Mttterhaltungsblatt des HorwärtsNr. 109. Mittwoch, den 9� Juni. 1909�(Nachdruck vervsten.)6] Der Hrbeiter Scbewyrjoff.# Revolutionsgeschichte von M. Artzibaschew." Der. Schlosser machte eine verzweifelte Handbewegung,Uvd der begeisterte Ausdruck schwand langsam von seinemmageren schwarzen Gesicht.-„Die schwarzen Hunderter*) kamen herein, wieUmmer.... Es gab eine Spaltung, und die Verwaltung,isobald sie merkte, daß alles auseinanderfällt, benutzte dieGelegenheit, und es ging los.... Unsere Vertreter flogenaus dem Ausschuß, an ihre Stelle wurden SchwarzhunderterTlnd Meister gesetzt, die Ausschußmitglieder ins GefängnisMsteckt, die Bibliothek aufgelöst...„Und Ihr habt ruhig zugeguckt?"�.Wir vom Ausschuß waren ja zumeist im Gefängnis."„Nicht die vom Ausschuß, sondern die Arbeiter selbst...fjgi denen Ihr Bewegung hineingebracht hattet?".„Ja... ich sagte eben, Maschinengewehre wurden vord'er Grube aufgestellt."„„Ach so... Maschinengewehre.. SchewyrjoffLehnte mit unbestimmtem Ausdruck seine Stimme.Der Schlosser schwieg eine Weile; sein Gesicht verzogsich mehr und mehr.„Wissen Sic... was die getan haben, das weiß nurGott allein. Alles hat's gegeben, Nagajka, Erschießen, Ver-gewaltigung der Frauen.... Am bittersten ist es mit denAusschußmitgliedern gegangen.... Mit mir ging es noch,ich wurde unter den ersten verhaftet... die anderen habenes ganz anders abgekriegt.... Unseren Bibliothekar hatein Kosak an den Sattel gebunden und im Trab nach derStadt gejagt. Die Arme waren ihm auf den Rücken gebunden, so daß sie ihm, wenn er zuriickblieb, ausgedrehtwurden, er in den Schmutz fiel und über die Erde geschleiftwurde.... Hinten aber ritt ein anderer Kosak und stachmit der Lanze, damit er aufstünde! Diese Schakale!...Geweint haben manche, als man ihn so sah...."-„Ach so, geweint!" wiederholte Schewyrjoff.In seiner kalten Stimme tönte eine wilde, unversöhnliche Verachtung. Sein Gesicht blieb jedoch regungslos wietimmer, und nur die Finger trommelten rascher auf der Tisch-platte.Der Schlosser verstand offenbar, denn seine Augenflammten auf.«Ja, geweint... und werden noch weiter weinen....Aber in den Tränen steckt Blut."Er hob die Hand und drohte mit dem schwarzen Finger.Sein ganzes Gesicht geriet in Verzückung, als wenn sich seineSeele in finsterer Begeisterung spannte.Schewyrjoff lächelte kühl.„Ihr schätzt Eure blutigen Tränen billig ein!" warf erverächtlich hin.„Ob billig oder nicht, die Rache wird nicht ausbleiben!"erwiderte der Schlosser mit felsenfester, fast wahnwitzigerUeberzeugung.__„Ob sie nicht doch ausbleibt?... Und wann?...wenn Ihr vor Hunger krepiert seid?"Der Schlosser blickte ihm erschrocken in die Augen. Einschrecklicher stampf zeigte sich auf dem ausgehungertenschwarzen Gesicht mit den brennenden phantastischen Äugen.Wohl eine Minute hielten sich beide mit ihren Blicken fest.Schewyrjoff bewegte sich nicht. Der Schlosser senkte plötzlichdas Auge, sein langer Körper wurde schlaff, und den Kopsauf die Hände gelegt, antwortete er eigensinnig:„Und wenn auch.... Hat denn mein Leben irgend-welchen Wert im Vergleich..."„Nein, es hat keinen Wert!" schnitt ihm Schewyrjoffrauh das Wort ab und stand auf.Der Schlosser hob rasch den Kopf, wollte etwas sagen,legte ihn aber wieder nieder.„He. hat der sich einen Affen gekauft!" rief jemand amNebentischchcn und stieß ein trunkenes idiotisches Lachen aus.*) Die schivarzen Hunderter— Mitglieder des Verbandes ecktrussiscbcr Leute. Hier als gcwcrkschaftlicl� Schutztruppc der poti-tischen Reaktion, wie in Deutschland die„Gelben".Schewyrjoff stand eine Weile da, überlegte. SeineLippen bewegten sich, er sagte aber nichts, lächelte nur ver».zerrt und schritt mit hoch erhobenem Kopf zum Ausgang.<Der schwarze Schlosser hatte sein Gesicht nicht erhoben.6. �Der breite, gerade Prospekt verlief sich, vom kaltenHimmel überspannt, in der blauen Ferne. Und soweit dasAuge reichte, sah es eine dunkle, scheckige, lebendige Mengesich eilend vorwärtsbcwegen, zusammenfließen, drängen undstoßen, durch die endlose Kette der Equipagen und dieSchienen der Straßenbahn in zwei Teile zerschnitten, ohnedaß sie auch nur für eine Minute.sich zu vermehren oder zuvermindern schien.Prächtig sahen die Häuser aus, groß und spiegelnd dieSchaufenster, leicht und elegant die Laternen und die Pfähleder elektrischen Straßenbahnleitung. Selbst die Luft unddas Licht des Himmels schienen hier heller und reiner. Esatmete sich leichter als im Freien, und das Blut rollte frischerdurch die Adern.Vor Schewyrjoff, hinter und neben ihm schoben sich inendloser Kette Menschen mit lebensvollen, festlichen Ge-sichtern. Von allen Seiten tönte Gelächter. Stimmengewirr.Knistern von Seidenstoff, und über dein ganzen bunten Lärmschwebten die Glockensignale der Straßenbahn und das baldwie Wellen anschwellende, bald sinkende Gedröhn derEquipagen.Schewyrjoff hatte die Hände in den Taschen vergraben,den Kopf trug er hoch aufgerichtet.Vor ihm trottete ein korpulenter Herr, den Hut auf derSeite eingeknickt, den rosigen Doppelnacken von einer weichen,wohlgepflegten Falte durchfurcht. Sein Gang war solideund gleichzeitig leicht, die Hand im braunen Handschuhschwang den Spazierstock.Der Kopf auf dem kurzen rosigen Hals drehte sichsorgenfrei nach allen Seiten, besonders die Frauen musterteer mit Behagen. Man sah ihm an, daß er soeben vom Dinerkam, daß es ihm in seiner zufriedenen Stimmung Ver-gnügen machte, die frische Luft einzuatmen und die vomEssen angeregten Nerven durch den Anblick hübscher Frauen-gesichter zu kitzeln.Lange hatte ihn Schewyrjoff nicht bemerkt, doch derrosige Nacken lag beharrlich vor seinen Augen, und dasappetitliche Fältchen am Halse zitterte faul bei jedem Schritt.So blieb Schewyrjoffs schwerer und harter Blick endlich anihm haften.Ein drückender stumpfer Gedanke setzte sich plötzlich indiesem Blick Schewyrjoffs fest: er zog ihn hinter dem Nackenher. Als eine Gruppe von Damen Schewyrjoff den Weg ver-legte, bog er rasch, obgleich noch ganz mechanisch, ab, stießeinen Offizier an, ging aber, ohne den empörten Ausruf„Tölpel" zu hören, weiter hinter dem rosigen Nacken her,langsam, beharrlich, unablässig.In seinen hellen Augen spannte sich der sonderbare un-heimliche Ausdruck noch straffer; die durchsichtige Klarheiteiner schonungslosen Kraft lag darin.Hätte sich der dicke Herr mit dem rosigen Nacken um-geschaut und diesen klaren Blick verstanden, so würde ersich in die Menge gestürzt, sich in ihre lebende Masse ein-gepreßt und verzweifelt, mit qualverzerrtcm Gesicht umHilfe geschrien haben.Das Denken Schewyrjoffs wirbelte mit toller Ge-schwindigkeit in dem glühenden Hirn, zog immer engere undengere Kreise und blieb zuletzt mit albdruckartiger Wut andem rosigen Nacken hängen wie ein zentnerschwerer Steinüber dem Kopf eines Menschen. Hätte man versucht, denKern dieser Gedanken in Worte zu fassen, so müßten sie ge-lautet haben:„-- Du gehst.°. geh nur!... Aber merke dir.daß ich mir, wenn irgendein Glücklicher, Satter, vor mirgeht, sage: der ist satt, der ist glücklich, der lebt, nur weil iches ihm erlaube!... Vielleicht überlege ich es mir �mselben Augenblick, und dann sind ihm nur noch zwei Se-künden, eine, c i n e h a l b e zu leben gegeben.... Vor nurkönnen jetzt die armseligen Redensarten von dem heiligenRecht eines jeden Menschen auf Leben nicht mehr bestehen!Ich bin Herr über dein Leben!... Und niemand kann