Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 9. Donnerstag den!4 Januar. l909 lNachdruS verSolev.) Vas täglicbe Srot . Roman von C. V i e b i g. Die Mädchen kicherten: sie kannten die fixe Idee der alten Mathilde, die immer noch auf den Mann, der sie einstmals. um ihrer jüngeren Schwester willen, hatte sitzen lassen, wartete. Sie lachten ganz ungeniert, als Mathilde in ihrer Herzensfreude sie alle zur Hochzeit einlud. ..Na, was sagt denn nu die Hauptmannsche?" fragte die Reschke.Me wird scheene drinne sitzen, die kriegt so leicht keene. Schmalhans Küchenmeister. Und denn die unjezognen Balje, " .Äch Jottchenl" Mathilde schnauzte sich krampfhast. Mathilde," sagte se zu mich,ich sch Ihnen man unjern scheiden."Ina Frauchen," sag ich,ich tret ja in den Heiljen Ehstand."Ach so," sagte sc,na denn,is was anders, denn wusch ich Ihnen viel Jelückl" Aber man sah es ihr an, wie eS se leid tat. Na und denn rief se deKinderches, und dann sagt se:"Kinderches," sagt se.de Mathildche will wegjehn." Ach und de KindercheL kamen in de Küch und hingen sich an mein Rock und denn baten se:Bleib dock» bei uns. Ma° thildchel" Ach Jottcheu, Jottck>en, das Herz im Leib tat wer Weh.Aber nei," sag ich,Das Buchchen hat jesprochen." Da feiern wir also bald fidele Hochzeit," rief die Reschke ganz ernsthaft.Jk halte Ihnen beim Wort." Die Mädchen prusteten vor Lachen. Mathilde merkte nichts von der allgemeinen Henerkeit: ohne den zerstreuten Gcsichtsausdruck zu verlieren, erhandelte sie ein billiges Gemüse und stieg dann, verträumten Blicks, die Kellertreppe empor. Ein übermütiges Gelächter schallte hinter ihr drein. Da schlag einer lang hin," krähte eine blasse Weiß- blonde, die recht mitgenommen aussah. Es war die Minna von Doktor Ehrlich, einem Junggesellen, bei dem sie gut kochte und während der Sprechstunden die Tür öffnete. Tic übrige Zeit, die der Doktor auf der Praxis zubrachte, ging sie spazieren. Vergangenes Frühjahr war sie in der Gäben- straße aufgetaucht mau munkelte, direkt aus der Charit� sehr elend und herabgekommen: nun ging sie in Lackschul)en und trug sich kokett.Wie'ne Dame," sagten die andern neidisch. Minna konnte sich über dieDämlichkeit" dieser Person gar nicht beruhigen. Was wollen Se, Fräuleinchen" Frau Reschke zuckte, mitleidig und geringschätzig die Achselnjede is nich so helle wie Sie. Aus Ostpreußen lieber Jottl Hätte die sonst zwei Jahre bei'n Hauptmann jedicntl Aber da fällt mir ein, det wäre am Ende was for meine Nichte I" Als sich eben jetzt, oben am Ausgang der Kellertreppe, zwei Beine in Drillichhosen vorüber bewegten, rannte sie, so rasch es ihre Korpulenz erlaubte, die Stufen in die Höhe. Sie, Peters, pst. Siel".... m Der Bursche von Hauptmanns, der langsam, ern Paar zu reparierende Stiefel seines Herrn unterm Arm. an der Hauswand entlang strich, drehte sofort um. Er ahnte wieder eine kleine Weiße oder einen Faustkäse. Peters, uf'n Wort!" Frau Reschke zog ihn in den Keller und redete da in einer Ecke eifrig auf ihn ein. Die da?" sägte er und wies mit dem Daumen über die Schulter nach Berta.Smucke Decrnt" Die is keen Fressen for Euchl Aber meine Nichte is <och een sehr nettet Mächen." Erst schn," grinste der Bursch psifsig.Wir köpcn ken Katt in de Sack." Sehn is nich." sagte die Reschke ärgerlich.Wenn ik sage, se is wat for Euch, denn is sc cbent wat." So denken Se vielleicht. Mutter Reschke. daß Se mir wieder mit so'n ole Postiihr tosamen schmeeren? Nich mal tonnt se Mehlbeutel kochen! Un eu Söten" er wischte sich den Mund..pfui Deiwel!" .Lasse» Sie die Dummheiten, PeterS! Hier!" Sic druckte ihm heimlich einen Faust käste in die Hand und steckte ihm die Taschen voll Pflaumen.Jk weeß ja, was Sie for en Blick for allens haben, ik wer' Ihnen doch nischt Schlechtes zu- schustern. Sagen Se man Ihre Gnädige Se müssen det so jang a propos einfließen lassen det hier en Mächen wäre, det fennost for ihr paßte: stark, fleißig, sauber und sehr bescheiden. Sie jiebt ja so ville druf, wat Sie sagen. Ne, wie Sie bei Hauptmanns estimiert sind, det weiß ja de janze Straße. Et soll Ihr Schade nich seinl" Während dessen läutete die verborgene Klingel in einen? fort: ihre Stiimne lvar heiser, wie gebrochen von Heber- strengung, und doch versagte sie nicht, sie schnappte nur zu- weilen ab mit einem grellem Mißton, um dann wieder desto lauter, desto eindringlicher zu schrillen. Jotte doch, der Radau," stöhnte die Reschke und hielt sich die Ohren zu. Es ging auf zwölf, und sie war ganz er- schöpft, abgemattet vom unaufhörlichen Schwatzen, Zureden, Handeln, Schmeicheln und Klatschen. Mit einem lauten: Uff!" ließ sie sich auf eine umgestülpte Tonne fallen: was das wieder einmal ein Vormittag gewesen! Den Mund mußte man sich fusselig reden wegen'nes Stengels Petersilie und'ner Handvoll 5kartoffeln. Sie beklagte sich bitter über den hungerleidrigen" Grünkram, bei dem man kaum das trockne Brot verdiente, und verglich ihn neidisch mit dem Laden des Materialwarenhändlers schräg gegenüber. 4. Auf das Haus Göbcnstraße 8 mündete die Kirchbachstraße. Linke Ecke: Materialwaren en gros und cn detail von Her- mann Handkc: rechte Ecke: Stehbierballe und Destillation. Standen Reschkcs vor ihrer Kellertür, so konnten sie die ganze Kirchbachstraße übersehen, deren fünfstöckige Häuser in zwei starren Linien einen schmalen Streifen Himmel be- grenzten. Eine Unmasse kleiner Leute, die nie Vorräte im Hause hatten, wohnten in diesen Mietskasernen mit den engen Höfchen: da ging die Ladentür bei Handke denn den ganzen Tag! Kinder, die kaum laufen konnten, schleppten mit Körben nnd Düten, zur Mittag- wie zur Abendmahlzeit wurde jedes bißchen einzeln, eingeholt, jedes Pfündchen Mehl, jeder Krumen Salz. Nicht nur in den Vormittagstunden, von früh bis abend war ein ewiges Kommen und Gehen im Laden an der Ecke. Feierabends, besonders zum Schluß der Woche, inachia ihm freilich die Destille an der rechten Ecke Konkurrenz. Da strömten Männer, alte und junge, in Blusen und in Rocken, Fabrikarbeiter und Handwerker, Fleißige und Faule, Nüch- kerne und schon Halbvolle dort hinein. Die Kinder trippelten auch dort ab und zu, Flaschen und Kruken, Gläser und Gläs­chen ängstlich vor sich hertragend und mit krausen Nasen den Duft einziehend. Das schwirrte und wirrte wie ein Bienenschwarm auf dem engen Raum vor dem Schenktisch: undurchdringlicher Qualm lagerte über den Menschen, den kahlen Holztischen, den handfesten Stühlen und den verschütteten Neigen der Getränke. Von fettigen Köpfen war die Tapete über den Bänken an der Wand blank gescheuert. Die Männer der Göben- und Kirchbachstraße, die in den Hinterhäusern bis hinauf zur Höhe deS Himmels, in den Kellern bis hinunter in die Tiefe der Erde wohnten, saßen und standen hier herum. Ob die Sommernacht in träger Schwüle über den Häusern brütete oder der Winterwind fauchend durch die Straßen strich, hier wurde gehockt bis gegen den bleichen Morgen. Hier wurde politisiert und verschimpfiert, gehest und gemurrt, ge­schimpft und gelacht, in den Himmel gehoben und in die Hölle verflucht, mit Fäusten auf den Tisch geschlagen und der Boden bespuckt. Je weiter die Nacht vorrückte, desto lauter die Unterbaltung. En Schkandal". brummte oft neiderfüllt Reschke. wenn er im grauenden Morgcndämmcr mit seinen Hunden losfuhr lind drüben noch hinter dem Schankfenster das Licht glimmte. Er>var einer von den wenigen in der Straße, die nie die Destille besuchten. DaS sollte ihm fehlen, dem Kerl drüben. der ohnehin schon so viel verdiente, noch selber sein gutes Geld hintragen! Heute nachmittag, als ihnbei's Bücherführen" nehen seiner Weißen ein Appetit auf einen Psefsermiinz ankam, schickte er Berta mit einen Fläschchen hinüber.