Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 163. Dienstag den 25 August. 1908 .lNachdru« verboten.) 401 JMafia. Aomatt aus dem modernen Sizilien von Emil RaSmussen. Die Prorin war ganz erstaunt, als die erwartete Wir- kling ausblieb. Diambra versicherte, sie könne die Augen nicht mehr offen halten. Das verblüffende Mittel, über das sie sich so oft lustig gemacht hatte, brachte sie plötzlich ins Gleichgewicht. Kaum war die Priorin draußen, als sie merkte, daß der alte Lach- teufe! in ihr noch nicht ganz ausgetrieben sei. Solche kleine Rückfälle hinderten jedoch nicht, daß sie sich in den nächsten Wochen stark zur Religion zurückgezogen fühlte. Es besänftigte und zersplitterte die peinlichen Ge- danken, die beständig um den kreisen wollten, den sie zu ver- gessen beschlossen hatte. Als eines Tages Lidda sie besuchte, und sie sich über ihren Müßiggang beklagte, schlug die Freundin ihr vor, an dem Unterricht des Marchese teilzunehmen. Diambra nahm die Idee mit Eifer auf, und eine Zeit- lang ging alles gut und schön. Der Marchese hatte von jeher sein Hauptinteresse der Ge- schichte seiner Vaterstadt zugewandt, und in dieses nächst- liegende Fach wünschte er nun auch seine jungen Schüler zu- erst einzuführen. Er machte mit ihnen kleine Erkursionen in die Umgebung, fesselte mit seinem künstlerischen Blick für die malerischen Naturreize sowohl wie durch den Reichtum an Details, den er im Laufe der Jahre angesammelt, den Sinn der jungen Leute, und dichtete sie in ein Reich hinein, in welchem das Seelenlose Sprache gewann. Diambra war mit ihrem ganzen aufgesparten Wolfs - Hunger erschienen und warf sich mit all ihrer Energie auf die ihr teilweise neuen Studien. Sie fühlte, welche Linderung es war, sich müde zu lernen, und eine Zeitlang war sie ganz flammende Begeisterung für all das Neue, das ihre Ge- danken und ihre Phantasie erfüllte. Allmählich aber, wie sie in den Stoff eindrang und sich bei neueren Werken Rats erholte, begannen ihr Zweifel au der wissenschaftlichen Grundlage der ihr gelehrten Theorien zu kommen. Sie begann mit zaghaften Einwänden, die der Marchese mit großer Liebenswürdigkeit widerlegte, aber wäh- rend sie seinen Ausführungen von Folgerung zu Folgerung folgte, wurde es ihr bald klar, wie dilettantisch sein großes SpezialWissen zusammengearbeitet war, und daß seine Resul- täte und Hypothesen weit mehr der Dichtung als der Ge- schichte entsprangen. Ueberdies beunruhigte es sie, daß der Marchese sowohl des Griechischen als des Lateinischen unkun- dig war. Es währte nicht lange, ehe sie zu des Marchese großem Leidwesen einen Vorwand fand, sich von den Unterrichts- stunden zurückzuziehen. Auf die schonendste Art ließ sie die Freundin den wahren Grund ahnen. Lidda war künstlerischer veranlagt als Diambra und be- saß ein reicheres Stimmungsleben, aber dieses fand seine ge- nügende Aeußerungsform in Tönen und Bildern, fühlte durchaus kein Bedürfnis, sich in eine Sentenz umzusetzen. Ihr Gemütsleben war reich, aber nicht geistreich. Diambra ihrerseits besaß die scharfe, niemals ruhende Intelligenz, die, sobald sie erst den Bohrer an ein Gedankenhindernis gesetzt, Granit zersplitterte, als sei es Glas. Für Lidda war Stim- mung Ruhe, für Diambra ein Ansporn zum Denken, und ihr Genuß begann erst da, wo sie eine Reihe Gedanken in klaren Ausdrücken vor sich liegen sah. Zu dieser allseitig bcwunder- ten Eigenschaft blickte auch Lidda empor, und von der Freun- din erst auf die Spur gebracht, begann sie sich über so man- ches, was bisher als dunkle Ahnung tief in ihr gelegen war, klare Gedanken zu machen. Lange hielt sie aus Liebe zum Vater zurück, aber eines schönen Morgens schloß auch sie sich von den Studien aus. Diesem Beschluß war eine lange Eutwickelung voraus- gegangen, welcher Lidda selbst kaum gewahr geworden, da sie zum großen Teile aus ihrem unbewußten Intellekt empor- gewachsen war. Der Eindruck, den des Vaters Gefangenschaft seinerzeit auf sie gemacht hatte, war geblieben und in ihrem Inneren still weitergewachsen. Sie begriff seit dieser Zeit immer besser und besser, daß die ganze Familie, statt sich zu behaupten, bloß anderer Willkür und Launen untergeben war. Als allmählig unter Diambras Einwirkung die Glorie von den Studien des Vaters fiel und sie den Dilettanten in ihm zu sehen begann, stellte sie sich selbst unehrerbietige Fragen, ob es denn auch eines Mannes würdig sei, sich in Büchern zu begraben, wo es doch galt, den alten Namen und die Macht seiner Familie zu behaupten. Dieser Zweifel wurde um so eindringlicher, als sie nun ihren eigenen Mann dieselben Spuren verfolgen sah. Eines Tages, als die beiden Männer auf dem Athena» felsen waren und Lidda sich mit der Mutter allein befand, ließ sie eine prüfende Aeußerung fallen. Marchesa Ersilia wurde es ganz wunderlich zumute. Sollte sie wirklich erleben, daß es einen Menschen gab, der sie verstand? Sollte ihr Kind endlich seine Mutter finden? Anfänglich tastete sie vorsichtig weiter, als sie aber merkte, wohin Liddas Gedanken gingen, teilte sie sich ohne Vor- behalt mit. Stunde um Stunde saß sie da und öffnete ihr jahrelang verschlossenes Herz. Es war das zweitemal, daß sie vertraulich mit ihrer Tochter sprach, das erstemal aber, daß sie ihr einen Einblick in ihr Inneres gewährte, in all das, was sich hinter dem erstarrten Lächeln regte. Die ganze folgende Nacht' lag Lidda wach und dachte an ihre Mutter. Sie begriff nun, daß diese spiegelglatte Eisfläche einst- mals ein lächelnder See gewesen, vielleicht sogar ein bran- dendes Meer. Wie in einer Reihe von Bildern sah sie den Kurs, den das Leben ihrer Mutter genommen. Sie war die glückliche Braut der Insel gewesen— schön war sie sicherlich auch, statt- lich und stolz— an jenem Tage, da sie dem jungen florten Marchese La Greca die Hand zum Bunde reichte. Er war als ungewöhnlich gelehrt und intelligent bekannt, ein glänzen- der Redner, schrieb Verse, war in vieler Herren Länder ge- reist und Sohn des mächtigsten Mannes der Provinz. Später, nach des Vaters Tode, war es ihr erst klar geworden, was es bedeutete, wenn ein Mann, der bestinimt war, zu wirken und zu führen, sich zwischen moderne Tonkrügc vergrub, in Funda- menten wühlte, die zu Zeiten gelegt worden, da die Männer noch Taten vollführten, und sich begnügte, von großen Män- nern und Zeiten zu lesen, während seine eigene Macht immer geringer wurde. Ja, damals hatte sie sicherlich etwas von dem gefühlt, was die arabischen Frauen fühlen mußten, als ihre Männer die Waffen aufhingen und zu singen be- gannen von jenen Schlachten, die ihre Väter gekämpft hatten. Bitterer und bitterer mußte diese Empfindung ge- worden sein, jcmehr sie das niedrigste Pack sich gleich Pilzen in der Stadt verbreiten und sie verdrängen sah, während die Luft um sie her so giftig wurde, daß man sie kaum mehr zu atnien vermochte. Da war es, wo sie um ihrer Tochter willen ihren Mann bewogen hatte, Angela als Schwiegersohn anzunehmen. Sie hoffte, wenn eines Tages die Gräfin stürbe, würde Lidda den schlaffen Jungen unter ihren Willen beugen, die Luft reinigen und ihre Existenz sichern. Der Marchese dagegen— der Mann der geraden Wege— hatte ihren Vorschlag bloß so empfun- den, als würfe sich seine Gattin vor der Schande in den Staub. Zum zweitenmal hatte sie diesen Schein auf sich ge- nommen, als sie die Partie mit Belladonna begünstigte. Sie hatte erkannt, daß es nicht weniger als das Leben für sie alle gelte. Sie hatte ihren Stolz darin gesetzt, alle alten siziliani- schen Tilgenden zu vervollkommnen. Ihrem Mann war sie eine demütige Dienerin gewesen. Jede Leidenschaftlichkeit hatte sie unterdrückt, weder in Wort noch Tat ihm zuwider- gehandelt: sie hatte ein Lächeln erzwungen, selbst wenn ihr Herz Blut weinte. Erst als es ihr einziges Kind galt, war sie aus ihrem Schweigen hervorgetreten. Gibt es nicht Stun- den, wo selbst die Steine reden müssen? Sie hatte die Gräfin hassen gelernt, wie die kleinen Vögel Habicht und Eule hassen, und in dem alten Belladonna hatte sie den einzia möglichen Bundesaenossen gesehen i«
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25 (25.8.1908) 163
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