zwischen den Zähnen hielt, so rasch fuhr sie mit dem Kopf zum Feusterchen heraus. Das war sein Zeichen! Hastig stülpte sie den Hut auf, ergriff Filethandschuh und Sounenschirm und polterte die Hintertreppe hinab. Im Hof war er nicht mehr, aber da, auf der Straße, am Laternen- Pfahl stand er. Den Strohhut auf ein Ohr geschoben, das Stöckchen unter den Arm geklemmt, die Zigarette im Mund- Winkel, so trat er ihr entgegen: die weiten Hosen schlotterten ihm elegant um die Beine. Arturl" Sie wurde rot und blaß. Tag, Mine!" Er gab ihr die Hand, und sie sah einen großen Siegelring an seinem Zeigefinger blitzen. Neu?" fragte sie bewundernd. Neu," wiederholte er nachlässig und stellte sich doch zugleich vor sie hin, als wollte er sagen:Bewundre nur weiter I" Nun sah sie erst, wie fein er war! In einem hellen Anzug, den sie noch nicht kannte, und in braunen Halbschuhen: unterin Kragen flatterte ihm eiir hellblauer Seidenschlips mit Weißen Punkten, auf den Leib baumelte ihm eine Uhr- kette mit allerhand Berlocken. Wie ein Herr! Der Mund blieb ihr vor Staunen offen. Fein, was?" sagte er mit heimlichem Stolz und klopfte mit dem Stöckchen an seine Hosen.Alles auf Pump! Aber was hilft's, man muß doch standesgemäß auftreten. Von morgen ab schreibe ich Akten bei Rechtsanwalt Sieboldt in der Jägerstraße. Fünfundvicrzig Mark monatlich für den Anfang: dann mehr. Die schöne Auguste, die von unserer Straße dahin verzogen ist, hat mir die Stellung verschafft. Ich bin froh, endlich krieg ich doch meine Ruh. Und Rad- fahren lernen werd ich nu auch!" Hast Du en Glücke!" Sie schlug erfreut die Hände zusammen, und gleich darauf empfand sie es wie eine be- sondere Genugtuung, daß er. der feine Herr, sie noch aus- führte.Wohin gehn wer denn!" fragte sie verschämt und glücklich. Ja wohin?!" Unternehmend fuchtelte er mit dem Stöckchen durch die Luft.Irgendwohin, wo's recht fidel ist. Heut wollen wer mal leben. Weißte, Mine, kost's, was es kost!" lFortsetzung folgt.) (Ziachdruct verboten.) 21 Huf IVachtpoftcn. Erzählung aus dem Soldatcnleben von Wilhelm Hellt» ig. Zuerst ging der Marsch zu der Festungsstuben-Gefangeucn- ansialt, wo gleichfalls ein Posten aufzustellen war. Tort befand sich das Offizicrgefängnis. über welches allerlei dunkle Gerüchte umgingen. So wurde erzählt. eS säße dort schon seit 1870 ein alter. Weißbartiger Mann. Was er einst verbrochen, wußte niemand zu tagen, nur hieß es, er habe es gar nicht schlecht, sogar der Posten müsse ihm ehrerbietig begegnen. Martins Posten war aber nicht dort, sondern vorn, nahe dem Tor und dem Wachtlokal, hinter deii hohen Palisaden, die die Kasematten vom anderen Teil des Zitadclleninnern trennten. Auf ein Klingelzeichen öffnete ein Unteroffizier das" Hoftor. Der Posten erhielt seine Instruktion, pflanzte das Seitengewehr auf und trat seinen Dienst an. Es war kurz vor zehn Uhr und auf dem Hofe herrschte noch lebhaftes, fast lustiges Treiben. Die Arbcitssoldaten in ihren schwarzen Jacken tummelten sich im Hofe umher, turnten an einem Reck und vergnügten sich mit Bock- springen. Martin näherte sich ihnen, aber sie nahmen scheinbar keine Notiz von ihm. Das Leben hier drinnen erschien jedoch gar nicht so abschreckend, es sah sogar ganz gemütlich und behaglich aus, als die Leute im letzten Abendschein, der über die hohen Wälle herüberleuchtete, so heiter spielten. Aber nur kurze Zeit dauerte die harmlose Ausgelassenheit der Sträflinge. Dann ertönten die langgezogenen Klänge des Zapfen- strciches von der Torwache herüber, und gleichzeitig erscholl das Kommando:Auf die Stuben!" Im Augenblick war der Hof leer, und Martin fand sich ein- sam in dem kahlen, öden Raum. Von drinnen her tönten noch einige Befehle, dann wurde es dort immer stiller; das Abendrot verlor sich. Dämmerung und Dunkelheit breitete sich über die Wälle. Tie Uhr am Portal meldete jede Viertelstunde. Einsam wanderte der Posten vor den vergitterten Fenstern hin und her. Drinnen schien alles zu schlafen. Er betrachtete nun das verrufene Asyl. Das Kasernement unterschied sich eigentlich gar nicht von den übrigen Kasematten, in denen gewöhnlich Fcstungöartillerie untergebracht war. Nur der hohe Palisadenzaun schloß es streng von der Außenwelt ab, wenn man das Innere der Zitadelle überhaupt als Außenwelt betrachten wollte. Vorn, dem Palisadentor gegenüber, führte ein größeres Rundbogenportal hinein in die Tiefe des Walle?. Neben diesem sah er in mehreren Stockwerken die großen, luftigen Fenster der Wohnungen beaufsichtigender Unteroffiziere. Unten aber, am inneren Wall entlang, lief eine Reihe kleiner vergitterter Fenster. Auch zwei feste Türen führten in die dahinter liegenden Räume, deren Fußboden tiefer lag als die Pflasterhöhe des Hofes. Wenn der Posten an ein Fenster trat, so schaute er in ein Souterrain hinunter. Er versuchte, einen Blick durch das Gitter nach unten zu werfen. Umsonst, tiefe Finsternis herrschte da drinnen. Doch Lispeln und Schnarchen glaubte er zu vernehmen. Plötzlich tauchte dicht vor ihm ein bleicher Kopf auf, ein paar funkelnde Augen starrten ihn an und eine gedämpfte Stimme wisperte:Paß auf, Kamerad, daß keiner von uns ausreißt." Martin trat zurück. Seine Instruktion verbot ihm, mit den, Gefangenen zu sprechen. Er deutete schweigend auf das entblößte Faschinenmesser, das auf seinem Gewehr festsaß und blinkte. Du wirst doch keinen stechen, der Dir nichts tat", zischelte es drinnen wieder. Dann war!wr Kopf verschwunden und Martin setzte seinen eintönigen Spaziergang fort. Nach einiger Zeit fuhr aus einem Loche der Tür ein kleine Fahne und ein leiser Ruf ertönte:Posten I" Der Instruktion nach mußte Martin auf dieses� Signal hin einzelne Leute hinaus und zum Brunnen gehen lassen, sie aber während dieser Zeit scharf im Auge behalten. Beim Oeffnen trat ein wahrer Riese heraus. Das Gewehr unter dem Arm ging der Wachtposten langsam hinter ihm her. und dabei drängte sich dem Soldaten die Frage auf, was er wohl tun würde, wenn der Gefangene jetzt entspringen oder ihm die Schlüssel entreißen wollte. Der Instruktion nach mußte er ihn niederstoßen. Ihn unver- sehrt festzuhalten, hätte er kaum hoffen können, der Arbeitssoldat war ungleich größer und kräftiger als er; also mußte er eventuell gleich alles auf eine Karte setzen oder ihn laufen lassen. Beides bot keine angenehmen Aussichten. Entlief der Gefangene, so saß Martin im Gefängnis. Aber einem Menschen das kalte Eisen in den Leib jagen? Wäre eS nicht doch besser zu brummen, und wenn's ein Jahr wäre? Doch Gott sei Tank, der Riese dachte wohl nicht an's Ausrücken. Auf dem Rückwege blieb er ruhig mitten auf dem Hofe stehen und blickte zum Sternhimmel hinauf. 'Eine schöne Nacht heute, nicht wahr?" Martin nickte nur. Die Unteroffiziere oben hatten noch Licht, und alle Fenster standen offen. Hast Du schon mal von Trenck gehört?" fragte der Mann weiter. Trenck ? Trenck ? Wer ist das?" Freiherr Friedrich von der Trenck , der Günstling des alten Fritzen, den Fritz zehn Jahre lang drüben in der Sternschanze fest» gesetzt hat." Ach so! Jawohl. Aber das ist lange her. WaS hast Du mit dem?" Ja. der saß hier nebenan hinter der Mauer, ehe sie ihn drüben in die Sternschanze brachten. Ich habe sein Gefängnis hier in der Zitadelle entdeckt, als ich vor einiger Zeit da drüben in einem Keller Kohlen und Holz verstauen mußte. Gleich hinter der hohen Mauer dort, die sich über den Holzschuppen erhebt, ist ein enger Hof. Von draußen führt eine eiserne Tür zu ihm hinein. Gerade dieser gegenüber auf der Wallseite findest Du eine andere Tür, die führt in einen engen, kleinen Keller, tief im Wall eingebaut; das ist TrenckS Gefängnis gewesen. Ich sage Dir: ein scheußliches Loch." Aber woher weißt Du--* Ich habe Trencks Geschichte genau studiert und irre mich nicht. Rebrigens brauchst Du es ja nicht zu glauben. Gute Nacht!" Martin trat wieder an das Fenster, hinter dem vorhin der Kopf erschienen war. Deutlich hörte tr, daß drinnen gesprochen wurde. Offenbar unterhielten sich Sträflinge. Eigentlich mußte er ja diese Unterhaltung verbieten, doch sie sprachen so leise und ruhig, daß er es nicht über sich brachte, die Leute raub anzu» fahren und den Schweigebefehl zu geben, der ihm selbst sehr über- flüssig vorkam. Er zog es vor, sich seitwärts neben das Fenster zu stellen, um zu horchen» und verstand bald jedes Wort, das drinnen gesprochen wurde. Du, ich glaube, der Posten hört uns." Schadet nichts, der tut uns nichts." Er wird uns melden." Nein, er scheint mir ein anständiger Kerl zu sein. Ich habe vorhin mit ihm gesprochen." Na, dann erzähle weiter." Ich hatte in meinen jüngeren Jahren davon gelesen und immer gewünscht, mal' hier in der Zitadelle und auch da drüben, in der Sternschanze, nachstöbern zu können, ob nicht noch die Ge- sängnisse des Frcihcrrn von der Trenck zu finden seien, oder doch wenigstens Spuren davon. Freilich, daß sich dieser Wunsch erst erfüllen sollte, als ich selbst Gefangener in der Zitadelle war, das hätte ich damals nicht ahnen können. Na, d i e Geschichte hier in der Zitadelle kennst Du ja. Ich will Dir jetzt also lieber er- zählen, wie ich auch da drüben in der Sternschanze mit meinen Forschungen Erfolg hatte, aber dabei leider so bösartig hinein- kiel, daß ich an den Folgen noch heute hier festsitze." Tu hast also auch in der Sternschanze was entdeckt?"