gehört, schaffte er sich einen possierlichen kleinen Affen an; nun liefen sie alle dahin. �iwei- oder dreimal die Woche, morgens nach neun erst, kam ein Wagen vorgefahren, der neue Ware brachte; das war bequem, der Händler trug sie noch in den Keller. Aber viel Nutzen war nicht dabei, der Einkaufspreis war jetzt zu hoch, und Mutter Neschke begann einzusehen, daß ihr Alter einst- mals doch nicht so schlecht ausgesucht hatte. An übergroßer Frische litten die Gemüse nie; es war eine ordentliche Arbeit, das Welke und Faule auszulesen und die Kohlköpfe und Rübenbündel hübsch auszuputzen. Es ge° hörte eine besondere Gewandtheit dazu, die Birnen, die meist auf einer Seite schon einen Faulfleck hatten, dem Käufer mit einzuschmuggeln. Trotzdem hatte der Keller seine Kunden; Kleinigkeiten, bei denen es nicht darauf ankam, kaufte man noch dort. Denn, so schlechte Ware sie auch führten, so interessant waren doch die Reschkes. Da war immer etwas los. Vergangenen Winter hatten sie den Gesprächsstoff für die ganze Straße ge- liefert. Die Trude war wegl Einfach ausgerückt! Wohin die nur sein mochte?! Die wißbegierigen Magde hatten den Keller gesüirmt.Für fünf Pfennig Salz!"Für fünf Pfennig Sand!"Für fünf Pfennig Petersilie!"Für fünf Pfennig Wichse!" Und dazwischen regnete es Fragen und Andeutungen und Vermutungen und Verdächtigungen, und die arme Mutter stand da und konnte nichts zur Ver- teidigung sagen. Erst hatte Frau Reschke gar nicht desgleichen getan, sich harmlos und munter gestellt, aber das Schweigen brach ihr das Herz. Sie fing an zu schwatzen. Was für ein Undank! Was hatte man für die Kinder geopfert, das letzte hingegeben, und so machten sie's einem! Erst der Artur, dann die Trude! tFortsctzung folgt.) l7?cichdrua dervottn.) Cm Paria. Bon Eugen Tschirikow. 7. Der Februar neigte sich seinem Ende zu. Die Sonne schien bereits freundlicher, tzeller und wärmer. Alles geinahnte daran, daß der heißcrselmte Gast, der Frühling nicht mehr weit sei.... Allein die schönen Tage waren einstweilen noch eine Seltenheit. Ebenso plötzlich, wie sie gekommen waren, verwandelten sich diese Vorboten eines neuen Lebens wieder in trübe, kalte und graue Tage, das wunderbare Blau des Himmels verschwand, sich hinter dichten, schmutzig-grauen Wolkenschleiern verbergend, die Sonne versteckte sich ganze Tage lang, in der rauhen Luft wirbelten Schneeflocken und ein kalter Wind fegte durch die Straßen.... ES war gerade solch eiir Wetter. Der am Tage vorher ge- schmolzene Schnee war wieder gefroren, das Trottoir hatte sich mit einer Eiskruste bedeckt, von, frühen Morgen an war der Himmel mit Wolken bezogen, ein scharfer, durchdringender Wind fegte durch die Straßen lind ivarf sich wütend auf die Passanten. Leute, welche noch wenige Tage vorher in FrühjahrSkostümen ausgegangen waren und unternchmungslnstig bereits alle möglichen Reisepläne für den Sommer geschmiedet hatten, hüllten sich wieder in Pelze, schlugen die Kragen in die Höhe, zogen die Mützen und Hüte tief in' Gesicht und ihre Physiognonrie nahm wieder ein mürrisches, unfreundliches, ernst besorgtes Aussehen an.... Trotz des schlechten Wetters sind die Straßen sehr belebt, nament­lich die Pokrowskaja. Die hohen, massiven Gebäude dieser Straße find von oben bis unten mit Schilder» und Plakaten bedeckt, hier ein riesiges Schild mit meterhohen, dicken, vergoldeten Buchstaben, dort eme billige Papptafel:Ausverkauf! Zkur noch wenige Tage!' usw. lieber den Türen schaukeln sich goldene Kringel von gigantischem Umfang, Schweinesüße, Brillen, Uhren und andere Symbole. Neben den Türen Porzcllantäselchen von mätzigem Umfang mit der lakonischen Inschrift:Notar ", Zahnarzt",Institut für Massage und Elektrizität."... Hastig und geschäftig wogt das Publikum hin und her. Be- sonders geschäftig zeigen sich die Hausfrauen, welche ihre Einkäufe machen wollen oder schon gemacht haben und nun, nachdem sie ihre» Zweck erreicht, d. h. zur Genüge gefeilscht und ein Fünfkopekeiislück abgehandelt haben, sich mit Markttaschen und Päckchen eiligst auf den Heimweg machen. Und der Wind bläst heftig durch die Straße: bald jagt er hinter einem Paar stolzer Traber her, bald jagt er ganze Wolken feinen, puderarligen Schnees von den Dächern, ihn neckisch in der Lüft herumwirbelud. Daun wieder bläst er den Passanten ins Gesicht, schlägt ihnen die Schöße der Pelze und Paletots zurück, spielt mit t>en Bios der Damen dreht und dreht sich auf einer Stelle und fährt schließlich heulend gen Himmel, gerade als wenn es ihm in der Pokrowskaja zu eng fei... Vor einem besonders reichen Magazin war augenscheinlich etwas vorgefallen. Hier staute sich die Menge derart, daß es einfach unmöglich war, auf dem Trottoir vorbei zu passieren. Bon Miiuue zu Minute wuchs die Menge der Gaffer, welche als ein undurchdringlicher Wall jemand oder etwas umstanden, so daß die Hintensteheuden absolut nicht zu sehen vermochten, waS innerhalb dieses Walles vorging. Notgedrungen mußten sie ihre Wißbegierde durch Vermutungen befriedigen, wobei sie eine in solchen Fällen stets überaus fruchtbare Phantasie entfalteten. Die einen sagten, man hätte einen Dieb ertappt, der es fertiggebracht hätte, drei Zuckerhüte zu stehlen, die anderen man hätte einen Toten gefunden; die dritten es hätte sich ein Erdspalt gebildet, in den ein Knabe gefallen sei usw.... Einige gingen weiter, nachdem sie ein paar Minuten vergebens auf der nämlichen Stelle hin- und hergetrampelt hatten, die meisten aber warteten mit erstaunlicher Geduld, wie das endigen, und wen man wohl zur Polizei bringen würde... Ihre Ausdauer wurde denn auch schließlich belohnt. Sie sahen an die Wand deS Hauses gepreßt, auf dem Trottoir' einen Knaben von 8 9 Jahren liegen. Er war mit elenden Lumpen bekleidet, mit Lumpen, die seine Blößen kaum bedeckten. Ein zerrissenes, bis zur Unmöglichkeit schmutziges Hemd ließ durch zahllose Löcher den mageren, ausgemergelten Körper sehen. Zerrissene, mit großen Flicken bedeckte und augenscheinlich nicht für den Knaben be» stimmte Hosen schlenkerten um seine mageren Beine. Die Füße steckten in ausgetretenen Stiefeletten mit abgelösten Sohlen. Durch das vielfach durchlöcherte Oberleder kamen die angefrorenen Zehen zum Vorschein. Ueber dem durch einen Strick zusammengehattenen Hemd trug der Knabe nur»och eine Weste, die allem Anschein nach einmal für einen großen, breitschultrigen Mann angefertigt war. Die Mütze lag neben ihm an der Erde... Das Kind zitterte am ganzen Körper und fuhr von Zeit zu Zeit krampf- hast zusammen, gerade als wenn es von unsichtbarer Hand gestoßen würde... Wild, erschreckt, irrten die fieberhast glanzenden Augen umher. Er atmete schnell und unregelmäßig und schloß von Zeit zu Zeil die Augen... Neben ihm in hilflosem Nachdenken stand ein in Lumpen gehüllter blinder Greis. Sein Kopf schwankte hin und her. Seine trüben Augen blickten stumpf und gcdanlenlos. Er schien nicht zu verstehen, was um ihn her vorging. Mit einem dünnen, knotigen Stock betastete er die Erde und die Mauer des Hauses, hustete und bewegte die zahnlosen Kiefer. Die Nächststehenden beugten sich teilnahmsvoll über den Knaben mrd bestürmten ihn mit Fragen. Aber der Knabe schwieg hartnäckig und blickte sie nur kläglich, erschreckt an. Der Alte war äugen» scheinlich auch taub, denn von ihm war cbenfoweuig etwas heraus» zubekommen.... Ein elegam gekleideter Herr richtete eine Frage an den Knaben und stieß ihn dabei, um ihn zu ermuntern, mit der Spitze seines Gummischuhes, was von feiten der anderen entrüsteten Proiest hervorrief: Nanu ist doch kein Hund?!' Dich müßte man so stoßen I" Der Herr warf einen erzürnten Blick auf den Nächststehenden, hustete und drängte sich hochmütig durch die Menge. Man versuchte den Knaben aufzuheben, aber er begann z« stöhnen und bewegte erschreckt abwehrend die Hände. Ihm die Ohren mir Schnee reiben," riet eine Stimme aus der Menge. Was fällt Euch ein?I Verrückt geworden?! entgegnete eine andere Stimme. Man müßte ihn ins Krankenhaus bringen Ihr seht doch er stirbt...." Wenn ich Zeit hätte, würde ich ihn hinbringen," erklärte ein Herr im Biberpelz, zu seinem Nachbarn gewendet. Einige verstanden diese Worte als Aufforderung, wendeten sich aufatmend ab und begannen nach rückwärts zu drängen.... Alle bedauerten das Kind, aber alle hatten irgendein unaufschiebbares Geschäft alle hatten keine Zeit.... Jetzt gewahrte ein Schutzmann den Auflauf. Reiche Erfahrungen im Dienst halten ihm die Ueberzeugung beigebracht, daß überall da, wo sich das Volk zusammendrängt, irgenoeineUnordnung" vor­liege» müsse. Darum nahm er, obwohl noch ziemlich weit von der Menge entfernt, doch sofort eine strenge Amtsmiene an, um sich ge» bührend auf dieWiederherstellung der Ordnung" vorzubereiten und ballte inslinktiv die Fäuste... Was ist hier loS?" schrie er, als er sich endlich der Stelle ge» nähert hatte.Waö gibt's hier zu gaffen? Geht auseinander. Leute l I" Die Menge begann sich langsam in Bewegung zu setzen. Die Aengstlichen, auf welche un Vorübergehen das unzustiedene Luge des Gesetzes fiel, beeilten sich fortzukommen, andere, weniger Furchtsame, machten der Obrigkeit Platz, blieben aber im übrigen nur stehen. Was ist hier loS?" wiederholte der Schutzmann, das Publikum grob zur Seite stoßend. Der Junge stirbt..." Bevor der Polizist wettere Maßnahmen traf, versuchte er von dem Alten oder dem Knaben in Erfahrung zu bringen, wer sie seien, woher sie kämen, womit sie sich beschäftigten, wo sie wohnten aber ebenfalls umionst: beide schwiegen hartnäckig..