Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 66. Sonnabend den 20 März. 1909 (Nachinick vcrvsken.) es� Vas täglicke Brot, Roman von C. V i e b i?. Arkur sah die tief eingegrabenen Falten auf ihrer Stirn. jUlid Mitleid überkam ihn. Gräm Dich nich, Mine?" Er mußte das sagen, wenn auch die Mutter dabei stand, sein Herz wurde weich, wenn er das Kind auf ihrem Arm ansah. Sein Kind--- 1 Es durchzuckte ihn plötzlich wie ein heißer Schreck: und noch etwas anderes war dabei, ein ganz eigentümliches, vorher noch nie gekanntes Gefühl. Fast wider Willen streckte er die Hand aus. nahm des Kindes weiches Bäckchen zwischen zwei Finger iund kniff es liebkosend.Fridchen," sagte er dann leise. Artur," schrie Frau Rcschke warnend. Und dann:Ieh Du man Deiner Wege, ik wer' mit den Frauenzimmer schonst alleene fertig. Det jeht Dir nischt an!" Mehr wie Dich," sagte er brutal. Aber, Arwr!" Mine zupfte ihn am Aermel. Na was denn?" murrte er.War die Olle nich jewesen, war alles anders jekommen; besser? Die Mine is'ne or- deutliche Person sei still," schrie er seiner Mutter entgegen, ich meine D u hättst's am allerwenigsten nötig, Dich mausig zu machen?" Frau Reschke wollte auffahren. Sei still." sagte er wieder, und eine heftige Erregung arbeitete in seinem blaffen Gesicht.Fangen wer da lieber nich von an. Mine, setz Dich!" Er zog den Schmel herbei, auf dem er vorhin gesessen und die Aepfel blank gerieben. Mine setzte sich. Fridchen sah begehrlich aus die Aepfel  -im Korb. Da gab ihr Artur einen Apfel und sah zu. wie sie ihn verwundert in den Händchen drehte und dann mit den winzigen, weißen Zähnen daran nagte. Wie ein Eichkätzchcn? Der junge Vater lächelte. Artur," rief die Reschke scharf. Was?" Er sah sie zerstreut an, er hatte sie im Augen- blick ganz vergessen gehabt. Wat soll denn det nu allens?" Er gab keine Antwort: aber Mine sagte, indem sie mit dem Blick auf das Kind wies:'s is fein Mädel. Heiraten muß er mir?" Frau Reschkes Empörung kannte keine Grenzen: sie war nicht nur wütend über Mine, nein, auch über ihren Sohn. Der Schlemihl? Artur," kreischte sie in Heller Angst,steh doch nich da wie bcjossen! Laß Der von die doch nich inschüchtern? Nur nich dumm machen laffen: det wollen se alle. Beweise!" Sie trommelte auf den Tisch.Her mit de Beweise!" Und dann lachte sie höhnisch:Ik jloobe jar nischt, che ik Beweise habe." Mine sah nach dem jungen Mann hin.Arturl" Es lag eine Mahnung, ein beschwörendes Erinnern in ihrem Ton. Artur!" Frau Reschke beobachtete ihren Sohn scharf: der war Kunkelrot geworden. Schweiß trat auf seine Stirn. Beweise brauch ich nich," sagte Mine stolz.Ich kann's beschwören. Un Herr Müldner sagt, wenn ich das kann, kriegt de Fridchen ihr Recht. Un wenn er mer nich Heirat, muß er bezahlen. Der Müldner weeß das, der is ganz was Hohes bei's Gericht. Un wenn Artur nischt hat, um zu bezahlen, denn kommen seine Eltern ran. Ja," schloß sie triumphierend, als sie das Erschrecken der Reschke sah.Un ich laß nich nach. (Und wenn ich klagen muß!" Das war nicht mehr die dumme Mine von früher? Sie hatte sich vom Schemel erhoben, hochaufgerichtet stand sie da: wie um ihrer Rede mehr Nachdruck zu verleihen, stampfte ihr Fuß bei jedem Satz kräftig auf den Boden. Frau Reschke wurde ganz kleinlaut das sollte fehlen, auch noch bezahlen?! Und der Skandal! Sie duckte sich förm- lich.Atur," flüsterte sie scheu ihrem Sohn zu,wie is't denn nu, wirste ihr denn doch am Ende nich lieber an- erkennen?" Das wer' ich wohl müssen." Die Linien seines jugend- lichen Gesichts verschärften sich plötzlich: schon grub sich eine tiefe Sorgenfalte auf seiner Stirn ein Das glaub ich ooch," sagte Mine ruhig. Sie gab Artur die Hand:Na denn, Arturl" Und dann reichte sie ihm Frid» chen zum Kuß. Als jetzt Reschke in der Glastür erschien, flammte Frau Reschke noch einmal auf. Sie konnte es nicht soffen ihr Artur wirklich die Mine heiraten?? Schuldige und Un» schuldige überschüttete sie mit ihren Vorwürfen, schrie und lamentierte, griff sich in die Haare und klagte Gott   und die Welt an. Zuletzt rief sie ihren gänzlich verdutzten Mann um Beistand an. Aber der hatte heute seinen dösigsten Tag. Erst hatte er Mfine nicht erkannt; als er sie dann, die Hand wie einen Schirm über die Augen legend, lange genug angeblinzelt, freute er sich, die Nichte wiederzusehen. Er schien ganz ver- gessen zu haben, was sie getrennt. Haste jehört, Mine," sagte er und zog sie vertraulich am Aermel,unsere Trude is weg?" 26. Kapitel. Zum ersten November hatte Artur eine Stube in der Bahnstraße gemietet: das Haus war erst im Oktober fertig geworden. So waren sie die ersten Bewohner dieser Stube, und Mine hatte Muße, vor ihrem Einzug die farbbeklexten Scheiben zu reinigen und die Hobespäne und Tapeten» fetzchen auszufegen. Da der erste November auf einen Sonntag fiel, stand nichts im Wege, daß auch gleich die Hochzeit gefeiert wurde. Am zweiten November sollte Artur die Hausdienerstelle an» treten, die ihm Herr Müldner bei einem Bekannten in einem Gummiwarengeschöst auf der Leipziger Straße verschafft. Fünfzehn Mark gab's die Woche. So würde es schon gehen; denn Mine wollte auch nicht faul sein, sich Aufwarte-, Wasch- und Reinmachstellen suchen. Nur die Sorge um Fridchen fiel ihr wiederum schwer aufs Herz. Sollte das Kind wieder eingeschlossen i Verden  ? Nein, nein! Ein neues Bangen ergriff sie: da meldete sich Grete:Ich wer' ihr verwarten?" In der Freude ihres Herzens umarmte und küßte Mine das blaffe Mädchen. Und da brummte auch plötzlich der alte Reschke:Se kann ja ooch bei mir spielen, die Kleene. Wie Trudeken so kleen war, krabbelte se ooch immer unten uf'n Boden zwischen meine Beene rum un war kreuzfidel!" So war Mine dieser Sorge ledig, während Mutter Reschke noch immer mit der ihren kämpfte: wen sollte man zur Hochzeit einladen?! Lumpenlassen durfte man sich keines» falls,-damit es nichtso aussah" vor den Leuten. Uf jeden Fall." hatte sie zu ihrem Mann gesagt,laden wir Deinen Schwager, den Heinze aus Golmlltz, un seine Frau ein, denn sind wir de Nabeln. Det j� kommen, jloobe ik nich. aber mit'n Hochzeitsjeschenk dürfen se sich denn doch nicht lumpen lassen. Vielleicht'n paar fette Jänse, en paar Schinken, schöne Landleberwurscht, an Ende en janzet halbet Schwein Jotte, man sieht ja mehr uf de Jesinnung wat de Leute von'n Lande so jrade haben!" Frau Reschkes Empörung kannte keine Grenzen, als der Schwager Heinze sofort, kurz und ohne Grund, auf die Ein- ladung abschrieb: kein Wort für Mine, keinen Gruß und"> auch kein Geschenk. Mine mußte viel von der Schwieger» muttcr deswegen anhören.Bande," schimpfte die Auf» gebrachte, undBande" schrie der Papagei nach: das hatte er nun noch hinzugelernt. Eine große Hochzeit würde es nicht werden, obgleich Frau Reschke alles zusammen lud, was nur in den Keller kam; Lahme und Blinde," wie Artur bitter sagte. Sie sagten alle ab.Es is ihnen nich fein genug." klagte die Reschke. Un se sind sicher so poplig un machen ooch nich mal en Jeschenk!" Da war die Berta doch anders! Frau Reschke, die immer mit ihr in Verbindung stand, Sachen von ihr in Verwahrung hatte, sie sogar zuweilen zwischen Hell und Dunkel besuchte, hatte ihr gleich die Verlobung angezeigt. Umgehend war eine hochfeine Gratulationskarte zurückgekommen ein Amor, zwei Herzen mit einem Pfeil durchbohrend: unter Roscngewinden die Inschrift:Innigsten Glückivunsch". Die war nobel, die mußte eingeladen werden. Und Berta, die es jetzt in einem Chambregarnie mit sehr viel Arbeit der