6tn schon kennen... Maksimowci, versetzen Sie sich in meine JCoge, Maksiinowa, um Gotteswillen!" „Nein. Ich kann nicht... das Hemd ist einem näher vis der Rock ... Nun, wie Sie wollen, aber,.. Sie tun mir wirklich leid, aber ich kann nichts tun... Sie hatten eine Stellung, da hätten Sie sich mit den Zähnen festbeißen sollen. Da haben Sie es nun. Sind selber dran schuld." „Ja, freilich... ich habe schuld. Aber dann habe ich toch die Schuld und nicht die Kinder.. „Die Kinder sind Ihre Kinder. Sie hätten's eben um der Kinder willen ertragen sollen." „Sehen Sie, Maksimowa, das ist..." „Was habe ich da zu sehen!" mit aussichtsloser Grobheit Unterbrach ihn die Alte.„Wozu wollen Sie sich vor mir er- viedrigen. Ich kann nichts tun. Dort hätten Sie so reden mögen!" „Aber Maksimowa!" .(Fortsetzung folgt.)! (Nachdruck verv.oteii.1 Die Goetbebüftc. Kon Hans B r e n n e r t. I. Es war eine schöne Goethebüste. Er liebte Goethe. Aus diesem Grunde hatte er gestern abend am Stammtisch die schöne Goethebüste von dem kleinen italienischen Buben gekauft. Er war Staatsanwaltschaftsassistent. Aus diesem Grunde schien ihm die Goethebüste an keinem Orte einen größeren Genuß des Anblickes zu sichern, als wenn er sie oben auf sein Schrcibpult stellte, nicht daheim, wo er ein solches als möblierter Herr nicht besaß, sondern in seiner stillen Kanzleistube. Das war ein kirchen- stiller Raum mit Fensterausblick aus die vergitterten Milchglas- fenster des Untersuchungsgefängnisses und auf ein paar grüne Kastanienwipfel, unter denen mittags die Herren Untersuchungs- gefangenen luftschöpfend im Gänsemarsch sich ergingen. Morgens um acht enthüllte er denn die Goethebüste behutsam vor seinem Schrcibpult und stellte das kleine Denkmal ernsthaft oben auf das Fachspind, das den Pulttisch krönte. Es sah etwas ungewöhnlich, aber nicht schlecht aus. Und er dachte an Goethe. Und er dachte an Italien ---. II. Um neun Uhr bekam er Besuch. Es war ein Herr, der die- selbe hohe Stellung wie er im Staate bekleidete. Der Unterschied zwischen ihnen bestand nur darin, daß der Besucher die Verbrecher- namen registrierte, welche mit K begannen, während er selbst den Verbrecherischen Anfangsbuchstaben C bearbeitete. Hieraus ergaben sich ihre menschlichen Beziehungen. Es gab Verbrecher, die so rücksichtslos waren, unter den Ver- nchmungsprotokollen ihren Namen bald mit C. bald mit K zu schreiben. Manches Mal war es also auch durch stundenlanges Besprechen der orthographischen Sachlage nicht möglich, den Zweifel zu klären, wer der berufene amtliche Wächter der Urkunden sei, die sich über «inen sicheren Raubmörder mit der unsicheren Schreibweise Clampe oder Klampe häufig vernichtend zusammenhäuften. Menschen, die solche Fragen täglich gemeinsam und liebevoll lösen, müssen sich auch innerlich näher treten. Es war also nicht Neugier, sondern Schicksal und Anteil, als lder Herr vom C den Herrn vom K beim Verlassen des Zimmers .rasch noch fragte:„Was haben Sie denn da für einen Jipskopf?" Höflich kam es zurück:„Eine Goethebüste!" „Ach so! Eine Joethebüste...." Die„Joethebüste" wurde sehenswürdig. Der Herr Staats- anwaltschaftsassistent wunderte sich, was die Kollegen heut alle bei ihm wollten. Warum ging es heute bei ihm nur wie in einem Tauben- schlag? Man kam, um ihm die neueste Strafversetzung, die neueste Beförderung zu berichten! Ihm! Man kam, um ihm— ihm! � zu erzählen, wer einen japanischen Orden bekommen. Man brachte ihm Akten, die sonst tagelang von Fach zu Fach reisten, bis sie bei ihm landeten, heute eigenhändig. Als sehr eilig! Man kam Federn borgen, Siegellack, rote Tinte, Oblaten, Nationalgarn ausleihen.... Was war geschehen? War er krank, sollte er befördert Herden? Nachdenklich begann er zu frühstücken. Aber die Besuch«rflut ebbte nicht. Um elf Uhr wurde es plötzlich still. Nämlich das gesamte Verbrecher-ABC, der gesamte Beamtcnstab, der die Angeklagten von N bis Z bearbeitete, war nunmehr durch seine Klause gezogen. Nachdenklich schaute er hinaus auf die Wipfel der Kastanien, die mit grünen Kronen und ihren weißen Blütenlichtern Mischen den Gefängnismauern standen, als sehnten sie sich nach ihren Schwestern, die draußen den bunten Straßenfrühling schauten. Fast verstört verspeiste er seine halbe Ananas, die er sich heute zum Frühstück gegönnt. Das Rätsel erschien ihm jetzt riesen- groß.... Er wußte es ja nicht: er hatte eine„Joethebüste". Er hat eine„Joethebüste" murmelte es durch die Zimmer- flucht der königlichen Staatsanwaltschaft. Die Federn kratzten, die Mten rauschten, der königliche Aktenstaub tanzte in der Sonne, soweit solche in die ernsten Räume hineinfiel, einen Frühlings- reizen, und in dem goldigen Staubflimmcr schwärmten die kleinen Mikroben und schrien: Er hat eine Joethebüste?... Es hatte schon Menschen gegeben, die ihr Amisheim mit Stall- werckbildern schmückten, Menschen, die daselbst auf kühlenden Luft- kissen saßen, Menschen, die im Dienst auf Spiritus kochten, die sich Diaphanien an die Fenster hingen, Menschen, die sich im Bureau Goldfische hielten oder in roten Tonkästen Nilgras zogen. Abep ein Mensch mit einer Goethebüste... Der Mensch mit der Goethebüste saß an seinem Pulte. En saß noch immer regungslos, ohne zu schreiben. Er hatte nur das dumpfe Gefühl, es sei etwas geschehen. Oder es werde etwas ge- schehen. Etwas Schreckliches. Oder etwas Herrliches. Um zwölf Uhr wurde er denn auch zum Ersten Staatsanwalt befohlen. III. Der Erste Staatsanwalt saß in seinem Gemache; er nutzte die Schwurgerichtspause, um zu frühstücken. Es gab kalten Kalbs- braten und ein Glas Haute Sauterne. Das Hausmädchen, das seine Gemahlin damit entsendet, saß mit dem Korbe an der Tür, Scheu und ehrfürchtig. Der arme Erste Staatsanwalt hatte noch eine lange� Sitzung bor sich. Ihm gegenüber stand sein Referendar und las die Er- gcbnisse der Vormittagssitzung vor.„Meineid — vier Jahre Zuchthaus, Brandstiftung— zehn Jahre Zuchthaus — Totschlag— acht Jahre Zuchthaus— Urkundenfälschung— fünf Jahre Zuchthaus!" „Das ist ja scheußlich!" rief der Erste Staatsanwalt.„Wieder über dreißig Jahre Zuchthaus! Schluß!" Und er goß sich noch ein Glas Sauterne ein.„Ich werde mich versetzen lassen... Ich werde zu alt für das Geschäft. Lieber eine nette, ruhige Zivil- kammer— I" Er war sehr schlechter Laune. Nun klopfte es auch noch, und der diensthabende Bote machte eine Meldung. Die Stimme de3 Ersten Staatsanwalts erhob sich sofort grollend, rauh, gereizt; „Ach so, ja! Soll mal eintreten!" Es war der Herr StaatsanwaltschaftSassistcnt. Bleich, aber gefaßt stand er vor seinem höchsten Chef. Er sah nicht daS hübsche HauSmädchen mit dem Frühstückskorb und nicht den wohlgescheitelterr Referendar. Er sah nur die reckenhafte Gestalt des Herrn Ersten Staatsanwalts in der schwarzen Robe und im Schmuck der weißen Halsbinde, den nach rascher Karriere angekommenen Korps- Philister mit den fürchterlichen Schmissen, die das Kaschemmen- gespräch aller vorbestraften Messerstecher und der freien schlagenden Verbindung„Schlagring" in den Vorstadtkneipcn bildeten.... „Also, ich habe soeben sehr merkwürdige Dinge von Jhne�i gehört!" sagte der öffentliche Ankläger und fuhr von seinem Sitze auf.„Sie haben es unternommen, in Ihrem Dienstzimmer eine Goethebüste aufzustellen! Ist der Tatbestand richtig?" Die Frage wurde leise bejaht. „So! Also wirklich! Sie scheinen sehr wenig zu tun zu haben, mein Herr! Anders kann ich mir diesen Einsall nicht erklären. Die Dienstzimmer sind nicht dazu da, um durch solche Spielereien angefüllt zu werden. Wollen Sie damit vielleicht sagen, daß Ihnen die fiskalischen Interieurs mißfallen? Sezessionsmöbel können wir natürlich nicht hinstellen. Brauchen Sie zur Erhaltung Ihrer Arbeitsfrische plastische Behelfe? Sehen Sie bei mir hier Büsten? Geschweige denn Goethebüsten? Ueberbaupt Goethe! Wie kommen Sie denn auf Goethe? Sind Sie vielleicht Mitglied des Goethe-Bundcs? Ausgerechnet Goethe!" Die Stimme wurde milder, väterlicher. „Also, lieber Freud! Das geht nicht. Nüchterne, einfache, schmucklose Räume sind der angemessene Rahmen für unsere ernste und traurige, hören Sie, traurige Arbeit! Stellen Sie den Jips- dichter zu Hause auf! Melden Sie mir morgen mittag: Die Joethe- büste ist beseitigt!" IV, Der Herr StaalsanwaltSassistcnt meldete am nächsten Mittag: „DieGoethebüste ist gestohlen!" Der Erste Staatsanwalt legte die Feder hin, durch sein Antlitz schoß eine Blutwelle. Auf seiner Stirne sammelte sich in Zornesfaltcn die Empörung. Aber sie glätteten sich schleunigst, und nachhelfend fuhr er mit der Hand an die Schläfe, da wo der Temporalhieb saß und die Stirnhaut schief angewachsen war. Das tat immer scheußlich weh, wenn er seine Brauen runzelte. „So?" sagte er. Er erholte sich schwer.„Gestohlen! En, Diebstahl in den Räumen der Staatsanwaltschaft! Täglich schöner! Juristisch ein blödsinnig verzwickter Fall! Wer ist denn nun bestohlen? Sie oder der FiSlus, bei dem Sie Ihre kostbare Goethebüste untergestellt haben? Ich werde die Sache unter- suchen. Und den Dieb ermitteln. Verlassen Sie sich darauf! Hier
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26 (15.6.1909) 113
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