Schwedische Eindrücke.

In Stone.

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weil fie alte Feinschmeder sind, drum halten fie Maß. Wenn einer fich aus Diskretion die Teller mit jeder Speise hoch auftürmt, bis er auf halber Bahn zusammenbricht, dann wissen die Umstehenden sogleich: Das ist ein Deutscher."

Ich glaube, es geht allen Großstädtern so: Wenn sie nach langer Die Schweden   sind die kultiviertesten Esser der Welt. Nicht nur Haft aus schwarzgrauen Häusermauern ins Grüne fommen, so werden die Reichen find Schwelger, auch die Armen find raffiniertere Effer fie gerührt. Ich wenigstens spüre, wenn der Zug die erste als die Deutschen  . Ich habe an einem hellen Sonntag in Stone Wiertelstunde an Wäldern und Bergen und Wiesen vorbeiläuft, wenn( Südschweden) auf dem Lande fleine Bauern und Arbeiter mit ich endlich wieder den Himmel weit vor mir sehe, so was wie genommene Speisen im Freien essen sehen. Jede Familie hatte ihr Drücken und Ziehen in der Brust, eine sich langsam lösende Be- Tischtuch im Grase ausgebreitet( statt der gräßlichen Zeitungsfeßen) flommenheit, die man ehedem vom Herzen, Heute von den Nerven und auf jedem Tischtuch war ein Vielerlei von Gerichten so sauber herleitet. Aehnliches empfinde ich zuweilen im Theater bei ganz und lecker als möglich serviert. Aus einem Korb wurde Geschirr, fimplen Volksstüden, wenn der junge Liebhaber, dem die miß- Teller und Taffen ausgepact, und auf einigen großen Schüsseln wurde günstige Welt so viele Hemmungen entgegengestellt hat, am Ende Wurst und geräuchertes Fleisch, gebratener Fisch, selbstgebadener doch in die Arme seiner Schönen im lichten Sommerkleid( mit sauberem Kuchen, Butter und Käse angerichtet. In den Gläsern schäumte, Schürzchen) fliegt und in langer Umarmung, am Halse der Geliebten, weil der Ausschank von Bier am Sonntag durch die Geseze erschwert von allem Unbill der Welt ausruht Die ersten hellgrünen ist, frische gesunde Milch. Die Leute, die da im Grase und Wiesen, die ersten hohen Weizenfelder, die ersten schwarzgrünen um das Tischtuch lagerten, waren( ohne Bier!) raffiniertere Wälder nach langer Eingesperrtheit in Stadtstaub und Stadt- Genießer, als es deutsche Bauern und Arbeiter zu sein pflegen grau! Was Wunder, daß wir gerührt sind. Wir Großstädter stehen Die Bauern tun als Fresser, wie überall, des Guten zu viel. zur Natur wie unbefriedigte, durch und durch sehnsüchtige Liebhaber Ein Smörgostisch, wie der eben geschilderte, gilt beim südschwedischen ( manchmal freilich durch lange Enthaltsamkeit schon verdorrt!), die Bauern und Bürger, wenn er Gäste hat, nur als Vorspeise. Das Landleute stehen zur Natur im Verhältnisse von alten Eheleuten. ißt man stehend, vor der eigentlichen Mahlzeit. Dann erst setzt Wer hat denn den tiefsten Eindruck von einem Stückchen Himmels- man sich zu Tisch und fängt eine gewaltige Agung frisch bei der blau? Nicht der glückliche Spaziergänger, der alltäglich im unend- Suppe an. Der Fremde, der sich schon im Smörgos ausgegeben lichen Luftraum Umschau halten kann, sondern der Sträfling, der in hat, büßt das mit bitterer Impotenz während der eigentlichen Freß­dumpfer Zelle liegt und nur, wenn er auf die Pritsche steigt, einen orgien. Streifen dunkelblauen, besternten Nachthimmel sehen kann. Wir Großstädter, wir Sträflinge was Wunder, daß wir gerührt sind, wenn wir nach dunklen Tagen aus den stinkigen Kasernenstädten ent­Lassen werden.

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Da

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Spreche ich vom Essen? Und ich habe doch absichtlich so be­deutend und abstrakt angefangen! Habe mir vorgenommen, psychos logisch- ethnologisch zu bleiben, ach, und da halt ich schon wieder beim Essen. Freilich, in Schweden   zu Gast sein, das heißt die Hälfte der Zeit mit Eßorgien und die andere mit Eßphantasien auss füllen. Unentrinnbar!... Ich habe von Wien   aus, wo man doch in Eßlünften auch nicht ganz unerfahren ist, einen alten Widerwillen gegen die Freßträumer und Freßpraktiker, bin seit Jahren mit einigen Abstinenzvorsätzen belastet und hasse tein Gespräch so sehr, wie das angelegentliche, tiefwichtige Befchwagen der lokalen Freß möglichkeiten. Hier in Schweden   wurde ich selbst ein Freßphilister und, ärger noch, ich habe mich dabei nicht verachtet.

Am Waggonfenster, in sanfter Ergriffenheit, verging die Fahrt ins nordische Reich. Beinahe larmoyant war die Geschichte auf der Ueberfahrt von Deutschland   nach Dänemark  . Das geschah nachts. Das Coupé fürchterlich voll. Alle Fenster geschlossen. Erstens wegen der Zugluft"( frische Luft wird von Mitreisenden immer " Bug" genannt), dann wegen des Kohlengestantes( wie lange läßt bie Elektrisierung oder doch die Rauchverbrennung im Bahnbetriebe auf sich warten!) und endlich wegen der nächtlichen Kälte( die stinkende Schwüle schien die Majorität der Mitfahrenden weniger zu Was sollen wir tun? Selbst wer die Landstraßen hier ab fühlen). Der Suggestion halber waren die Fenstervorhänge herab wandert, wird alle Augenblicke an Gaumengenüsse erinnert. Da gelassen und die Beleuchtung oben war verhängt. Also im dumpfen, steht allmorgendlich auf jedem großen Holzpflod ein großer, ber buntelen Kerker! Man lehnt sich zurück, seufzt, schließt die Augen schloffener Eimer mit Milch. Stundenlang, gänzlich unbewacht, und, obwohl man daran zweifelt, schläft man ein.. was stehen die Milcheimer, Pflock an Pflock auf der offenen Landstraße. Schillert so lichtblau- strahlend durch den Spalt zwischen Vorhang Der Bauer stellt sie um bier Uhr früh hinaus. Wenn der um Bon Fuhrmann oder acht und Fenster? Hellgraublau? fieben vorbei­Lichtgrün leuchtend? oder zehn Uhr nimmt Kein der Korridorseite her hört man, daß jemand die Waggontür fommt, er fie in seinen Wagen. Idyllisch! aufschließt und die drei Stufen hinuntersteigt Wie, auf stonischer Bauer erinnert sich, daß ihm je auch nur ein halber Liter offener Strecke? Und der Wahnsinnige ist hier ausgestiegen? aus dem Eimer gefehlt hätte. Durch und durch idyllisch ist diese Mitten ins Lichtgrüne, Graublau- Schillernde? Da flettert man ganze gesegnete südschwedische Ebene. Lange, lange Weizenfelder, borsichtig über die ausgestreckten Beine feiner Nebenmenschen, rollt ungeheuere Rübenfelder, saftige Wiesen, auf denen Stühe und Pferde die Korridortür auf und sieht durchs breitmächtige Waggonfenster den Sommer über lagern. Mitten im fruchtbaren Flachland ein Hinaus aufs morgendlich strahlende Meer. Ueber der flimmernden, dicht umbuschter, buchenumrauschter Fled. Das ist einer von den glizernden, spiegelnden Ebene fliegen die Möwen.... Nun, Sträf schönen, alten Herrenhöfen, oder ein großer hellrot angestrichener ling, will sagen Plazbefizer, Nr. 47, jetzt darfst Du etliche Sekunden Bauernhof. Ein dichter grüner Busch mitten in der weiten Ebene. gerührt sein. Und dann hinunter zu dem Wahnsinnigen", der aus Wie Inseln liegen diese Gehöfte da. Kommt man näher, so ge Sem Zuge gestiegen" ist, und freuz und quer die große Fähre durch wahrt man, daß auch der Baumeister   den Inselcharakter der Siede wandert, auf die stumme Kräfte, ohne daß wirs ahnten, unseren lung gewahrt hat. Die Nebengebäude stehen nicht rechts und links ganzen Zug samt Lokomotive und Schlafwagen gebracht haben. vom Hauptgebäude, sondern sie sind im Quadrat rechts- und links. Stein Kohlengestant mehr, teine Coupéschwüle, die Morgenluft weht.... ſeitig und im Gegenüber errichtet, so daß jedes dieser skonischen So lyrisch- dramatisch wie dieser erste Augenblick der Ferienselig- Güter in der Mitte einen quadratischen Hof hat. Es ist als ob feit ist keiner mehr. Aber die höchsten Momente sind eben immer auch das Wohnhaus und die Ställe fich nicht nebeneinander auch die feltenen, und so muß man sich, will mans behaglich in einer Gaffe der Einsamkeit aufstellen möchten, sondern traulich, Haben auf dieser Erde, auch mit den Glücksgefühlen zweiten im Gegenüber, so daß eins das andere in der Stille immer Grades erfreuen tönnen. Der zweite, starfe Eindrud meiner Nord- vor Augen hat. Das fruchtbare Flachland ist so weit, Landsfahrt, das war während der Entdeckungspromenade auf der so unbegrenzt, fo abenteuerlos.( Wenn man aus den Alpen kommt, riefigen Fähre ein Blick auf den schwedischen Frühstücstisch im wird man leicht hochmütig gegen alles Ebene und Idyllische.) Be­Speisesaal des Schiffes. Ich hätte auf den Anblid vorbereitet sein sonders am Abend, in den doch schon viel helleren Nächten, scheint können, denn ich habe dergleichen schon auf den appetitlichen, heiter- jede dieser bewohnten Inseln so abgelegen, so einsam zu liegen. teit- und lichterfüllten Bildern des schwedischen Malers Karl Larsson   Kein Wunder, daß die Menschen zu einander friechen und daß sich gesehen. Aber wie lecer auch der Smörgostisch auf Larssons auch die Haupt- und Nebengebäude ins Auge sehen wollen Bildern prangt und strahlt und lacht, in Wirklichkeit ist's doch noch Spät abends ging ich einmal durch die Wiesen. Die Kühe Von der Sonne war nur mehr berführerischer. Was gehört nicht alles zum Frühstüh eines acht hatten sich schon ins Gras gelegt. baren Schweden  ! Lachs und Aal, Anchovis und gefülzter Barsch, der goldige Nachtschein in den Wolken da. Langsam kam ich den Schinken, gebratene Niere, fleine Fleischflöße, Hummer, Omelette, Feldweg daher, zur bewohnten, umbuschten Insel. Ich höre Stimmen. gefelchte Rindsbrust, fleine Kuchen, Butter, weißes und hartes Der Herr Pastor ist mit Frau und Kindern zu Besuch gekommen, Brot, verschiedenerlei Käse, Schnaps, Bier, Milch, Tee. Ein groß- ein Nachbar im harten Wägelchen herübergestolpert, im Garten Punsch ein, die Frau mächtiger Tisch ist vollgepfropft mit diesen Schüsseln und es der Pächter schenkt Anien. Aber die Stimmen Leuchtet hellrot und milchweiß und fischgrau und braunknusprich und hat die Harmonika auf den Lauter als bie der Musik. Offenbar teegolden von diesem Frühstücstisch. In jeder größeren schwedischen der Männer find Bahnstation habe ich später ein solches( oder besseres) Smörgos wurde gestritten. Ich komme ganz nahe und stehe beinahe schon Hergerichtet gefunden, der Genuß( nicht nur des Ansehens) tostet mitten unter den Streitenden. Der Pächter ist hochrot im Gesicht 70, 90 Dere, wenns hoch geht, eine Strone( 1,12 M.). Der glückliche und schreit am stärksten, der Pastor hat sich( trotz der halbgeleerten Bertilger nimmt einen Teller, Gabel, Messer und ein Brötchen zur Punschflasche) noch ganz in der Hand und übt sich in Sanftmut.. Bon wo aus Hand und wandert dann in der Runde, den Tisch abfressend. Es Und worüber wurde hier auf der Insel gestritten? ist dem Takt und der Erfahrung des einzelnen überlassen, von jedem man fünf Stunden im Wagen zur nächsten Eisenbahnstation fahren Gericht so viel zu nehmen, als ihm gefällt. Auf die Diskretion der muß, die am Morgen und am Abend bloß ein einziger Bug passiert? Lockout" Schweden   kann sich der Wirt verlassen, sie alle sind Feinschmecker, Streit" " Zuckerfabrik" Dynamit" Regies Sie sich nicht mit einer Speise den Magen vollpropfen, sondern eben rung". An die rauchgeschwärzten Worte flogen durch das stille Land... das Vielerlei ihres Frühstückstisches genießen wollen. Und eben Stefan Großmann. Berantw. Redakteur: Georg Davidsohn  , Berlin.- Drud u. Berlag: Vorwärts Buchdr, u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW

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