wir stehen diesem frommen Betrug doch kühl gegenüber. Dieser Lebejüngling, der sich mit so hohen Worten seine Junggesellensteiheit rettet, ist zwar ein Lebenskünstlcr, im übrigen aber sind seine kleinen Empfindungen und sein sogenannter Lebenskampf von einer ver- teufeltcn Banalität. Die Geschichte lebt von ihrer vibrierenden Erotik und der Schnitzlersche» zärtlichen Musik, in der sie vor- getragen wird. Am Ende aber sieht man ernüchtert da? echte Gesicht SchnitzlcrS: das Spielerische seiner Muse. Liebelei, Stcrbelei, Empfindelei, Kämpfelei I Seine Menschen spielen mit allem, selbst mit ihrem Intellekt. Es sind vorwiegend Juden, die um den »Helden" des neuen Romans gruppiert find. Wie sie um die Juden- frage herumsprecheln, und wie an der Tragik des Judentums die Seelen dieser jüdischen Jünglinge in gehobener Lebenslage mit affektierter Wohlredcnheit leiden das alles zeigt Schnitzler   in