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haupten, daß Archhtas eine hölzerne Taube berfertigt habe, welche durch mechanische Hilfsmittel fliegen konnte. Sie wurde nämlich durch ein Gleichgewicht emporgehoben und durch einen in ihr eingeschlossenen verborgenen Atem( aura spiritus) bewegt." Die Taube des Archhtas hat nicht mehr aufgehört, die Nachwelt zu be­schäftigen. Immer wieder greifen grübelnde Köpfe das Problem auf und ringen um seine Lösung. Noch zu Beginn des 16. Jahr­hunderts sinnt auf den Höhen Fiesoles ein Universalgenie über dem Rätsel: Lionardo  . Er konstruiert seinen Fallschirm, und in seinen Papieren häufen sich feingezeichnete Entwürfe von Flug­apparaten, ungeheuere mechanische Fledermausschwingen, die, hob man fie, die Luft durchließen, beim Sinten aber ihre Oeffnungen schlossen. Noch sind es einsame Denker, die grübelnd der Zeit vor­auseilen; doch in manchen ihrer Untersuchungen schlummert bereits der Keim zu jenem Gedanken, aus dem später die Montgolfiere hervorgehen sollte.

Dem 18. Jahrhundert blieb es vorbehalten, die Theorie hinauszuführen auf den Kampfplatz der Praxis. Das Werk des Jesuitenpaters Francisco Lana vom Jahre 1670 erweckte das Problem zu neuem Leben. Sein Projett, eine Kombination luft­leerer Kugeln, die wegen ihres geringeren spezifischen Gewichtes fteigen müßten, tam nie zur Ausführung; allein nun bemächtigte fich das Interesse des Fluggedankens mit neuer Tatenlust. 39 Jahre später, am 8. August 1709, erlebt die Welt zum erstenmal das Schauspiel, einen Menschen in die Lüfte emporschweben zu sehen. Ein gebrechliches, plumpes, primitives Fahrzeug ist es, mit dem der Pater Bartolomeo Lourenco de Gusman in Lissabon   den ersten Aufstieg vollbringt, ein schwanker Weidenkorb mit Papier   überklebt und über einem Herde mit heißer Luft gefüllt. Unter dem Jubel der staunenden Menge erhebt er sich bis zu 200 Meter Höhe. Was tut es, daß der Wind dann das sinkende Fahrzeug erfaßt, gegen einen Vorsprung des Palastes treibt und den fühnen Pater mit Inapper Not underlett davonkommen läßt. Sein Ruhm geht durch Europa  . Mochte immerhin die Orthodoxie den Neuerer mit Haß verfolgen und schließlich auch stürzen, weitere Versuche unter blieben auf Betreiben des Klerus, weil beschränkte rationalistische Köpfe in dem Aufstieg eine Erklärung für Christi Himmelfahrt  suchten: das erste Beispiel war gegeben.

Doch 74 Jahre sollten noch dahingehen, bis fühne Aeronauten Europa   in einen Taumel des Entzückens und schrankenloser Hoff: nungsfreude bersetzten. Inzwischen aber, 1776, hatte Cavendish den Wasserstoff entdeckt und damit der Luftschiffahrt ein Mittel gegeben, das, wenn auch in seiner Bedeutsamkeit erst viel später voll erkannt, zu einem der Grundpfeiler der modernen Aeronautik werden sollte.

Es war in den Junitagen 1783, als nach Paris   die Kunde drang von einem seltsamen Experiment, mit dem zwei Brüder, In­haber einer Papierfabrik, die Einwohnerschaft von Annonah zum Staunen hingeriffen hatten. Einen Ballon aus Papier, einen Koloß von 34 Meter Umfang, mit Leinwand gefüttert, war mit Rauch ver­brannten feuchten Strohs und zerfetzter Wolle gefüllt worden. Dann ließ man das Ding los, es stieg eilends himmelwärts wohl bis zu 300 Meter und fant dann wieder zur Erde. Die Botschaft erregte ungeheures Aufsehen. Die Akademie tritt zusammen, eine Studien­tommission wird eingesetzt, und Stephan Montgolfier erhält die Einladung, sein Experiment in Paris   zu wiederholen...

Es war nicht die Frucht eines flüchtigen Einfalls, die die Brüder nun in Paris   ernteten. Jahre stillen Studiums, rastlose Bersuche waren voraufgegangen. Mit Dampf hatte man begonnen; allein bald erwies der allzu rasch sich kondensierende Wasserdampf fich als unzuverlässig. Monate bangen Grübelns folgten. Dann bringt Stephan, von einer Reise aus Montpellier   heimkehrend, ein neues Buch mit; es führt den Titel: Ueber die verschiedenen Arten bon Luft": Priestleys Werk. Er belebte die Hoffnungen Mont­golfiers neu. Hier war der Weg. Gelingt es, einen leichten Hohl förper mit einer Substanz zu füllen, die leichter als die Luft, so ist der Sieg errungen. Sofort beginnen die Versuche. Allein sie schei tern an dem mangelhaften Ballonmaterial; das Papier ist nicht dicht genug, dünnere Gase zu halten. Doch der Hoffnungsstrahl hat die Spannkraft der Erfinder neu gestärkt. Entschlossen tehren sie zurück zu ihren Experimenten mit Rauch. Am 19. September Legen sie dann im Schloßhof von Versailles   die entscheidende Probe ab. Ihr Ballon ist 19 Meter hoch bei einem Durchmesser von 13% Meter; unten im Korbe, in einem Käfig, sind die ersten fran­ zösischen   Luftschiffer untergebracht: ein Hammel, ein Hahn, eine Ente. Ein Kanonenschuß leitet den großen Augenblick ein. Lang sam und ruhig entschwebt das Fahrzeug in den Lüften. Acht Mi­nuten später, beim Wald von Baucresson, ist die Fahrt beendet. Die Tiere find munter und frisch: das Experiment ist gelungen. Ganz Paris   hallt wieder von dem Triumph. Die hochent­flammte Phantasie wähnt die Eroberung der Luft schon bollendet. Und nun wagt man den letzten Schritt: mit Menschen soll die Fahrt wiederholt werden. Im Garten des Herrn von Reveillon schreitet man ungesäumt zum großen Wert. Eine neue größere Maschine ersteht. Unten, im weidegeflochtenen Korbe, ruht eine Glutpfanne: sie führt dem Ballon heiße Luft zu und soll durch Nachheizen die Fahrtdauer verlängern. Der Bedeutung des Ereignisses gewiß fämpft ein adeliger Enthusiast, Bilâtre de Rozier, um die gefahrvolle Ehre, als erster die kühne Fahrt in die Lüfte au wagen. Die ersten fleinen Versuche glücken. Im November foll die große Entscheidung fallen. Mühsam ringt man dem

König die Erlaubnis ab. Am 21. November 1783 steigt bie neue, große Mongolfière von den anmutigen Gärten von la Muette aus majestätisch in die Wolfen. Ohne Zwischenfall landen die beiden Insassen 25 Minuten später bei der Butte aur cailles... Allein, wie hoch auch der Jubel über das Erreichte aufbrauft, man muß bald sehen, daß die schöne, prächtige Montgolfière nicht der Erwartungen Ende ist. Höhere Luftschichten blieben unerreichbar und die so feuergefährliche Glutpfanne verhindert wissenschaftliche Beobachtungen. Die Aufmerksamkeit wendet sich voll Erregung auf den Aufstieg, den Professor Charles mit den Mechanikern Robert vorbereitet. Unabhängig von Montgolfiers hatte Charles seine Versuche begonnen. Im Gegensatz zu ihnen beharrte er bei der Verwendung von Wasserstoff und seine Zähigkeit schafft eine Hülle, die das Gas hält: der erste Ballon aus Seidenstoff, mit einer Gummierung luftverdichtet. Schon im August, vor Montgolfiers erstem Pariser   Versuch, hatte Charles vom Marsfeld aus einen Kleinen Ballon steigen lassen. Allein man hatte ihn des schönen Anblicks wegen zu start mit Gas gefüllt: er mußte in höheren Schichten plazen. Bei Eceuen, 5 Stunden vom Aufstiegsort, tamen die Reste zur Erde nieder. Abergläubische Bauern vernichteten das" Teufelswerk" völlig und schleiften die Reste an den Schweif einer erbärmlichen Mähre gebunden triumphierend und umher.

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Andreani

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In Paris   bilden sich nun zwei feindliche Lager. Hier Mont golfier! Hier Charles! lautet der Kampfruf. Als die große " Charlière", der erste Gasballon der Welt, am 1. Dezember in den Tuilleriengärten aufstiegsbereit ist, steigt die Erregung zu Fieber­bibe. Das neue Fahrzeug wies bereits alle charakteristischen Merk male unserer modernen Unlenkbaren" auf: die Kugelform, die Gondel, das Netzwert, vor allem aber das Ventil, dessen Leine durch den Ballon zur Gondel herabhängt. Zum ersten Male ist hier ein Ballon zu wissenschaftlichen Beobachtungen ausgerüstet. Wenige Minuten vorm Aufstieg geht das Gerücht durch die erregte Menge, der König habe den Aufstieg verboten. Verzweifelt stürzt Charles dem Minister Breteuil entgegen und droht mit Selbstmord vor den Augen des schon ungeduldigen Volkes. Zum Glück war alles blinder Lärm. Wenige Minuten später besteigt Charles die Gondel. Unter brausendem Jubel gleitet der Ballon in die Wolken. Bedeutendes. Sie währt vier Stunden; gemessene Höhen von Die Fahrt übertrifft die Leistung der Montgolfière sofort um 3400 Meter werden erreicht. Neben Montgolfier wird Charles nun zum Abgott der Pariser  . Gemeinsam mit Mongolfier, Rozier und d'Arlandes wird er zum Akademiemitglied ernannt. Mit dieser Fahrt unverlöschbar in die Geschichte der Luftschiffahrt. es blieb seltsamerweise seine einzige rückt sein Name Er ist es, an den die neuere Aeronautik anknüpft, als man von der feuergefähr. es dazu tam, sollten noch viele Jahrzehnte verstreichen. lichen Montgolfière sich nach und nach loszusagen lernte. Aber ehe Taumel übertriebenster Hoffnungen und kühnster Träume. Ueberall Die Pariser   Ereignisse versehen ganz Europa   in einen wirren steigen nun die Ballons auf, Volt und Gelehrtenwelt verfolgen die Versuche mit spannungsvoller Erwartung. In Berlin  , im Lust­garten, läßt Professor Achard einen kleinen Ballon aufsteigen, in Turin   steigen Lamanon, Nappion und Bonbeisin auf, im folgenden Jahr neben den Fahrten Blanchards Tytler die Aufmerksamkeit. In Und in Mailand.  in England erregt Frankreich   aber experimentiert der ruhelose Pilâtre de Rozier   mit einer Verbindung von Montgolfière und Charlière, die als Rozière bekannt geworden ist. Mit Blanchard tritt dann jene seltsame Mischung von furchtlosen Abenteurern und Pseudoerfindern auf den Plan, an denen die junge Luftschiffahrt bald so reich werden sollte und die nicht wenig zu dem Mißkredit beitrugen, dem die Aeronautik in kurzer Zeit anheimfallen sollte. Denn die Hoffnun gen auf die Lenkbarkeit der Ballons erfüllten sich nicht, Versuch um Versuch scheiterte. Als schließlich der kühne Pilâtre de Rozier  bei dem Wagnis, den Kanal zu überfliegen, der Feuergefährlichkeit seiner Maschine zum Opfer fällt, kühlt. die Begeisterung für die neue Erfindung sich rasch ab. Nur Männern, wie Blanchard, der seine Fahrten zum Schauspiel ausbildet und die junge Kunst zum lohnenden Geschäft umwandelt, gelingt es, das erschlaffende Inter effe noch eine Zeitlang wachzuerhalten. 1785 gelingt es dem un erschrockenen Manne das Wagnis, von Dover   aus den Kanal zu überfliegen; noch einmal loht die Hoffnung auf. Aber die bunta Schar von waghalsigen Luftschiffern" und" Erfindern", die nun, Blanchard folgend, überall auftauchen und für gutes Geld ihre Künste sehen lassen, vermögen das schwindende Interesse der All­gemeinheit nicht wachzuhalten. Dem ersten Jubel folgt bald die bittere Enttäuschung. Man hatte zu wenig erhalten, weil man zu viel erhofft. Nur wenige lassen sich von der allgemeinen Entmuti gung nicht fortreißen. Das waren Leute vom Schlage Franklins. Der große Amerikaner war damals Zeuge, als Charles die ersten Gasballons steigen ließ. Mitten im Gedränge stand er und nach denklich blidt er dem Fahrzeug nach, das da oben in den Wollen verschwindet. In der Menge macht jemand eine spöttische Be mertung: Man kann ja das Ding doch nicht lenten." Da wendet Franklin sich zu dem Sprecher und seine flaren, scharfen Augen auf den Franzosen heftend, findet er die Antwort in der einfachen Frage:" Kann denn ein neugeborenes Kind gleich laufen?"