DaS ging so zu. An der Universität zu Pisa waren zwei junge freidenkerische Studenten: und als der eine von ihnen auf dem Sterbebette lag, nahm er dem Freunde das Per- sprechen ab, bei seiner Leiche zu wachen, damit nicht die Priester allerlei Hokuspokus mit ihm treiben könnten. Der Freund hielt Wort. Nachts, als die Leiche in der Kirche lag, stellte er sich neben den Sarg und hielt getreulich Wacht. Aber um Mitternacht begann es in der Kirche wie mit Eisenketten zu rasseln und zu klappern, und in dem schwachen Kerzenschein erblickte er vor sich einen garstigen Mann mit Hörnern und Schwanz und Pferdefuß. In kurzen Sprüngen und unter drohenden Gebärden rückte er auf den jungen Mann zu, der ihn nachdrücklich ersuchte, nicht näher zu kommen. Als jener aber keine Vernunft annehmen, sondern dem Studenten kurz- weg an den Leib springen wollte, zog dieser ruhig seinen Re- volver und schoß: Piff, paff! Da lag der Teufel, so lang er war! (Fortsetzung folgt.)! (Nachdruck verdaten. Mutter Sauvage. Bon Guy de Maupassant . Ich war seit fünfzehn Jahren* nicht in Virelogne gewesen. Dann kam ich einmal wieder im Herbst dorthin, um bei meinem Freunde Serba ! zu jagen. Er hatte jetzt endlich sein Schloß wieder aufbauen lassen, das ihm die Preußen damals zerstört hatten. Ich liebe diese Gegend unendlich. Es gibt solche herrliche Erdenwinkel, die förmlich«inen sinnlichen Reiz auf unser Auge ausüben, und für die man ein« Art von physischer Liebe empfindet. Wer überhaupt Sinn für die Schönheit der Natur hat, behält oft irgend eine Quelle, ein Gehölz, einen Teich oder einen Hügel in liebevoller Erinnerung, und wenn er wieder dorthin kommt, ist thm zumute, als ob er hier etwas Schönes erlebt hätte. Manchmal sogar erinnert man sich an eine Waldecke, ein Stückchen Wiese oder an einen schimmernden Obstgarten, den man nur ein einziges Mal an einem sonnigen Tage gesehen hat. Es ist damit wie mit jenen Frauengestalten in hellen, dustigen Toiletten, denen man an einem Frühlingstag in der Straße be« gegnet, und die ein Gefühl von unbefriedigter Sehnsucht in unserm Herzen zurücklassen ein Gefühl, als ob man das Glück im Bor - übergehen gestreift hätte. In Virelogne liebte ich die ganze Gegend, alle diese kleinen Gehölze und die Bäche, die den Boden wie Adern durchkreuzten und der Erde frisches Blut zuzuführen schienen. Ach es war herrlich dort! In den Bächen konnte man Krebse, Forellen und Aale fangen, stellenweise sogar baden, und in dem hohen Gras, das am Ufer dieser schmalen Wasserrinnen wucherte, fand man zuweilen auch Bekassinen. Leichtfüßig wie eine Ziege schritt ich dahin und sah meinen beiden Hunden zu, wie sie vor mir herliefen und nach Wild spürten. Serval ging etwa hundert Meter weiter rechts über ein Lupinenfeld. Als ich die Büsche zur Seite bog, die an der Grenze des Gehölzes standen, sah ich die Ruine einer Bauernhütte vor uns. Und plötzlich erinnerte ich mich, wie diese Hütte damals ausgesehen hatte, als ich im Jahre 186g zum letztenmal hier gewesen war. Sie war ganz mit Weinlaub bewachsen gewesen, und vor der Tür tummelte sich eine Schar Hühner. Kann es einen traurigeren Anblick geben als so eine zerstörte Wohnung, von der nur noch ein kahles, trostloses Skelett stehen geblieben ist? Ich entsann mich auch noch, daß eine gute Bauernfrau mir ein Glas Wein vorgesetzt hatte, als ich von der Jagd ermüdet hierher gekommen war, und da hatte Serval mir von den Bewohnern des Häuschens erzählt. Der Vater hatte gewildert und war dabei von Gendarmen er- schössen worden. Ter Sohn, ein langer, hagerer Bursche, den ich damals auch gesehen hatte, galt ebenfalls für einen rabiaten Wild- dieb. Man nannte sie die Familie Sauvage hießen sie wirklich so oder war es ein Spitzname? Ich rief Serval an, er näherte sich mir mit seinen langen Jägerschritten, und nun fragte ich:Was ist aus den Leuten gc- worden, die damals hier wohnten?" Er erzählte mir ihre Geschichte: Als der Krieg erklärt worden war, ging der junge Sauvage, der damals dreiunddreißig Jahre alt war, zur Armee, und die Mutter blieb allein zurück. Man bemitleidete sie übrigens nicht besonders, denn sie galt allgemein für vermögend. Ganz allein hauste sie jetzt in dieser isolierten Wohnung, die so weit vom Dorf an der Grenze des Waldes lag. Sie hatte je» doch keine Furcht. Sie war von demselben Schlag wie ihr Mann und ihr Sohn eine große, magere, alte Frau und von rauher Gemütsart. Sie lachte selten, und niemand hatte gewagt, sich einen Scherz mit ihr zu erlauben. Die Frauen auf dem Lande lachen überhaupt fast nie, das überlassen sie den Männern. Sie sind f listig beschränkt und werden bei dem einförmigen, freudlosen eben, das sie führen, auf die Dauer ganz melancholisch. Der Bauer selbst gewöhnt sich im Wirtshpus«ine gewisse lärmende Lustigkeit an, aber seine Gefährtin behält immer ihren tiefen Ernst und ihre strenge Miene. Es ist, als ob ihre Muskeln das Lachen niemals gelernt hätten. Mutter Sauvage behielt ihre sonstige Lebensweise unverändert bei. Im Winter schneite ihre Hütte fast ein, und sie kam einmal in der Woche ins Dorf, um Brot und etwas Fleisch zu kaufen. Dann kehrte sie wieder in ihre Höhle zurück. Als es hieß, daß Wölfe in der Gegend seien, ging sie mit bei; Flinte auf dem Rücken aus.. Es war ein altes, abgenutztes, der- rostetes Gewehr, das ihrem Sohn gehörte. So stieg die hochge- wachsene Alte durch den Schnee. Es war ein seltsamer Anblick. Sie ging etwas gebeugt und machte lange Schritte. Der Lauf deS Gewehrs ragte über das schwarze Tuch empor, das sie um den Kopf trug, und das ihre weißen Haare verbarg, die noch kein Mensch je erblickt hatte. Dann kamen eines Tages die Preußen. Sie wurden bei den verschiedenen Dorfbewohnern einquartiert. Man verteilte sie je nach den Vermögensverhältnissen des einzelnen. Da man wußte, daß die Alte reich war, bekam sie gleich vier. Es waren lauter kräftige, große Burschen mit blondem Bart und blauen Augen. Sie sahen trotz der durchgemachten Strapazen sehr wohlgenährt aus und waren gutmütige Jungen, obgleich sie sich im Lande der Besiegten befanden. Sie waren ganz allein mit der alten Frau und zeigten sich äußerst aufmerksam gegen sie, indem sie ihr soviel wie möglich Mühe und Kosten zu ersparen suchten. Am Morgen sah man alle vier am Brunnen Toilette machen. In Hemdsärmeln standen sie da und wuschen, selbst wenn draußen Schnee lag, mit großem Geplätscher ihre rosige, nordische Haut. Mutter Sauvage ging währenddessen hin und her und kochte ihnen die Morgensuppe. Dann reinigten die Burschen ihr die Küche, wuschen die Fliesen auf, spalteten Holz, besorgten die Wäsche und überhaupt alle häus» lichen Arbeiten, wie vier gute Söhne. Aber sie dachte unaufhörlich an ihren eignen Sohn, die hagere Alte mit ihrer großen Hakennase, den braunen Augen und dem dichten, schwarzen Schnurrbart, der sich über ihrer Oberlippe ab» zeichnete. Jeden Tag fragte sie die Soldaten, die sie in ihrem Hause beherbergte:Wißt Ihr nicht, wo das französische Infanterie» regiment Nr. 23 hingegangen ist?" Nein, wir wissen nichts davon," antworteten sie,wir haben eS nie gesehen." Sie verstanden ihre Angst und Unruhe, sie hatten ja selbst ihre Mütter daheim zurückgelassen, und sie umgaben die Alte mit tausend kleinen Aufmerksamkeiten. Und Mutter Sauvage gewann ihre vier Soldaten auch sehr lieb, obgleich eS ja eigentlich ihre Feinde waren. Die Bauern wissen nichts von patriotischem Haß, den überlassen sie den oberen Klassen. Sie selbst verstehen nichts von dieser kriegerischen Begeisterung, von den empfindlichen mili» tärischcn Ehrbegriffen und der angeblichen, polittschcn Notwendig» keit, innerhalb eines halben Jahres zwei Nationen die siegreiche sowohl wie die unterliegende zugrunde zu richten. Und doch verlieren sie am meisten dabei, weil sie am wenigsten besitzen. Jede neue Steuer drückt sie fast zu Boden, sie müssen sich massenweise dahinmorden lassen, denn sie bilden das eigentliche Kanonenfutter, weil sie die größte Zahl vertreten und leiden überhaupt am grau» samsten unter dem schauerlichen Elend, da» der Krieg mit sich bringt, weil sie die Schwächsten sind und keinen Widerstand zu leisten vermögen. Wenn man in der Gegend von den deutschen Soldaten sprach, die bei Mutter Sauvage einquartiert waren, so hieß eS:Nun, die vier haben ein warmes Plätzchen gefunden." Eines Morgens, als die Alte allein zu Hause war, erblickte sie von ferne einen Mann, der über die Ebene auf ihre Wohnung zukam. Bald darauf erkannte sie �hn auch, es war der Fußsoldat. der die Post auszutragen hatte. Er gab ihr ein zusammengefaltetes Stück Papier , und sie zog ihre Brille, die sie immer zum Nähen brauchte, aus dem Futteral und las: Frau Sauvage ich habe Ihnen eine traurige Nachricht mit» zuteilen. Ihr Sohn Viktor ist gestern gefallen. Die Kugel hat ihn buchstäblich in zwei Stücke gerissen. Ich war ganz in der Nähe wir standen nämlich in der Kompagnie nebeneinander. Er hat mir von Ihnen gesprochen und mich gebeten, Sie zu benachrichtien, wenn ihm etwas zustoßen sollte. Ich habe die Uhr aus seiner Tasche an mich genommen, um sie Ihnen zu bringen, wenn der Krieg zu Ende ist. Cesar Rivost, Soldat zweiter Klasse beim 23. Infanterieregiment." Dem Datum nach war der Brief vor drei Wochen geschrieben. Mutter Sauvage konnte nicht weinen. Sie war wie versteinert, der jähe Schrecken Hatte ihr fast den Verstand geraubt, und sie war für den Augenblick nicht einmal imstande, ihren Kummer zu be- greifen. Nun ist Viktor tot," dachte sie. Nach und nach kamen ihr Tränen in die Augen, und der Jammer schnürte ihr das Herz zu- sammen. Und dann kamen die Gedanken über sie, einer schreck- licher und quälender als der andre. Sie sollte ihr Kind, ihren großen Jungen, nie wieder in die Arme schließen. Die Gendarmen hatten den Vater umgebracht, und nun hatten die Preußen auch