Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 137. Sonnabend, den 18� Juli. 1908 u) JMafia» �Nachdruck verboten.) Roman aus dem modernen Sizilien von Emil Rasmussen. Angela brachte rasch ein Gespräch in Gang. Er war seit der Kinderzeit mit ihnen bekannt, und an Gesprächs- stoffen war kein Mangel. Mitten darin fiel es der Pedellfrau ein, sie wollte doch wohl lieber ihren Mann abholen. Rusiddas Mutter wollte sie absolut begleiten. Auch Rusidda erhob sich, sie nahm es als selbstverständlich an, daß sie mit einem jungen Manne nicht allein bleiben dürfe, selbst wenn sie ihr ganzes Leben Tür an Tür gewohnt und als Kinder miteinander gespielt hätten. Aber die Mutter sagte: Bleib Du nur hier! Wir sind gleich wieder dal" Rusidda begriff die Mutter nicht, die ihr sonst lange Strafpredigten hielt, wenn sie nur ein wenig freundlich mit einem der jungen Burschen sprach. Aber sie fürchtete sich nicht, mit Angelo allein zu sein. Ihre einzige Furcht war, daß die Mutter entdecken könne, wie glücklich sie sei. Gerade in dieser letzten Woche hatte Angelo ihre Phan- taste beherrscht. Am St. Johannestage hatte sie sich wie die anderen jungen Mädchen ihren künftigen Bräutigam weis- sagen lassen wollen. Sie hatte ein wenig geschmolzenen Schwefel in kaltes Wasser getropft, und er war zu einem kleinen Kuchen erstarrt, der nach der einen Seite zu unregel- mäßige Zweige schoß. Die jungen Weiber auf dem Platze hielten es für eine Hacke. Ihr Mann würde wohl ein Bauer oder vielleicht ein Minenarbeiter sein. Für Rusidda bedeutete dies Resultat eine Enttäuschung. Sie sagte nichts, aber während sie tagsüber bei ihren Eiern saß und auf Kunden wartend vor sich hinsah, dachte sie daran. ob es nicht auch ein Ingenieur sein könnte. Der gebrauchte ja auch eine Hacke — gewissermaßen. Diese Vermutung hielt sich jedoch nur bis zum nächsten Morgen, als Angelo bei ihr stehengeblieben war und ganze fünf Minuten freund- lich mit ihr sprach. Da wurde es ihr— nicht zur Ueber- zeugung, sondern zur fixen Idee, die sie nicht loswerden konnte noch wollte— daß der erstarrte Kuchen mit den sonder- baren Strahlen auch eine Grafcnkrone bedeuten konnte. Und nachts lag sie wach, Angelo in ihren Gedanken. Nun saß sie allein mit ihm beisammen bei dem schwachen Licht eines Oeldochtes. Sie merkte, wie ihr ganzer Körper leise bebte: aber es war ihr nicht unangenehm. In Angelos Benehmen war auch nichts, das Furcht ein- flößen konnte. Er sprach unaufhörlich, so daß man beinahe betäubt wurde von all dem Reden. Zuerst waren es die Vorbereitungen zum San Calogerofeste. Dann kam er aus die schmeichelhaften Aussprüche einiger Freunde über Rusiddas Schönheit zu sprechen— die sie als unrichtig abwehren mußte. Aber Angelo behauptete, seine Freunde hätten Recht. Er zog Vergleiche zwischen ihr und den anderen jungen Mädchen des Stadtviertels— und diese Beweisführung konnte Rusidda nicht widerlegen. Sie mußte einräumen, daß jede ohne Aus- nähme einen Fehler hatte— selbst im Vergleich mit ihr. Dichter und dichter hüllte seine einlullende Rede sich um sie, wie weiche Seide, wie ein warmer Lufthauch aus einem blühenden Fruchtgarten. Nur von ihr sprach er, pries ihre Augen, verfiel in Entzückung über ihren Mund, ihre weißen Zähne. Sie widersprach ihm erst, als er ihre braunen Arbeiter- Hände schön fand. Da aber legte er diese kleine Hand in die seine. War sie nicht schmäler als die seiner Schwester, die doch adelig war? Und ihr Handgelenk, ihr runder Mädchenarm... Seine Hand erkühnte sich, prüfend, be- wundernd den Arm hinaufzuschleichen. Sie fühlte mit einem Schauer, wie diese dreiste Hand behutsam ihre Schultern um- faßte, während er, halb vor ihr aufs Knie sinkend, ihr mit Händedrücken, Blicken und Stimme zujubelte:„Rusidda! Meine Rusidda!" Sie wußte nicht, wie es kam, daß er mit einem Male auf ihrem Schöße saß. so daß sie sich nicht rühren konnte. seine Arme sie umschlangen und sein Mund sich auf den ihren preßte. Ihr schwacher Widerstand war gelähmt— sie konnte nichts tun, als sich seinen erstickenden Küssen hingeben. Ohne ihre Lippen zu lassen oder seinen Griff zu lockern. erhob er sich langsam, und erst als er ihre eigene Sehnsucht an seiner Brust beben fühlte, so reif, so stark, daß sie selbst zugreifen mußte, da ließ er sie eine Sekunde fahren und warf den Nacken zurück:„Rusidda, küsse mich!" Das Feuer war entzündet. Eine zur Liebe gereifte Sizilianerin stand in Flammen. Wie im Krampf preßten sich ihre Arme um seinen Nacken. Ihr Mund sog sich an sein Antlitz, biß sich in seinen Lippen fest. Ihre spielende Zunge bohrte sich in seinen Mund— geschehe, was da wolle! Schritt für Schritt, an ihn geklammert, wich sie zurück, bis sie auf den Rücken über das breite Bett fiel. Dieser Fall löste eine plötzliche Angst aus. „Mutter kann kommen!" „Sie kommen nicht. Sie wissen es!" Sie erhob sich auf dem Ellbogen und starrte ihm mit entsetzten Augen ins Gesicht. „Mutter weiß es?!" „Ja! Du sollst ja mein Weib werden, Rusidda!" „Aber Lidda! Du bist ja verlobt!" „Ich habe es heute abend aufgehoben! Ich will nur Dir gehören! Dir! Dir!" Heiße Küsse mußten als Siegel des Gelöbnisses dienen. „So bekomme ich Dich also?" „Ich bin Dein, ganz, ganz Dein!" Ein herber Dunst schweitzgetränkter Kleider, ein heißek Geruch ihres Körpers füllte seine Nasenlöcher und machte seine Sehnsucht wild. Und ihr Begehren prallte zusammen wie gewaltsam mit- einander ringende Naturkräfte. Wie die Rosenknospe in tauschwangercr Nacht aufbricht und ihre Pracht der erwachenden Sonne öffnet, so geschah Rusiddas Einweihung in das Liebcsleben: ein bebender Rausch, der den Schmerz betäubte, ein Blick in eine Welt, in der alles neu geworden.— „Oh! Calogero! Guten Abend!" scholl PamfoS Stimm» laut vom Platz herauf. „Das ist der Vater!" flüsterte Rusidda, vor Schreck versteinert. Angelo fuhr auf und tappte nach seinen Kleidern. Zugleich hörten sie die Äußentllre gehen, und beide Weiber kamen hereingestürzt. „Verstecken Sie sich unter das Bett, Herr Graf! Sonst sind wir alle verloren. Calogero ist hier!" Aber Angelo war nicht der Mann, der sich auf Abenteuer einließ, ohne einen Rückzug ausfindig gemacht zu haben. In dem Glauben.daß Calogero schon auf der Treppe sei, öffnet« er das Fenster und ließ sich über das Halbdach hinabgleiten. Er fiel mit einem Plumps auf den Boden, ohne Schaden zu nehmen und setzte über den öden Platz, der fast im Dunkel lag. „Was war das?" rief Calogero, den Pamfo mit vielen Worten zurückgehalten und in die Stadt zu ziehen versucht hatte.-...-ij «Bleib hier!" sagte Pamfo.„Was man nicht gesehen. kann man nicht bezeugen. Wahrscheinlich war es einer, der in der Schule stehlen wollte." i „Möglich", murmelte Calogero.?,Aber ich will hinauf und nach den Weibern sehen." „Ich gehe mit!" Unterdessen hatten die beiden Weiber das Bett in Ordnung gebracht, während Rusidda sich ankleidete. Die Frau des Pedells warf noch einen Rock darüber. Aber es war doch besser, den Docht zu löschen. „Seid Ihr hier?" fragte Calogero. „Ja!" antworteten Mutter und Tochter. „Mein Mann ist heute zur Orchesterübung: darum bat ich sie, herzukommen und mir Gesellschaft zu leisten. Wir dachten nicht, daß Du heute abend von der Campagna heim- kämest." „Ihr sitzt im Dunkeln?" „Leider Gottes! Das Oel ist ausgebrannt, und ich habe keines mehr im Hause." l»Ist Angelo hier gewesen?"
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25 (18.7.1908) 137
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