Nnterhaltungsblatt des HorwärtsNr. 187. Sonnabend, den 26. September. 1908�Nachdrutl VerVoten.?6« JVIafia.Noman aus dem modernen Sizilien von Emil R a s m u s s c n.„Nimmermehr!" fuhr es aus Lidda heraus. Es ist seinGeburtsort. Das ist eine Falles Auf diesen Seiten derInsel gibt es nichts als Mafia!"„Aber wer ist Herr Ficarotta?" fragte Ettore.„Einer der alten Handlanger Deiner Mutter."Ettore wurde ernst und aufmerksam.„Er ist eine Art Bindeglied zwischen den Masiagruppender verschiedenen Distrikte. Ein recht gefährlicher Mensch!Ein ekliges, blatternarbiges Blaßgesicht ohne Bart!"„Pfui, welch ein Unglück!" rief Ettore. Foca barbae nessun colore— o birbante o traditore(wenig Bartund keine Farbe— entweder ein Schurke oder ein Verräter),jagen die Bauern."„Und sie täuschen sich nicht," sagte Lo Forte.„Er siehtaus wie ein maurischer Zuhälter, wie diese Hefe des Volkes,eine Mischung von Juden und degenerierten Stadtarabern,die man drüben in Tunis findet. In Monte San Giulianogibt es ja auch nichts als dieses maurische Gezücht."Während die drei anderen sich beim Mahle in dieserWeise unterhielten, war Lidda stumm geblieben.Nachdem sie Kaffee getrunken hatten, gingen sie auf denAltan hinaus, um die Aussicht zu genießen. Diambra nahmLo Forte beiseite.„Lidda ist ernstlich traurig!" sagte sie.„Bleib hierund sprich mit ihr! Ettore und ich gehen einstweilen in dieDomkirche."Als sie fort waren, trat Gianandrea zu Lidda, die, an dasGitter gelehnt, vor sich hinblickte, und legte zärtlich den Amum ihre Schulter.„Was bedrückt Dich nur so, Du Liebe?" fragte er.„Eskann doch nicht dies Weibergcwäsch sein?"„Weist Du, ich sah Ficarotta heute morgen. Ich sagtenichts davon, weil mir die plötzliche Ahnung kam, daß dieseBegegnung Unglück bedeuten müsse und ich Euch anderendie Stimmung nicht verderben wollte. Wäre das nicht ge-schehen, hätten mich die Worte der Wahrsagerin wenig ge-kümmert.— Wäre doch ein Brief vom Vater da, wennwir heimkommen!"„Aengstige Dich nur nicht, mein Lieb! Was sollte ge-schehen! Glaubst Du, daß ich den Burschen fürchte?"Sie zog die Augenbrauen hinauf, ohne zu antworten,„Hat er Dich je beleidigt, Lidda?"„Er hat einmal daheim in meinem eigenen Zimmereinen energischen Versuch gemacht, mich zu verführen— einesVormittags, als Vater ausgegangen war und Mutter sich um-kleidete."„Gut. daß ich das nicht wußte! Ich hoffe für ihn, daßunsere Wege sich nicht öfter kreuzen werden!"Er zog seine Gattin an sich, und sie trank Zuversicht ausseiner sicheren Kraft.Eine Stunde später kamen die beiden anderen zurück.Die Wolken schienen sich verzogen zu haben. Mit der elek-krischen Straßenbahn fuhren sie nach Palermo hinab.Drei Tage später saßen die vier Freunde im Postwagenund fuhren von der Station nach Calatafimi hinauf, das eineMeile Wegs über der Bahnstrecke auf einem Bergabhangthront.Es waren keine anderen Passagiere im Wagen, aberdraußen vor der Wagentürc saß ein Carabiniere mit derBüchse zwischen den Knien, und auf dem Bock saß fein Kamerad. Man hatte sie als Eskorte mitgenommen, nachdem achtTage vorher der Wagen mitten am Vormittag von maskiertenRäubern total ausgeplündert worden war— was Gianandreasie jedoch vor den Damen nicht zu erwähnen bat.Das sonnige Gelände lag in seiner üppigsten Maitrachtda, anzusehen, wie ein duftendes Blumenbeet. Zwischengrünen Weingärten und Maisfeldern flammten weitgedehnteWiesenstcllen in dem grellen, fernhin leuchtenden Rot desBlutklees, das im stärksten Kontrast zu dem tiefen Ultra-marin des Himmels das Auge durch seine Intensität fastüberwältigte.Die Fruchtbäume trugen gleichzeitig Blüten und reifeFrüchte: die Opuntien desgleichen. Aber in der ganzen Florawar keine Pflanze, die die Aufmerksamkeit in dem Grade aufsich zog wie die eben in Blüte stehenden Agaven.Namentlich Ettore konnte nicht müde werden, sie zu be-trachten, wie sie in langen Reihen aufragten mit ihren mäch-tigen Blütenständen, hoch wie Telegraphenpfähle, in wenigerals einem Monat aus dem Boden aufgeschossen.„Ich kenne nichts in der Natur," sagte er endlich,„dassich an brutaler Schönheit mit dem Liebesleben der Agavemessen kann. Unfruchtbar, kantig und stechend, im Kriegmit der ganzen Welt, bereitet sie sich nur für diesen ihrenHochzeitsmonat vor, sammelt alles an Kraft und Saft, umdiese ungeheure Blüte hervorzubringen, die so unkeusch wirkt,wie ein brünstiges Elefantenmännchen mit entblößten Geni-talien— wird befruchtet, welkt und stirbt."„Und vielleicht wird sie von einer kleinen Eintagsfliegebefruchtet," sagte Diambra, von einer kleinen Fliege, die imDunkel der Unbewußtheit gelebt hat, bis sie eines schönenMaimorgens ihre Flügel in dem blendenden Lichte entfaltet,sich an dem aromatischen Blütenhonig erfrischt, wie eine Ball-dame an einem Gläschen Likör nippt, den Geliebten trifft,ihn küßt und stirbt, ehe die Sonne untergeht."„Vielleicht! Und was ist eigentlich die Absicht der Naturmit diesen Liebcsgeschichten? Will sie uns erzählen, daß Liebeden Tod in sich trägt?"Lidda kam plötzlich der Gedanke an Ficarotta wieder.Gianandrea fühlte ihre Hand wie in heimlicher Angstseinen Arm pressen. Er umschlang beruhigend ihre Schulter,zog sie an sich und sagte auf seine gedämpfe Art:„Auch die Mcnschenfauna hat wohl ihre Agaven undEintagsfliegen. Aber warum sollten wir just in unserenFlitterwochen darüber grübeln, mitten im Duft der Zitronen,die zu gleicher Zeit die weißen aromatischen Blüten entfalten,während die reifen Früchte von ihren Zweigen rieseln? Ichfinde es nicht bloß schön, fondern auch tief gedacht, daß Si-zilien die Orangenblüte als Schmuck für die junge Brautgewählt hat. Wenn die Orange die Frucht ihrer ersten Liebereifen sieht, kleidet sie sich wieder in ihr strahlendes Fest-gewand. Aus der Liebe saugt sie die Kraft zu neuer Blüte,neuer Liebe, immer reicher und reicher, wie die Jahre der-rinnen. Und sind die Orangen nicht etwa Siziliens Stolzund Glanz? Nur darum, weil die Natur uns erzählen will,die Liebe sei das Leben: die Liebe sei die LebenSquelle selbst."„Oh Gianandrea!" brach Lidda aus, während zwei großeTränen über ihre Augen flössen, und ohne der anderen zuachten, zog sie sein Haupt zu sich herab und bedeckte es mitKüssen.Zur selben Zeit standen zwei Männer hinter den ge-schlossencn Läden einer kleinen Bauernstube nahe bei derEinfahrt in Catafimi.Der eine war ein großer, schlanker, aber sehnenstarkerMann mit einer dichten, schwarzen Mähne, schwarzem, ge-stutztem Vollbart und langgewimperten. wildlohendcn Augen,die das prächtige Antlitz beherrschten. Der andere warFicarotta.Während sie durch die Ritzen der Läden die Gasse hinab-spähten, sagte Ficarotta zu seinem Kameraden:„Es verlangt mich nach ihr, als sei ich viele Jahre nichtbei Weibern gewesen!"Der andere verzog keine Miene.„Sind Del Chiaro, Lo Forte und der alte Marchese erstbeiseite geschafft," fuhr Ficarotta fort, so verkaufe ich denganzen Rest für eine Zigarre."„Um so besser! Frech genug sind sie gewesen!"„Namentlich Del Ehiaro ist ein gefährlicher Hund. Ichhabe es immer gesagt, die Sozialisten mit ihrem dummen Ge-wäsch von Ehrlichkeit sind unsere ärgsten Feinde. Nie warenwir so schwach und gefährdet wie zur Zeit, da die Arbeiter-vereine florierten � ehe man sie niederschlug."„Ja, das ist wahr!"In diesem Augenblick hörten sie den Postillion mit derPeitsche knallen und den Postwagen die Straße herauf-rasseln.Ficarotta preßte das Gesicht an den Laden.