Vordergrund seiner Handlungen. Neben seinen Liebeswegen, die Voller Dornen, Enttäuschungen, Ernüchterungen und Schmerzen sind, gehen die LiebeSwege seines Bruders Fox, und diese führen in die Sonne, in die Helligkeit. Denn er ist selbst eine sonnige Natur. draufgängerisch verwegen, wenig belastet mit Skrupeln, voller Zu- verficht und leichten Sinnes, ja leichtsinnig. Und der Verfasser be- leuchtet an der Gestalt deS optimistischen, zugreifenden, glücklichen Fox den pessimistischen, immer unterliegenden Charakter Pitts um so deutlicher! mit schlichter Kunst bringt er die Naturen beider Brüder in Wechselwirkung und hält den Leser im Bann einer feingeistigen Seelen- künde. Eine einfache Geschichte im Grunde. Zwei Jünglings- leben, die der Liebe entgegenwachsen, Herzensabenlcuer haben, bis sie die Eine, die Rechte, finden. Für Fox bedeutet die Rechte nicht mehr als eine gute Partie, seine Devise lautet„M. W."(machen wir!), der zartbesaitete Pitt dagegen muh erst aus Wunden bluten, ehe er sich auf die Rechte besinnt, die die Wunden heilt und zugleich auch seine zaghafte, unbewußt egoistische Natur heilt. Doch Friedrich Huch hat König Midas ' Talent. Er vergoldet die Dinge, die er angreift; aber sie bleiben dabei lebendig. Und auf jeder Seite stößt man auf Dichte- rischcs, wie helles Tageslicht fließt darüber hin ein leuchtender Humor. Die Sähe wie poliert, die Schilderung liebevoll, alles plastisch geformt, daß man die Liebesgeschichte der beiden ungleichen Brüder mit Interesse bis zur letzten Seite liest. Er gibt genug Ab- schweifungen, aber niemals hat man das Gefühl der Weitschweifig- keit. Banale Dinge werden gehoben, einfache Dinge fesselnd gc- macht durch des Autors künstlerische und geschmackvolle Art der Ge- staltung. « „Auf der Schaukel', Novellen von Georg Hirschfeld. S. Fischers Verlag, Berlin . Den sechs neueren und älteren Erzählungen, die hier zum Buch zusammengefaßt wurden, drückte Berlin den Stempel auf. Mit Ausnahme der Titelnovelle haben die Geschichten die Reichsmetropole zum Hintergrund, und das gibt ihnen Farbe und Form, ihr eigenes Gepräge, wie zum Beispiel Münchener oder Wiener Novellen ihr eigenes bestimmtes Kolorit haben. Notabene, wenn sie echt sind, ans einem Erleben herausgeschrieben, aus einem Schauen geboren und nicht am Schreibtische ausgeklügelt und in ein erfundenes Milieu hinein- gesetzt. Hirschfelds Novellen sind gewissermaßen auf der Straße ge- funden; ich meine damit nicht, daß sie billig oder wertlos sind, sondern ich will damit ihre innere Wahrhaftigkeit andeuten, ihre Lebensnähe, ihre Wirklichkeitsbasis. Der Auior hat uns in seinen Romanen immer gern ein bißchen in das Land der Ideale, in das bleiche Reich der Schatten, der Acsthetenphantasie geführt. Nun kommt er ganz irdisch daher, gesund und manchmal sogar robust; der Träumer blickt heiter, wenn es darauf ankommt auch ernst, oft spöttisch und mit Humor, immer aber in dieser Novellenreihe mit klaren Augen in die reale Welt. Hin und wieder macht er an das Publikums- bedürfnis ein paar Zugeständnisse— man merkt, daß diese kleinen Geschichten zuerst in Unterhaltungsblättern Absatz gefunden haben. Offenbar erscheint dem Autor die Novelle, die dem Buche seinen Namen gab— daß man noch immer an dieser un- sinnigen Methode festhält— am besten geglückt.„Auf der Schaukel", cS klingt symbolisch, aber der Titel steht dennoch zu den übrigen Novellen nur in sehr gewaltsamem Zu- sammenhang. Freilich hat diese letzte Geschichte insofern vielleicht am meisten spezifisches Gewicht, als sie als ein lehrreicher Reiseführer dienen kann. Wenn ein Autor eine Reise tut, so kann er was er- zählen, und Georg Hirschfeld läßt nun seinen Peter— selbst- verständlich Künstler— in anregender Form seine Er- lebnisse und Eindrücke in Dänemark erzählen. Außer den Sehenswürdigkeiten findet der malende Jüngling natürlich auch„sie", und am Ende kriegen sie sich. Weitere Unfälle sind erfreulicherweise nicht zu melden. Dagegen ist vom kritischen Amt zu melden, daß die Novelle:„Sonntag"(eine psychologisch fein durchgeführte Studie von der tragischen Liebe zweier mutterloser Knaben zu ihrem unglücklichen Vater, den ein herzloses Weib ruinierte) an Delikatesse und Vertiefung die Aus- hängefchildgeschichte weit übertrifft. Zwingend in ihrer Stimmungs- kunst ist auch die sauber gestrichelte Skizze:„Ein seltenes Fest". Hier quillt wieder des Verfassers lyrische Natur hervor, während die zweifellos von einem lebenden Modell befruchtete Schilderung eines problematischen Dichtergenies, SebalduS Rünipel, der über das Kabarett ins Waffer springt, von weiser Ironie ge- tränkt ist. „Bunte Herzen", Novellen von E. von Keyserling. S. Fischers Verlag, Berlin . Wurde Hirschfeld von außen inspiriert, so horcht Graf Keyserling auf die innere Stimme, gibt inneren Gefühlen Leben. Es ist, als ob eine versunkene Welt bor dem Autor auffliege, er wandelt wieder in ihr, grüßt die Ahnenbilder und ver- gißt das lärmende, das rauhe und rohe Heute. Diese Scheu vor dem Rohen zittert durch die Keyserlingschen Werke, aber cS ist nicht das eingebildete Fatzkentum unserer kleinen Gernegroße, nicht die falsche Vornehmheit der Snobs. Keyserlings Anschauungen, Keyserlings Prätention gegenüber dem Vulgären des Lebens, Keyser- lingS Stil ist etwas Gezüchtetes, die Erbschaft einer alten Kultur. Die feinste Blüte jeder Kultur sprießt meist bor dem Absterben dieser Kultur oder vor dem Niedergang, und sie ist darum so oft Dekadenz. Keyserling jedoch hat nichts von Dekadenz an sich, er ist ein Fürsprecher der Kraft, ein Prophet der Natürlichkeit bei aller exklusiven Zurückhaltung. Und gerade das Snobtum, jene gefährliche und dumme Giftblüte unserer heutigen Aeußerlichkeitskulwr, muß seinen Geschmack wie seinen Gefühlsaristokrattsmus beleidigen. Die erste Novelle,„ B u n t e H e r z e n ist darum in erster Linie eine Epistel gegen die Snobs, die auS ihrem Glück wie aus ihrem Unglück eine Toilettensache machen. Ganz wundervoll ist die Herzensgeschichte eines kleinen Komteßchens geschildert, das die Welt so wenig kennt wie ihr eigenes Herz und deffen Liebe beim Anblick eines plebejischen roten Kopfkissens jämmerlich zusammensinkt, dieweil ihr Liebhaber unter schönen Gesten und Worten aus der romantischen Affäre sich in den Tod hinüber- spielt. Und über dieser unbewußten Schauspielerei sitzt der alte Graf mit sinnendem Haupt und spricht seine weisen Worte. Ueber- Haupt, diese weisen, reifen Geister, diese Kavaliere der Denkungsart sind Keyserlings Spezialität. Köstlich fließt alles zum Gemälde zu- fammen, frisch und lebendig sehen wir die Bilder vom alten Herren- hause, der alten Komteß, die mit ihrer Bänderhaube die Läden der Morgensonne öffnet. Auch die zweite Novelle ist ein Kabinettstück, das„Dumala-Motiv" in knapper Form noch einmal meisterlich be- handelt: Mann und Hausfreund bewogen von der ungetreuen Frau. Eine weiche Melancholie und ein überlegener, lächelnder Humor, eine überaus suggestive Stimmungskunst geht durch die stillen Ge- schichten._ J. V. Kleines f euiUeton* Aus dem Gebiete der Chemie. Oxybenzylmethhlenglykolanydrid— das ist durchaus noch nicht einer der längsten chemischen Namen, die es gibt. Die Chemiker haben es bei der Namengebung für neuentdeckte Ver- bindungen meist sehr leicht, indem sie die Bezeickmungen für die einzelnen Bestandteile einfach so zusammenfügen, daß die Zusammen» setzung des Körpers daraus ersichtlich wird. Was dem Laien als ein fast unaussprechlich langer Name erscheint, gibt dem Chemiker sofort ein Bild von der Beschaffenheit deS benannten Stoffes. Jener Körper, der mit dem schönen und wohl- klingenden Namen„Oxybenzylmethylenglykolanhdrid" in die Chemie eingeführt ist, bildet einen Bestandteil des Kohlenteers, der für die chemische Industrie schon so unendlich viele Stoffe von größter Wichtigkeit, namentlich für die Herstellung künstlicher Färb- stoffe, geliefert hat. Er hat übrigens noch einen leichter zu behaltenden Namen bekommen, nämlich Bakelit nach seinem Entdecker Dr. Bakcland. Nach den bisherigen Untersuchungen scheint dieser Bakelit zu außerordentlichen Dingen in der Technik berufen zu sein, denn er stellt einen ganz hervorragenden Isolator dar, der in fast allen seinen Eigenschaften den teueren Hartgummi über« ttifft. Der Bakelit ist fester, hat eine größere Widerstandsfähigkeit gegen Hitze und bleibt von den meisten chemischen Stoffen unversehrt. Demzufolge empfiehlt er sich für zahllose Au- Wendungen, besonders in der Elektrotechnik. Außerdem soll er sich zur Imprägnierung weicher Hölzer eignen, die durch Versetzung mit diesem Stoffe hart wie Ebenholz werden. Auch Elektrizitätserzeuger und Motoren sind zum Schutze der Draht- bewickelung mit Bakelit überzogen worden und haben sich in diesem Zustande vortrefflich bewährt. Die Verwertung des Steinkohlen« teerS wird somit eine neue Gelegenheit zur Schaffung eine? be- deutsamen Hilfsmittels für die Technik erhalten. Medizinisches. Ergebnisse der Sammelforschung über Blind- darmentzündung. Die vielfach konstatierte beunruhigende Zunahme der Blinddarmentzündungen— ist doch in den preußischen Heilanstalten die Zahl der Fälle in den Jahren 1903/1907 von 8000 auf 18 000 gestiegen— hat die„Berliner Medizinische Gesellschaft" veranlaßt, eine Sammelforschung über das Vorkommen der Blind- darmentzündung in Groß-Berlin zu veranstalten. Die Ergebnisse sind jetzt bekannt geworden. Danach sind in den Krankenhäusern 9,2 Proz., in der Privatpraxis 1,7 Proz. der behandelten Patienten gestorben. Ein Schwercrwerden der Krankheit ist nicht erwiesen. Die größte Häufigkeit der Krankheit liegt zwischen dem 10. und 20. Lebensjahre, die Krankheit ist im Aller seltener, jedoch verläuft sie da auch schwerer, so daß jenseits der Sechziger kein an Blinddarm- entzündung Erkrankter durchkommt. Von den Symptomen der Blinddann- entzündung wurden am häufigsten beobachtet: Leibschmerzen, Er« brechen, Fieber, mit der Schwere der Erkrankung nimmt auch die Häufigkeit der Bauchmuskelspannung zu. Die Statistik umfaßt 2700 verwertbare Fälle; davon wurden 2300 Fälle in Krankenhäusern be» handelt. Von den Operierten starben 14,65 Proz. Die im Früh- stadium Operierten wiesen bessere Ergebnisse auf als die später Operierten. Profeffor Rotter, der die Resultate der Stattstik in der Berliner Medizinischen Gesellschaft vortrug, bedauerte, daß noch immer nur eine kleine Anzahl der Erkrankten der Frühoperation am ersten oder zweiten Tage zugeführt werde; eine Besserung der Operationsresultate sei nur von der allgemeinen Einführung der Frühoperation zu erwarten. iBerantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer SiEo..Berlin L>V.
Ausgabe
26 (4.6.1909) 106
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