Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 82.

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#

81] Das

Donnerstag, den 29. April.

( Nachdruck berboten.)

Das tägliche Brot.

Roman von C. Viebig .

Mine sagte kein Wort. Aber es war ein langer, nach Senklicher, stummer und doch beredter Blick, mit dem sie die Schwiegermutter maß. Dann, wie sich ermannend, schritt sie rasch zur Eingangstreppe.

Vom Trottoir herab schrillte gerade ein Couplet Ellis; man sah von hier unten nur ihre hüpfenden, rot bestrumpften Beine und hörte das Gejohle der Jungen, die vor der Tür Tungerten und beim Refrain einstimmten.

Kommste gleich runter," sagte Mine sehr energisch, langte nach oben und zog die Kleine an dem wehenden Röckchen zu sich.

In 1909

Auch Artur war für Lorchen. Als er, eines Tages während Mine auf Arbeit war, seine Mutter, in übelwollender Absicht, mit mörderischen Blicken vor dem Käfig fand, drohte er: Na warte man, laß man Mine nach Hause kommen, denn kriegste aber Krach! Laß Du ihn man nur unjeschoren!"

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So blieb der Vogel am Leben, sah von seiner staubigen Ecke aus mit listigem Aeugeln, wie auch der Regulator von der Wand verschwand, und noch so manches andere, und frächzte dazu sein: Bande! Lorchen Hunger, Hunger!" Es wurde Frühling. Aber im Kellerfenster lagen feine grünrötlichen Rhabarberstengel mehr zum Verkauf aus, und feine hohen Körbe mit jungem Spinat flankierten mehr die Treppe. Ein bißchen verwelftes Wintergemüse, und Kar­toffeln, die schon zu feimen anfingen, war alles, was noch zu finden war; aber verkauft wurde auch das nicht einmal. Wenn die Ware so verlegen war, daß sie feinem mehr angeboten werden konnte, die Familie sie selber auf.

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Mine hatte sich in ihrem Nod eine Wachstuchtasche genäht Wenn Mine auch arbeitete von früh bis spät, sie hatte es Sie wußte, die Leute sehen es nicht gern, wenn die Buzfrau doch nicht hindern können, daß wieder etwas von der Ge- mit dem Korb kommt, so brachte sie dem Alten und ihrem Schäftseinrichtung, die große Rolle, auswanderte auf Nimmer- Artur immer noch ein besonderes Häppchen mit nach Hause. Aber der Alte steckte seinen Teil wiederum Fridchen oder wiederkehr. seiner Frau zu; es war ihm jekt so gleichgültig, was er, fehen konnte er doch nicht in der trüben Kellerwohnung, was er auf dem Teller hatte.

Als sei mit der großen, hölzernen behäbigen Gestalt das lette Leben des Grüntrams entschwunden, so war es jegt. Sein Rattern und Quietschen mehr, fein Schwazen der Mägde über gefüllten Wäschekörben.

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Selbst die Klingel unter der Stufe war heiser geworden; fie hätte in die Kur genommen werden müssen, aber das foftete Geld, so unterblieb's, und ihre gebrochene Stimme brachte es nur mehr zu einem faum hörbaren, schmerzlichen Rechzen. Auch Mine fühlte nach und nach ihre Kräfte erlahmen; sechs Personen zu ernähren, das war zu viel- dabei war die fleine Trude noch nicht einmal mitgerechnet und Artur fonnte sie nicht unterstüßen; die Schmerzen im Leibe hatten sich wieder eingestellt und auch der Husten. Das Schnee­Schippen hatte er bald aufgeben müssen, er fonnte es durchaus nicht vertragen; und es gab ja auch längst feinen Schnee mehr. Ein tauender Vorfrühling war da. Von allen Dächern riefelte es, die Sonne steckte ihre spike Zunge heraus und ledte die Straße blank. Lag man nachts im Keller wach, so Hörte man leises Tröpfeln, die Wände schimmerten im Lampenschein wie filberübergoffen, in der Ede der Küche bildete sich auf dem Estrich ein großer, nasser Fleck. Es roch bei Reschkes schimmliger und modriger, denn je.

If weeß nich, wat det jeben soll," jammerte Frau Reschte, als man ihr eines Tages auch das Schlafsofa aus der Wohnstube abholte. Nun mußte Elli doch im Küchentischbett schlafen, in dem Grete gestorben war; die Kammer war ja dem jungen Ehepaar nebst den Kindern eingeräumt.

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Zum Abendbrot schickte man Elli, für zehn Pfennig Ab­schnitt" beim Schlächter holen; aber sie fam immer wieder: Da war nicht!" Wenn sie Freitags mit einem Topf nach frischer Wurstbrühe gehen sollte, behauptete sie jedesmal: Er hat heut feene Wurst jemacht," und doch hing der Stuhl mit der weißen Schürze vor des Schlächters Tür. Sie wollte eben nun mal nicht, darum wurde jetzt Fridchen von der Groß­mutter zum Einholen verwendet.

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Wichtig stolzierte die Kleine davon, ein Körbchen am Arm; glüdselig fam sie wieder solch schöne Wurstzipfel und noch so viel Schinkenfett! Alle Hunde auf der Straße um­sprangen sie schnuppernd, fie mußte ihr Körbchen hoch halten und laufen, laufen, so rasch sie nur konnte. Laut weinend fam sie eines Tages heim, die Hunde hatten sie über den Haufen gerannt und ihr das Eingeholte samt dem fettigen Papier aus dem Körbchen gerissen. Sie war gar nicht zu trösten.

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Mine, die gerade nach Hause fam, wurde sehr böse warum war denn Elli nicht gegangen?! Die tat so wie so den ganzen Tag nichts, wenn sie aus der Schule gekommen war; nicht einmal Trudchen wollte sie verwarten. Wenn der Groß­bater nicht gerade auf dem Posten war, mußte Fridchen auch dafür sorgen.

Elli?! sagte die Reschke in ganz verwundertem Ton. Ellichen bei'n Schlächter?! Aber se will doch nich!"

Ich jeh nicht nach Wurschtzippel", murrte Elli und warf die Lippen auf.

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Mutter Reschke rang die Hände über den Verlust des Schlafsofas; nun fonnte sie nicht einmal mehr nachmittags Ne, det sollite ja ooch jar nich, ne, ne," beruhigte die ein bequemes Nickerchen halten, in dem sie all ihre Sorgen vergaß. Wie schön hatte sie oft in der Sofaede geträumt Mutter und streifte mit einem zärtlichen Blick ihr blondes Ihre Kinder alle, alle, die sie einmal gehabt, faßen um den Töchterchen. Sofatisch und tranken dampfenden Kaffee und aßen zuder- Grimasse schnitt schwapp­Morjen gehste," sagte Mine kühl; und als Elli eine hatte sie eine Ohrfeige weg bestreuten Streuselkuchen. Wenn sie jetzt im Sißen auf dem harten Stuhl ein wenig von der kräftigen Hand, daß sich alle fünf Finger auf ihrer eindruselte, famen ihr feine liebliche Träume mehr; schon nach Backe abzeichneten. fünf Minuten fuhr sie entfest auf, der Papagei hatte frächzend Mutter Reschke war empört; mit einem Arm ihre Elli geschrieen: Hunger! Lorchen Hunger!" umschlingend, streckte sie den anderen gegen die Schwieger­tochter aus. Sie fing an zu räfonieren, daß die Wände dröhnten. Aus dem Hundertsten kam sie ins Tausendste; sie warf Mine Sachen vor, von denen diese selber gar nichts wußte, Geschichten, die vielleicht einmal vor so und so langer Zeit mit anderen Dienstmädchen passiert sein mochten.

Der abscheuliche Vogel mit seinem Geschrei! Nicht mal statt eines Suppenhuhnes war der zu gebrauchen. Wenn man den nur los geworden wäre! Aber kein Mensch wollte was für ihn geben. Sein Gefieder hatte alle Farbe verloren; grau und ruppig war er geworden und zauste sich den ganzen Tag mit dem frummen Schnabel in den Federn. Mit gesträubtem Schopf fuhr er jedem entgegen, der sich ihm näherte, und hackte bösartig nach jedem ausgestreckten Finger.

Die ganze chronique scandaleuse der Hintertreppen kam so zum Vorschein. Es half nicht, daß Vater Reschke seine Frau am Aermel Die Reschfe wütete über den einstigen Liebling. Dreh zupfte; da gab's fein Einhalten, alle Schleusen waren aufge­ibm' s Jenid um," sagte sie zu ihrem Mann, if fann det bös- zogen, heraus mußte es. artige Beest nich mer riechen!"

Na, denn wer'n wer eben ziehn, ich un Artur und de Aber da die Schwiegertochter für den Vogel eintrat, wagte Kinder," sagte Mine endlich und fab der keifenden Schwieger­Bater Reschte nicht, den Befehl seiner Frau auszuführen. mutter resolut ins Gesicht. Aergern wer' ich der nich, un Was wollt Ihr denn nu," sagte Mine, ihr habt' n ja so böse ärgern will ich mer ooch nich, noch zu allem derzue. Gelle, Artur?!" artig gemacht!"