Nnterhaltungsblatt des Dorwärts Nr. 1. Freitag den 1 Januar. 1909 lNaSdrnik derbsten� Oer Tleiknacktsbaum. Bon Peter Nansen . Sie stehen im Kreise und warten, bis die Mutter die letzten Lichter ausgeblasen hat und sagt:„Jetzt dürft ihr plündern!" Und die Kinder fahren drauflos, ein jedes nach Verstand und Gaben. Es sind dumme Kinder darunter: die greifen nach der- goldeten Aepfeln und Knittergold, das in Büscheln dahängt. Es sind dicke und bequeme Kinder da: die stellen sich ganz ruhig hin und leeren Düten und Netze, und wenn sie Pfeffernüsse darin finden, mogeln sie sie listig in andere Behälter hinüber und behalten selber nur die leckersten Sachen. Es sind schwache Kinder da: die werden beiseite gepufft und stehen verzagt, das Weinen in der Kehle, hinter den andern, bis einer der Erwachsenen sie entdeckt und ein paar Handvoll für sie sammelt. Und da sintr ehrgeizige Kinder, die auf Stühle klettern und so lange auf den Zehen stehen, bis sie den Stern an der Spitze heruntergezerrt haben. Daneben hängen auch ge- wohnlich Marzipanfiguren und saftige Apfelsinen, die mit in den Kauf geben. So plündern die Kinder den Tannenbaum, ein jedes nach Verstand und Gaben. Das Kind schläft ein, die Augen voll von Kerzenglanz, den Magen voll von Sühigkeiten und Leckereien. Es erwacht früh und besinnt sich, daß Weihnachten ist. Die Geschenke liegen im Wohnzimmer unter dem Tannen- bäum. Wie sie wohl bei Tage aussehen?— Vater und Mutter schlafen noch. Leise steigt es aus dem Bett; aus bloßen Füßen und im Nachtkleidchen huscht eS hinaus auf den kalten Korridor und durch das Eßzimmer. Dort ist eS fast dunkel. Die Gardinen sind vorgezogen. Die Wohnstuben- tür steht angelehnt— wie schwarz es da drinnen aussieht! Das Kind bleibt aus der Tiirschwelle stehen, ein un- heimliches Gefühl erfaßt es. Der Baum steht wie ein drohen- der Schatten da, kalt und kahl streckt er die langen Arme aus. Es ist so grabesstill hier drinnen in dem dunklen Zimmer, daß man es hören kann, wenn die Nadeln von den Zweigen herabfallen. Und dann begegnet der starre Blick dem Bilde einer kleinen weißgekleideten Gestalt im Spiegel, der schräg über dem Sofa hängt. Das Kind eilt atemlos zurück, es stößt die kleinen Füße an den Tisch- und Stuhlbeinen, hat keine Zeit, die Türen zu schließen, und verkriecht sich zitternd in die Kissen, die noch warm sind. Da drückt es sich hinein, wagt nicht auf- zusehen, vor Angst, etwas Schreckliches zu erblicken, ist nahe daran zu weinen, und schläft schließlich wieder ein. Wenn dann die Mutter aufsteht, schaut sie zu dem Kinde hinüber, das ganz in den Kissen begraben daliegt. Sie beugt sich hinab, küßt die brennende Stirn und lächelt. Der Tannenbaum wird in das Schrankzimmer gestellt. Dort steht er und wirft seine Nadeln von Weihnachten bis Neujahr ab. An den Zweigen kleben lange rote und gelbe Stearinflecke— das ist sein ganzer bunter Schmuck. Die Kinder gucken zu ihm hinein, anfangs ein wenig scheu und feierlich, bald aber verliert sich ihre Befangenheit. Sie kehren jeden einzelnen Zweig um, legen sich wieder und wieder auf den Bauch und durchwühlen den Sand deS Kübels, um zu sehen, ob sich nicht doch irgend etwas Gute? verkrümelt haben sollte. Und dann haben sie in Erfahrung gebracht, daß der Baum am Silvesterabend wieder aufgeputzt werden soll. Das war also das Ganze! Ein Weihnachtsbaum ist nichts weiter als ein aufgeputzter Tannenbaum— gar nicht etwas apart Feierliches, das das Weihnachtsfest gebracht hatte, sondern etwas, das man haben konnte, so oft man wollte, wenn man nur die Mutter zu bewegen vermochte, ein wenig Naschwerk und Schmuck herauszurücken! Sie stehen vor der Wohnstubentür und warten. Durch die Ritzen können sie sehen, wie eS Heller und Heller wird� Das ist der Vater, der da drinnen anzündet. Sie sind fast ein wenig verlegen: sie können mit dem! besten Willen nicht so gespannt und erwartungsvoll sein, wie die Mutter es von ihnen voraussetzt. Und dann geht die Türe auf. Nicht die Kinder deS Hauses, sondern nur die kleine Tochter der Waschfrau sagt: „Ahl" Die andern schleichen stille herum, finden den Baum ärmlich, finden, daß viel weniger Lichter da sind als neu- lich, mustern, was angehängt ist, und sehnen sich nur danach, daß die Lichter ausbrennen sollen. Nun sehen sie, wie das Ganze gemacht ist. Sie beachten alle Lichthalter, jedes einzelne Band: sie sehen, daß viele von den Düten und Körbchen zerrissen und zerknittert sind. Und dann geht ein steifröckiges, sechsjähriges Ding hin und sagt in gönnerhaftem Ton zu der kleinen Tochter der Wäscherin: „Findet Stine nicht, daß der Weihnachtsbaum wunder» schön ist?" («achdruck verbomui Die Zeit der fehweren Not/) Von H. LönS . Der Wind pfiff halb von Nord, halb von Oft. Allem, was am Berge lebte, mißfiel er. alle, MauS und Eichhorn, Has und Neh, Fuchs und Dachs, blies er in ihre Versteck«, und Bussard und Krähe, Meise und Häher pustet« er über den Kamm des BergeS an den Alesthang. Es fror, daß es knackte. Die Weizensaat unter dem Walde winterte aus, die Rinde der Eiche sprang, still stand der Graben und der Bach verschwand. Sieben Tage schnob der bitterböse Wind im Lande umher, dann verlor er den Atem. Ueber den Berg stieg eine Wolkenwand, schwarzblau und schwer, schob sich über den hellen, hohen Himmel und legte sich tief auf das Land, bis sie sich an den scharfen Klippen des Berges den Bauch aufschlitzte. Da quoll es heraus, weiß und weich, einen Tag und eine Nacht, und noch einen Tag und noch eine Nacht, und so noch einmal, bis alles zugedeckt war im Lande und auf dem Berge, und so sauber aussah und so reinlich, daß die Sonne vor Freude lachte. Ihr Lachen brachte Leben an den Ost- hang des Berges. Mit einem Male waren die Rehe wieder da und die Hasen, Fuchs und Dachs fuhren aus ihren Gebäuden, das Eich- hcrn verließ den Kobel und die MauS das Loch, Busiard, Krähe und Hoher tauchten auf und überall wimmelte es von buntem, lustigem Kleinvogewolke. Das Lachen der Sonne war falscher Art, es kündete Blut und Tod. Der tauende Schnee ballte sich und brach Ast und Bäume; er knickte die Fichten und krümmte die Jungbuchen, und auf dem Boden überzog der Schnee sich mit einer Kruste, hart wie Eis und scharf wie GlaS. Der Ostwind hatte ausgeschlafen und blies aufs neue gegen den Berg. Da kam die Zeit der schweren Not. Die Raus hatte ihren Gang unter dem Schnee, das Eichhorn behalf sich mit Blattknospen und Rinde, der Hase rückte in die Kohlgärten, der Dachs verschlief die hungrigen Nächte, der Fuchs suchte die Dungstätten ab. Uebel daran aber war das Reh. Die Saat war begraben in steinhartem Schnee. Die Obermast im Holze mar verschwunden. Verschneit waren die Himbeeren, verweht die Brombeeren, unsichtbar die Heide. Buchenknospcn und dürre Halnie, trockene Blätter und harte Stengel, das war alles, was der Berg an Aesung bot. Der Hunger ging durch den Wald. Wo sein« Augen ein Reh trafen, da fiel es ab. Der Hals wurde lang, die Dünnungen tief. rauh die Decke und immer größer die Lichter. Langsam und vorsichtig zogen die Rehe am Hange entlang, aber alle Behutsamkeit half ihnen nichts; eins nach dem anderen trat durch die Eiskruste des Schnees und zerschäbte sich die Läufe. In jedem Wechsel zeichneten sich blaßrote Flecke ab. Und wieder baute sich eine schwarzblauc Wand hinter dem Berge auf, schob sich über den hellen Himmel, legte sich über das Land, riß sich an den Klippen den Pansen auf und schüttete Schnee auf das Gefilde, einen ganzen Tag und eine volle Nach.. Und wieder lächelte die Sonne ihr hinterlistiges Lächeln und machte Eis ans dem Schnee. Noch langsamer, noch vorsichtiger zogen die Rehe dayin, mit Hälsen, so dünn wie Heister, schwarze Löcber in den Dünnungen. Und wo sie zogen, da wurde der Schnee rot. Der Tod ging durch den Wald. Da war kein Reh am ganzen Diese Tierstudie ist dem im Verlage von Adolf Sponholtz in Hannot er erschienenen Tierbuchc„Mümmelmann" von H. LönS (geh. S b» Mk„ geb. 3,50 Mk.) entnommen.
Ausgabe
26 (1.1.1909) 1
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