alten Friedhofe diese? Dorfe? fand man die Mumien in Särgen verschlossen, die aus mehreren iibereinandergeklebten Paphrusblätter- schichten gefertigt waren, und beim Auflösen dieser Pappe kamen die Urkunden zum Vorschein. Der alte Fabrikant der Papyrussärge hotte die Makulatur, deren er für sein Gewerbe bedurfte, augenscheinlich ous Alexandrien bezogen, und so blieben uns die Dokumente erhalten, die einen besonderen Wert dadurch besitzen, daß aus der ersten Weltstadt deS Altertums solche unmittelbaren Zeugnisse bisher, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, nicht-entdeckt worden waren. Es sind, wie Schubart in den Amtlichen Berichten aus den königlichen Kunst- sammlungen ausführt, meistens Verträge, einige Eingaben und »venige Briefe, die alle in die Zeit von 25 bis 4 v. Chr. gehören, Eins große Zahl von Personen zieht in diesen Urkunden an uns vorüber, und man kann sich danach ein Bild von der Bevölkerung Alexandriens, das damals wohl mehr als eine halbe Million Ein- wohncr zählte, machen. Etwa ein Zehntel der gesamten Bevölkerung bildet die eigentliche Bürgerschaft, aus der sich wiederum die Patrizier tinssoudern' daneben bat sich ein Rest der einst mächtigen und vor- nehmen makedonischen Kolonie erhalten. Den größten Teil der Be- völkerung stellen Griechen ohne Bürgerrecht- dazu kommt eine be- trächtliche jüdische Gemeinde und eine ebenfalls zahlreiche ägyptische Bevölkerung. Auch eine recht stattliche Römerkolonic hat sich gebildet, lauter Privatleute, die unter der Kaiserherrschast hier einen günstigen Boden für ihre Geschäfte finden. Die Bürger, die Makedonen und die Römer scheinen-im allgemeinen wohlhabende Leute zu sein: sie besitzen ihre Aecker im.Alexandrinerlande" und im„Menelaosgau", ihre„Gartengräber" auf der nach der östlichen Vor- stadt Kanobos sich erstreckenden Landenge und verpachten sie als Gemüsegärten! sie treiben Papyruskultur„an der Bucht bei der sogenannten Tiefe". Ein Pachtertrag über 5000 Drachmen jährlich läßt ans einen Großbetrieb schließen,' der jedenfalls in erster Linie der Erzeugung des Schreibmaterials galt. Merkwürdig modern wirkt es, wenn die Besitzer der„Papyrussümpfe" untereinander einen Verband schließen, um sich gegen eine Steigerung der Arbeitslöhne zu schützen I Von anderen werden Häuser in der Stadt vermietet; so erzielte eine Freigelassene für ihr Haus im„Delta" monatlich 00 Drachmen. Von besonderer Wichtigkeit aber ist das Geldgeschäft: Neun verschiedene„Wechsclbanken" übernehmen die Vermittelung, und auch ein gewerbsmäßiger Geldleiher erscheint in den Urkunden. Die Sklaven haben bald die Hausverwaltung zu besorgen, bald müssen sie das Flötenspiel lernen, um als Musikanten vermietet iverden zu können. Die Sklavinnen werden gelegentlich auch als Ammen vermietet und erhalten dafür in der Regel monatlich zehn Drachmen; wenn das Kind während der Pflege stirbt, so müssen sie ein anderes liefern und ohne Entschädigung nähren,„weil sie es als ein unsterbliches zu nähren übernommen haben." Die Ehe- Verträge weisen viele eigentümliche Züge auf; mehrmals wird noch ein zweiter Vertrag vorgesehen, der in Zukunft vor den Priestern zu schließen ist und vielleicht ein gemeinsames Testament der Ehe- gatten darstellen soll. Unter den Eingaben beansprucht ein Gesuch deS„Helenas, Juden auS Alexandrien " an den Statthalter TurraniuS besonderes Interesse; während er selbst nicht alexandrinischer Bürger ist, hebt er hervor, daß sein Vater „Alexandreus" gewesen sei und daß er selbst„nach Möglichkeit an der angemessenen Bildung teilgenommen" habe. Ziemlich häufig begegnen kaiserliche Freigelassene, die ihre Ergebenheit gegen ihren Herrn in der„SynodoS Sebaste" dem Augustus- Vereine, betätigen; freilich scheint ein langer Brief zu beweisen, daß die Leute einander ausspionieren und daß es„im Garten der Terentia", wohl einen Treffpunkt der Gesellschaft, nicht immer friedlich zuging. Auch für die alexandrinischen Nechtsformen liefern die neuen Urkunden bedeutende Ergebnisse. Die Publikation der—- griechischen— Texte wird nach Möglichkeit gefördert werden. kleines femUeton. Erziehung und Unterricht. Ueber Flegeljahre und Pubertätszeit als Ur- fache der Kriminalität Jugendlicher verbreitet sich Lehrer Kruppa von der Landesstrafaustalt Bautzen in der„Zeitschrift für Kinderforschung". Die körperliche EntWickelung des aus unserer Volksschule Entlassenen, so führt er auS, kommt als Ursache seiner Straffälligkeit viel häufiger in Betracht, als man für gewöhnlich an- zunehmen geneigt ist. Die überschießende Kraft in den Gliedern neigt zu allerhand Torheiten und Kraftstückchen, und nur zu schnell ist die Grenze zwischen harmlosen: Scherz und strafbarer Handlung überschritten. Je»ach dem sittlichen Fonds des betreffenden Jüng- lings oder nach seiner geistigen EntWickelung, die beide als Hem- mungen des auf Abwege zielenden allzu starken Kräftegefühls und Tatendranges auftreten, entstehen strafbare Handlungen in dieser gefährlichen Zeit der Flegeljahre, die sich äußern in Laternen- auslöschen, Fenstcrcinwerfen. Baumfrevel, Denkmal- und Grab- schändung, räuberischer Erpressung gemeinschaftlichem Raub, ja sogar Raubniord. Kommt zu diesem gesteigerten Krastgefühl während dieser körperlichen EntwickelungSperiode die Verführung durch Aeltere oder das Lesen von Hintertreppenromanen(Buffalo Bill - und Nick Carter- Geschichten), so ist die Ursache zu den genannten Zverantw. Ncdakt.: CarlWcrmuth, Berlin -Nixdorf.— Druck U.Verlag: Straftaten gegeben. Unter 750 strafgefangenen Jugendlichen zählte Kruppa acht Fälle von Sachbeschädigung, einen Fall von Grabschändung, vier Fälle von versuchter oder vollendeter räuberischer Erpressung, zwei Fälle gemeinschaftlichen und vier Fälle allein aus- geführten Straßenraubes, einmal Landfriedensbruch, ein Mord» versuch und vier versuchte Raubmorde. Ein besonderes Charakteristikum der Flcgeljahre sind Trotz und Unbotmäßigkeit, ver» Kunden mit Streben nach Selbständigkeit. Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung, Hausfriedensbruch und Vergehen gegen die Ordnung der Fortbildungsschule sind Delikte, die sich hieraus erklären. Das oft unglaubliche Verhalten gegen ältere Personen, besonders auch gegen die Eltern, gehört ebenfalls hierher. Weiter trägt die Renommiersucht, ein hervorragendes Rkerkmal der Flegel» jähre, oft mit dazu bei. junge Burschen ins Gefängnis zu bringen. Ein 17jähriger Realschüler stahl 70 M., mn dafür seltene Brief- marken zu kaufen, mit denen er unter seinen Freunden prunken wollte. Ein 13jähriger Handschuhmacher verübte einen Diebstahl, damit er eine ihm vom Präsident seiner farbentragenden(\) Verbindung zudiktierte Strafe bezahlen konnte. Unterschlagung, Betrug und Diebstahl kommen auch häufig vor, weil es die jungen Leute den Erwachsenen nachtun wollen im Biertrinken, Rauchen und in der Vereinsmeierei. Ein besonders starkes Anreizmoment zu Straf» taten ist schließlich noch die Wanderlust und der Drang zu Abenteuern: der mit der Portokasse durchgehende Kontorist, der gegen Rothäute oder Türken zu Felde ziehen will, ist in der Tagespresse schon fast zu einer stereotypen Erscheinung geworden. Naturwissenschaftliches. Der Photograph auf dem Meeresgrund. Die photographischen Aufnahmen der vielgestaltigen und vielbelebten Welt unter dem Wasserspiegel sind in letzter Zeit außerordentlich vervollkommnet worden. Nachdem bereits L. Rudaux durch einen Schirm die Lichtstrahlen ausgeschaltet hatte, die aus der Oberfläche des WasserS einen Spiegel machen und störend einwirken, ist jetzt ein amerikanischer Gelehrter, der. Zoologieprofessor Jakob Reighard von der Universität Michigan, so weit gekommen, das Leben des Meeres nicht nur durch das Wasser hindurch, sondern im Wasser selbst zu photographieren. Ueber seine Methode der„Photo- graphie von Seetieren in ihrer natürlichen Umgebung" macht er in dem in Washington erscheinenden„Bulletin of the bureau of fisherics" genau detaillierte Mitteilungen. Das Prinzip ist sehr einfach; es besteht darin, daß auf dem Meeresgrunde ein Apparat aufgestellt wird und der Photogrnph in Taucherausrüstung ebenfalls heruntersteigt. Unendlich schwierig aber ist die AuS- sührung, denn es muß jedes Eindringen von Wasser in den Apparat verhütet und jede Unruhe, jedes Ausrühren der Wogen vermieden werden. Auch die notwendigen Vorsichtsmaßregeln bei der Be- lichtung erfordern eine sehr geschickte Ausführung aller dabei anzu- wendenden Manipulationen. Reighard hat mit dieser, bis in alle Einzelheiten von ihm beschriebenen Methode, die allerdings große Ucbung und hervorragende Sorgfalt erfordert, glänzende Photo- graphische Aufnahmen der Unterseewelt hergestellt, die für die Meeresforschung von großer Wichtigkeit sind und das anschaulichste Abbild vom Leben unter Wasser darbieten. Verkehrswesen. Wolkenkratzer und Untergrundbahn. ES ist selbstverständlich, daß der Bau von Untergrundbahnen mit dem Gewicht derHäuser rechnen muß, die den Boden belasten, durch den sie ihren Weg graben sollen. Die besten Erfahrungen mit den Schwierigkeiten dieser Frage lassen sich in den amerikanischen Großstädten sammeln, wo die Wolken» oder Himmelskratzer einen Rekord im Hausbau aufgestellt haben, den nachzuahnlen oder gar zu übertreffen, die europäischen Städte bisher noch nicht den Ehrgeiz verspürt_ haben. Ueber das Gewicht solcher Riesenhäufer und die Rücksichten, die daraus für den Bau von Untergrundbahnen entstehen, hat der Ingenieur Pnrdy im Institut der amerikanischen Zivil» ingenieure einen beachtenswerten Vortrag gehalten. Er geht von den Verhältnissen aus. die bei dem Bau des großen Hauses für die „New Fork Times" vorlagen. Dies Gebäude wurde auf einem Platz errichtet, unter dem die Untergrundbahn hindurchführt, und eS entstand daraus die Aufgabe, einerseits das Gebäude, andererseits die Bahn vor gegenseitiger ungünstiger Beeinflussung zu schützen. Das Haus erhielt 23 Stockwerke und eine Höhe— vom Pflaster an gerechnet— von 329 Fuß oder fast 100 Metern. Ueber dem höchsten Stockwerk befindet sich noch ein Observatorium und eine Laterne, deren Dach noch 10 Meter höher aufragt. Andererseits reichen die Erdgeschosse noch rund 15 Meter unter das Niveau der Straße hinab. Das gesamte tote Gewicht des Gebäudes ist 1'/, Millionen .Kilogramm. Damit die Züge der Untergrundbahn nicht das Fundament erschütterten und andererseits der Tunnel nicht durch das Gewicht des Gebäudes gefährdet wird, mußten beide voll- ständig unabhängig von einander gemacht werden. ES gelang, die Fundicrung fo herzustellen, daß zunächst nicht die geringste Er» sckiütterung durch die fahrenden Züge verursacht wurde, jedoch stellten sich solche mit der Zeit mehr und mehr ein und es mußten Unter- suchungcn mit dem Erdbebenmesser angestellt werden, und schließlich wurde eine völlige Abstellung des bedenklichen Uebelstandes erzielt. Vorwärts Buchdruckerei u.Vcrlagsanstalt Paul Singer SlTo..BerlmLW.
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26 (7.5.1909) 88
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