— 602— jrfftg, und kchrken dann mit dem nach der Stadt ziehenden Strome zurück. Auf dem Korso scharten sich die Bauern und Gruben- arbeiter mit ihren Samtjacken und kleinen Baretts oder den traditionellen hängenden Mützen, die aussahen wie ein arabischer Fes, der den Islam abgeschworen hat und ge- tauft ist. (Fortsetzung folgt)] (Nachdruck verliolen.j 71 Du sollst nicht begehren! Von Timm Kröger . V. GotteS- und Menschendienst. Und er stand auf der Kanzel und predigte:„Latz dich nicht ge. lösten I" Nun konnten sich alle von dem Seher vorausgesagten Wunder ereignen. Heinrich predigte kräftig und gewaltig, innerer Eifer war vorhanden und auch die äutzeren Mittel. Und voll und langsam rollte seine Stimme durch die Gewölbe. Darin hatte sein Freund recht: die Augen, die aus jungen, frommen Mädchenköpfen zu ihm aufschauten, wenn er auf der Kanzel stand, waren so übel nicht. Heinrich Bruhn aber lietz sich nicht gelüsten, die am geheiligten Ort gehegten Gedanken mit irdischem Begehren zu beschweren. Wekin er auf der Kanzel stand, war er mehr als je des Geistes voll. Er bog alles auf die eine Wurzel alles Bösen zurück: Du sollst nicht begehren! Und einen solchen Gottesstreiter sollten ein paar Dutzend Mädchenaugen besiegen? Er predigte einmal, er predigte zweimal und blieb fest. Aber er träumte sich in keine Siegesstimmung hinein.— Noch war sie nicht dagewesen.„Wie wird dir sein," fragte er sich,„wenn ihre Augen an deinem Munde hangen?" Im Glockengeläute, m Glockenruf der Kirche, im melodischen Lusammenklang schwingender Metallmäntel summte für ihn immer etwas von dem einen, die Begierde beschwörenden Gebot. Und als er am dritten oder vierten Sonntag wieder als Diener des Wortes in der Kirche stand, da kam der grotze, der entschei- dungsvolle Tag. Vom Altar aus verlas er die heilige Epistel, da sah er sie noch nicht. Aber, alS er auf der Kanzel stand, da blickten ihre großen schwarzen Augen— sie saß unmittelbar zu seinen Füßen— da blickten die ersehnten und doch gefürchteten Augen zu ihm auf. Sie hatte ein Gesicht, dessen Einzelzüge man nicht mehr auf- zählen kann, wenn es aus den Augen ist. Man nimmt nur das Abbild des Eindrucks mit hinweg, der liegt aber auch um so sicherer im Sinn. Wenn man solche Gesichter wiedersieht, wundert man sich, daß sie so sind, wie sie sind, hekennt aber hei aller Verwunde- rung: es ist das alte liebe Gesicht. So war sie. Und ruhig und aufmerksam und kirchlich gefaßt sah das liebe Gesicht zu ihm auf. Mädchen gab es da unten, denen hatte die Natur mehr Reize '(was man so Reize nennt) gegeben als ihr— schönere gab es(was man so schön nennt) aber kein Gesicht, dessen Linien so demütig von dem Sieg über die Lust und über den Schmerz des Lebens sprachen. Lag es im Schwung der Brauen, in den Augen, lag es um den Mund, in dem fließenden Lied der Linien? Wo steckte der Zauber? Er wußte es nicht; wohl aber wußte er, daß in allem dem sein Schicksal beschlossen lvar. Was er in das Kirchenschiff hinuntcrsagtc, kam zu ihm zurück — zurück mit einem Bündel von Fragen. Alles, was er zu ihr hinunterpredigte, predigten die schwarzen Augen und was zu den Augen gehörte, wieder hinauf und überpredigtcn den, der auf der Kanzel stand. Bist du noch ehrlich, fragte er sich, bei deinem: Du sollst kl, cht begehren!? Ich will sie sehen, redete er weiter mit seiner Seele. ich will sie sehen, ich will sie hören und will dabei genau auf- merken, was die Stimme meines Gewissens sagt. Aber als er den Priesterrock ausgezogen hatte, da änderte er seinen Entschluß, er wollte sich nicht gelüsten lassen, er wollte vor dem Altar nicht beten: Führ uns nicht in Versuchung! und doch die schwerste Prüfung nicht heraufbeschwören. Sie war das Weib eines anderen, wahrscheinlich eines Toten, vor dem Gesetz aber noch Lebenden. Er wollte sich nicht in Versuchung führen. Er vermied eS, auf den Glockenturm zu steigen; denn von bort aus übersah man die Marsch, sah man die Buntewisch. Er mied bald den Spaziergang in die Marsch hinaus; denn es raunte und lockte dort überall. Jede im Wind schwatzende Schilfstaude verriet ihm, wie nahe er der sei, an die er nicht mehr denken wollte. So wählte er den Weg nach Osten in die von Knicken und Wällen durchzogene Geest. Seine Liebe wurde er zwar nicht los, und es gab keinen Augenblick mehr, wo er sein Herz und die Liebe. die dies Herz trug, nicht fühlte, aber ein gewisses Gegengewicht gegen den Zauber der schwarzen Augen, die er daheim in der Buntewisch wußte, gab die altgewohnte Landschaft immerhin. Denn zwischen Knickhagen, v» den Sorgen und Nöten der bäuerlichen Landwirtschaft der Geest war er aufgewachsen. Was immer er rechts und links auf den Feldern sah. das alles ging ihn an. AIS er noch Knabe gewesen war, da hatten die Bauern noch manche Grundsätze geübt, die sie jetzt als irrig erkannten. Wo gab eS wohl noch einen Landmann, der sich von der Wiederholung einer Mergelung Erfolg versprach? Und dann der künstliche Dünger. Damals ein paar schüchterne Versuche mit Guano— das war alles. Nun verdreifachte man die Ernten durch Thomasschlacke und Superphosphat. Auch die Fruchtfolge war geändert worden- Früher hatte man die mannigfachsten Abweichungen beobachtet, nun war drei Jahre Korn, drei Jahre Weide fast ausnahmslos die Regel. Der Einzelbetrieb der Milchwirtschaft war in der Auf, lösung begriffen, jetzt arbeitete man in der Form der Genossen- schaft im Großbetrieb mit maschineller Entrahmung. Freilich der ewige Schmerz der Landleute— die«Leutenot" war auch dadurch nicht geheilt. Er unterhielt sich mit Bauern und Arbeitern. Nun sah er erst, wie tief er im Heimatsboden wurzelte. Bei Hinrich Martens in Wommelsdorf diente ein alter Knecht, der Asmus hieß. Bei dem suchte er seine Uebung im Pflügen auf- zufrischen. Das Sichaufwerfen und Wenden der wie eine lange, weiche Raupe von der blanken Pflugschar losgeschnittenen Furche hatte ihm immer wunderbares Vergnügen gemacht. Er kam aber nicht mit dem neumodischen Pflügen, die eigentlich nur noch ein von Pferden gezogenes Messer ohne Gestell waren und jedem Ruck der Rosse nachgaben, zurecht. Ein wunderbarer Frühlingsmorgen. Er ging von AsmuS weg, mitten im Duft frischgebrochener Aecker in der Richtung nach Hodorf. Dampf stieg auf„wie Rauch vom Ofen", der Atem der immer jugendfrischen, immer zu neuen SchöpfungStaten bereiten Erde. Die Knickhagen liefen fröhlich vom Wommelsdorfer Höhen- rücken nach den Wiesen hinunter, wie jauchzende Kinder alle Biegungen und Beugungen der Fläche mitmachend. Unten, wo die Wiesen von dem Bach getränkt wurden, deckte der Nebel noch alles zu. Aber morgenfrische Kuhherden brüllten aus den Wolken heraus. Der Pastor erkannte in allem die Sprache der Natur und des Einzigen, des Alleinseienden und Allseienden, der hinter ihr stand. Er fühlte sich stark ergriffen und gerührt. Dem Allmäch- tigen, den anzurufen seines Amtes war, glaubte er selbst in dem ihm zu Ehren erbauten Hause nicht so nahe gewesen zu sein wie hier. Und kahl und karg und schal und geschwollen erschienen ihm jetzt die Gefühle, denen er Worte gab, wenn er auf der Kanzel stand. Er dachte an Wilhelm Schweinepricster und hatte Lust, ihn um seine Freiheit zu beneiden. Am folgenden Sonntag waren die vielgeliebten Augen wieder in der Kirche und redeten zu dem Kanzelmann hinauf. Da sprach und dachte er: Nun ist's genug! « (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten.) Die)Zhmn äes„Zeppelin". Ein erhebendes Schauspiel ist eS, den Menschengeist zu der- folgen, wie er im zähen Ringen Schritt um Schritt der hemmenden Gewalt der Elemente sich entwindet und dem gewaltigen Ideale entgegenstrebt, Herr zu werden über den Raum. Um die Erde be« gann der Kampf, ging über zum Angriff auf die Meere; er gipfelt in dem kühnen Erobcrungszug in das Reich der Lüfte, der nun, mit dem 20. Jahrhundert in eine entscheidende Phase zu rücken scheint. Hart wie selten prallen in der Eroberung der Luft Himmel- stürmende Begeisterung und bitterste Enttäuschung aufeinander. Jahrhundertelang scheint die EntWickelung erschöpft zu ruhen, bis sie von neuem sich aufbäumt zu jähem Ansturm. Denn kein neuer Gedanke ist es, der jetzt sich anzuschicken scheint, aus dem Reich der Träume hineinzuschreiten in die Welt der Wirklichkeiten. Alt wie das Menschengeschlecht ist die dunkle Sehnsucht, die Gebundenheit irdischer Schwerkraft zu überlisten, und lange bevor es eine Wissen- schaft gab, schuf sie sich ihr ergreifendes Symbol im Ikarus, der mit wachsgehefteten Flügeln emporstrebt zu der Sonne strahlenden Helle und, auf hartem Fels die jungen Glieder zerschmetternd, sein kühnes Wollen büßen mutz. Auf güldenem Widder entfliehen Helle und Phrixos aus Thessalien der harten Stiefmutter Jno, durch die Lüfte schwebend nach dem fernen Lande Asia, und Helle stürzt auS schwindelnder Höhe hinab in die Meeresfluten, die noch heute ihren Namen tragen. Doch auch jenseits des Reiches bunter� Mythen finden sich An- zeichen, die, ihrer phantastischen Ausschmückung entkleidet, daraus hinzudeuten scheinen, dah die alte Welt schon die ersten tastenden Schritte versuchte aus jenem Pfade, dessen Endpunkt wir heute so greifbar nah vor uns zu sehen meinen. Erzählt doch schon Strabo von einer geheimen Hyperboräersekte, deren Mitglieder den Namen der Kapnobaten führten, der„durch Rauch sich Erhebenden". Von den Priestern des Orakels von Hieropolis erzählt Lucian als Augenzeuge, wie einer von ihnen das Orakel emporhob, das dann frei in der Luft schwebte. Und von Archytas , dem Pythagoras. schüler, dem Erfinder des Drachens, den Horaz in seiner LS. Ods feiert, jagt Aulus GelliuS :»Viele griechischen Schriftsteller be»
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25 (7.8.1908) 151
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