hingen ihm wirr in die Stirns herein, und sein Gesicht war verfärbt.„Latzt's mi geh'I" murmelte er.„J brenn' net durch." Er war nüchtern geworden. Als er ins Freie kam, blieb er stehen. An seiner rechten Hand rieselte Blut herunter; er hatte sich an den Scherben verletzt. „Du bluat'st ja, Vatal Hat er Dir aa was to?" „Nal Und halt'n brauchst d' mi net!" Er ging mit schwankenden Schritten vorwärts; Sepp blieb ihm dicht an der Seite. Ein paar Buben liefen ihnen voraus und raunten den Leuten zu: „Da Schuller hat an Hierangl umbracht I" Und wo der Schuller an einem Hause vorüberkam, ver- steckten sich Weiber und Kinder hinter der Türe und sahen ihm mit scheuen Blicken nach. „Sei Hand is no bluati davo," sagte die Wesibrunnerin. So lief das Gerücht vor ihnen her, die Gasse hinunter, wie fressendes Feuer. Und es drang in den Schullerhof, wo die Bäuerin noch immer mit angsterfülltem Herzen wartete. Da hörte sie die Botschaft und eilte aus die Straße hinaus. Und wie sie die zwei von weitem kommen sah, wußte sie, daß ein Unglück geschehen war. „Jess', Maria und Joseph! Was hast to?" Der Schuller ging schweigend an ihr vorbei in seinen Hof.(Schluß folgt.) Eis die Hltc auf ßraafet sterben Tolltet Ton Hans A a n r u d. Die alte Kari Braaset saß in einem Lehnstuhl an dem großen warmen Kachelosen in ihrer Kammer. An der einen Seite von ihr hing oben an der Wand ein Hängeschrank, der gestopft voll war von Flaschen und allerhand merkwürdigen Dingen, und an der anderen Seite stand ein Tisch, auch voll von Flaschen und Taflen. Auf dem Tisch lag ein großes Buch mit Ledereinband aufgeschlagen, uno darin las sie, während sie die ganze Zeit an ihrer Brille rückte und die Zeilen langsam mit dem Finger verfolgte; sie konnte nicht mehr gut sehen und die Hand zitterte ihr etwas. Kari Braaset war ihr Lebtag eine resolute und tüchtig« Frau gewesen und dafür war sie auch in ihrem Dorf und in der Um- gcgend bekannt— sie hatte immer Rat gewußt und vielen geholfen, Menschen wie Tieren. In ihrer Jugend, als sie zwischen dreißig und vierzig war, war eines Winters eine schlimme Seuche unter dem Bieh auf Braaset ausgebrochen, ein paar Kühe waren gefallen, und einige andere waren nähe daran. ES wurden von weither Tierärzte geholt, und Kari war es, die alle Anweisungen entgegennahm und sie auch aus- führte, und als die Seuche auch auf einigen anderen Höfen auftrat, ing der Tierarzt, der einen weiten Weg hatte, an, sie zu Hilfe zu nehmen, und als die Seuche endlich im Frühajhr erlosch, schenkte er ihr ein tierärztliches Buch, weil sie so gute Anlagen hätte. Und dann dauerte eS nicht lange, bis Kari hierhin und dorthin gerufen wurde, binnen kurzem hatte sie eine große tierärztliche Praxis,— selbst die klugen Männer holten sie zu ihren Pferden, außer wenn sie sie verkehrt beschlagen hatten oder es sich um einen rein äußeren Schaden handelte. Als dies ein paar Jahrs gedauert halte, kam etn herum- reisender Arzt ins Dorf. Er besuchte Kari,— er hätte gehört, daß sie so tüchtig sei, und es wäre immer gut für Kollegen, mit- «inander zu reden; ja, seine Sache sei es, besonders Menschen zu heilen. Ob sie sich nicht auch damit befaßt hätte. Oh ja, hin und wieder einmal, wenn es nicht anders ging. Ja, das wäre sozusagen eine andere Wissenschaft. Die richtigen Kcrzte taugten nicht viel, denn sie glaubten, eS gäbe Krankheiten, die sich nicht heilen ließen. Aber es gäbe nur eine Krankheit, die sich nicht heilen ließ, und das wäre der Tod; gegen ihn könnte man nichts tun. aber mit all den anderen würde er fertig. Ja, sie hatte schon Lust, etwas davon zu lernen, aber er würde «3 wohl, auch wenn er es gut bezahlt bekäme, niemandem lehren. Als er zwei Tage auf Braaset gewesen war und wie ein Fürst dort gegessen und getrunken hatte, endete eS damit, daß er ihr für dreißig Taler sein Doktorbuch überließ,— das einzige, das es in seiner Art gäbe, er könnte es ihr schon zur Not geben, denn er wüßte eS auswendig, und wie er abreiste, überließ er ihr auch ein Wahrsagebuch, aus dem sie sehen könnte, ob es der Tod wäre oder nicht;— das gab er ihr für zehn, aber sie mußte versprechen, nie eins davon einem Arzte zu zeigen. Bon dieser Zeit än kam man von weither zn Kari, und ob sie oder der Glaube es war, jedenfalls erholten sich viele wirklich. *) Einer neuen Sammlung kleiner, einfacher, Menschen und Natur echt und schlicht erfassender Schilderungen und Erzählungen des norwegischen Schriftstellers entnommen, die als„Erzäh» lungen " im Berlage von Georg Mcrscburgcr in Leipzig er- schienen sind. So ging es eine Zeitlang und es ging gut; der Bezirisarzt, der schwerfällig und alt war, war froh, daß ihm manche w«ite Reise erspart blieb. Aber als der Bezirksarzt starb und ein neuer her« kam, war es mit dieser Herrlichkeit aus. Es half nichts, daß Kari nie Geld verlangt hatte, höchstens ein Geschenk angenommen hatte, wenn es wohlhabende Leute waren; sie bekam eine Geldstrafe wegen Kurpfuscherei, obgleich sie selbst davon überzeugt war, daß sie die Leute gesund machen tonnte, und mehr Zeugnisse datiir herbeischaffen konnte als der Arzt. Das war jetzt zehn Jahr her. und seitdem hatte sich Kari mit einem unauslöschlichen Haß gegen alles, was Arzt hieß, zurück- gezogen. Obgleich sie sckon längst Witwe und auf dem Altenteil war, nahm sie von ihrer Kammer aus eifrig teil an der Bewirtschaftung des Hofes,— der Sohn Gudbrand fand, daß eS sich oft sehr lohnte. auf sie zu hören. Aber ihre ärztliche Tätigkeit trieb sie nur in- sofern weiter, als sie sich selbst studierte. Kein Arzt sollte an ihr herumpfuscben dürfen, wenn sie einmal fort sollte, sie würde schon selbst mit der Sache fertig werden. Darüber sprach sie übrigens nie mit jemandem, aber das war eS gerade, worüber sie nachdachte, während sie in dem dicken Buche las. Sie hatte in der letzten Zeit ein wenig gekränkelt, und heute hatte sie so seltsame Stiche unter dem einen Schulterblatt. Sie war ja auch sechsundsiebzig, so daß sie nicht erwarten konnte, so sehr lange mebr übrig zu haben; sie war nie krank gewesen, es war darum nicht unwahrscheinlich, daß dies die Krankheit war, die nicht geheilt werden konnte. Sie las und las. die Lippen bewegten sich bei jedem Wort. Plötzlich hielt der Finger inne und setzte sozusagen einen Punkt mit einem harten Druck. Dann schob sie die Brille auf die Stirn und lehnte sich im Stuhl zurück— ach, es tat so weh hinten im Schulterblatt. Sie blieb eine Weile sitzen und blickte mit fest zusammengekniffenen Lippen vor sich hin. Dann war es, als ob sie einen neuen Gedanken bekäme, und sie streckte die Hand aus nach einer Schale, die auf dem Tisch stand— eS sah aus, als ob die Hand ein wenig mehr zitterte wie gewöhnlich. In der Schale war Wasser und darin ein aufgeschlagenes Ei. Sie betrachtete den Dotter einen Augenblick scharf, und fetzte dann die Schale weg, als ob sie sich die Finge« verbrannt hatte. Darauf saß sie lange da und blickte vor sich hin. ohne etwas Bestimmtes anzusehen, und die Lippen kniffen sich mehr und mehr zusammen, so daß sie schließlich nur einen dünnen, weißen Strich bildeten. Dann nickte sie bestimmt mit dem Kopfe, stützte beide Hände fest gegen die Stuhllehne und erhob sich. Langsam nahm sie einen Gegenstand nach dem anderen vom Tisch, setzte sie in den Schrank, auch das Buch wurde hineingelegt, dann schlug sie die Tür zu und verschloß sie. Sie letzte sich wieder hin und saß lange unbeweglich da und dachte. Dann schien ihr ein neuer Gedanke zu kommen, sie streckte die Hand ans, nahm ihren Stock und klopfte dreimal auf den Fuß» boden. Ein kleines Mädchen steckte den Kopf zur Kammertür herein: „Wünscht Du etwas, Großmutter?" „Ja, ist Dein Vater drin?" „Nein, er steht im Schuppen und hackt Holz." „Er möchte hereinkommen!" Eine Weile darauf kam Gudbrand in die Kammer „Was willst Du, Mutter?" „Ach, ich wollte einmal mit Dir reden." Gudbrand setzte sich. „Du erwartest die Viehhändler bald, höre ich?" „Ja, sie sollten diese Woche kommen." „Ist es der rotscheckige Zweijährige, den Tu verkaufen willst?" „Ja, das wollte ich." „Hm. ja, ich wollte Dir sagen. Du solltest eS doch fein lassen." Gudbrand sah- verwundert auf. „Ja, Du hast keinen jetzt, der sich besser zum Schlachten eignet." Jetzt sah Gudbrand erstaunt aus. „Zum Schlachten? Ich soll doch in dieser Jahreszeit nicht schlachten." ..Es könnte sein, daß Du zu einer Leichenfeier schlachten müßtest." Gudbrand erhob sich schnell: „Bist Du krank. Mutter?" „Pst, es ist besser, Du sprichst mit den anderen nicht darüber, aber in vierzehn Tagen werde ich fort müssen." „Bist Tu krank? Soll ich den Arzt holen?" „Den Arzt, was sollte der dabei? Nein, damit werde ich am besten selbst fertig." Gudbrand war anfangs ein wenig erschrocken, aber als sie eins Weile geredet hatten und er herausbekam, daß sie nicht weiter krank war, sondern sich nur schwach fühlte, kam er zu dem Schluß, daß die Mutter wohl anfinge, etwas kindisch zu werden,— er müßte ihr denn zunächst den Willen tun und den Ochsen behalten, das war ja nicht weiter gefährlich, und im übrigen wollte er sich auch sonst danach richten, was sie verordnete, und er versprach, den anderen gegenüber davon zu schweigen, als sie ihm schließlich an- vertraute, daß eS gerade heute in vierzehn Tagen eintreten würde. In den nächsten Tagen fühlte sich Kari noch immer schwach, aber sie hatte soviel zu tun, daß sie keine Zeit hatte zu liegen. Alle ihre Schiebladen mußten einzeln auf den Tisch gestellt werden, und
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25 (23.12.1908) 248
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