Bringen, die vom nnturalistischsn Dialog ebenso verschiede» ist wiez vom alten Jnmbenpatljos des klassischen uiid klassizistischen Dramas. Es handelt sich um einen neuen dramatischen Stil, um eine neu Kunst desJdealisierens" der Wirklichkeit. Von dieser Tatsache scheinen unsere Darsteller und Regisseure kein» Notiz nehmen zu wollen. Welcher deutsche Schauspieler kann Hofmannsthalsche Verse sprechen? Welcher Regisseur ist imstande, die eigenste» Wedekind-Dramen so zu inszenieren, dafc auch nur ein Hauch ihres Wesens auf der Bühne lebendig wird? Im Anfang der neunziger Jahre spielte man Haupt- mann lvie Dumas, heute spielt man Maeterlinck wie Hauptmann. ES scheint, dag Publikum und Kritik dafür keine Empfindung haben. Man läsit sich die ungeheuerlichsten darstellerischen Stilwidrigkeiten ohne Protest gefallen und konzentriert daS ganze Interesse auf die Ausstattung, auf daS Bühnenbild. Man versucht die Stimmung, die die Schauspielerei nicht erzeugen kann, durch eine künstlerische Dekoration der Szene hervorzulitzeln. Die malerischen Effekte sollen eS leisten. Dies ist das Gebiet, auf dem vor allem experimentiert, lritisiert und reformiert wird. Gegen diese Ueberschätzung des dekorativen Elements wendet sich, wie gesagt, Savits mit großer Energie und einem aus der Literatur aller Zeiten und Länder her- geholten gelehrten Rüstzeug. Er zitiert, mit Aristoteles beginnend. eine Anzahl von Autoritäten, die sich gegen den szenischen Aus- stattungSpomp erklärt haben. Und er führt was uns wichtiger dünkt mehrere praktische Gründe zur Verteidigung seines Standpunktes an. Ter dekorative Luxus nötige zu einer Verlängerung der Pausen, lenke das Interesse deS Publikums von der Hauptsache ab. räume dem Theatermeister einen ungebührlichen Einfluß auf die Inszenierung ein und verleite die Schauspieler zu Uebertreibnngen und Effekt­haschereien. Daß der letzte Eimvand unberechtigt ist, liegt auf der Hand. Aufdringliches Virtuosenlum, marktschreierische Solospielerei waren in der guten alten Zeit, als der DekorationSprunk auf den deutschen Bühnen noch nicht herrschte, viel mehr verbreitet als heute, wo sie nur noch in der finstersten Provinz ihr Wesen treiben. Mit dem StarkultuS hat der Naturalismus gründlich aufgeräumt, er macht uns heute keine Sorgen mehr. Auch die von Savits be- hauptete und beklagte Supriorität des Theatermeisters ist durchaus keine notwendige Folge einer sorgfältigeren und luxuriöseren Bühnen- auSstattung. ES kommt dabei lediglich auf die Persönlichkeiten an, und der über dem Ganzen schwebende Spielleiter wird, wenn er die nötige Autorität und Energie besitzt, den Theatermeister auf seinem Gebiet schalten und walten lasten und trotzdem dafür Sorge tragen, daß die Grenzen des Restarts nicht überschritten werden und die innere Regie" nicht zu kurz kommt. WaS schließlich die Ablenkung des Publikums durch den Dekorationspomp und die Zersplitterung des Interesses und der Stimmung durch zu lange Pausen anbetrifft, so ist hiergegen zu sagen, daß es bei diesen Dingen lediglich auf die Ge- wohnheit ankommt. Ich habe noch nie gefunden, daß das Interesse des Publikums an einem guten Stück und einer tadellosen Dar- stellung durch lange Pausen gelähmt worden ist. Unser Publikum hat sich an wiederholte längere oder kürzere Unterbrechungen der Vorstellungen gewöhnt und seine Aufnahmefähigkeit leidet viel mehr. wenn man ihm ein umfangreiches Drama ohne die ge- wohnten Pausen vorspielt. Und ähnlich verhält eS sich mit der Behauptung Savits', daS Publikum werde durch die moderne Bühnenausstattung von der Hauptsache, dem dramatischen Gedicht und der Kunst der Darsteller, ab- gelenkt. Auch hier spielt die Gewohnheit eine eutscheidende Rolle. So lange dieser dekorative Stil etwas Neues ist, nimmt er das Publikum gefangen und lenkt eS ab. Sobald man sich aber daran gewöhnt hat, betrachtet man die reichere Ausstattung des Szeneitbildes als etwas Selbstverständliches und läßt sich nicht mehr durch sie verwirren. Vor allem aber sollte doch nicht übersehen werden, daß die moderne künstlerische Bühnendekoration durchaus nicht immer prunkvoll und pomphaft zu sein braucht. Prunkvoll war die Meiningerei, aber der von Reinhardt eingeführte dekorative Stil gegen den Savits, ohne ihn speziell zu nennen, die Pfeile und Schleudern seines Zornes in erster Linie richtet ist es nicht. Künstlerisckie Dekorationen brauchen an sich nicht mehr zu kosten als eine einfache und geschmacklose Bühnenausstattung. Trotzdem ich die von Savits angeführten Gründe nicht als stichhaltig erachten kann, stimme ich feiner Forderung einer Ver- einfachling des szenischen Apparats durchaus zu. Nicht aus Ab- neigung gegenPrunk" und lange Pausen, sondern weil ich alles für verderblich halte, WaS dazu dienen kann, uns daS Bühnenbild als einen Ausschnitt auS der realen Natur erscheinen zu lasten. Wir sehen auk der Szene wirkliche, lebendige Menschen im Rahmen einer künstlichen, gemalten Welt. Das ist eine unüberbrückbare Kluft für jedes feinere Empfinden. Rur die Gewohnheit hat uns gegen diese ungeheuerliche Barbarei abgestumpft. Die alten Griechen suchten sich dadurch zu helfen, daß ste ihre Schauspieler mit Masken versahen. Dieser Ausweg würde unserem heutigen Geschmack allzusehr widerstreben und so Bleibt uns zur Versöhnung des stilistischen Zwiespalts nichts anderes übrig, als die Szene nach Möglichkeit zu maskieren, sie absolut unauffällig und neutral zu gestalten und alle naturalistischen Effekt- dabei zu vermeiden. Denn jedes dekorative Detail, das dazu dient, die Illusion der Wirklichkeit zu verstärken, weist tat- fächlich, je raffinierter und künstlerisch vollendeter es ist. nur um so nachdrücklicher auf den Gegensatz zwischen dem lebenden und dem toten Material hin, mit dem die Kunst der Bühne arbeiten muß. Der Zwiespalt wird unserem Empfinden am erträglichsten sein, wenn die Dekoration nirgends die Absicht verrät, lebende Wirklichkeit vortäuschen zu wollen. Als Ideal erscheint auch mir eine Szene, die nichts weiter bietet als einen schlichten, neutralen Hintergrund und Rahmen für die Darsteller. Ihren künstlerischen Charakter er- hält diese Szene durch die rein ornamentale Sprache ihrer Linien, ihrer Farben und ihrer Beleuchtung, deren Zusanimenklang die Grundstimmung des dramatischen Gedichts und seiner einzelnen Teile verdeutlichen und verstärken soll. John Schikowski . kleines feuilleton. RomankrisiS in Frankreich . Unter den französischen Schrift- stellern herrscht großer Jammer: ihr Lieblingskind, der Roman, siecht langsam dahin. Und wenn er auch noch nicht tot ist, so lebt er doch im Vergleich zu den Glanztagen von einst in sehr kümmer- lichen Verhältnissen. Selbst berühmte Romandichter müssen schmerzlich bewegt einen Niedergang der Verkaufsziffern kon- statieren.L'Emigre", der Ende 1906 erschienene jüngste Roman von Bourget, hat ja allerdings schon das 43. Tausend erreicht, aber was will das gegen den Absatz von ZolasLa Terre" und Rana" sagen, die auf den ersten Wurf in je hunderttausend Exemplaren erschienen.Prostituee" von Paul Margueritte be- handelt dasNana"-Sujet: aber Marguerittes Roman ist sechs Monate nach seinem Erscheinen erst beim 17. Tausend angelangt, währendNana" sechs Monate nach ihrem Erscheinen schon in ISO 999 Exemplaren verbreitet war. Jetzt hat man billige Aus- gaben, die sogar illustriert sind, aber die Autoren haben gar keine Vorteile davon, wenn auch Mareel Prevost von seinem Verleger Fayard schon 199 999 Fr. Tantiemen erhalten haben soll. DaS find eben Ausnahmen. Der Niedergang ist so groß, daß auch schlüpfrige Stoffe und gewagte Illustrationen nicht mehr ziehen. Dazu kommt noch, daß in Frankreich von einer literarischen Kritik kaum noch die Rede ist. Die Blätter lassen sich lieber das Lob, das sie einem neuen Buche spenden, als Reklame bezahlen. Vor kurzem erst so erzählt Gallois in derRevue" drohte ein Romanschrift­steller einem Blatte mit Klage, weilinfolge eines unglücklichen Zufalls" der berufsmäßige Kritiker der Zeitung sein Buch her- nntergerissen hatte, dasselbe Buch, das in einer bezahlten Reklame desselben Blattes in den Himmel gehoben worden war. Ja, es wird'jetzt schon folgendes gemacht: Zeitungen bezahlen die Romane, die sie unter dem Strich veröffentlichen, nicht bar, sondern in Annoncen und Reklamen: der Autor darf also so und soviel Zeilen der Reklamespalten des BlatteL für sich in Anspruch nehmen. Er kann in diesen Zeilen seine eigene Genialität preisen oder aber den Raum zu Ausnahmepreisen an einen anderen Literaten verkaufen, auf daß auch dieser sein Eigenlob singe. Das Publikum aber, das diese Geschäftchen jetzt schon kennt, läßt sich kein X für ein U mehr vormachen.... Die Ausbildung der Taubblinden. Bei der Volkszählung im Jahre 1999 wurden im Deutschen Reiche in 255 Gemeinden 349 taubblinde Personen gezählt. 92 dieser Unglücklichen besaßen ein gewisses Maß von Enoerbsfähigkeit, zum Teil waren es solche. die seit der Geburt oder von frühester Jugend an diesem Gebrechen litten. Die Ausbildung dieser Kinder ist demnach eine sehr schwere, aber nicht ganz undankbare Aufgabe. In welcher Weise diese vorgenommen wird, zeigte jüngst ein Lehrer des Taub« stummenblindenheims in Nowawes , Herr Riemann, in der Berliner Ökologischen Gesellschaft". Er führte aus, daß man dem Geiste des Taubblinden durch das Gefühl nahekommen müsse. Zunächst leistet das Handalphabet Hilfe, eine sehr alte Erfindung, die schon im 17. Jahrhundert verwendet wurde. Ein zweites Hilfsmittel ist die Gebärdensprache, von welcher man drei Arten unterscheidet: 1. die natürliche Gebärde, 2. die künstliche Gebärden­sprache ohne grammatische Zeichen, 3. die künstliche Gebärdensprache mit grammatischen Zeichen: letztere gibt unter Umständen ein gutes Hilfsmittel für Taubblinde ab. Weiter leisten die Blindenschrift und die deutsche Schreibschrift Hilfe, letztere muß von den Taub- blinden durch das Gefühl erlernt werden. Der Erfolg hängt ab von der Begabung: natürlich sind die hervorragend Begabten unter den Tanbblinden seltener wie unter den Vollsmnigen. Entscheidend für den Erfolg sind auch die Verhältnisse, aus denen die Kinder stammen, die Zeit der EntWickelung des Leidens und die Zeit des Eintritts deS Unterrichts. Tritt der Unterricht zu spät ein, so ist der Erfolg gering, weil der Gedankengang bcS Kindes kindlich und kleinlich bleibt. Eine wichtige Stütze für den Unterricht bildet das Gedächtnis, das oft bei diesen Kindern gut entwickelt ist. Ein taubblindeS Kind kommt zu seinem ersten Wort dadurch, daß man nicht wie beim vollsinnigen in der Lautsprache, sondern im Hand- alphabet ein volles Wort fortgesetzt auf eS einspricht, bis das Kind selbst diese Zeichen mit den Fingern wiederholt Berantw. Redaktenr: Georg Davidsobn. Berlin. Druck u. Verlag: Vorwärts Buchtruckerei u.Verlaa«anstaltVaul Singer ScEo.Berlin