Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 198.

9)

Dienstag, den 13. Oktober.

( Nachdrud berboten.

Andreas Vöft.

Bauernroman von Ludwig Thoma ,

5. Rapitel.

Es war ein frischer Herbstmorgen in Nußbach . Aus den großen Schornsteinen der Bierbrauerei zum Stern stieg der Rauch gerade in die Höhe, und der Gockel auf dem Kirchturme drehte den Kopf nach Westen.

Die eine Hälfte des Marktplages lag in hellem Sonnen­scheine, und aus allen Häusern liefen die Hunde auf die warme Seite hinüber.

Der Buchdrucker Schüchel verließ seinen dunkeln Laden and ging zum Melber Wimmer, der mit anderen Bürgern in der Sonne stand. Denn um diese Jahreszeit freuen sich Menschen und Tiere an ihren Strahlen.

Ein offener Einspänner kam die Ingolstädter Straße herauf. Ein kräftiger Schimmel zog ihn, und die Hufeisen flapperten in langsamem Tatte auf dem Steinpflaster. Neben dem Kutscher saß ein Mann in geistlicher Tracht, und der Wagen hing stark auf seine Seite hinüber.

Vor dem Sternbräu hiel das Fuhrwerk. Der Dice stieg schwerfällig herunter, und die Bürger grüßten ihn.

Er spreizte die Beine von sich, wie einer, dem langes Sißen sauer gefallen ist, und schritt bedächtig den Marktplatz hinunter.

Der Schuster Prantl sah ihn von seinem Drehstuhle aus. Er legte Nadel und Pfriemen weg und ging auf die Straße zu seinen Mitbürgern.

Habt's an Pfarra von Giabing g'sehg'n?" fragte er. Der werd halt wieder zu unser'n Großkopfeten geh'," sagte Wimmer.

Und er meinte damit den königlichen Bezirksamtmann Otteneder, welcher gerade am Fenster stand und mürrisch Heruntersah.

Seine Untertanen gefielen ihm nicht; er warf verächtlich Sie Lippe auf und sagte vor sich hin:

Faules Back! Steht auf der Straße herum und stiehlt Sem lieben Herrgott den Tag."

Abneigung von oben wie von unten. Es war eine schlimme Zeit.

Diese Bürger gewährten wohl ein friedliches Bild; aber wer ihre Neden hörte, als sie später beim Frühschoppen faßen, der gewann einen anderen Eindruck.

Der Buchdrucker Schüchel vermaß sich, daß er in seinem Wochenblatt einen unerbittlichen Stampf gegen Beamte und Geistlichkeit führen wolle; und der Melber Wimmer schlug auf den Tisch und sagte, daß die Regierung mit Absicht den

Mittelstand zugrunde richte.

Welcher Geist war in diese Leute gefahren, die sich früher al3 ruhige Männer und besorgte Familienbäter gezeigt hatten?

Es war der Geist der Auflehnung, der zuerst die Bauern ergriff, und dem sich die Bürger nicht verschließen konnten. Die Kaufleute spürten, daß es den Bauern an Geld fehlte, die Handwerker klagten über das nämliche; alle billig­ten eine Bewegung, von der sie Besserung hofften.

Trene Untertanen wurden irre an ihrer Pflicht und an ihrem Glauben.

Die Bauern verloren zuerst den festen Half. Es war auch früher vorgekommen, daß einer jammerte fiber schlechte Preise und hohe Steuern.

Aber er tat es bei den Behörden und mit ehrerbietigen Worten. Er bat nur für sich um einen fleinen Vorteil und war zufrieden, wenn sein Nachbar weniger erhielt.

Jezt kamen die Leute mit ungestümen Forderungen und berlangten Rechenschaft von der Obrigkeit.

Und was das Schlimmste war, sie fehrten sich gegen ihre Priester. Man sagte, die Geistlichkeit habe Schuld daran, weil sie zuerst den Glauben mit der Politik vermischt habe.

Aber die ließ es nicht gelten und jammerte von den Kanzeln herunter, wie der Glaube der Bäter dahinschwinde, und wie die Kirche in Bedrängnis fomme.

Die Bauern ließen sie reden und zählten grimmig das Geld, welches sie auf den Sarannen lösten.

1908

Siebenzehn Mark für den Scheffel Korn, zweiund zwanzig für den Weizen.

Und sie erinnerten sich noch gut an die Zeit, wo die Frucht mehr wie das Doppelte galt.

Das ließen die Leute zu, denen sie ihr Vertrauen schenk ten, die sie nach Berlin in den Reichstag schickten, damit sie frei hinstünden und sagten, was den Bauern not tue

Es kam eine arge Wut über die Leute.

In Niederbayern fing es an. Da rührten sie sich zuerst und fanden unter sich Männer, die sagen konnten, was sie alle meinten. Es war grob und heftig; aber Leute, die lange den Zorn in sich hineinfressen, hauen über die Schnur, wenn sie das Reden anfangen.

und wird die Ehrfurcht locker, dann schlägt sie leicht in das Gegenteil um.

Es fielen böse Worte, und der Kampf verschärfte sich von einem Tag zum andern.

Das Feuer schlug nach Oberbayern herüber; es flacerte da und dort auf. Es wurden Markgenossenschaften gegründet, ein Waldbauernbund tat sich zusammen; der Huzenauer von Ruhpolding probierte das Reden, und es ging ihm gut genug. Andere machten es ihm nach, und jeder hatte Erfolg, wenn er sagte, daß der Bauer obenauf kommen müsse.

Die bündlerischen Zeitungen fanden Eingang in die Ges meinden; überall gärte es, überall war der Boden bereitet. Es fehlte nur am rechten Zusammenhalten; und es fehlte an der Agitation.

Versammlungen müssen her," sagte der Melber Wimmer, und Vertrauensmänner. Sonst woaß ma'r über­haupt net, wer zu oan steht."

,, Vor allem a Versammlung," meinte Brantl, und de Versammlung muaß in Nußbach set'. De Leut' müassen sehg'n, daß si was rührt."

,, Das ist auch meine Ansicht sozusagen," pflichtete Bentrale. Von da aus muß die Bewegung sozusagen strahlen­Schüchel bei; Nußbach ist der Mittelpunkt. Sozusagen die förmig auseinandergehen. Also net wahr, wenn ich zum Bei­spiel hier einen Streis ziehe. Geh, Anna, bringen mir eine

Kreiden!"

Dös braucht's net," sagte Brantl, lassen Suns aus mit eahnern reis und cahnere Strahlen!"

" Ja, wenn die Herren meinen, aber das kann man doch auch mit Ruhe sagen, net wahr? Uebrigens ist Nußbach die Zentrale, und wenn man sozusagen systematisch vorgeht, muß die Bewegung von hier aus in die einzelnen Kanäle geleitet werden. Hier ist der Sitz der Presse, und so weiter, net wahr?"

sammlung, Pranti, dös muaß z'sammgeh'. Je eh'nder, desto s scho recht," sagte Wimmer. Aber dös mit da Ver­

besser."

an befannten Redner hamm, mir müassen in de Gemeinden Es braucht sei Zeit," antwortete Brantl ,,, mir müassen Grad bei der ersten Versammlung müassen mir Obacht geb'n, Leut' hamm, und mir müassen aa de Stimmung fenna. daß mir net fallieren." daß mir net fallieren."

Leut" g'nua, de auf unserer Seiten fan." ,, Um d' Stimmung brauchst di net z'fümmern.

fenn'

,, Ob sie sich aber trau'n in der Oeffentlichkeit?" Warum denn net, g'rad g'nua gibt's. Da is der Kron schnabl von Bachern, und der Stuhlberger von Giebing und der Wanninger und der Rädlmayer von Schachach: g'nua gibt's"

Man müßte sozusagen ein Verzeichnis anlegen," sagte Schüchel, auf der einen Seite müßte die Gemeinde stehen und auf der anderen der Name, net wahr? Von dem Be­treffenden. Und jeder müßte sozusagen ein Unterverzeichnis haben, wo diejenigen stehen, welche er für unsere Sache ge­winnen kann."

Ja, ja," antwortete Brantl, so oder anderst müassen mir's macha. Aba paß auf, Wimmer, in d' Hand muaß de Sach' g'numma wer'n, und a Versammlung muaß's geben, daß d' Leut schaug'n, und unser Großkopfeter dazua." Nußbach.

Er meinte wieder den königlichen Bezirksamtmann von