Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 216.

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Andreas Vöft.

Freitag den 6. November.

( Nachbruck berboten.)

Bauernroman von Ludwig boma. Aber warum beim Anblicke diefer unreifen Pagen das Wolf in Wut geriet, warum ehrwürdige Greise ihre Haus­schllissel aus den Taschen holten und so greulich darauf pfiffen, das kann man nicht so einfach erklären. Die Guten haben vorher und nachher den Anblick von schlimmeren Fürstenknechten ertragen. Damals aber schien es mir recht und billig. Ich schrie brab mein pereat mit und drängte mich heran. Ein Graf Hirschberg von den Alemannen zog seinen Dolch, als man ihm zu nahe auf den Belz rückte. Er wollte einmal spanisch kommen. Da erhob sich ein Geschrei unter den Manichäern, ohrenzerreißend! Sie führten Reden, in denen keine Liebe zum Hause Wittelsbach atmete. Die Hispanier rissen aus, und wir zogen weiter in den Hofgarten. Mit einem Male erscheint mitten unter den brüllenden Hafnermeistern der Gegenstand der Volkswut. Lola Montez  felber, in eigener Person.

Schneid hatte das Frauenzimmer und eine Verachtung gegen diese fittsamen Spießbürger, die mir später imponierte. Ich stand feine zehn Schritte von ihr entfernt und sah die blizenden Augen,

Links und rechts von mir bückte sich die bürgerliche Ehr­barkeit bis auf den Boden. Diesmal nicht aus Ehrfurcht, fondern um Steine und Kot aufzuraffen. Neben mir steht ein behäbiger Herr und nimmt sich eine Handvoll. Er zieht kräftig aus, damit sein Wurf ausgiebig fei, aber er warf nicht. Jemand schlug ihm den Kot aus der Hand mit den Worten: Pfui Teufel! Gegen ein Frauenzimmer! Ihr schämt Euch nicht?"

Meine Hafnermeister das hören und auf den Jemand losfahren, war eins.

Auch so ein Lolaner! Nieder mit dem Kerl!" Aber sie merkten schnell, daß ein Tölzer Bauernbub' sich beffer wehren kann, wie ein Frauenzimmer.

Es ist ihm nichts geschehen, dem Maurus Held, und die Geschichte hat keine Steigerung gegen den Schluß. Aber sie zeigt, daß Ihr Freund seine brave Meinung gegen die vielen behauptet hat.

Und diese Eigenschaft ist ihm geblieben." Sind Sie später oft mit ihm zusammengekommen?" tragte Sylvester.

Oft? Nein. Ich war einige Zeit in betrübsamer Lage und hätte Freunde kompromittiert. Den Maurus hätte es wohl nicht angefochten, aber ich wollte nicht. Es wat genug, daß ihm mein Bruder Hans zu schaffen machte. Der da, ober Ihnen, mit der roten Müte. Ihm zulieb' hat Held seine Zu­funft aufs Spiel gesetzt, und es fehlte nicht viel zum Ber­lieren. Der Hans war einige Jahre älter als ich und faß in Lindau   als junger Arzt, wie der große Wind wehte.

Von Lindau   ist's nicht weit nach Konstanz  , und als dort Secker im April den Aufstand proklamierte, fuhr mein Hans ein bißchen hinüber. War auch dabei im Gefecht von Kandern  und half den General Gagern totschießen und floh mit den anderen in die Schweiz  .

Ein Jahr später frafeelte er in der Pfalz   drüben, bis die Preußen auf Bestellung Ruhe schafften. Mein Bruder wurde in contumaciam zum Tode verurteilt. Erschrecken Sie nicht, er starb erst vor zwei Jahren als wohlhabender Mann in Genf  . Aber damals hätten ihn die Preußen er­schoffen; sie waren dazu engagiert.

Er ließ sich nicht erwischen und lebte einige Jahre in Straßburg  . Auf einmal packt ihn die Sehnsucht, heim­zukommen. Eine fürchterliche Dummheit! Was einen da­mals nach Bayern   treiben fonnte, ist mir rätselhaft.

Die Polizei des Herrn von der Pfordten spürte meinen Hans in München   auf; ich wurde noch rechtzeitig gewarnt und lief mit ihm den Abend und die Nacht bis Sachfenfamm. Im Kloster Reutberg   saß unser gemeinschaftlicher Freund Held als Kooperator und Beichtvater der Franziskanerinnen. Feder andere hätte sich besonnen; der Maurus überlegte feinen Augenblick. Er gab dem Berfolgten Quartier und schickte ihn nach ein paar Tagen über die Grenze.

1908

Damit aber die Tiroler den Hans ohne Bedenken durch ihr glaubenstreues Land pilgern ließen, hing er ihm sein geist­liches Gewand um. Und der Hans ist auch richtig mit schuldiger Ehrfurcht behandelt nach Rorschach   gekommen.

Für seinen Retter famen unangenehme Tage. Die Polizei erfuhr die Sache, und Held mußte Rede stehen. Er log nicht lange; sagte es frei heraus, und das war eine Sache damals. Wenn Sie sich schon einmal gewundert haben, warum dieser feinsinnige und gelehrte Priester bis zu seinem Ende in Erlbach   blieb, so wissen Sie jetzt den Grund. Die Herren oben vergessen nichts. Und wir wollen ihn auch nicht ver geffen, den Maurus Held. Er war ein aufrechter Mann. Und damit gute Nacht, Herr Sylvester!"

Die beiden wurden Freunde.

Schratt war in seiner Vereinsamung nicht grämlich ge worden und hatte nichts von der Weisheit, welche vergangene Tage lobt und die Gegenwart mißachtet.

Es machte ihm Freude, ein junges Herz unmerklich, ohne lehrhafte Schwerfälligkeit zu bilden.

Und hier war die Aufgabe nicht schwer. Sylvester besaß flaren Verstand; seine Anlagen ſetzten der umformenden Hand nicht spröden Widerstand entgegen.

Er war ein junger Baum, der mit starker Pfahlwurzel im aufgelockerten Boden saß. Vollfäftig und entwickelungs. fähig; reiche Verästung hatte er freilich nicht angesezt.

Schratt lächelte oft im stillen, wenn er die Ergebnisse der klerikalen Schule vor Augen batte.

Alles Befreiende war dieser Bildung genommen. Ohne Fühlung mit der Gegenwart, schöpfte sie aus der Vergangen. heit keine lebendigen Kräfte.

Mit ängstlichem Bemühen waren die Schranken aufrecht gehalten, in denen von jeher der Geist verkümmerte.

Das zeigte sich am deutlichsten in der Art, wie Geschichte gelehrt worden war. Hier war alles geschehen, um einer späteren Erkenntnis vorzubeugen.

Die anerzogenen Borurteile griffen so ineinander, daß jedes einzelne nur mit der Zerstörung des ganzen Gebäudes gehoben werden konnte.

Und sie wurzelten so tief, daß Sylvester seinem alten Freunde eine ungewohnte Hartnäckigkeit entgegensetzte, wenn er die Freisinger   Weltgeschichte angriff.

Freilich beurteilte er als gutherziger Jüngling die Aeußerungen Schratts mit Nachsicht.

Er wußte ja, daß ihm Unrecht widerfahren war, und schrieb seine Heftigkeit einem verbitterten Gemüte zu.

Diese Milde war nicht ganz frei von Hochmut. Mang hatte doch etwas von den Leuten angenommen, welche ihr Leben lang eine gefestigte Meinung herumtragen und lächelnd abweisen, was sie hinzulernen sollten.

Schratt sah bald, wie selbstbewußt sich der junge Theologe hinter Vorurteilen verschanzte, die nicht seine eigenen waren. Er wunderte sich nicht darüber.

Neun Jahre unter den Händen von Lehrern, die alles in eine Form gießen; wie sollte sich ein junger Mensch ganz frei halten von ihrem Einflusse?

Es war viel, wenn das Wachstum nicht völlig er.

stict war.

Deshalb wurde er nicht unmutig und lockte nur den flugen Sylvester häufig aus seiner Burg heraus auf das Blachfeld, wo er ihm standhalten mußte.

Er zeigte ihm meist in scherzhaftem Tone, daß unser Wiffen nicht genau da aufhört, wo man es in Freising   ab­schneidet. Er nahm ihm ganz allmählich die Selbstzufrieden. heit und lehrte ihn das Verlangen, die Wahrheit kennen zu wollen.

Und Sylvester fam täglich mehr von dem Glauben ab, daß er sein junges Wissen mit Milde gegen den Alten auf führen müsse.

Ja, sein Mitleid verwandelte sich in begeisterte Ver­ehrung, mit einer Schnelligkeit, welche Sünglingen erlaubt ist.

Er lernte einsehen, daß die heitere Ueberlegenheit Schratts, seine Menschenkenntnis auf tiefgründiger Liebe ruhte; das gab ihm ein Recht, über falsche Größen zu lächeln, sein Urteil gegen alle zu stellen.

Aber auch die Möglichkeit, im Kleinsten das Anregende, Bedeutsame zu finden.