Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 199.
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Andreas Völt.
Mittwoch. den 14. Oftober.
( Nachdrud berboten.
Bauernroman von Ludwig Thoma ,
Das denkt die Regierung auch. Sehen Sie, da kriege ich immer Schreiben. Man erwartet, daß die Bewegung nicht um sich greift. Na, Sie wissen das ja!"
" Ich habe vor vierzehn Tagen mit der Erzellenz darüber gesprochen."
„ Und?"
" Der Minister meint eben auch, der persönliche Einfluß." " Tja, der persönliche Einfluß. Das heißt, man macht uns dafür verantwortlich."
"
Das nicht, aber..
Nu natürlich, Herr Dekan! Ich weiß doch, wie das ist. Läßt sich die Geschichte nicht aufhalten, dann heißt es, wir haben die Gefahr nicht erkannt, oder wir haben es nicht berstanden, auf die Leute günstig einzuwirken. Wir müssen es ausbaden; die Herren oben natürlich nicht."
,, Unter Einfluß, da verstehe ich doch nicht bloß Ueber. redung, Herr Bezirksamtmann."
Sondern?"
" Sondern, ja! Da gibt es viel. Alles, was halt die Aufsichtsbehörde... wie soll ich sagen? Was halt die Auffichtsbehörde sonst anwendet. Es gibt aber doch manches." Otteneder setzte sich und spielte nachdenklich mit einem
Lineale.
"
Was meinen Sie damit, Hochwürden?"
" Nichts Bestimmtes, Herr Bezirksamtmann. Aber ich denke, zum Beispiel, wenn Versammlungen stattfinden sollen. Man liest, daß hie und da eine Versammlung verboten wird." Aber nicht jede. Und was hilft es dann?"
" Man könnte auf die Wirte einwirken, daß sie kein Lokal hergeben. Ein Wirt ist doch immer angewiesen auf das Bezirksamt."
Einigermaßen ja. Aber das sind Mittel, einmal helfen fie, einmal nicht. Und übertreibt man sie, dann schreien die Leute noch ärger."
,, Auf alle Fälle muß man jezt vor den Gemeindewahlen etwas tun. Daß uns nicht lauter Bündler als Bürgermeister hingesezt werden."
Ich bin der Sache schon näher getreten, Herr Dekan." Ich weiß, mit der Umfrage. Haben Sie überall Ausfunft bekommen, Herr Bezirksamtmann?"
Von den meisten."
Otteneder schloß den Schreibtisch auf und nahm einen umfangreichen Aftenbündel aus der Lade.
Sehen Sie, das sind die Antworten. Namen genug, fast zuviel."
Ich habe unter der Hand dafür gesorgt, daß die Beteiligung möglichst allgemein war, Herr Bezirksamtmann." Nachträglich meinen Dank, Hochwürden. Aber nun sagen Sie einmal selber! Da sind mir von etlichen vierzig Gemeinden vielleicht dreihundert Männer bezeichnet, die als Bündler gelten, und die nicht in die Ausschüsse kommen sollen. Dreihundert, Herr Defan! Wie kann ich das verhindern?"
"
1908
,, Es sind Ihnen einmal die Fenster eingeworfen worden?" Ja, das war der Meisinger. Und kein anderer." " Ich notiere mir's, Herr Defan. Das ist jetzt einer. Aber dreihundert?"
Ich blicke wirklich trübe in die Zukunft, Herr Bezirks amtmann."
Otteneder machte eine verbindliche Bewegung. " Ich hoffe, daß die Herren selbst Einfluß haben. Dis Wahlen fallen vielleicht besser aus, als wir denken."
Ich fürchte, ich fürchte, es gibt Ueberraschungen. Abeg ich habe Ihre Zeit lange in Anspruch genommen.
"
Bitte, ich bin sehr dankbar für Ihren Besuch. Und für jede Unterstüßung. Ich empfehle mich Ihnen."
Der päpstliche Hausprälat näherte sich der Türe. Unter derselben blieb er stehen. Er hatte noch etwas vergessen. ,, Herr Bezirksamtmann, pardon!"
" Sie wünschen?"
solchen.
"
"
So, fo?"
" Ich möchte ihn warm empfehlen."
Was sich tun läßt..
Nochmals besten Dank, Herr Bezirksamtmann."
Die Türe schloß sich, und Otteneder war allein. Er setzte fich an den Schreibtisch und sah zur Decke hinauf.
Meisinger, Stuhlberger, der Pfarrer von Erlbach . Es hätte noch mehr sein können," sagte er.
Und sein Gesicht nahm wieder den mürrischen Aus druck an.
Ungewohnte Arbeit und eine neue Verantwortlichkeit, das sind Dinge, die einen nicht fröhlich stimmen.
Diese Neuerungen, welche überall störend eingriffen und das Amtieren erschwerten! Früher, ja, da war alles besser gewesen. Wer achtete früher auf die Unzufriedenheit der Bauern?
Sie drang nicht in die Oeffentlichkeit; wenn einer mit seiner Klage in das Amt kam, sagte man ihm, es werde schon einmal besser werden, und man wolle überlegen, wo zu helfen sei.
Man schrieb und verordnete, und die Regierung war zu. frieden, wenn auf dem Papiere alles in Ordnung war.
Jetzt sollte mit einem Male alles aus großen Gesichts punkten geschehen. Und dabei war alles im Ungewissen. nirgends eine feste Richtschnur.
Schimpften die Bauernbündler, dann empfand man e oben sehr unangenehm; schrien die Geistlichen in ihrer Presse dann war es zweimal nicht recht.
Das pendelte hin und her. Dazu eine heillose Angs vor dieser lärmenden Bewegung, weil sie Volksschichten auf wühlte, die bisher so angenehm teilnahmslos waren. In der Politik wird das Zuwenig gleich ein Zuviel, und ganz selten wird die Mitte eingehalten.
"
Solange noch etwas zu richten war, hatte man nicht auf die Bauern geachtet. ezt zeigte man eine übertriebene Furcht, die von den Geistlichen sorgsam genährt wurde. Zum Beispiel dieser vortreffliche Erlaß der Regierung! Die VorStände der Bezirksämter sollen ein besonderes Augenmerk haben, daß die bevorstehenden Gemeindewahlen ein gutes Era ,, Nicht bei allen. Aber doch bei den Gefährlichsten. Zum gebnis lieferten, daß insbesondere nicht die Führer der Bes Beispiel in meiner Pfarrei der Stuhlberger und der Mei- wegung in Vertrauensstellungen gelangten." finger! Das ist ganz ausgeschlossen, daß einer davon Bürger- Das war richtige Stubenweisheit, und der Verfasser meister wird! Das hieße geradezu den Aufstand proklamieren, mochte glauben, wie flug er mit ein paar Federstrichen nüß das hieße die Stellung des Pfarrers unmöglich machen. Der liche Verhaltungsmaßregeln angegeben hatte. Meisinger tut mir seit sechs Jahren alles an, was er nur fann. Geradezu verbrecherisch."
Der Dekan geriet in Eifer. Er schlug mit der Hand Heftig auf die Papiere, welche den Namen Meisinger enthielten.
Hochwürden, ich habe mir die Namen besonders notiert." Der Mensch hat Verleumdungen gegen mich begangen und Personen hereingezogen. Ich will mich nicht weiter aus drücken.
Herr Defan, Sie können sich darauf verlassen..." " Dieser Mensch ist ein Gottesleugner, ein Kirchenschänder. Er hat die boshaftesten Lügen über mich in der Zeitung verbreitet. Entschuldigen Sie, wenn ich heftig werde!"
Mek.
Freilich, der persönliche Einfluß mußte hier das Beste tun. So sagte auch der Abgeordnete, Hochwürden Herr Dekan Das dachten sich die Leute so.
Franz Heinrich Otteneder, der Sohn des Landrichters gleichen Namens, und der Enkel des Salinenadministrators Johann Otteneder, zuerst Schüler eines Gymnasiums, Student in München und späterhin durch lange Jahre Assessor in einer fränkischen Kreisstadt, sollte seinen persönlichen Ein. fluß geltend machen. Bei den Dickschädeln der oberbayerischen Hochebene, deren Sprache er kaum berstand, und die ihm so fremd waren wie die Neger an den Strömen Afrikas . Aber eines war gewiß.