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Cenzi."
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Gefensterlt" aber hat der Herr Geheimsekretär nie wieder, " Famos wie in meiner Lieblingsnovelle von Maximilian und seinen Urlaub verbringt er jegt immer in der Märkischen Schmidt. Also abgemacht! Wollen wir uns um neun Uhr hier Schweiz . treffen, Bua?"
Der Holzknecht nidte wieder. Und der Geheimfekretär empfahl fich, um sich drunten in seinem Gasthof durch eine ausgiebige Abendmahlzeit für die bevorstehenden Abenteuer zu stärken. Pünktlich zur verabredeten Stunde war er wieder zur Stelle, und seine Leise Befürchtung, daß es dem Holzknecht vielleicht nur darum zu fun gewesen sei, ihn zu hänseln, erivies sich als unbegründet. Der Biedere hatte ihn vielmehr schon erwartet, und ohne viel Worte zu machen, ging er vor ihm her, um ihm den Weg zum Einödhofe zu weisen. Das war nun freilich ein ganz verteufelter Weg, der den des Steigens ungewohnten Großstädter in der drückend schwülen Gewitterluft manchen Seufzer und ungezählte Schweißtropfen toftete. Er war ganz außer Atem und feine Knie zitterten, als fie endlich auf der halben Berghöhe den Hof mit seinem ftattlichen Wohnhause vor sich liegen fahen. Ein Hund schlug dumpf bellend an, aber ein Zuruf des Holzknechts brachte ihn sofort zum Schweigen. Aus dem finster geballten Gewölf aber, das den abendlichen Himmel bedeckte, fielen bereits die ersten schweren Tropfen.
Herrn Adolf Brandstötter war's nicht mehr ganz behaglich zu Ginn, und wenn er sich nicht vor seinem hochherzigen Führer geschämt hätte, würde er von dem romantischen Abenteuer vielleicht lieber Abstand genommen haben. Aber dazu wars jeht zu spät; denn der baumstarke Holzknecht schleppte bereits eine lange Leiter Heran, die er vorsichtig an eines der merkwürdig kleinen Fenster des oberen Stockwerts anlegte.
" Da droben schlaft d' Cenzi", flüsterte er. Nu frageln's halt auffi und pochen's an."
Mit größter Behutsamkeit flomm Adolf Brandstötter Sprosse für Sprosse empor, und obwohl ihm das Herz vor Bangigkeit schier Bum Berspringen flopfte, pochte er doch zulekt mutig an das geschlossene dunkle Fenster.
"
A bißl mas stärker!" mahnte der treue Wächter.' s schlaft Halt fest, die Cenzi. Und wann's nöt aufwacht, so tun's nur das Fenstert auf!"
Da auch das stärkere Klopfen vergeblich blieb, leistete der Sekretär mit Todesverachtung diesem Rate Folge, stieß das leicht nachgebende Fensterchen auf und stedte den Kopf hinein. Eine erstidend warme, dumpfige Luft schlug ihm entgegen, und als er in zärtlich schmeichelndem Tone den Namen der gesuchten Cenzi xief, antwortete ihm aus finsterer Tiefe ein Laut, den er unter anderen Umständen für den verträumten Seufzer einer schlafenden Kuh gehalten haben würde. Er neigte sich weiter vor, und als feine Augen sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt hatten, mußte er zu feiner grenzenlosen Enttäuschung inne werden, daß es in Wirklichkeit nichts anderes als ein Ruhstall war, in den er da aus schwindelnder Höhe hinabblickte. Wütend zog er den Kopf zurüd, um seinen tüdischen Führer zur Rede zu stellen; aber im Lichte eines eben grell aufzudenden Blitzstrahles mußte er die weitere fürchterliche Entdeckung machen, daß der Holzknecht verschwunden war und daß statt seiner ein mächtiger Bernhardiner am Fuße der Leiter Posto gefaßt hatte, mit unheimlich drohendem Geknurr zu dem nächtlichen Eindringling emporschauend.
Geographifche und kulturelle Streifzüge durch die Eiszeit.
I.
Wenn wir von der Eiszeit reden, so meinen wir damit einen Abschnitt der älteren Diluvialzeit( wörtlich:„ Ueberschwemmungszeit", die der heutigen Erdperiode unmittelbar vorangehende), in den die größte Verbreitung der Gletscher fällt. Sie hängt aufe engste mit flimatischen Verhältnissen zusammen. Während vor noch nicht langer Zeit die Jünger der Klimakunde oder vielmehr der Geologie annahmen, daß in den ältesten Perioden der Erdgeschichte keine klimatischen Unterschiede existierten, wenigstens bis zur Kreidezeit nicht, und daß während der Kreideperiode und dem Tertiär höhere Mitteltemperaturen herrschten als jetzt, haben wissenschaftliche For schungen in neuerer Zeit den Nachweis geliefert, daß während der älteren Diluvialzeit zweifellos viele Orte eine niedrigere Mittel temperatur hatten als heute.
Welches ist nun der Charakter dieser Epoche, deren Dauer von den verschiedenen Forschern sehr verschieden angegeben wird, von den einen für das Rhonegebiet auf 12- bis 16 000 Jahre, für Nord amerika auf 10 000, von anderen auf 20 000 Jahre. Jm großen und ganzen läßt sich als Charakter der Diluvial- Eiszeit zusammenfassen: das Vorrücken von Eismassen von den Polen nach dem Aequator hin, von den Bergen in die Ebenen! Mächtige Gletscher hingen an den Wänden unserer Hochgebirge herab, gewaltige Eistafeln schoben sich in Europa bis an den Rand der deutschen Mittelgebirge , in Nordamerika bis weit in das Talgebiet des Mississippi vor.
Gehen wir nunmehr zur diluvialen Gletscherverbreitung, alfo zu der geographischen Seite unseres Themas über, so ergibt sich die Tatsache, daß wir die Gletscher zum Teil da zu suchen haben, tvo fie auch heute, in engeren Grenzen freilich, zuhause find. In un gemein fesselnder und übersichtlicher Weise hat Antel in einer längeren Studie über die Eiszeit unter sorgfältiger Benutzung eines umfangreichen Materials die überaus schwierige Frage behandelt. Wir folgten feinen Ausführungen, sie hier und da durch uns note wendig erscheinende Erklärungen ergänzend. Die Diluvialgletscher fanden sich in Europa zum Teil in den Ländern, in denen wir sie auch heute noch finden, in dem Alpengebiet, das Haupt sächlich die Kenntnisse der Merkmale der Eiszeit lieferte, in den Pyrenäen , den flandinavischen Gebirgen, zum Teil aber auch in Gegenden, in denen fie zurzeit fehlen: in den höheren Mittelgebirgen( Cevennen, Vogesen , Schwarzwald , Böhmerivald, Karpathen) und den Flachländern( ger manische Tiefebene, osteuropäisches Flachland). Es will scheinen, als sei die diluviale Vergletscherung nur eine Steigerung des heutigen Borganges, als feien die Faktoren, die gegenwärtig zur Gletscherbildung führen( entsprechender Kältegrad, Niederschläge), damals in verstärktem Maße wirksam gewefen. Lange hat es gedauert, bis die Wissenschaft zu dieser Erkenntnis tam. Es ist vor allem, wie bemerkt, das nach und nach sich erweiternde und vertiefende Studium der Gletscher in der Alpenwelt, das den richtigen Weg gebahnt hat. Geheimnisvoll erschienen die erratischen Blöcke der Gebirge und Ebenen. Dort konnte nicht ihre Heimat sein, wo man fie fand, aber wer hatte sie gebracht? Welche Kraft war imstande, nor wegische Granitblöcke nach Norddeutschland zu verpflanzen? Die wirren Anschauungen, die über die klimatischen Verhältnisse der Vorzeit gang und gäbe waren, das verhältnismäßig geringe Maß paläontolo gischen*) Wissens, die ungenügende Erforschung der Gletscher der Gegen wart und ihrer meteorologischen Werdebedingungen, die Neigung, hinter merkwürdigen Erscheinungen auch wunderbare Ursachen zu suchen: alles dies war naturgemäß wenig dazu angetan, Licht in das eiss zeitliche Dunkel zu bringen. Die wissenschaftliche Erkenntnis schreitet räumlich und zeitlich nur langsam vorwärts, vom Nahen zum Fernen, von der Erscheinung zum Gesetz, der Form zum Inhalt. Auch der Entwickelungsgedante hat sich allmählich Bahn gebrochen. Wie gern war man sonst bereit, in die Lücken der Wissenschaft Katastrophen der Natur zu schieben. Gewaltige Wafferfluten sollten, den Gefeßen der Schwerkraft entgegen, die fremden Blöcke herangesehvemmt haben. Unhaltbare Ansicht! Aber gerade die fruchtbare Gletschertheorie, bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Playfair für die Schweiz verkündet, von Beney, Bernhardi, Charpentier unterstügt, von yell mit der Drifttheorie bekämpft, erlangte erst in neuerer Zeit durch Torell allgemeine Anerkennung. Bon Skandinavien, Finnland , Ale Brandstötter mit Hilfe des menschenfreundlichen Schau- Nordsee hinweg, drangen die Gletschermassen nach Silben und Südden baltischen Provinzen, über die feichte, eiserfüllte Ostsee und spielers glüdlich wieder auf den foliden Erdboden gelangt war, westen vor, bedeckten Norddeutschland und einen Teil der russischen erfuhr er, daß Caspary alljährlich hier auf dem Einödhofe in
Eine Minute später brach der Plazregen los, und unter Donner und Blib, vor Nässe, Kälte und Herzensangst am ganzen Leibe zitternd, verbrachte Adolf Brandstötter die fürchterlichte Stunde seines Lebens. Er wagte um des Hundes willen ebensowenig seinen exponierten Standpunkt zu verlassen, als er um Hilfe zu rufen wagte. Aber als das Gewitter sich verzogen hatte, als ihm die Aussicht winkte, die ganze, jekt bittertalt gewordene Nacht in seinen durchnäßten Kleidern hier oben zu verbringen, da siegte der Trieb der Selbsterhaltung über die Furcht vor einer Tracht Prügel und er begann zu rufen.
Noch zehn bange Minuten bergingen, dann zeigte sich eine menschliche Gestalt im langen Schlafrod.
Wer ruft da?" fragte im schönsten nordischen Hochdeutsch eine sonore Stimme. Was machen Sie denn da oben auf der Leiter, Verehrtester?"
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,, Gott sei Lob und Dank ein Landsmann!" brach es aus Adolf Brandstötters Herzen. Möchten Sie nicht so gut sein, den Hund zu rufen, verehrter Herr, damit ich hinunter kann?" " Barry, hierher! Aber wie ist mir denn? Die Stimme sollt ich doch kennen. Sind Ste's wirklich, Serr Brandstötter?" " Freilich bin ich's. Aber mit wem hab' ich das Vergnügen?" " Ja, erkennen Sie mich denn nicht? Ich bin der Schauspieler Caspary. Hatte doch an Ihrem Stammtisch wiederholt das Vergnügen. Aber ich habe mir freilich in den Ferien den Bart wachsen Lassen da mochte es Ihnen wohl schwer werden, mich hier bei Ser schlechten Leleuchtung gleich zu erkennen."
nervenſtählender Einsamkeit seine Ferien zu verbringen pflege, Tiefebene bis an den Dnjepr und die obere Wolga und lagerten in und er machte gleichzeitig die Wahrnehmung, daß der Künstler eine diesen Gebieten als Grund- und Endmoränen, zertrümmertes und verzweifelte Aehnlichkeit mit dem freundlichen Holzknecht habe. zerriebenes Gesteinmaterial ab. Ebenso tamen ben deu Alpen Gis. Aber behielt diese Wahrnehmung hübsch für sich. Und nachdem er ströme herunter, erfüllten die Täler und einen breiten Gürtel der noch erfahren hatte, daß man auf einem sehr kurzen und bequemen Wege von hier in das Dorf hinabgelangen könne, machte er sich
*) Paläontologie= Lehre von den Lebewesen früherer Erd
nach kurzer und etwas kühler Danksagung cilenden Fußes davon. perioden.