Dieser nickte; er sab seiner Frau jetzt immer recht. Deren ruhige Entschlossenheit imponierte ihm.Iawoll. wir können ja zichn," rief er...wir brauchen uns nich noch runterreißen zu lassen. Wir ziehn, natürlich l Für uns alleine verdienen wer immer genug!" Sofort unterbrach Mutter Reschke ihr Gequassel: sie be- fam nun doch einen kleinen Schreck ziehen?! Um Gottes willen, wenn die zogen, wenn Mine nicht mehr da war, wer gab dann Geld her?! Nur noch ganz leise brummelte sie Un° verständliches vor sich hin und wiegte den Kopf. Vater Reschke hatte seine armen blinzelnden Augen entsetzt aufgerissen.Tu willst ooch weg machen, Mine�I Ach, se lassen uns alle in'n Stich alle, alle!" Schnüffelnd senkte er den Kopf, ein paar Tränen sickerten ihm über die schrumplige Wange. Mine beugte sich zu ihm.Ne. Vater, ich laß der nich in'n Stich." Da haschte der Alte nach ihrer Hand, tätschelte die, lächelte Und strich der Schwiegertochter übers Gesicht. Sie drängten sich alle um Mine, auch Mutter Reschke: die tat, als sei gar nichts vorgefallen, und klopfte sie kichernd auf den Rücken. Selbst Elli maulte nicht mehr. Mit schmeichlerischer Ge­bärde hing sie sich an den Arm der Schwägerin. Ihre schlauen Blicke sahen genug: sie wußte jetzt ganz genau, wer allein noch hier regierte 37. Sommerlicher Staub lag auf der Göbcnstraße: der Sprengwagen hatte ihn erst vor einer Stunde gelöscht, und doch war er schon wieder da, immer neuer, golddurchflim- merter, sonncnwanner. flüchtiger Sommerstaub, den ein lauer Wind, lautlos fächelnd, über Dächer und Häuser und Pflaster Und Trottoir hinweht. Unten im Keller war's langjähriger Staub, Staub von vielen Wintern und Sommern, der schwer wie Asche aufflog, als man die Möbel rückte, den hatte nie ein Sonnenstrahl be- leuchtet, nie ein freier Luftzug aufgeblasen. Der Mann, der Artur beim Ausräumen half, schimpfte: er mußte prusten und niesen, als hätte er eine Prise ge- nommen. Sie wurden beide ganz fchlvarz im Gesicht und konnten kaum atmen und sehen. Draußen auf der Straße hielt ein Wagen, mit einem magren Gäulchen bespannt: solch eine Fuhre gab's doch immer- hin noch voll, obgleich die besten Stücke des Haushalts fehlten. Mine war beim Aufladen: ein ganzer Schwärm Kinder um- ringte das Fuhrwerk, und auch Erwachsene. Weiber mit Kleinen auf dem Arm und alte Männer mit kruimncn Rücken, standen in einiger Entfernung auf den: Trottoir und gafften. Reschkes, die über fünfundzwanzig Jähre hier im Keller gewohnt hatten, Reschkes zogen! Nein, so was! In letzter Zeit hatte man die Reschkes ganz vergessen gehabt, nun er- regten sie noch einmal das allgemeine Interesse. Daß die Leute so zurückgegangen waren! Manch einer, Kcr da gaffte, wußte sich noch genau zu erinnern, wie schneidig" der jetzt so krepligc Reschke aus der Brautkutsche gesprungen. Und manch eine tuschelte davon, wie sie, die Reschke, geprangt hatte in schwarzer Seide und im Orange- blütenkranz: einen Strauß hatte sie gehabt, so groß wie ein Wagenrad. Die hatten sich eben zu nobel gemacht, ja, ja, das kommt davon! Die paar Sachen, die da aufgeladen wurden, wurden von Forschenden Blicken durchbohrt. Mine kümmerte sich nicht um die Gaffer. Mit Eifer war sie bei der Arbeit: voller Geschäftigkeit rannte sie ab und zu, Faßte mit an. hob und trug schwer auf ihren starken Armen und rief ihrem Manne mit heller Stimme zu:Stell das dahin" und:Nu das hierhin!" Ein hohes Rot ließ ihre Wangen runder erscheinen, übergoß ihr ganzes Gesicht niit einem Schimmer von Jugend. So leichten Herzens hatte sie noch nie aufgepackt. Vor ihren Blicken stand fortwährend das schöne, funkelnagelneue Haus am Ende der Neuen Wintcrfeldtstraße. wo sie nun wohnen durften. Freilich, vorläufig erst auf Probe, sie sollten erst ausweisen, ob sie der Baugesellschaft, die unten die großen Bureaus hatte, die Rctnigung zu Dank machten, ob sie den Anforderungen gewachsen waren, die man an den Portier stellt. Ach ja, sie würden schon! Eine Welt von Hoffnungen schwellte Mines Brust. Das war ja so ganz was für Arturl Dazu langten auch feine Kräfte, im Haus umherzugehen und Kreppen und Gänge, und dann Hof und Trottoir zu über- wachen.Sollste mal sehn." hätte?r zu seiner Frau gesagt und war dabei um einen Kopf gewachsen,wie ich mich mit die Mieter stellen wer,streng aber jerecht!" Und die beiden! Alten konnten abwechselnd vorn in der Portierloge sitzen und aufdrücken; Fridchen verstand das auch schon. Und Mine würde ein und die andere Waschstelle beibehalten: vielleicht fand sich auch noch eine Aufwartung im Hause dazu, oder die Herren aus dem Bureau gaben ihr Wäsche zu waschen.--- In Mines Herzen waren Hoffnungen aufgewacht. Uebev Nacht waren sie gekommen, wie ein erlösender, erquickender Regen übers Land nach langer, banger Dürre: der verküm» merte, hungrige Acker grünt neu. schon sprießen Blumen aui und wollen blühen.   Vor vier Wochen war's gewesen, als sie in tiefster Be» kümmernis über die Potsdamer Straße   schlich. Matt war sie an der Mauer des Botanischen Gartens entlang geschlorrt« In dem Topf, den sie unterm Tuch hielt, hatte sie sich Kaffee» grund aus dem großen Restaurant geholt, vor dessen Hinter» tür   sich alltäglich gegen Abend arme Weiber, gleich ihr, ein» fanden, und blasse, magre Kinder, um in Körben und Töpfett und Taschen allerlei Ueberbleibsel heinizutragen. An der Mutter Rock hing Fridchen und weinte; im Ge- wühl der sich zu vorderst Drängenden war das kleine Ding getreten und gestoßen worden.Wart nur bis zu Haus," tröstete Mine das Kind,da koch ich uns Kaffee!" Aber sie beeilte sich dennoch nicht, ihr grauste vor dem dunklen Keller. Da faß der alte Vater, hielt den Kopf mit beiden Hände» und stierte vor sich hin, immer auf einen Fleck. (Schluß folgt.) Die Sntftebung der Pasquille und poUtifeben Spottlieder. Spottlieder, in denen das politisch erregte Gemüt seinem Spott und Hohn, seiner Verachtung dem Gegner gegenüber Lust macht, waren schon dem frühen germanischen Mittelalter bekannt: schon Karl der Große   ließ ein ausdrückliches Verbot gegen solche Satiren auf seine Person ergehen. Der Klerus besonders diente in seiner das Volt brandschatzenden Kirchenpolitik und in seiner mit der offiziellen Moral so unvereinbaren sittlichen Ausartung schon in früher Zeit als Gegenstand des Spottes und der Satire; gegen ihn ist eins der ältesten SpoUlieder aus dem dreizehnten Jahrhundert, abwechselnd aus deutschen und lateinischen Versen bestehend, gerichtet. Und ein anderes berühmtes Schmählied züchtigt in mehreren Versen den Papst Johann XXIH. wegen seines deutschfeindlichen Verhaltens auf dem Konzil zu Konstanz<14141418). Es ist natürlich, daß im Zeitalter der Resorniation, wo der Gegensatz gegen den Papst und den Klerus zu offenem Ausdruck kam und wo sich ein neuer, auf neue wirtschaftliche Grundlagen gestützter Kulturkreis von dem alten feudalen, mittelalterlichen, klerikalen Kulturkreise abzusondern begann, also in einer Zeit, wo alle politischen Leidenschaften wachgerufen waren, auch das politische Spottlied eine große Rolle spielte. In dieser Zeit cittstand auch der Name, der noch heute eine be- sondere Abart des politischen Spottlicdcs bezeichnet, der Name PaSquill  . Die Bezeichnung entstand in Rom  , wo umS Fahr 15<X) ein Schuhflicker P a s q u i n o lebte, der sich durch witzige Einfälle und launige, oft beißende Spöttereien so allgemein bekannt machte, daß jeder, der sich an Spott und Satirc über die Ereignifle und Neuig- keilen der Stadt, an launigen SarkaSmen über die vornehme Welt und über die Großen Roms erlustigen wollte, in deS SchusterS Werkstatt eilte. Der Zufall machte seinen Namen unsterblich; denn bald nach seinem Tode wurde nahe seiner Wohnung eine schön gearbeitete, aber verstümmelte Marmorbildsäule ausgegraben und auf dem Campoflore aufgestellt. An ihr sammelte sich bald der Witz und die sarkastische Laune der ganzen Stadt: sie bildete gleichsam den wieder aufgelebten Schuhflicker PaSquino   und erbte auch dessen Namen, denn so oft ein witziger Kopf der Stadt über irgend ein Ereignis des Tages einen glückt, che» Einfall hatte, wurde dieser auf einen mitPaSquino  " unterzeichneten Zettel geschrieben und an die Bildsäule geheftet. Dieser Statue gegenüber stand eine andere. ebenso verstümmelte. Sie reizte das Volksgemüt zu weiteren Spöttereien, indem man nämlich an sie kleine, das politische Leben betteffcnde Aragczettel heftete, die dann an der alten Pasquino-Saule am nächsten Tage beantwortet wurden! Viele dieser Marforio- lso hieß man die andere Säule) und Pasquino- Verse find uns aufbewahrt, und fie bilden ein lebendiges Zeugnis vom mittelalterlichen und reformatorischen Volksgeist. Natürlich find es nicht immer die besten Berse, aber der Kern des Gedankens