554

Hierauf zischte sie einen Strom von Fragen hervor, die sich überstürzten und auf die Silvia keine erschöpfende Ant­wort zu geben wußte.

Letterio wurde hereingerufen und bewegte sich zwischen ben Stühlen wie ein Weltmann.

-

Er erhielt die Aufgabe, vor allem das junge Mädchen durch Lüge oder Wahrheit, List oder Gewalt zur Gräfin zu bringen und sodann Pamfo ausfindig zu machen, den die Gräfin im Laufe des Nachmittags unbedingt sprechen mußte. Letterio, der begriff, daß er hier an einer hochwichtigen Angelegenheit beteiligt wäre, machte mit geläufiger Zunge die Gräfin aufmerksam, welche bedeutende Stolle er bereits bisher gespielt hatte.

Was das Mädchen betrifft, vertrauen Sie mir! Ci Ei penso io!"

Mit langen Schritten verließ er das Zimmer. In der Türe verbeugte er sich mehrere Male.

Zehn Minuten später führte er die zitternde verweinte Assunta in das Kabinett.

Fortuna einen Lotteriegewinn von dreihundert Mark in den Schoß geworfen hatte, war es sofort beschlossene Sache gewesen, daß dies Geld nur zu einer Urlaubsreise ins bayerische Hochland verwendet werden dürfe. Denn das bayerische Hochland hatte es ihm nun einmal ganz besonders angetan, nicht sowohl um seiner schönen Berge als vor allem um seiner Bewohner willen. Adolf Brand­guten Bekannten sein würde, denn er konnte dort ja nur Gestalten ftötter hatte die sichere Empfindung, daß er unter ihnen wie unter begegnen, die ihm aus den Geschichten von Marimilian Schmidt und Ganghofer sowie von den Gastspielen der Schlierseer " und Tegernseer" her vertrauter waren als die Passanten der Berliner Friedrichstraße. Der Jager", der Wilderer, der allzeit rauf­lustige" Bua" mit der herausfordernden Spielhahnfeder auf dem Lodenhut und den gemsledernen Kniehosen, vor allem aber das taufrische, jodelnde, schuhplattelnde und jederzeit zum Bufferin" aufgelegte" Dearndi" fie alle hatten es ihm angetan mit ihrer urwüchigen, biederen Natürlichkeit, ihrer von allen Schilderern des oberbayerischen Volkslebens überschwenglich gepriesenen Herzensgüte und echten Liebenswürdigkeit. Das Herz mußte einem ja aufgehen im Verkehr mit diesen fernhaften, unverdorbenen Menschen! Und wenn er gar erst an das Fensterin" dachte- an die holde Romantik poesiedurchtränkter Sommernächte in ein­samen Sennhütten auf hochgelegener Almoh, es war beinahe Und doch war es nun Wirklichkeit geworden, insoweit Tagen mitten im bayerischen Gebirge befand, in einer der meist wenigstens, als sich der Geheime expedierende Sekretär seit zwei besuchten Sommerfrischen, deren herrliche landschaftliche Schön­heit mit ihren Wäldern und Seen und troßigen, schroff ansteigenden Bergen alle Erwartungen Adolf Brandstötters weltenweit hinter fich ließ. Nur in bezug auf die Bevölkerung fühlte er sich einst­weilen noch nicht vollständig befriedigt. Die" Bua'm" schienen ihm nicht ganz so schneidig und die" Dearndin" nicht ganz so taufrisch und Boltsstücken. Die Biederkeit der Wirte und Geschäftsleute wie ihre herzgewinnenden Abbilder in den oberbayerischen Romanen dünkte ihm nicht ohne eine fleine Beimischung von Schlauheit und Gewinnsucht, wie er sie bis dahin nur im fulturbeledten Flach­lande für möglich gehalten hatte, und nach einer Gelegenheit zum FensterIn" hatte er in diesen zwei Tagen durchaus vergeblich Um schau gehalten. Aber von Entmutigung war er um dieser kleinen Enttäuschungen willen einstweilen noch sehr weit entfernt. Er war verständig genug, sich zu sagen, daß man die Vorzüge einer Be­völkerung nur da suchen dürfe, wo diese Bevölkerung noch nicht durch die allzeit innige Berührung mit fremden Elementen ver­dorben worden sei. Und deshalb begann er am dritten Tage

Hier sehen Sie Angelinos Mutter, die sich gesehnt hat, Sie zu sehen." Mit diesen Worten stellte Letterio fie vor. Gräfin Lucia stürmte ihr entgegen und hieß sie mit un- au schön, um leibhaftige Wirklichkeit zu werden. gestümen Liebkosungen willkommen.

Letterio fühlte sein Ansehen wachsen und war tief ent­täuscht, als die Gräfin ihn sich zurückziehen hieß.

Aus dem Salon herein tönte ungestört das Harfenspiel. Die beiden da drinnen hatten nicht bemerkt, was sich im Ka­binett zutrug.

Die Gräfin entfaltete den ganzen Charme, der ihr zu Gebote stand, wenn sie wollte. In wenigen Augenblicken befand Assunta sich in ihrem Zauberkreise und fühlte sich traulich wie daheim. Man bot ihr Speisen und Wein. Aber sie vermochte in dieser sizilianischen Hiße nicht zu essen, und erquickte sich bloß an einem Glas frischer Limonade. Da­gegen wollte sie sich gerne nach der Reise ein wenig waschen. Die Gräfin führte sie in ihr Schlafgemach. Während Assunta ihren Kleiderleib abnahm und sich zu waschen begann, nahm die Gräfin auf einem Buff Blak, sah ihr zu und sprach dabei unaufhörlich.

"

,, Angelo hat schon längere Zeit auf Sie gewartet!" " Ja, aber er telegraphierte ja, ich sollte nicht kommen... Streifzüge in die weitere Umgebung zu unternehmen, fest über-. Ich dachte, es sei vorbei, er habe sich verlobt."

Das ist längst vorüber. Es war nichts als eine flüchtige Verliebtheit. Er wird entzückt sein, Sie zu sehen, wenn er heute abend heimkommt."

,,,

" D, wie glücklich fie mich machen!" Sie mußte zur Gräfin hin, fich an ihren Hals zu werfen.

" Und ich Törin, die ich glaubte, ich müßte hierherreisen, um zu weinen, um zu sterben!"

Um glüdlich zu werden, Kind. Laß uns Du zu ein­ander sagen, willst Du? Du bist ja nun meine Tochter." Sie faß auf der Gräfin Schoß und liebkoste deren Gesicht, während Freudentränen ihr aus den Augen quollen. Plötzlich stand sie auf.

"

Es ist hier so entseßlich heiß. Daheim pflege ich mich über den ganzen Körper zu waschen, wenn es heiß ist." Aber kleide Dich doch aus, Kind. Es wird Dir nach der Reise wohl tun. Ich ziehe die Gardinen vor."

Silvia trat ein und meldete, es sei ein Mann da, der mit der Gräfin zu sprechen wünsche. Sie entschuldigte sich für einen Augenblick und ging hinaus, um sich mit Bamfo zu besprechen, der dahergestürzt war, gespannt von Neugierde und Diensteifer.

( Fortsekung folgt.),

( Nachdruck berboten.)

Der Holzknecht.

Humoreske von Reinholb Ortmann.

Der Geheime expedierende Sekretär und Kalkulator im Handelsministerium Adolf Brandstötter fühlte sich so glücklich, wie es einem Menschen zukommt, der einen lange gehegten Herzens­wunsch zur schönen Wirklichkeit werden sieht. Als ein mit Spree­wasser getaufter Sohn der norddeutschen Tiefebene, schwärmte Adolf Brandstötter von jeher für das Gebirge, deß er bis vor zwei Tagen nur in den bescheidenen Miniaturausgaben der Märkischen Schweiz und der Rüdersdorfer Stalfberge kennen gelernt hatte. Einen Sommer inmitten richtiger, mehr als hundert Meter hoher Berge zuzubringen, war seit Jahren die heiße Sehnsucht seiner Seele gewesen, und als ihm im Frühling dieses Jahres Frau

zeugt, daß sich der verderbliche Einfluß jener fremden Elemente höchstens auf eine halbe Stunde im Umkreis der Sommerfrische erstrecken könne.

Und siehe, sein Vertrauen wurde belohnt. Schon bei der ersten Wanderung stieß er auf einen faul am sonnenbeschienenen Berghang hingerätelten, baumlangen Menschen, der seiner äußeren Erscheinung nach ohne weiteres als riesenstarker und dabei bis zum Zerschmelzen weichherziger Holzknecht in einem Repertoirstück wie ein Ginghalese, trug einen wild aussehenden schwarzen Bart, der Schlierseer hätte auftreten können. Er war braungebrannt eine verschliffene Joppe und noch verschlissenere Lederhosen, unter denen die gebräunten nie nadt zum Vorschein kamen, Waden­stuben, Nagelschuhe und alles, was sonst zu einer Jdealgestalt nach Adolf Brandstötters Sinne gehören mochte.

Natürlich zögerte der Geheimsekretär keinen Augenblick, von feiner glücklichen Entdeckung zu profitieren. freundlich an. Sie sind Ihres Standes Holzknecht nicht Grüß Gott, werter Bua!" redete er den Hingestreckten

-

wahr?" blinzelte der Angeredete mit herzgewinnender Schelmerei zu dem Ohne die furze Jagdpfeife aus dem Munde zu nehmen, Frager auf. Seine Antwort aber bestand nur in einem bes stätigenden Kopfniden. Und er nichte auch nur, als Brandstötter höflich um die Erlaubnis bat, sich ein wenig an seiner Seite niederlassen zu dürfen.

Sagen Sie mal, Bua, gibts hier herum feine Alm mit nieda lichen Sennerinnen?" eröffnete der Fremdling die Unterhaltung. Der Holzknecht aber schüttelte den Kopf.

Na dös grad nöt. Aber an Einödhof mit bliksaubre Madeln. Da heroben liegt er."

Alle Wetter! Bliksaubere Madeln sagen Gie? Da fann man also fensterin?"

Warum denn dös net? Wanns a Schneid ha'm, kimmens nur nach Dunkelwerden auffi!"

"

Großartig! Sie find ja ein Prachtbua, verehrter Holzknecht! Wollen Sie eine Zigarre? Nein! Na, dann werde ich mich schon auf andere Art erkenntlich zeigen. Also heute abend? Aber Sie müssen mich hinführen, damit ich auch an das richtige Fenster komme. Uebrigens, es ist doch nicht gefährlich?"

Ah na! Nöt, wann i aufpaß." Aufpassen wollen Sie auch noch? sagen, daß die Romandichter übertreiben. Sie sind ja eine Seele Und da soll noch einer von einem Bua'm. Und das Madel ist wirklich hübsch?" Sauber, sag i."

Wie heißt's denn?